Die Demenzforschung konzentriert sich vor allem auf die Alzheimer-Krankheit, da diese mit 60 bis 70 Prozent aller Demenz-Fälle die häufigste Demenzform darstellt. Aber sind Demenzerkrankungen tatsächlich erblich? Der Begriff Demenz umfasst eine Vielzahl verschiedener Erkrankungen mit unterschiedlichen Ursachen.
Alzheimer-Krankheit: Familiäre und altersbedingte Formen
Hinsichtlich genetischer Merkmale bei Alzheimer unterscheidet man zwischen zwei Formen:
- die erblich bedingte Form der Alzheimer-Erkrankung (familiäre, autosomal dominant vererbte Variante)
- die altersbedingte Form (sporadische Variante).
Die erblich bedingte familiäre Alzheimer-Erkrankung (FAD) ist nur für ein bis fünf Prozent aller Alzheimer-Fälle verantwortlich, der Großteil der betroffenen Menschen (95 bis 99 Prozent) erkrankt an der altersbedingten Form. Alzheimer ist demnach lediglich in seltenen Fällen eine Erbkrankheit. Dies ist ein Umstand, der Hoffnung macht. Denn das Risiko für die altersbedingte Variante lässt sich senken. Bis zu 45 Prozent des Risikos für die altersbedingte Form ist auf veränderbare Risikofaktoren zurückzuführen, die durch gezielte Maßnahmen aktiv beeinflussbar sind.
Bei der familiären Alzheimer-Form liegt die Wahrscheinlichkeit, die Erkrankung zu erben, zwischen 50 und 100 Prozent, abhängig von den Genen der Eltern. Dieses Risiko ist nicht beeinflussbar. Betroffene Personen erkranken häufig vor dem 65. Lebensjahr, während die altersbedingte Form in den meisten Fällen ab dem 65. Lebensjahr auftritt.
Eine familiäre Alzheimer-Krankheit (FAD; englisch = Familial Alzheimer Disease) liegt vor, wenn in einer Familie mehrere Personen, meist aus aufeinanderfolgenden Generationen, betroffen sind. Von einer Erkrankung mit früher Erstmanifestation (EOFAD; englisch = Early-onset FAD) spricht man, wenn die Betroffenen erste Symptome im Alter vor 60 bis 65 Jahren, oft auch schon vor dem 55. Lebensjahr zeigen. Der Anteil einer familiären Alzheimer-Krankheit an allen Demenzkranken mit Alzheimer-Demenz wird auf ca. 5 % geschätzt.
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Genetische Grundlagen der familiären Alzheimer-Krankheit
Inzwischen sind zumindest drei Gene identifiziert worden, die dazu führen können, dass Menschen bereits im jüngeren Alter (unter 60 Jahren) an Alzheimer erkranken. Derzeit sind drei Gene bekannt, die in mutierter Form für das Entstehen der familiären Alzheimer-Krankheit verantwortlich sind: APP, PSEN1, PSEN2. Man nennt die drei auch Alzheimer-Gene. Liegt bei Vater oder Mutter eine Mutation dieser Gene vor, erben die Kinder das mutierte Gen mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Und wer es erbt, wird erkranken. Meist sind Familienmitglieder mehrerer Generationen betroffen. Die Krankheit wird autosomal-dominant vererbt, das heißt wenn ein Elternteil das mutierte Gen besitzt, gibt es eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass auch die Kinder das Gen erben und somit erkranken. Eine besonders hohes Risiko für Alzheimer haben Menschen mit Down-Syndrom.
Mutationen im Gen APP (Amyloid beta (A4) Precursor Protein) auf Chromosom 21q21.2 verursachen ca. 10-15 % der FAD-Fälle. Es sind Familien mit autosomal dominanter EOFAD ohne Mutation in den oben genannten Genen bekannt, was nahelegt, dass es weitere, bisher noch nicht identifizierte ursächliche Gene für monogen vererbte Formen der Alzheimer Demenz gibt.
Menschen mit Down-Syndrom (Trisomie 21) haben ein besonders hohes Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Forschende gehen davon aus, dass dies an der dritten Kopie des APP-Gens liegt, welches sich ebenfalls auf dem 21. Chromosom befindet.
Risikogene und Genotypen
Ein Genotyp des Gens APOE (apolipoprotein E) gilt als Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit. Patienten mit einer Alzheimer-Demenz im höheren Lebensalter weisen gegenüber der Allgemeinbevölkerung vermehrt den Genotyp E4 entweder homozygot (E4/E4) oder heterozygot (E3/E4) auf. Die Allele unterscheiden sich in CÝT Substitutions-Polymorphismen der jeweils ersten Base der Codons 112 und 158, jeweils mit der DNA-Sequenz CGC (für Arginin, R) oder TGC (für Cystein, C). Die aus der kombinierten Betrachtung der beiden Polymorphismen resultierenden häufigen Haplotypen kodieren für die drei genannten Isotypen e2 (C112C158), e3 (R112C158) und e4 (R112_R158). Evolutionär betrachtet entwickelte sich aus einer ursprünglichen, dem e4-Allel ähnlichen Sequenz, die e3-Sequenz, aus der zuletzt e2 hervorging.
Von APOE kommen in der Bevölkerung drei häufige allelische Varianten vor, benannt nach den durch sie kodierten, in der Proteinelektrophorese unterscheidbaren Isotypen, e2, e3 und e4. Die Frequenz der drei häufigen APOE-Allele variiert weltweit. In allen bislang untersuchten Populationen ist das e4-Allel mit erhöhtem LOAD-Risiko assoziiert, wobei hinsichtlich des Ausmaßes der Assoziation ethnische Unterschiede bestehen (19). Bei Mitteleuropäern ist bei APOE-e4-positivem Genotyp gegenüber APOE-e4-negativem Genotyp mit einem Anstieg des Lebenszeitrisikos für LOAD auf das 1,7- bis 2,4fache zu rechnen (Tabelle 4). Entsprechend liegt im Vergleich zu e3/e3-homozygoten Personen bei e4-Heterozygoten die „odds ratio“ für AD zwischen 1,8 und 3 und bei e4/e4-Homozygoten zwischen 6 und 15. Das e2-Allel wirkt protektiv gegenüber der LOAD (20), wodurch sich bei e4-negativen Trägern des e2-Allels eine „odds ratio“ von ~0,5 ergibt. 50 bis 60 Prozent mitteleuropäischer LOAD-Patienten, aber auch 20 bis 30 Prozent nichtdementer gleichaltriger Kontrollprobanden tragen ein oder zwei APOE- e4-Allele.
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Auch wenn das Alter der größte Risikofaktor ist, kann die Veränderung des Apolipoprotein Epsilon 4 (ApoE4)-Gens das Erkrankungsrisiko erhöhen. Allerdings führt diese genetische Veränderung nicht zwangsläufig zu einer Erkrankung. Das ApoE4-Gen könnte bei bis zu 25 Prozent aller Alzheimer-Fälle eine Rolle spielen. Weitere Gene wurden identifiziert, die das Alzheimer-Risiko erhöhen können.
Gentest bei Alzheimer
Viele Menschen machen sich Sorgen, an Alzheimer zu erkranken - insbesondere, wenn bereits Verwandte erkrankt sind oder es waren. Alzheimer kann in seltenen Fällen vererbt werden und ein Gentest kann Auskunft über das eigene Risiko geben.
Typisch für die familiäre Form ist ihr relativ früher Beginn („early onset“) vor dem 65. Bei Personen unter 65 Jahren mit Symptomen einer Alzheimer-Erkrankung oderbei direkten Angehörigen von erkrankten Personen, bei denen die Mutation eines der Alzheimer-Gene (APP, PSEN1, PSEN2) nachgewiesen wurde. Das heißt: Wenn bereits jemand nachweislich an familiärer Alzheimer-Demenz erkrankt ist, können sich Geschwister und Kinder (ab dem 18. Ein Gentest bei familiärer Alzheimer-Demenz zeigt mit hoher Sicherheit, ob eine Person erkranken wird. Ein Test auf das ApoE4-Gen dagegen weist nur auf ein erhöhtes Risiko für die häufige, nicht vererbte Form der Alzheimer-Krankheit hin - eine sichere Vorhersage ist damit nicht möglich.
Der Test wird in humangenetischen Testzentren oder in einer humangenetischen Sprechstunde anhand einer Blutprobe durchgeführt. Die Kosten für einen Alzheimer-Gentest werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. In Deutschland sind Selbsttests zu Hause aufgrund des Gendiagnostikgesetzes nicht möglich. Das Gesetz schreibt vor, dass vor dem Test ein Beratungsgespräch stattfinden muss und auch das Ergebnis nur von einer Humangenetikerin oder einem Humangenetiker mitgeteilt werden darf. Die Entscheidung für oder gegen einen Gentest ist nicht einfach. Deshalb gehört eine ausführliche humangenetische Beratung immer dazu. Sie hilft, die Chancen und Belastungen eines Tests realistisch einzuschätzen - für die getestete Person und die Familie. Denn auch wenn ein Gentest helfen kann, Ängste zu lindern, kann ein positives Ergebnis äußerst belastend sein.
Allgemein unterscheidet man bei der Demenz zwischen zwei Arten genetischer Tests: So gibt es die Testung auf sogenannte Ursachen-Gene, wie APP, PSEN1 oder PSEN2, deren Veränderungen direkt mit der erblichen, bzw. familiären Form von Alzheimer-Demenz verbunden sein können. Die Sinnhaftigkeit dieser Gentests haben die Autorinnen und Autoren der S3-Leitlinie Demenzen genauer betrachtet. Die Fachexperten empfehlen die Testung auf die Ursachen-Gene unter der Voraussetzung, dass ein Verdacht auf die familiäre Form besteht. Um Betroffene vor vorschnellen oder belastenden Entscheidungen zu schützen, ist eine ausführliche genetische Beratung in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben.
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Das sogenannte Gendiagnostikgesetz regelt genau, unter welchen Bedingungen genetische Untersuchungen erlaubt sind und schreibt vor, dass Betroffene vor und nach der Untersuchung über Chancen und Risiken aufgeklärt werden. Vor allem bei prädiktiven Tests - also solchen, die Aussagen über ein zukünftiges Erkrankungsrisiko machen - ist eine fundierte Aufklärung entscheidend. Genetische Tests werden bei Demenz vor allem dann eingesetzt, wenn der Verdacht auf eine familiäre Form der Alzheimer-Demenz besteht. Dieser Verdacht besteht vor allem bei einem sehr frühen Krankheitsbeginn (unter 65 Jahren) oder bei direkten Angehörigen von bereits erkrankten Personen. Das heißt, dass sich Geschwister und Kinder (ab dem 18. Lebensjahr) testen lassen können, wenn ein direktes Familienmitglied an der familiären Form der Demenz erkrankt ist - auch wenn sie selbst noch keine Symptome zeigen.
Eine genetische Testung sollte immer über spezialisierte Fachärztinnen und Fachärzte für Humangenetik erfolgen. In vielen Städten gibt es genetische Beratungsstellen oder Ambulanzen, die eine solche Untersuchung anbieten - eine Übersicht finden Sie hier bei der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik e.V. (GFHEV). Bei medizinischer Indikation bzw. einem Verdacht werden die Kosten für die Testung auf Ursachen-Gene in der Regel von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Die Testung auf Risiko-Gene wie ApoE4 wird auch über kommerzielle Anbieter angeboten. Ein Gentest kann wertvolle Hinweise geben, besonders wenn es darum geht, eine seltene erbliche Form von Alzheimer-Demenz zu erkennen. Doch mit diesem Wissen geht auch Verantwortung einher - für sich selbst und für die Familie.
Forschungsschwerpunkte und aktuelle Entwicklungen
Im Bereich der Diagnoseforschung geht es laut dem wissenschaftlichen Beirat der Alzheimer Forschungsinitiative, Prof. Dr. Thomas Arendt, hauptsächlich darum, körperliche Merkmale zu finden, anhand derer die Krankheit Alzheimer nachgewiesen werden kann. Ein Biomarker kann zum Beispiel ein bestimmter Bestandteil im Blut sein.
Zentral ist die Erforschung von Beta Amyloid-Plaques. Unter Beta-Amyloid werden Proteine verstanden, die als Hauptauslöser von Alzheimer und anderen demenziellen Veränderungen gelten. Diese Proteine kommen auch bei gesunden Menschen vor. Krankmachend sind sie, wenn sie sich im Gehirn ablagern und nicht abgebaut werden. Sie führen dann wahrscheinlich zu einer Störung neuronaler Impulse, das heißt Signale können im Gehirn nicht weitergegeben werden. Der Erforschung des Beta Amyloids wird in der Wissenschaft viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ein deutsch-niederländisches Forscherteam hat einen Bluttest entwickelt, der die Fehlfaltung des Amyloid-Beta Proteins erkennt. Diese Fehlfaltung des Proteins ist für die Alzheimer-Krankheit charakteristisch. Der Früh-Test des Forscherteams sei mit einer Sensitivität von mindestens 90 Prozent sehr aussagekräftig. Die Sensitivität gibt an, zu wie viel Prozent ein Test bei tatsächlich Erkrankten die Krankheit tatsächlich erkennt. Von Vorteil könne das frühe Erkennen von Alzheimer bei der Medikamentengabe sein, die entsprechend früher passiert.
Frontotemporale Demenz (FTD)
Auch bei anderen Demenzformen können genetische Faktoren eine Rolle spielen. So haben bis zu 50 Prozent der Menschen mit einer frontotemporalen Demenz (FTD) eine Familiengeschichte von Demenz oder anderen psychiatrischen Erkrankungen. 15 bis 28 Prozent der Fälle könnten dabei direkt erblich bedingt sein.
Die frontotemporale Demenz (FTD) ist eine seltene Form einer schnell fortschreitenden Demenz. Sie macht Schätzungen zufolge zusammen mit der Alzheimer-Demenz die Mehrzahl aller Demenzerkrankungen unter 65 Jahren aus. Kennzeichnend bei der FTD ist, dass Nervenzellen speziell im Stirnhirn (Frontallappen) und im Schläfenlappen (Temporallappen) untergehen. In diesen Gehirnbereichen werden wichtige Funktionen gesteuert: Zu den Aufgaben der Frontallappen gehören unter anderem das Sozialverhalten und die Verhaltenskontrolle, die Temporallappen sind unter anderem für das Sprachverständnis von Bedeutung.
Im Vergleich zur Alzheimer-Demenz bricht die FTD früher aus: meist zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr. Die Altersspanne bei der frontotemporalen Demenz ist jedoch breit: Die Erkrankung kann auch deutlich früher oder später auftreten - zwischen dem 20. und 85. Lebensjahr. Da die FTD häufig vor dem 65. Lebensjahr ausbricht, gehört sie zu den frühbeginnenden Demenzen.
Bislang ist nicht im Detail geklärt, wie es zum Untergang der Nervenzellen kommt. Ein Teil der frontotemporalen Demenzen ist erblich bedingt und Fälle treten familiär gehäuft auf (familiäre FTD). Auch ein Teil der ohne familiäre Häufung auftretenden frontotemporalen Demenzen kann im Zusammenhang mit genetischen Veränderungen stehen. Insgesamt sind etwa 10-15% aller frontotemporalen Demenzen genetisch bedingt, v. a. die Verhaltensvariante.
Forschende des DZNE suchen nach den molekularbiologischen Ursachen für den Nervenzelltod bei frontotemporaler Demenz. Außerdem untersuchen sie den Zusammenhang zwischen Amyotropher Lateralsklerose (ALS) und FTD. Zwischen diesen Erkrankungen gibt es fließende Übergänge, d.h., dass Verhaltenssymptome und kognitive Defizite bei einer ALS auftreten können oder dass sich Symptome einer ALS im Verlauf der FTD einstellen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DZNE wollen außerdem Parameter identifizieren, die Diagnose und Vorhersage des Krankheitsverlaufs ermöglichen. Für eine große FTD-Studie des DZNE werden daher fortlaufend und bundesweit Menschen mit (möglicher) FTD sowie deren blutsverwandte Angehörige gesucht, um Ursachen der Erkrankung zu erforschen.
Vaskuläre Demenz
Eine vaskuläre Demenz ist die Folge von Beschädigungen an Blutgefäßen im Gehirn. Ursächlich dafür ist in vielen Fällen ein Schlaganfall, Bluthochdruck oder andere Grunderkrankungen wie Diabetes und Herzerkrankungen. Es gibt eine genetische Mutation, die das Risiko für eine vaskuläre Demenz stark erhöht.
Lewy-Body-Demenz
Bislang sind keine Risikofaktoren für eine Lewy-Body-Demenz bekannt. In wenigen Familien wird die Lewy-Body-Demenz allerdings infolge von Veränderungen im Erbgut hervorgerufen. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass bei der Lewy-Körperchen-Demenz ähnliche genetische Risikofaktoren eine Rolle spielen wie bei der Alzheimer-Erkrankung.
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