Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz und stellt eine wachsende Herausforderung für die Gesundheitssysteme weltweit dar. Viele Menschen fragen sich, ob Alzheimer vererbbar ist, besonders wenn in der Familie bereits Fälle bekannt sind. Dieser Artikel beleuchtet die genetischen Aspekte der Alzheimer-Krankheit, die verschiedenen Formen der Vererbung, bekannte Risikofaktoren und gibt einen Ausblick auf aktuelle Forschungsansätze.
Was ist die Alzheimer-Krankheit?
Die Alzheimer-Krankheit (AD), benannt nach ihrem Erstbeschreiber Alois Alzheimer, ist eine progressive neurodegenerative Erkrankung, die durch den Verlust von kognitiven Fähigkeiten gekennzeichnet ist. Typische Symptome sind Gedächtnisverlust, Verwirrtheit, Sprachstörungen und mangelndes Urteilsvermögen. Im fortgeschrittenen Stadium können Betroffene völlig handlungsunfähig werden. Neuropathologisch ist die AD durch kortikale Hirnatrophie sowie die Bildung von extrazellulären Beta-Amyloid-Plaques (SP) und intraneuronalen neurofibrillären Bündeln (NFT) gekennzeichnet.
Pathophysiologische Grundlagen
Die senilen Plaques (SP) bestehen hauptsächlich aus Aggregaten von Beta-Amyloid (Aβ), einem Fragment des Amyloid-Vorläuferproteins (APP). Insbesondere Aβ42, eine Variante mit 42 Aminosäuren, besitzt ein hohes Aggregationspotenzial und spielt eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie der AD. Die Neurofibrillenbündel (NFT) bestehen aus abnorm phosphoryliertem Tau-Protein, das intrazellulär aggregiert. Ein molekularer Mechanismus, der die kombinierte Tauopathie und Amyloidpathologie bei AD erklärt, ist bislang unbekannt.
Ein initialer Neuronenverlust wird bei der AD typischerweise im Entorhinalkortex beobachtet, gefolgt vom Hippokampus und den übrigen neokortikalen Arealen des Temporallappens. Hierdurch erklärt sich das zumeist frühe Leitsymptom der AD, ein zunehmender Verlust des Kurzzeitgedächtnisses.
Formen der Alzheimer-Krankheit und ihre genetischen Grundlagen
Hinsichtlich genetischer Merkmale unterscheidet man zwischen zwei Hauptformen der Alzheimer-Krankheit:
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- Familiäre Alzheimer-Krankheit (FAD): Eine autosomal-dominant vererbte Variante, die durch Mutationen in bestimmten Genen verursacht wird.
- Altersbedingte oder sporadische Alzheimer-Krankheit (LOAD): Die häufigste Form, bei der das Alter der größte Risikofaktor ist, aber auch genetische Faktoren eine Rolle spielen können.
Familiäre Alzheimer-Krankheit (FAD)
Die familiäre Alzheimer-Krankheit (FAD; englisch = Familial Alzheimer Disease) liegt vor, wenn in einer Familie mehrere Personen, meist aus aufeinanderfolgenden Generationen, betroffen sind. Von einer Erkrankung mit früher Erstmanifestation (EOFAD; englisch = Early-onset FAD) spricht man, wenn die Betroffenen erste Symptome im Alter vor 60 bis 65 Jahren, oft auch schon vor dem 55. Lebensjahr zeigen. Die FAD ist selten und macht nur etwa 0,5 bis 5 % aller AD-Fälle aus. Sie wird durch Mutationen in drei Hauptgenen verursacht:
- APP (Amyloid-Beta-Vorläuferprotein): Mutationen in diesem Gen auf Chromosom 21q21.2 verursachen etwa 10-15 % der FAD-Fälle. Das APP-Gen kodiert für das Amyloid-Vorläuferprotein, welches eine zentrale Rolle bei der Bildung von Beta-Amyloid-Plaques spielt. Mutationen in APP führen oft zu einer erhöhten Produktion von Aβ42.
- PSEN1 (Präsenilin 1): Mutationen in diesem Gen auf Chromosom 14q24 sind die häufigste Ursache für FAD (30-70 % der Fälle). PSEN1 ist Teil des γ-Sekretase-Komplexes, der für die Spaltung von APP und die Bildung von Beta-Amyloid verantwortlich ist. Mutationen in PSEN1 beeinflussen die γ-Sekretase-Aktivität und erhöhen die Produktion von Aβ42.
- PSEN2 (Präsenilin 2): Mutationen in diesem Gen auf Chromosom 1q42 sind seltener (weniger als 5 % der Fälle). Wie PSEN1 ist auch PSEN2 Teil des γ-Sekretase-Komplexes, und Mutationen beeinflussen die Beta-Amyloid-Produktion. In der deutschen Bevölkerung (einige Familien wolgadeutscher Herkunft) wurde eine Founder-Mutation im Gen PSEN2 (c.422A>T) nachgewiesen.
Die FAD wird autosomal-dominant vererbt, was bedeutet, dass eine einzige Kopie des mutierten Gens ausreicht, um die Krankheit auszulösen. Kinder von betroffenen Eltern haben ein 50%iges Risiko, die Mutation zu erben und somit an FAD zu erkranken. Klinisch ist die FAD von anderen Formen der Alzheimer-Demenz nicht zu unterscheiden, allerdings manifestiert sie sich in der Regel früher, weshalb sie zu der Gruppe der Early-Onset Alzheimer’s Diseases (EOAD) zählt. Von einer EOAD spricht man bei einem Manifestationsalter der dementiellen Symptomatik vor dem 60. Lebensjahr.
Altersbedingte oder sporadische Alzheimer-Krankheit (LOAD)
Die altersbedingte Alzheimer-Krankheit (LOAD) ist die häufigste Form der AD. Sie tritt meist nach dem 65. Lebensjahr auf und wird durch eine Kombination aus genetischen, umweltbedingten und Lebensstilfaktoren beeinflusst. Das Alter ist der Hauptrisikofaktor für LOAD. In Inzidenzstudien konnten bislang außerdem der Bildungsstand und das e4-Allel des Gens für das Apolipoprotein E (Protein: apoE, Gen: APOE) als weitere Risikofaktoren der LOAD identifiziert werden.
Genetische Risikofaktoren bei LOAD
Obwohl LOAD nicht direkt durch Mutationen in einzelnen Genen verursacht wird, spielen genetische Risikofaktoren eine wichtige Rolle. Das bekannteste und am besten untersuchte Risikogen ist APOE.
- APOE (Apolipoprotein E): Dieses Gen kodiert für ein Protein, das am Transport von Lipiden im Körper beteiligt ist, einschließlich des Gehirns. Es gibt drei Hauptvarianten (Allele) von APOE: ε2, ε3 und ε4. Das APOE ε4-Allel ist ein bedeutender Risikofaktor für LOAD. Personen mit einem APOE ε4-Allel haben ein erhöhtes Risiko, an Alzheimer zu erkranken, und der Krankheitsbeginn kann früher erfolgen. Das APOE ε2-Allel hingegen wirkt protektiv und ist mit einem geringeren Risiko für AD verbunden. Patienten mit einer Alzheimer-Demenz im höheren Lebensalter weisen gegenüber der Allgemeinbevölkerung vermehrt den Genotyp E4 entweder homozygot (E4/E4) oder heterozygot (E3/E4) auf. Allerdings tragen nur 50 bis 60 Prozent der LOAD-Patienten und 20 bis 30 Prozent der nichtdementen Vergleichspersonen das mit dem Risiko assoziierte e4-Allel von APOE.
Weitere genetische Risikofaktoren
Neben APOE gibt es weitere genetische Varianten, die das Risiko für LOAD beeinflussen können. Diese Varianten haben in der Regel einen geringeren Einfluss als APOE ε4, aber in Kombination können sie das Gesamtrisiko erheblich erhöhen. Durch umfassende Genom-weite Assoziationsstudien (GWAS) wurden zahlreiche weitere Genloci identifiziert, die mit einem erhöhten AD-Risiko in Verbindung stehen.
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Down-Syndrom und Alzheimer
Menschen mit Down-Syndrom (Trisomie 21) haben ein besonders hohes Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Dies liegt daran, dass das APP-Gen auf Chromosom 21 lokalisiert ist. Durch die zusätzliche Kopie des Chromosoms 21 wird mehr APP produziert, was zu einer erhöhten Beta-Amyloid-Produktion und der Entwicklung von Alzheimer-typischen Veränderungen im Gehirn führt. Bei den meisten Personen mit Down-Syndrom werden bereits in einem Alter zwischen 30 und 40 Jahren fortgeschrittene, AD-typische histopathologische Veränderungen des Gehirns beobachtet.
Genetische Beratung und Testung
Die Verfügbarkeit von genetischen Tests für Alzheimer-Risikogene wirft wichtige ethische und psychologische Fragen auf. Generell wird eine genetische Beratung vor und nach einer genetischen Testung empfohlen, um die potenziellen Auswirkungen der Ergebnisse zu verstehen.
Prädiktive genetische Testung
Eine prädiktive genetische Testung kann bei Personen mit einer Familiengeschichte von FAD durchgeführt werden, um festzustellen, ob sie eine krankheitsverursachende Mutation geerbt haben. Eine solche Testung ist jedoch mit erheblichen ethischen Bedenken verbunden, da sie potenziell belastende Informationen liefert, für die es derzeit keine heilende Behandlung gibt. Die präsymptomatische Diagnostik hat ein hohes Konfliktpotenzial.
APOE-Genotypisierung
Obwohl die APOE-Genotypisierung technisch möglich ist, wird sie in der Regel nicht für die AD-Diagnostik empfohlen, da sie keine spezifische Diagnose ermöglicht und keine therapeutischen Konsequenzen hat. Mangels verfügbarer therapeutischer Konsequenzen wird eine APOE-Genotypisierung zur AD-Diagnostik nicht empfohlen. Dennoch kann die Kenntnis des APOE-Genotyps für die Teilnahme an klinischen Studien oder für die Risikobewertung in bestimmten Forschungskontexten von Bedeutung sein.
Aktuelle Forschung und Therapieansätze
Die Alzheimer-Forschung konzentriert sich auf verschiedene Ansätze, um die Krankheit besser zu verstehen, Risikofaktoren zu identifizieren und wirksame Therapien zu entwickeln.
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Medikamentöse Therapie
Bislang gibt es keine Heilung für Alzheimer, aber es gibt Medikamente, die die Symptome lindern und das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen können. Zu den zugelassenen Medikamenten gehören Cholinesterasehemmer und Memantin, die auf die Neurotransmitter-Systeme im Gehirn wirken. In den letzten Jahren haben Studien zu neuen Alzheimer-Impfstoffen Aufsehen erregt. Aktuell ist der Wirkstoff Protollin ein besonders vielversprechender Kandidat. Der Impfstoff, der über die Nase verabreicht wird, soll körpereigene Abwehrkräfte mobilisieren, um gegen Ablagerungen an Nervenzellen vorzugehen.
Forschung zu Beta-Amyloid und Tau-Protein
Ein Schwerpunkt der Forschung liegt auf der Rolle von Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Neurofibrillen bei der Entstehung der AD. Es werden Therapien entwickelt, die darauf abzielen, die Bildung von Beta-Amyloid zu verhindern, die Plaques abzubauen oder die schädlichen Auswirkungen von Tau-Protein zu reduzieren. Ein deutsch-niederländisches Forscherteam hat einen Bluttest entwickelt, der die Fehlfaltung des Amyloid-Beta Proteins erkennt. Diese Fehlfaltung des Proteins ist für die Alzheimer-Krankheit charakteristisch.
Lebensstilinterventionen
Studien haben gezeigt, dass bestimmte Lebensstilfaktoren das Risiko für AD beeinflussen können. Dazu gehören regelmäßige körperliche Aktivität, eine gesunde Ernährung, kognitives Training und soziale Interaktion. Bewegung ist ein wesentlicher Faktor, um das Risiko für eine Demenz zu verringern. Man kann damit sogar eine erblich bedingte Veranlagung ausgleichen.
Früherkennung und Biomarker
Die Früherkennung der Alzheimer-Krankheit ist ein wichtiges Ziel der Forschung. Es werden Biomarker entwickelt, die eine frühe Diagnose ermöglichen, bevor irreversible Schäden im Gehirn auftreten. Zu den vielversprechenden Biomarkern gehören Messungen von Beta-Amyloid und Tau-Protein im Liquor cerebrospinalis (Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit) sowie bildgebende Verfahren wie die Amyloid-PET und Tau-PET. Im Jahr 2021 kam in den USA ein Bluttest zur Diagnosestellung von Alzheimer auf den Markt. Der Precivity AD-Bloodtest erfasst unter Berücksichtigung des Alters und einer genetischen Komponente das Verhältnis zweier Proteinvarianten von Amyloid-Beta.
Rolle der Mitochondrien
Das Forscherteam um den Arzt und Molekularbiologen Jens Pahnke von der Klinik für Neurologie der Universität Magdeburg hat nun den Zusammenhang zwischen der mütterlichen Vererbungslinie und der Entstehung der Alzheimer Demenz herausgefunden. Hierzu wurden neue Mausmodelle etabliert, die die mütterliche Vererbung von Mitochondrien (den Kraftwerken der Zellen) und deren genetische Veränderungen im Alter nachstellen. Die Forscher konnten in einer internationalen Kooperation zwischen den USA, Canada, Frankreich und Deutschland nachweisen, dass eine erhöhte Aktivität der Mitochondrien zu weniger Alzheimer-Ablagerungen führen.
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