Genetische Untersuchung der Ursachen von Epilepsie

Die genetische Veranlagung spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und dem Verlauf von Epilepsien. Dies gilt sowohl für monogenetische Epilepsien, die durch einzelne Gene verursacht werden, als auch für komplexe Epilepsien, bei denen das Zusammenspiel mehrerer genetischer Faktoren und Umweltfaktoren eine Rolle spielt. Die Erforschung der genetischen Grundlagen von Epilepsien hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht, was zu neuen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten geführt hat.

Monogenetische Epilepsien

Monogenetische Epilepsien folgen den Mendelschen Regeln der Vererbung, wobei eine Veränderung in einem einzelnen Gen die Erkrankung verursacht. Klinisch sind diese Epilepsien oft schwer von komplexen Epilepsien zu unterscheiden. Der Verdacht auf eine monogenetische Ursache kann sich bei einer positiven Familienanamnese oder bei bestimmten Epilepsiephänotypen ergeben. Besonders wichtig ist die genetische Diagnostik bei frühkindlichen, schwer behandelbaren Epilepsien, da hier der Anteil monogenetischer Formen relativ hoch ist.

Die Identifizierung des zugrunde liegenden Gendefekts ist für die Betroffenen und ihre Familien von großer Bedeutung, da sie eine differenzierte Beratung hinsichtlich Erblichkeit und Wiederholungsrisiko ermöglicht und weitere diagnostische Maßnahmen unnötig machen kann. Beispiele für monogenetische Epilepsien sind die autosomal-dominante nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE) und die autosomal-dominante laterale Temporallappenepilepsie (ADLTE).

Es gibt verschiedene Erbgänge bei monogenetischen Epilepsien: autosomal-dominant, autosomal-rezessiv und X-chromosomal. Beim autosomal-dominanten Erbgang reicht ein betroffenes Allel (Heterozygotie) aus, damit die Krankheit ausbricht. Das Risiko für Nachkommen, die Variante zu tragen, beträgt 50 %. Beim autosomal-rezessiven Erbgang müssen beide Allele betroffen sein (Homozygotie oder Compound-Heterozygotie), damit die Krankheit ausbricht. Das Risiko für Geschwister, die Variante zu tragen, beträgt 25 %. Beim X-chromosomalen Erbgang sind Männer stärker betroffen als Frauen, da sie nur ein X-Chromosom haben (Hemizygotie).

Komplexe Epilepsien

Die meisten häufigen Epilepsien, wie die idiopathisch generalisierte Epilepsie (IGE) und die nicht erworbene fokale Epilepsie (NAFE), haben eine multifaktorielle Ätiologie. Hier spielen verschiedene genetische (oligogene oder polygene), epigenetische und Umweltfaktoren eine Rolle. Das Risiko, an Epilepsie zu erkranken, ist für Familienmitglieder ersten Grades nur geringfügig erhöht (3-8 %). Bisher wurden mehrere genetische Risikofaktoren oder Suszeptibilitätsallele für häufige Epilepsien identifiziert, aber die Umsetzung dieser Erkenntnisse in die klinische Versorgung steckt noch in den Anfängen. Mittelfristig ist jedoch mit einer klinischen Nutzung von polygenen Risikoscores (PRS) zu rechnen, welche den additiven Effekt vieler genetischer Varianten darstellen, die mit einer Epilepsie verbunden sein können.

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Genetische Diagnostik

Die genetische Diagnostik bei Epilepsien hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Hochdurchsatz-Sequenziermethoden (Next-Generation-Sequencing, NGS) ermöglichen die Identifizierung einer stetig wachsenden Zahl von Epilepsiegenen. Diese Methoden erlauben eine umfassende, zeitlich und ökonomisch tragbare genetische Diagnostik in der klinischen Anwendung. Fortschritte im Bereich der Bioinformatik und der statistischen Genomik haben die Bewertung genetischer Varianten erleichtert und zur Dechiffrierung komplexer genetischer Epilepsiesyndrome beigetragen.

Es gibt verschiedene Methoden der genetischen Diagnostik, darunter:

  • Exom-Sequenzierung (ES): Sequenzierung der kodierenden und angrenzenden intronischen Bereiche des Genoms. Sie ist umfassender als die Panel-Diagnostik und ermöglicht den Nachweis von SNV und CNV.
  • Genom-Sequenzierung (GS): Sequenzierung der gesamten DNA. Sie erfasst zusätzlich intronische, intra- und intergenische nicht-kodierende Bereiche und ermöglicht eine bessere Detektion von Repeat- und Strukturvarianten.
  • Panel-Diagnostik: Sequenzierung der kodierenden DNA-Abschnitte einschließlich angrenzender Splice-Regionen (ausgewählte Genliste). Sie ermöglicht eine hohe Abdeckung der ausgewählten Gene und das Erkennen von niedriggradigen Mosaiken.
  • Array-Diagnostik (CMA): Genomweite Untersuchung auf CNV, z. B. Deletionen und Duplikationen. Sie hat eine deutlich höhere Auflösung als die konventionelle Karyotypisierung.
  • Einzelgen-Sequenzierung (Sanger-Sequenzierung): Nachweis von SNV und sehr kleinen CNV in meist sehr kleinen Bereichen (einzelnen Exons eines Gens). Sie wird hauptsächlich zur Untersuchung auf bereits bekannte familiäre Varianten verwendet.
  • Konventionelle Karyotypisierung (CA): Mikroskopische Untersuchung auf numerische oder strukturelle Veränderungen des Chromosomensatzes. Sie wird bei spezifischen Fragestellungen eingesetzt.

Die Wahl der geeigneten Methode hängt von der klinischen Fragestellung und den individuellen Bedürfnissen des Patienten ab.

Indikation zur genetischen Diagnostik

Die Indikation zur genetischen Diagnostik bei Epilepsien ist mittlerweile unstrittig, insbesondere bei Entwicklungsbedingten und Epileptischen Enzephalopathien (DEE). Hier ist die genetische Diagnostik kosteneffektiv, zeitsparend und kann andere aufwendige und belastende diagnostische Maßnahmen unnötig machen. Der Nachweis einer genetischen Diagnose bei Kindern mit Erkrankungsbeginn vor Vollendung des 3. Lebensjahres impliziert bei ca. 80 % spezifische therapeutische Maßnahmen. Bei Erwachsenen ergeben sich etwa bei einem Drittel der erkrankten Personen relevante therapeutische Konsequenzen.

Bedeutung für die Therapie

Die Kenntnis der genetischen Diagnose ermöglicht gegebenenfalls eine gezielte pränatale Diagnostik und in besonderen Situationen das Screening im Rahmen der In-vitro-Fertilisation. Sie erleichtert die Beratung der Betroffenen und ihrer Familien und ermöglicht eine bessere Planung von notwendigen sozialen, therapeutischen und pädagogischen Ressourcen zur bestmöglichen Versorgung für Betroffene. Nicht zuletzt darf die psychologische Bedeutung einer genetischen Diagnose nicht unterschätzt werden.

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Präzisionstherapien im Sinne von Drug Repurposing, d. h. zu einem anderen Zweck verwendeten Medikamenten, stehen zunehmend zur Verfügung. Auch gentherapeutische Ansätze befinden sich z. Zt. in Entwicklung und werden in Zukunft gezielte Behandlungsansätze für bestimmte Syndrome ermöglichen.

Genetische Beratung

Vor Einleitung einer genetischen Testung sollte stets eine eingehende Beratung der Betroffenen und deren Familien stehen sowie eine genaue Erhebung des klinischen Phänotyps erfolgen. Im Rahmen der Beratung sollten u. a. Aspekte wie Indikation, Wahrscheinlichkeit eines positiven Befundes, etwaige Bedeutung eines positiven Befundes für die weitere Behandlungsstrategie und die etwaige Bedeutung für weitere Familienangehörige oder potenzielle Nachkommen besprochen werden. Es ist hierbei wichtig, einen realistischen Erwartungshorizont aufzubauen, v. a. auch in Hinblick auf präzisionsmedizinische Konsequenzen, welche trotz zunehmenden Anwendungsfeldern doch aktuell nur einem kleinen Anteil der Personen zugutekommen werden. Die Betroffenen sollten ebenfalls über das wahrscheinliche Auftreten von Varianten unklarer Signifikanz (VUS) und die damit verbundenen Schwierigkeiten der Interpretierbarkeit aufgeklärt werden. Ebenso sollte auch eine Aufklärung über sogenannte Zusatzbefunde erfolgen. Diese stehen nicht mit der ursprünglichen Fragestellung in Verbindung, können aber dennoch eine medizinische Bedeutung für den Betroffenen haben (z. B. Varianten in Onkogenen wie BRCA1/BRCA2).

Beispiele für Epilepsie-Gene

Es gibt eine Vielzahl von Genen, die mit Epilepsie in Verbindung gebracht werden. Einige Beispiele sind:

  • SCN1A: Mutationen in diesem Gen sind häufig bei Patienten mit Dravet-Syndrom und anderen schweren Epilepsieformen zu finden. Das SCN1A-Gen kodiert für einen Natriumkanal, der eine wichtige Rolle bei der Erregungsleitung in Nervenzellen spielt.
  • KCNQ2: Mutationen in diesem Gen verursachen eine benigne familiäre neonatale Epilepsie. Das KCNQ2-Gen kodiert für einen Kaliumkanal, der die Erregbarkeit von Nervenzellen reguliert.
  • GRIN2A: Mutationen in diesem Gen sind mit Epilepsie und Sprachstörungen assoziiert. Das GRIN2A-Gen kodiert für eine Untereinheit des NMDA-Rezeptors, der eine wichtige Rolle bei der synaptischen Plastizität und der Gedächtnisbildung spielt.
  • STXBP1: Mutationen in diesem Gen verursachen eine früh einsetzende Enzephalopathie mit Epilepsie. Das STXBP1-Gen kodiert für ein Protein, das an der Freisetzung von Neurotransmittern beteiligt ist.
  • CHD2: Mutationen in diesem Gen sind mit einer epileptischen Enzephalopathie der Kindheit assoziiert. Das CHD2-Gen kodiert für ein Chromatin-Remodeling-Protein, das die Genexpression reguliert.
  • SYNGAP1: Mutationen in diesem Gen verursachen eine geistige Entwicklungsstörung und Epilepsie. Das SYNGAP1-Gen kodiert für ein Protein, das an der synaptischen Plastizität beteiligt ist.
  • DEPDC5: Mutationen in diesem Gen sind mit fokalen Epilepsien assoziiert. Das DEPDC5-Gen kodiert für ein Protein, das am mTOR-Signalweg beteiligt ist, der eine wichtige Rolle bei der Zellproliferation und dem Zellwachstum spielt.
  • SCN8A: Mutationen in diesem Gen verursachen eine schwere Epilepsie mit Enzephalopathie. Das SCN8A-Gen kodiert für einen Natriumkanal, der eine wichtige Rolle bei der Erregungsleitung in Nervenzellen spielt.
  • SLC12A5: Mutationen in diesem Gen sind mit einer Epilepsie im Säuglingsalter mit wandernden fokalen Anfällen assoziiert. Das SLC12A5-Gen kodiert für einen Kaliumchlorid-Cotransporter, der die Erregbarkeit von Nervenzellen reguliert.
  • KCNT1: Mutationen in diesem Gen verursachen eine autosomal-dominante nächtliche Frontallappenepilepsie. Das KCNT1-Gen kodiert für einen Natrium-aktivierten Kaliumkanal, der die Erregbarkeit von Nervenzellen reguliert.
  • POLG: Mutationen in diesem Gen verursachen ein breites Spektrum von neurologischen Erkrankungen, einschließlich Epilepsie. Das POLG-Gen kodiert für eine DNA-Polymerase, die für die Replikation der mitochondrialen DNA wichtig ist.

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