NIHSS Schlaganfall Bewertung: Ein umfassender Überblick

Ein Schlaganfall, definiert als eine gefäßbedingte Erkrankung des Gehirns, die durch eine plötzliche Schädigung von Hirngewebe aufgrund eines Gefäßverschlusses oder einer Hirnblutung gekennzeichnet ist, stellt eine der häufigsten Ursachen für Mortalität und Behinderung dar. Eine Sonderform stellt die transitorisch ischämische Attacke (TIA) dar, bei der eine umschriebene neurologische Funktionsstörung innerhalb von 24 Stunden vollständig reversibel ist. Angesichts der zeitkritischen Natur des Schlaganfalls ist eine rasche und präzise Bewertung des neurologischen Zustands von entscheidender Bedeutung. Die National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS) hat sich weltweit als klinisches Messinstrument zur Beurteilung des Schweregrades eines Schlaganfalls etabliert. Dieser Artikel beleuchtet die Bedeutung der NIHSS im Rahmen der Schlaganfallversorgung, ihre Anwendung und die zugrunde liegenden Prinzipien.

Bedeutung der Akutversorgung beim Schlaganfall

Der Schlaganfall ist ein zeitkritisches Krankheitsbild, bei dem das klinische Outcome entscheidend mit dem Zeitintervall zwischen Symptombeginn und der Wiederherstellung der Durchblutung des betroffenen Hirnareals korreliert. Daher ist es von großer Bedeutung, den Zeitpunkt zu ermitteln, wann der Patient oder die Patientin zuletzt symptomfrei gesehen wurde. Bei einem ischämischen Insult sollte die stationäre Behandlung des Gefäßverschlusses so schnell wie möglich erfolgen ("Time is brain"). Die systemische Thrombolyse sollte idealerweise innerhalb von 4,5 Stunden nach Symptombeginn erfolgen, während die mechanische Thrombektomie möglichst innerhalb von 6 Stunden in Betracht gezogen werden sollte. Auch Patienten, für die keine Lyse oder Thrombektomie in Frage kommen, profitieren von einer raschen Behandlung in einer Stroke Unit ("Competence is brain"). Eine Optimierung der Rettungskette und der präklinischen Therapie ist daher essenziell. Schlaganfall und TIA sind medizinische Notfälle, bei denen unverzüglich die Notrufnummer 112 gewählt werden sollte. Jeder andere Versuch, medizinische Hilfe zu organisieren, kann zu einer potenziell bedrohlichen Verzögerung der Versorgung führen.

Initiale Untersuchung und FAST-Test

Die initiale klinische Untersuchung sollte nach dem ABCDE-Schema erfolgen:

  • Airway (Atemwege)
  • Breathing (Beurteilung der Atmung)
  • Circulation (Kreislauf)
  • Disability (neurologischer Zustand)
  • Exposure (Beurteilung in entkleidetem Zustand)

Gegebenenfalls sind bereits nach dem ABCDE-Schema lebensrettende Maßnahmen durchzuführen (siehe auch Basic Life Support, Advanced Life Support). Im nächsten Schritt wird der neurologische Status überprüft. Hierfür sollte ein standardisierter neurologischer Untersuchungsalgorithmus verwendet werden, wie beispielsweise der FAST-Test. Der FAST-Test weist mit hoher Sicherheit neurologische Defizite nach und ermöglicht eine gezielte Einweisung.

Der FAST-Test umfasst folgende Aspekte:

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  • Face (Gesicht): Lassen Sie die Person lächeln. Hängt ein Mundwinkel herab? Dies kann auf eine Gesichtslähmung/Halbseitenlähmung hindeuten.
  • Arm (Arm): Bitten Sie die Person, die Arme nach vorne zu strecken und dabei die Handflächen nach oben zu drehen. Bei einer Lähmung können nicht beide Arme gehoben werden, ein Arm sinkt ab oder dreht sich.
  • Speech (Sprache): Lassen Sie die Person einen einfachen Satz nachsprechen. Ist sie dazu nicht in der Lage oder klingt die Stimme verwaschen, liegt vermutlich eine Sprachstörung vor.
  • Time (Zeit): Falls mindestens einer der oben genannten Tests positiv ist: Ohne weiteren Verzug 112 anrufen ("Time is brain")!

Die DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin) empfiehlt die Schulung und Anwendung von FAST auch für medizinische Fachangestellte und Personen mit erhöhtem Schlaganfallsrisiko.

Erweiterung des FAST-Tests: BE-FAST

Die Sensitivität des FAST-Tests ist begrenzt, insbesondere bei der Erkennung von Durchblutungsstörungen des posterioren Stromgebiets. Durch die Erweiterung des Tests um zwei Kriterien (Gleichgewicht, Sehen) auf BE-FAST kann die Sensitivität möglicherweise verbessert und die Anzahl übersehener Schlaganfälle vermindert werden:

  • Balance (Gleichgewicht): Bestehen Gleichgewichtsstörungen? Seitneigung beim Gehen? Lassen Sie die Person auf einer Linie gehen.
  • Eyes (Augen): Besteht eine Sehstörung? Sieht die Person unscharf, doppelt oder plötzlich nur noch auf einem Auge?

Die Evidenz hinsichtlich der Verbesserung des Screenings durch BE-FAST im Vergleich zu FAST ist allerdings noch uneinheitlich.

Initiale Versorgung und präklinische Maßnahmen

Wenn zeitnah möglich, sollte ein venöser Zugang zur vorsorglichen Absicherung gelegt werden. Vorteile sind:

  • Bei Bedarf intravenöse Applikation von Medikamenten
  • Möglichkeit zur Blutzuckermessung
  • Volumengabe bei Exsikkose
  • Abnahme von Laborblut (je nach rettungsdienstlichem Versorgungskonzept)

Eine Hypoglykämie ist ein typisches "Stroke Mimic" und sollte daher ausgeschlossen werden. Ein zurückhaltendes Blutdruckmanagement ist bei initial häufig erhöhtem Blutdruck angezeigt, da eine zu rasche Senkung eine Ischämie verstärken kann, während ein zu hoher Blutdruck bei einer Blutung ungünstig ist. Der Nutzen einer routinemäßigen Sauerstoffgabe ist nicht belegt. Antikoagulation (Heparin) oder Thrombozytenaggregationshemmer (ASS) sollten vor der Bildgebung in der Klinik nicht verabreicht werden, da eine Blutung präklinisch nie ausgeschlossen werden kann.

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Die NIHSS: Ein umfassendes Bewertungsinstrument

Die National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS) ist ein standardisiertes, umfassendes neurologisches Untersuchungsinstrument, das zur Beurteilung des Schweregrades eines Schlaganfalls eingesetzt wird. Sie wird hauptsächlich in der Klinik verwendet, kann aber von neurologisch versierten Fachkräften auch zur umfassenderen Beurteilung des klinischen Schweregrades eines Schlaganfalls genutzt werden. Die NIHSS umfasst 11 Items, die verschiedene neurologische Funktionen untersuchen, darunter:

  1. Bewusstsein: Wachheit, Reaktion auf Ansprache und Schmerzreize
  2. Fragen: Korrekte Beantwortung von Fragen zu Alter und aktuellem Monat
  3. Aufforderungen: Befolgen von einfachen Aufforderungen wie Augen schließen und öffnen oder eine Faust machen
  4. Blickrichtung/Augenbewegung: Beurteilung der horizontalen Blickwendung
  5. Gesichtsfeld: Erkennung von Gesichtsfeldausfällen
  6. Faziale Parese: Beurteilung der Gesichtsmuskulatur auf Asymmetrien oder Lähmungen
  7. Motorik Arm (rechts und links): Beurteilung der Armkraft und des Absinkens der Arme
  8. Motorik Bein (rechts und links): Beurteilung der Beinkraft und des Absinkens der Beine
  9. Ataxie: Beurteilung der Koordination durch Finger-Nase-Finger- und Knie-Hacken-Versuch
  10. Sensibilität: Beurteilung der Sensibilität auf Seitenunterschiede
  11. Aphasie: Beurteilung der Sprachfähigkeit, Benennung von Gegenständen
  12. Dysarthrie: Beurteilung der Artikulation, Nachsprechen von Sätzen
  13. Neglect: Erkennung von Vernachlässigung einer Körperhälfte oder des Raumes

Für jedes Kriterium der NIHSS werden zwischen 0 und maximal 4 Punkte vergeben, wobei die Gesamtpunktzahl zwischen 0 und 42 Punkten liegt. Je höher die Punktzahl, desto schwerer ist der Schlaganfall. Ein Wert von ≥8 Punkten deutet auf eine schwere Symptomatik hin und kann auf einen proximalen Gefäßverschluss hindeuten.

Wichtige Hinweise zur Anwendung der NIHSS:

  • Erfassen Sie den ersten Versuch des Patienten (keine Wiederholung von Tests).
  • Geben Sie keine Hilfestellung, sondern bewerten Sie nur die beobachtete Leistung.
  • Numerische Änderungen auf der NIHSS sollen reale klinische Veränderungen abbilden.

Indikationen zur Klinikeinweisung bzw. ambulanter Abklärung

Ein akuter Schlaganfall oder eine TIA innerhalb der letzten 48 Stunden erfordert eine umgehende Behandlung auf einer Stroke Unit. Bei einer TIA, die >48 Stunden und <14 Tage zurückliegt, sollen Hochrisikopatienten einer Stroke Unit zugewiesen werden. Zu den Risikofaktoren zählen:

  • Bekanntes Vorhofflimmern
  • Bekannte Stenosen hirnversorgender Arterien
  • Sonstige frühere kardiovaskuläre Erkrankungen
  • Hoher ABCD2-Score (≥4)

Bei einer Symptomatik, die >14 Tage zurückliegt, ist in der Regel eine ambulante Abklärung ausreichend, die schnellstmöglich innerhalb eines Monats nach Symptombeginn erfolgen sollte. Hausärzte können sich unter Abwägung von Nutzen und Schaden und Berücksichtigung des Wunsches von Patienten/Betreuern für eine palliative Therapie und gegen eine stationäre Einweisung entscheiden.

Konzept der Stroke Unit

Stroke Units sind Sondereinrichtungen mit einem integrativen Behandlungskonzept für Schlaganfallpatienten im Akutstadium. Dieses Konzept umfasst Früherkennung, präklinische Notfallversorgung, zügige Überweisung in Zentren mit derartigen Stationen, dortige Notfallaufnahme, neuroradiologische und sonstige apparative Sofortdiagnostik, Einbeziehung einer Intensivstation, schließlich Weiterverlegung auf Allgemeinstationen, in Rehabilitationseinrichtungen oder häusliche Pflege. In ländlichen Regionen kann eine telemedizinische Anbindung der Notaufnahmen regionaler Krankenhäuser an überregionale Stroke Units (Tele-Stroke-Units) sinnvoll sein.

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Diagnostik in der Akutphase

In der Stroke Unit erfolgt eine rasche Bildgebung durch CT oder MRT zur Unterscheidung zwischen Ischämie und Blutung. Die Computertomografie (CT) ist der diagnostische Standard, da sie breit verfügbar und universell anwendbar ist. Durch eine CT-Angiografie mit Kontrastmittel können extra- und intrakranielle Gefäßpathologien mit hoher Sicherheit erfasst werden. Die Magnetresonanztomografie (MRT) bietet im Vergleich zur CT eine höhere Sensitivität zum sicheren Nachweis infarzierten Hirngewebes in der Schlaganfallfrühphase und ermöglicht eine Abschätzung des Infarktalters. Nachteile sind der höhere logistische Aufwand, die längere Untersuchungsdauer und die geringere Verfügbarkeit.

Akute Schlaganfallpatienten (TIA und Hirninfarkt) sollten zumindest in den ersten 2-3 Tagen apparativ überwacht werden. Das apparative Monitoring sollte mindestens umfassen: Blutdruck, Herzfrequenz, EKG, Atmung, Sauerstoffsättigung und Körpertemperatur.

Weitere diagnostische Maßnahmen umfassen:

  • EKG-Monitoring (mehrtägig, evtl. LZ-EKG) zum Nachweis von Vorhofflimmern oder anderen Rhythmusstörungen
  • Darstellung der extra- und intrakraniellen hirnversorgenden Gefäße (Duplexsonografie, CT-Angiografie, MR-Angiografie)
  • Echokardiografie (TTE, TEE) zur Bestimmung der Ätiologie

Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls

Ziel der therapeutischen Intervention beim ischämischen Hirninfarkt ist die Wiederherstellung einer ausreichenden Perfusion mit der Rettung des Penumbra-Gewebes (Differenzareal zwischen bereits nekrotischem und umgebendem noch vitalem Hirngewebe).

Rekanalisation: Thrombolyse und endovaskuläre Therapie

Die systemische Thrombolysetherapie ist die Standardtherapie beim ischämischen Schlaganfall im Zeitfenster bis 4,5 Stunden. Gelingt der Therapiebeginn innerhalb von 3 Stunden, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines guten Ergebnisses weiter. Mit zunehmendem Zeitfenster sinkt der Nutzen im Vergleich zum Blutungsrisiko. Dennoch kann eine Thrombolyse auch verzögert sinnvoll sein, wenn die Bildgebung eine relevante Penumbra zeigt. Eine Thrombolyse soll bei behindernden Schlaganfallsymptomen durchgeführt werden. Bei milden, nicht behindernden Symptomen kann auf die Thrombolyse verzichtet werden.

Die endovaskuläre Schlaganfalltherapie durch mechanische Thrombektomie wird zusätzlich zur vorher begonnenen systemischen Thrombolyse durchgeführt. Insbesondere Verschlüsse der großen Gefäße (distale Arteria carotis und Hauptstamm der A. cerebri media) durch große embolisch bedingte Thromben sprechen teilweise ungenügend auf die systemische Thrombolyse an. Diese Thromben werden kathetergestützt (Stent-Retriever) durchdrungen und mit einem Stent-Gitter eingefangen.

Leitlinien zur Rekanalisation beim ischämischen Schlaganfall

Patienten mit ischämischem Schlaganfall, die innerhalb von 4,5 Stunden nach Symptombeginn behandelt werden können und keine Kontraindikationen aufweisen, sollen mit einer systemischen Thrombolyse mit Alteplase behandelt werden. Die systemische Thrombolyse im 4,5-Stunden-Zeitfenster erwachsener Patienten soll unabhängig vom Alter erfolgen.

Bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall im unklaren Zeitfenster oder nach dem Erwachen, die mehr als 4,5 Stunden zuvor zuletzt gesund gesehen wurden, sich aber innerhalb von 4,5 Stunden nach Erkennen der Symptome in der Klinik vorstellen und bei denen ein DWI/FLAIR Mismatch in der MRT vorliegt, soll eine intravenöse Thrombolyse mit Alteplase erfolgen. Bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall im 4,5- bis 9-Stunden-Zeitfenster und einem Mismatch zwischen dem im CT oder MRT dargestellten Infarktkern und Penumbra sollte eine intravenöse Thrombolyse mit Alteplase erfolgen. Bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall, klinisch relevantem neurologischem Defizit und Verschluss einer großen Arterie im vorderen Kreislauf soll eine endovaskuläre Therapie in Betracht gezogen werden.

Die Rolle der Physiotherapie und der DSG-NIHSS-Schulungsplattform

Physiotherapeuten spielen eine wesentliche Rolle in der Schlaganfallbehandlung. Ein fundiertes Verständnis der NIHSS trägt dazu bei, neurologische Defizite präzise zu erfassen und den Fortschritt der Patienten zu dokumentieren. Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) hat eine deutschsprachige Schulungsplattform für die NIHSS entwickelt (www.dsg-nihss.de). Nachweislich beruflich qualifizierte Nutzer können sich anmelden und auf die Schulungsvideos zugreifen. Die Schulung umfasst 13 Kategorien der NIHSS, präsentiert von Experten auf diesem Gebiet. Nach der Schulung erfolgt eine Prüfung, die Multiple-Choice-Fragen und praktische Bewertungen umfasst. Erfolgreiche Teilnehmer erhalten ein DSG-Zertifikat, das fünf Jahre gültig ist.

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