Nervenregeneration: Aktuelle Forschung und Therapieansätze

Verletzungen oder Erkrankungen, die Nervenschäden verursachen, können zu dauerhaften motorischen oder sensorischen Beeinträchtigungen oder zu chronischen Schmerzen führen. Dies beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen erheblich, sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. Fast acht Prozent der über 55-Jährigen in Deutschland und Europa sind von sogenannten peripheren Neuropathien betroffen.

Grundlagen der Nervenschädigung und Regeneration

Nervenfasern, auch Axone genannt, leiten Signale vom Gehirn und Rückenmark über Nerven zu den Zielorganen wie Muskeln oder Haut und umgekehrt. Eine Schädigung dieser Nervenfasern führt zu einer Unterbrechung der Signalübertragung, was Lähmungen oder Taubheit zur Folge haben kann. Die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Genesung hängt hauptsächlich davon ab, wie schnell die getrennten Fasern nachwachsen. Da diese Geschwindigkeit begrenzt ist, können nur kurze Distanzen überwunden werden. Nervenverletzungen in den Beinen und Armen führen daher oft zu dauerhaften Schäden, die später von neuropathischen Schmerzen begleitet werden können. Ein wichtiges Ziel der Forschung ist daher die Entwicklung von Therapien, die das Wachstum der Nervenfasern beschleunigen. Trotz intensiver weltweiter Forschung gibt es solche Therapien bis heute nicht.

Peripheres vs. zentrales Nervensystem

Es ist wichtig zu beachten, dass sich die Regenerationsfähigkeit von Nervenfasern im peripheren Nervensystem (Arme, Beine) und im zentralen Nervensystem (Gehirn, Rückenmark) unterscheidet. Während sich Nervenfasern im peripheren Nervensystem nach einer Verletzung grundsätzlich regenerieren können, ist dies im zentralen Nervensystem in der Regel nicht der Fall.

Ursachen von Nervenschäden

Nervenschädigungen und die damit verbundenen Nervenschmerzen sind keine Seltenheit, da die Ursachen für periphere Neuropathie vielfältig sind. Neben Nervenquetschungen, wie sie beispielsweise beim Karpaltunnelsyndrom auftreten, sind vor allem Stoffwechsel- oder Ernährungsfaktoren für Schädigungen der Nervenfasern verantwortlich, insbesondere erhöhte Blutzuckerspiegel bei Diabetes mellitus. Auch Giftstoffe und Vitaminmangel können eine Rolle spielen.

Aktuelle Forschungsergebnisse

Ein Kölner Forschungsteam des Zentrums für Pharmakologie hat eine Studie vorgestellt, in der ein möglicher Wirkstoff zur Nervenregeneration untersucht wurde. Die Forscher um Dr. Philipp Gobrecht und Univ.-Prof. Dr. Dietmar Fischer untersuchten Proteine, sogenannte Vasohibine, die den Zustand des Skeletts der axonalen Wachstumsspitzen (Mikrotubuli) beeinflussen.

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Einfluss von Vasohibinen auf das Axonwachstum

Die Forscher stellten fest, dass sich das Gleichgewicht zwischen detyrosinierten und tyrosinierten Mikrotubuli zwischen erwachsenen und neugeborenen Tieren unterscheidet. Dies ist relevant, da das axonale Wachstum bei Neugeborenen mit optimal tyrosinierten Mikrotubuli fast doppelt so hoch ist wie bei Erwachsenen.

Beschleunigung der Nervenregeneration durch Parthenolid

Mithilfe eines definierten Inhaltsstoffes aus dem Mutterkraut (Tanacetum Parthenium) wurden die Vasohibine so stark gehemmt, dass sich das Gleichgewicht zwischen detyrosinierten und tyrosinierten Mikrotubuli bei Nervenzellen von adulten Tieren dem von neugeborenen Tieren annäherte. Dies führte bei adulten Nervenzellen zu einer deutlichen Beschleunigung der axonalen Regeneration. Bemerkenswert ist, dass die Forscher auch im lebenden Tier zeigen konnten, dass Parthenolid nach täglicher intravenöser Gabe den Heilungsprozess von geschädigten Nerven deutlich beschleunigt, sodass die Tiere nach einer Behandlung deutlich früher wieder ihre Zehen bewegen und Reize spüren konnten. Eine modifizierte Form von Parthenolid, die auch oral verabreicht werden kann, zeigte hierbei ähnliche Effekte.

Weitere Forschung notwendig

„Versuche an menschlichen Nervenzellen haben bereits eine regenerationsfördernde Wirkung gezeigt. Bis der Wirkstoff allerdings in der Therapie Verwendung finden kann, sind noch weitere Untersuchungen in klinischen Studien notwendig", sagt Prof. Fischer.

Weitere Forschungsansätze und Erkenntnisse

Die Forschung zur Nervenregeneration ist vielfältig und umfasst verschiedene Ansätze:

Überwindung der Wachstumsbremse im Rückenmark

Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) haben eine molekulare Bremse gelöst, die die Wiederherstellung von Nervenleitungen im Rückenmark verhindert. Die Behandlung von Mäusen mit dem Wirkstoff „Pregabalin“, der die Wachstumsbremse beeinflusst, ließ verletzte Nervenleitungen regenerieren.

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Rolle der Schwann-Zellen und des Fettgewebes

Wissenschaftler der Universitätsmedizin Leipzig haben herausgefunden, dass Schwann-Zellen bei der Nervenreparatur von dem Fettgewebe, welches die Nerven im Körper umgibt, entscheidend unterstützt werden. Leptin, ein Hormon, das von Fettzellen produziert wird, regt den Energiehaushalt regenerierender Schwann-Zellen an, indem es deren Mitochondrien stimuliert.

Fehlverschaltungen von Schmerzrezeptoren

Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) haben im Tierversuch gezeigt, dass fehlerhafte „Verschaltungen“ der Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) zu einer bisher noch nicht untersuchten Form sogenannter neuropathischer Schmerzen führen. Diese treten erst im Zuge der Regeneration von Nervenverbindungen beim Ausheilen der Verletzung auf.

Bedeutung der Mikrotubuli

Die Stabilisierung zellinterner Protein-Röhrchen, der Mikrotubuli, spielt eine wichtige Rolle beim Wachstum von Nervenzellen. Der Wirkstoff Paclitaxel, der die Mikrotubuli stabilisiert, zeigte in Versuchen vielversprechende Effekte auf die Regeneration von Nervenzellen.

Therapieansätze zur Unterstützung der Nervenregeneration

Neben der Behandlung der Ursachen von Nervenschäden gibt es verschiedene Therapieansätze, die die Nervenregeneration unterstützen können:

Nährstoffversorgung

Eine gute Versorgung der Nervenzellen mit den richtigen Nährstoffen ist entscheidend für die Regeneration. Uridinmonophosphat (UMP) und Cytidinmonophosphat (CMP) sind an der Herstellung von Nervenzellproteinen und Membranlipiden beteiligt, die für die Nervenregeneration unverzichtbar sind. Verschiedene Vitamine des B-Komplexes tragen zur normalen Funktion des Nervensystems bei. Insbesondere Vitamin B12, Vitamin B6, Vitamin B1 und Folsäure spielen eine wichtige Rolle für die Nervenregeneration.

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Medikamentöse Behandlung

In einigen Fällen können Medikamente eingesetzt werden, um die Symptome von Nervenschäden zu lindern und die Regeneration zu unterstützen. Pregabalin, das bereits zur Behandlung von Schmerzen bei Rückenmarksverletzungen eingesetzt wird, könnte bei frühzeitiger Verabreichung möglicherweise auch einen regenerativen Effekt haben.

Multimodale Therapie

Eine umfassende, multimodale Patientenversorgung kann neben einer sorgfältigen Differenzialdiagnose, eine Symptombekämpfung mittels Membranstabilisatoren, Analgetika und/oder Antidepressiva sowie gezieltes Bewegungstraining und entlastende orthopädische Hilfsmittel beinhalten.

Bedeutung von Uridinmonophosphat (UMP)

Uridinmonophosphat (UMP) ist ein Nukleotid, das eine wichtige Rolle bei der Nervenregeneration spielt. Es unterstützt die Regeneration und den Schutz der Myelinscheide, die die Nervenfasern umgibt. UMP fördert die Synthese von Phospho- und Glykolipiden sowie Glykoproteinen und unterstützt den Wiederaufbau der Myelinschicht. Es stimuliert den Nervenstoffwechsel und trägt zur Unterstützung der physiologischen Reparaturmechanismen nach Nervenläsionen bei.

UMP in Nahrungsergänzungsmitteln

UMP ist sowohl in tierischen als auch in pflanzlichen Lebensmitteln enthalten. Um die benötigte Menge zu sich zu nehmen, können Nahrungsergänzungsmittel mit entsprechend hoher UMP-Konzentration in die Therapie zur Unterstützung der Nervenregeneration einbezogen werden. Diese sollten regelmäßig und über einen längeren Zeitraum von mindestens 60 Tagen eingenommen werden, da die Regeneration zerstörter Nervenfasern Zeit benötigt.

Klinische Studien zu UMP

Klinische Studien haben gezeigt, dass die Kombination von Uridinmonophosphat, Vitamin B12 und Folsäure positive Ergebnisse bei der Behandlung von Nervenschäden erzielt. Patienten berichteten von einer signifikanten Verbesserung ihres Zustands, einer erheblichen Schmerzreduktion, einer gesteigerten Lebensqualität und einem verbesserten klinischen Gesamteindruck.

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