Akupunkturbehandlung bei Polyneuropathie: Linderung, Regeneration und ganzheitliche Therapie

Polyneuropathie, eine Erkrankung, die durch Schädigung vieler peripherer Nerven gekennzeichnet ist, betrifft Millionen von Menschen weltweit. In Deutschland leiden schätzungsweise 5 Millionen Menschen an dieser Erkrankung. Die Symptome, die von Kribbeln, Brennen und Taubheit bis hin zu Schmerzen und Gangunsicherheit reichen, können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Während die westliche Medizin sich hauptsächlich auf die Behandlung der Grunderkrankung und die Linderung der Symptome konzentriert, bietet die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) einen ganzheitlichen Ansatz zur Behandlung von Polyneuropathie. Ein wichtiger Bestandteil der TCM ist die Akupunktur, die in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat.

Was ist Polyneuropathie?

Der Begriff "Polyneuropathie" stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Erkrankung vieler peripherer Nerven". Diese Erkrankung kann sensible, motorische oder autonome Nerven betreffen und manifestiert sich häufig zuerst in den Extremitäten, insbesondere in Händen und Füßen. Ursachen für Polyneuropathie können vielfältig sein, darunter internistische Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Vitamin-B12-Mangel, akute Entzündungen oder chronischer Alkoholkonsum.

Westliche Therapieansätze

Die westliche Medizin konzentriert sich primär auf die Behandlung der zugrunde liegenden Ursache der Polyneuropathie. Zusätzlich werden Medikamente wie Antidepressiva oder Antikonvulsiva (Medikamente zur Epilepsiebehandlung) eingesetzt, um die Symptome zu lindern. Allerdings kann in den meisten Fällen das Fortschreiten der Erkrankung lediglich verlangsamt, aber nicht geheilt werden.

Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) als ganzheitlicher Ansatz

Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) ist ein Medizinsystem, das auf Erfahrungen und Behandlungen basiert, die sich über 2000 Jahre zurückverfolgen lassen. Im Gegensatz zur westlichen Schulmedizin betrachtet die TCM den Patienten in seiner Gesamtheit und behandelt nicht nur einzelne Symptome. Die Diagnose in der TCM basiert auf einer ausführlichen Anamnese, einer vollständigen Untersuchung, sowie Zungen- und Pulsdiagnose. Basierend auf dieser Diagnose wird ein individuelles Behandlungskonzept erstellt, das Akupunktur, Pharmakotherapie und Ernährungsberatung umfassen kann. Auch Hinweise zur Verbesserung der Lebensführung und manuelle Therapien wie Tuina sowie Übungen wie Taiji oder Qigong können in die Behandlung integriert werden.

Chinesische Diagnostik

Die chinesische Diagnostik umfasst die Beurteilung der Symptome, des äußeren Erscheinungsbildes sowie die Zungen- und Pulsdiagnose. Dabei wird vor allem das aktive Körpergewebe beurteilt, einschließlich der Funktion der inneren Organe und des Zustands der Muskeln, Sehnen und Nerven. Die Zunge wird als Abbild des energetischen Zustands angesehen, und die Pulsdiagnostik gibt Aufschluss über die Zusammensetzung der Gewebe, die nährenden Flüssigkeiten und die aktive Energie des Körpers.

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Chinesische Diagnose der Polyneuropathie

Aus Sicht der chinesischen Medizin ist eine Hauptursache der Polyneuropathie eine Ansammlung von Schleim (Tan). Schleim umfasst hierbei alle Substanzen des Körpers, die sich pathologisch angesammelt haben und den physiologischen Prozessen entzogen sind. Dies kann durch eine Überlastung des Funktionskreises Magen/Milz (Pi Wei) bedingt sein, oft aufgrund langfristiger Fehl- oder Mangelernährung. Der Schleim sinkt nach unten in Richtung der Beine ab und führt zu Stauungen im Blut (Xue), was die Unterversorgung der Nerven und die resultierenden Symptome verursacht. In manchen Fällen kann dies auch zu Schleim-Hitze und Entzündungen führen.

Therapien der TCM bei Polyneuropathie

Die TCM bietet verschiedene Therapieansätze zur Behandlung von Polyneuropathie, darunter:

  • Akupunktur und Wärmebehandlung (Moxatherapie)
  • Pharmakotherapie (pflanzliche Heilmittel)
  • Ernährungstherapie
  • Manuelle Therapien (z. B. Tuina)
  • Übungen wie Qigong oder Taiji
  • Anpassung der Lebensführung

Akupunktur als zentrale Behandlungsmethode

Die Akupunktur zielt darauf ab, das energetische Gleichgewicht des Körpers wiederherzustellen. Das "Qi", die Lebensenergie, soll gleichmäßig auf definierten Leitbahnen (Meridianen) fließen und die Organe versorgen. Durch die Stimulation spezifischer Akupunkturpunkte wird der Fluss des Qi beeinflusst, um den Energiefluss zu harmonisieren, Organe zu stärken oder überschüssige Energie abzuleiten.

Bei der Polyneuropathie werden häufig folgende Akupunkturpunkte verwendet:

  • Ma 36 (Zusanli): Stärkt Milz und Magen, wirkt Stagnationen entgegen und harmonisiert Qi und Xue.
  • Ma 40 (Fenglong): Wandelt Schleim um und treibt ihn aus dem Körper, bewegt das Qi von Milz und Magen.
  • Mi 6 (Sanyinjiao): Kräftigt die Milz, wandelt Nässe um und steigert die Verteilung der Säfte im Körper.
  • Mi 9 (Yinlingquan): Leitet Nässe aus, reguliert den Fluss und bringt Qi in die unteren Extremitäten.
  • Ni 3 (Taixi): Stärkt Niere und Leber, kühlt Hitze und kräftigt den unteren Rücken und die Knie.
  • Le 3 (Taichong): Kühlt Xue, reguliert dessen Fluss, senkt Yang ab und unterstützt Leber und Gallenblase.
  • Gb 34 (Yanglingquan): Stärkt Leber, Gallenblase, Milz und Niere, entspannt die Sehnen und eliminiert Schleim und Hitze.
  • EX 10 (Bafeng): Wandelt Hitze-Nässe um und leitet sie aus, wird bei Schmerzen, Schwächegefühl und Sensibilitätsstörungen in den Füßen eingesetzt.

Viele dieser Punkte können auch von den Patienten regelmäßig zu Hause akupressiert werden.

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Pharmakotherapie mit pflanzlichen Heilmitteln

Die TCM verwendet vor allem pflanzliche Heilmittel wie Blüten und Rinden. Beispiele hierfür sind Yi Yi Ren (Hiobstränensamen) und Ku Shen. Die Heilmittel werden in Apotheken individuell auf den Patienten abgestimmten Rezepturen abgegeben, um Qualität und Herkunft zu sichern. Auch Fertigtabletten, die höchsten Qualitätsstandards unterliegen, sind verfügbar. Durch die Behandlung mit chinesischen Arzneimitteln können energetische Mangelzustände behoben, ein gleichmäßiger Qi-Fluss gewährleistet und pathogene Faktoren ausgeleitet werden.

Ernährungsberatung und Diätetik

Die TCM betrachtet Nahrungsmittel als milde wirkende Medikamente, die gezielt im Alltag eingesetzt werden können. Sie können wärmend oder kühlend wirken, stabilisierend oder ausleitend sein. Bei Polyneuropathie wird eine Ernährung mit stärkenden Lebensmitteln empfohlen, die möglichst keinen zusätzlichen Schleim erzeugen. Wichtig ist, dreimal täglich in Ruhe zu essen und warme Mahlzeiten zu bevorzugen. Ein warmes, stärkendes Frühstück wie Congee (chinesischer Reisbrei) oder Porridge ist empfehlenswert. Kalte und zu fettige Nahrungsmittel sowie Milchprodukte sollten vermieden werden.

Lebensführung als wichtiger Faktor

Die Lebensführung spielt in der TCM eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der Gesundheit. Regelmäßige geistige und körperliche Betätigungen wie Qigong oder Taiji sowie eine angepasste Ernährung sind essentiell.

Fallbeispiel aus der Praxis

Ein 50-jähriger Patient stellte sich mit Kribbeln in den Zehen vor, das seit 1,5 Jahren bestand. Er hatte in den letzten Jahren zugenommen und weniger Sport getrieben. Die neurologische Untersuchung zeigte eine leichte sockenförmige Hypästhesie an beiden Füßen. Die Laborwerte zeigten erhöhte Blutzuckerwerte, und die elektrophysiologische Untersuchung bestätigte eine beidseitige Polyneuropathie. In der chinesischen Diagnostik wurden ein Qi-Mangel in Milz und Magen sowie ein Schleimbefund festgestellt.

Der Patient wurde 15 Wochen lang mit Akupunktur und chinesischen Arzneimitteln behandelt, um den Schleim auszuleiten und Magen/Milz zu stärken. Es wurden Akupunkturpunkte wie Ma 36, Ma 40, Mi 3, Mi 6, Mi 9, Ni 3, Gb 43 und Bafeng verwendet. Zusätzlich erhielt er Tipps zur Ernährungsumstellung und begann mit Ausdauertraining. Im Laufe der 15 Wochen konnte er über 10 kg abnehmen.

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Die Kontrolluntersuchung zeigte eine deutliche Besserung der elektrophysiologischen Befunde, normale Blutzuckerwerte und einen nur noch minimal erhöhten HbA1c-Wert. Zur Erhaltung der Gesundheit wurden regelmäßige Akupunkturbehandlungen in Abständen von 2-3 Wochen vereinbart.

Akupunktur bei Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie

Eine Studie von Forschern um Dr. Ting Bao am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York untersuchte die Wirksamkeit von Akupunktur bei Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie. Die Studie umfasste 75 Patienten mit mäßiger bis schwerer Polyneuropathie aufgrund von Chemotherapie, die unter Taubheit, Kribbeln und/oder Schmerzen litten. Die Teilnehmer wurden in drei Gruppen eingeteilt: echte Akupunktur, Scheinakupunktur und Standardbehandlung.

Die Ergebnisse zeigten, dass die echte Akupunktur in allen Punkten signifikant stärkere Verbesserungen erzielte als die Standardbehandlung (Schmerzen: p = 0,05; Kribbeln: p = 0,02; Taubheit: p = 0,005). Die Scheinakupunktur schnitt lediglich bei den Taubheitsgefühlen besser ab als die konventionelle Behandlung (p = 0,003). Der Effekt der echten Akupunktur hielt lange an, auch noch nach zwölf Wochen.

Akupunktur und Laserakupunktur bei diabetischer Polyneuropathie

Auch bei diabetischer Polyneuropathie zeigen Akupunktur und Laserakupunktur vielversprechende Ergebnisse. Studien des HanseMerkur Zentrums zur Erforschung der Akupunktur der Polyneuropathie in Zusammenarbeit mit der Charité Berlin haben gezeigt, dass Akupunktur bei diabetischer Polyneuropathie wirkt und sogar die Nervenleitgeschwindigkeiten verbessern kann.

Die Bedeutung der Yin-Stärkung in der TCM

Aus Sicht der Chinesischen Medizin sind Polyneuropathien immer mit Strukturschäden der peripheren Nerven und einer energetischen Schwäche des Yin (depletio yin, yinxu) verbunden. Daher ist die Stützung des Yin für alle Formen der Polyneuropathie sinnvoll. Durch die Yin-Schwäche entstehen sekundär weitere Ungleichgewichte wie Qi-Mangel in Milz und Niere (depletio qi lienale et renale, pi shen qi xu), Blockaden der Leitbahnen durch Feuchtigkeit (shi) und Schleim (tan) sowie eine Tendenz zu Kälte (algor) mit verschlechterter Kapillarfunktion. Dies führt zu Taubheitsgefühlen, Lähmungen, kalten Extremitäten und Schwellungen.

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