Nervenschäden stimulieren: Behandlung und Regeneration

Die Regeneration geschädigter Nerven ist ein komplexer Prozess, der jedoch im peripheren Nervensystem durchaus möglich ist. Während Nervenschäden im Gehirn und Rückenmark oft dauerhaft sind, zeigen periphere Nervenzellen erstaunliche Regenerationsfähigkeiten. Geduld und die richtige Nährstoffversorgung spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Ursachen und Symptome von Nervenschäden

Nervenschädigungen und die damit verbundenen Nervenschmerzen sind weit verbreitet. Die Ursachen der sogenannten peripheren Neuropathie sind vielfältig. Dazu gehören:

  • Quetschungen des Nervs: Wie beispielsweise beim Karpaltunnelsyndrom.
  • Stoffwechsel- oder ernährungsbedingte Faktoren: Vor allem erhöhte Blutzuckerspiegel bei Diabetes Mellitus.
  • Giftstoffe: Alkohol oder bestimmte Medikamente.

Ein geschädigter Nerv kann ankommende elektrische Impulse nicht mehr richtig weiterleiten, was zu Schmerzen oder Gefühlsstörungen wie Taubheit oder Kribbeln führt. Typische Symptome der Nervenkrankheit Polyneuropathie sind Kribbeln, Brennen und Taubheit, die anfangs an beiden Füßen und Beinen auftreten. Ursache der Gefühlsstörungen sind Schäden an den langen Nerven, die Muskeln, Haut und Organe mit dem Gehirn verbinden. Je nachdem, welche Nerven betroffen sind, können unterschiedliche Beschwerden im Vordergrund stehen.

Die Nervenregeneration: Ein komplexer Reparaturprozess

Wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass sich ein Nerv des peripheren Nervensystems unter bestimmten Voraussetzungen von selbst regenerieren kann. Dies hängt insbesondere von der Art der Schädigung und dem Überleben des Zellkörpers ab. Die Nervenregeneration ist ein wichtiger Reparaturprozess des peripheren Nervensystems, der zur Wiederherstellung der Struktur und Funktion der Nervenzelle führt.

Wird ein peripherer Nerv verletzt, vergrößert sich der Zellkern der Nervenzelle, um sich für die Herstellung von Proteinen für den Neuaufbau vorzubereiten. In einem nächsten Schritt werden Fresszellen des Immunsystems, sogenannte Makrophagen, angelockt, um die abgebauten Zellbestandteile zu entsorgen. Die Nervenzelle ist nun bereit für den Wiederaufbau. Ziel der Regeneration ist es, die abgebauten Teile der Axone wiederherzustellen, um so wieder eine kontinuierliche Reizweiterleitung und Versorgung der innervierten Organe zu ermöglichen. Mit der Zeit werden diese sogenannten Axon-Sprossen länger und wachsen in Richtung des Zielgewebes. Damit die Axone dabei nicht vom Weg abkommen, konstruieren neu gebildete Schwann-Zellen in dem leeren Raum, in dem sich die verletzten Axone befunden haben, eine Leitbahn. Schwann-Zellen übernehmen aber noch weitere wichtige Aufgaben im Rahmen der axonalen Regeneration. Sie fördern beispielsweise die Bereitstellung von Wachstumsfaktoren und können helfen, Entzündungen zu lindern.

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Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Nervenregeneration

Damit die Regeneration einer Nervenzelle im peripheren Nervensystem gelingen kann, müssen allerdings zunächst die Ursachen der Nervenschäden beseitigt werden und im Körper alle für den Wiederaufbau benötigten Baumaterialien zur Verfügung stehen.

  • Beseitigung der Ursachen: Wenn ein Diabetes schleichend über viele Jahre die Nerven angegriffen hat, muss der Patient seine Blutzuckerwerte in den Griff bekommen, um die Nervenschädigung zu stoppen. Allerdings führt eine zu rasche Senkung der Blutzuckerwerte zu weiteren Nervenschäden. Als optimal gilt eine sanfte Senkung des HbA1c-Wertes um weniger als zwei Prozentpunkte über einen Zeitraum von drei Monaten. Sind Alkohol oder Medikamente die Ursache, hilft Abstinenz beziehungsweise ein Wechsel der Präparate.

  • Uridinmonophosphat (UMP) und Cytidinmonophosphat (CMP): UMP und CMP gehören zu den sogenannten Nukleotiden, den Grundbausteinen unserer Erbsubstanz. Entsprechend sind sie an der Herstellung von Nervenzellproteinen und Membranlipiden, die für die Nervenregeneration unverzichtbar sind, in entscheidendem Maße beteiligt. Gleichzeitig übernehmen die Nukleotide in unserem Körper aber auch wichtige Rollen als Botenstoffe. Uridin-Nukleotide sorgen u. a. für die Differenzierung der Schwann-Zellen und leiten das Wachstum von Neuriten aus dem Wachstumskegel ein.

  • B-Vitamine: Verschiedene Vitamine des B-Komplexes spielen für unsere Nerven eine entscheidende Rolle, da sie zur normalen Funktion des Nervensystems beitragen. Dies ist auch daran zu erkennen, dass eine mangelnde Versorgung mit B-Vitaminen, insbesondere ein Vitamin-B-12-Mangel, zu einer Nervenschädigung (z. B. der peripheren Neuropathie) beitragen kann.

    • Vitamin B12: Als Coenzym übernimmt Vitamin B12 wichtige Funktionen im Energiestoffwechsel, der Zellteilung sowie der Übertragung von Methylgruppen. Damit spielt das Vitamin eine besondere Rolle bei der Herstellung wichtiger Nervenzellproteine und dem schützenden Myelin. Vitamin B12 ist ausschließlich in tierischen Lebensmitteln wie Fleisch, Fisch, Milchprodukten und Eiern enthalten. Daher sind Vegetarier:innen häufig nicht optimal mit B12 versorgt.
    • Vitamin B6: Vitamin B6 übernimmt eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Nervenbotenstoffen, die für die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen wichtig sind. Zudem wird es als Cofaktor für die Herstellung von Myelin benötigt.
    • Vitamin B1: Vitamin B1 wird häufig auch als „Nervenvitamin“ bezeichnet, denn es übernimmt gleich mehrere Aufgaben zum Erhalt der Nervenfunktion. Als Cofaktor beim Abbau von Glukose ist es zum einen dafür mitverantwortlich, dass der Nervenzelle ausreichend Energie zur Verfügung steht. Zum anderen unterstützt es die Bereitstellung von Nervenbotenstoffen und Myelin und trägt zum Erhalt der Struktur der Zellmembranen bei.
    • Folsäure: Folsäure ist für das Wachstum und die Teilung der Nervenzelle von Bedeutung. Gemeinsam mit Vitamin B12 übernimmt es zudem eine wichtige Rolle als sog. Methylgruppenüberträger und ist somit an der Herstellung von DNA-Bausteinen beteiligt. Darüber hinaus trägt das Vitamin Folsäure, das als Folat insbesondere in grünem Blattgemüse zu finden ist, dazu bei, das Stoffwechselprodukt Homocystein „abzubauen“, welches in großen Mengen nervenschädigend sein kann.

Diagnostik von Nervenschäden

Zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit wird Strom durch die Nervenbahnen geschickt. Mit einer Stimmgabel prüft der Neurologe das Vibrationsempfinden. Bei der standardisierten Quantitativen Sensorischen Testung werden durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist. Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz. Die Untersuchung einer Gewebeprobe kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Dazu wird eine sogenannte Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein entnommen und feingeweblich untersucht. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist. Bei bestimmten Ursachen finden sich zum Beispiel Entzündungszellen oder Amyloid-Ablagerungen. Bei einer Untergruppe der Neuropathien sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen. Sie werden unter dem Namen Small-Fiber-Neuropathien zusammengefasst. Die Nervenleitgeschwindigkeit, die die Funktion von dickeren Nerven misst, ist dann oft unauffällig. Für die richtige Diagnose ist die Quantitative Sensorische Testung mit Messung des Temperaturempfindens entscheidend. Darüber hinaus kann eine Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop untersucht werden.

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Therapieansätze zur Stimulation geschädigter Nerven

Die Therapie von Nervenschäden ist vielfältig und richtet sich nach der Ursache und dem Ausmaß der Schädigung.

  • Medikamentöse Therapie: Zur Schmerzbekämpfung haben sich Antidepressiva und Medikamente gegen Krampfanfälle (Epilepsie), sogenannte Antikonvulsiva, bewährt. Capsaicin ist für die Schärfe der Chilischoten verantwortlich und hat sich in Form von Capsaicin-Pflastern auf der Haut in Studien als erfolgversprechendes Mittel gegen Polyneuropathie erwiesen. Es betäubt nicht nur den schmerzenden Bereich und steigert die Durchblutung, sondern scheint sogar die Neubildung kleiner Nervenfasern anzuregen.

  • Elektrotherapie: Bei der Elektrotherapie werden die Nerven durch Impulse aus einem speziellen Gerät so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren. Von außen lässt sich dieses durch ein TENS-Gerät erreichen. Die Therapien müssen dauerhaft durchgeführt werden. Eine Pause beeinträchtigt schnell den Behandlungserfolg.

  • Funktionelle Elektrostimulation (FES): Bei einer peripheren Lähmung liegt vor, wenn periphere Nerven eingeklemmt, gedrückt oder verletzt worden sind. Nach Unfällen, OP’S, Bandscheibenvorfällen und teilendoprotetischen Versorgungen (TEP) können die Nerven, die vom Gehirn und Rückenmark zu den Extremitäten führen, geschädigt sein. Der Patient ist dann teilweise oder vollständig in seinen alltäglichen Bewegungen - wie z.B. beim Greifen oder Gehen - eingeschränkt. Ein an Volumen und Gewicht reduzierter Muskel kann wieder aufgebaut werden, wenn die Muskelfasern regelmäßig gereizt werden. Die Funktionelle Elektrostimulation gleicht den fehlenden körpereigenen Impuls zwischen Nerv und Muskel mit variablen, kurzen Impulsen via Elektroden über das betroffene Muskelareal aus. Bei sachgemäßer Anwendung ist die Elektrostimulation peripher gelähmter Muskulatur gut verträglich.

  • Weitere Therapieansätze: Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie. Wie die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben, ist noch ungeklärt.

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Multimodale Therapie und die Rolle der Ernährung

Eine umfassende, multimodale Patientenversorgung kann neben einer sorgfältigen Differenzialdiagnose, eine Symptombekämpfung mittels Membranstabilisatoren, Analgetika und/oder Antidepressiva sowie gezieltes Bewegungstraining und entlastende orthopädische Hilfsmittel beinhalten. Ebenfalls einbezogen werden sollte die Möglichkeit, gleichzeitig kausal vorzugehen, und die Regeneration der peripheren Nerven zu unterstützen.

Die richtige Ernährung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Bei Nervenverletzungen kann sowohl Wärme als auch Kälte ein hilfreiches Hausmittel sein. Wärmeanwendungen können durch Bäder, Heizkissen oder Rotlichtanwendungen erfolgen. Für Kälteanwendungen eignen sich Kühlkompressen gut. Beide Anwendungen sollten indirekt mit einem Tuch durchgeführt werden, damit der verletzte Nerv nicht nachhaltig geschädigt wird.

Chirurgische Interventionen

Einige Nervenschädigungen erfordern einen operativen Eingriff.

  • Karpaltunnelsyndrom: Durch die Einklemmung des Mittelnervs im Handgelenk entstehen Schmerzen, Taubheitsgefühle oder ein Kribbeln in den Fingern. Meist wird zunächst versucht, die Beschwerden konservativ (beispielsweise mittels Ruhigstellung oder Kühlung) zu behandeln. Stellt sich keine Besserung ein, kann eine operative Freilegung des Nervs zu einer Entlastung führen.

  • Bandscheibenvorfall: Tritt der gallertartige Kern aus der Hülle der Bandscheibe und drückt auf Spinalnerven, klagen Betroffene über heftige Schmerzen im Rücken, die bis in die Beine ausstrahlen können. Der Mediziner muss dann unter Umständen einen Teil oder die komplette Bandscheibe entfernen.

  • Nervenverletzungen: Nerven können beispielsweise bei Autounfällen geschädigt oder sogar durchtrennt werden. Im letzten Fall hat der Chirurg die Möglichkeit, die beiden Nervenenden mit einer End-zu-End-Naht wieder zu verbinden. Voraussetzung hierfür ist, dass nicht zu lange gewartet wird. Denn schon nach wenigen Wochen bilden sich die beiden Enden soweit zurück, dass keine direkte Naht mehr möglich ist. Eine therapeutische Option ist in einem solchen Fall eine Nerventransplantation. Der Chirurg benutzt hierfür körpereigenes Nervengewebe des Patienten (meist aus der Wade). Für das Einnähen verwendet er feinste, mit bloßem Auge kaum sichtbare Nähte.

Neue Erkenntnisse und zukünftige Forschungsrichtungen

Selbst ausgeheilte Nervenverletzungen hinterlassen häufig chronischen Schmerz und Überempfindlichkeit gegenüber sanften Berührungen. Wissenschaftler haben gezeigt, dass fehlerhafte „Verschaltungen“ der Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) zu einer bisher noch nicht untersuchten Form sogenannter neuropathischer Schmerzen führen. Sie treten erst im Zuge der Regeneration von Nervenverbindungen beim Ausheilen der Verletzung auf. Die neuen Ergebnisse zeigen nun, dass die chronischen Schmerzen nicht etwa durch die eigentliche Verletzung entstehen, sondern auf einer fehlerhaften Nervenregeneration sowie auf einer fehlerhaften Wiederherstellung der nervalen Versorgung, der sogenannten Reinnervation, beruhen.

Derzeit gibt es keine Behandlungsmöglichkeit, diese Form von chronischen Schmerzen zielgerichtet zu lindern oder zu verhindern. Zukünftig wird sich die Forschung mit der Frage beschäftigen, wie die verletzten taktilen Fasern zur Regeneration angeregt werden können, damit es erst gar nicht zum Verlust des Gleichgewichts zwischen Berührungs- und schmerzhaften Empfindungen kommt.

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