Die Frage, ob Bettgitter bei Menschen mit Demenz eine geeignete Maßnahme darstellen, ist ethisch und rechtlich komplex. Einerseits sollen sie vor Stürzen und Verletzungen schützen, andererseits können sie die Freiheit einschränken. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte, von freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM) und ihren rechtlichen Grundlagen bis hin zu Alternativen und praktischen Überlegungen für den Einsatz von Bettgittern in der Pflege.
Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) und ihre rechtlichen Grundlagen
Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) sind äußere Eingriffe in die Handlungs- und Bewegungsfreiheit eines Menschen. Im Pflegekontext dienen sie gemäß § 1906 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dazu, einen Pflegekunden vor Selbstverletzung oder Suizid zu bewahren oder Dritte zu schützen, falls der Patient eine Gefahr für andere Bewohner einer Pflegeeinrichtung darstellt. Es ist wichtig zu betonen, dass FEM eine Form der Gewalt darstellen, die gegen die in Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes (GG) verankerten Freiheitsrechte verstoßen.
Pflegebedürftige Personen sind oft nicht mehr in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen. In solchen Fällen kann nur eine bevollmächtigte Person oder ein rechtlicher Betreuer die Durchführung von FEM beantragen. Pflegekräfte, Angehörige oder Ärzte dürfen dies nicht.
In bestimmten Notfällen, wenn ohne FEM das Leben des Patienten in Gefahr ist, oder wenn ein ärztliches Attest bestätigt, dass der Pflegekunde bestimmte Bewegungen nicht mehr bewusst steuern kann, bedürfen FEM keiner Genehmigung.
Grundsätzlich werden zwei Arten von FEM unterschieden:
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- Sedierung: Ruhigstellung mithilfe von Medikamenten.
- Fixierung: Einsatz mechanischer Vorrichtungen, die die Bewegungsfreiheit einschränken.
Oft werden die Begriffe Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung synonym verwendet, da ähnliche Hilfsmittel zum Einsatz kommen. Der Unterschied besteht darin, dass freiheitseinschränkende Maßnahmen nur kurzzeitig und mit geringerer Beeinträchtigung angewendet werden (z. B. ein Gurt für Rollstuhlfahrer bei Spaziergängen). Für solche Fälle ist keine richterliche Genehmigung erforderlich.
Wann sind freiheitsentziehende Maßnahmen gerechtfertigt?
FEM können in Betracht gezogen werden, wenn ein Pflegekunde zu schwerwiegendem selbst- oder fremdverletzendem Verhalten neigt und es keine andere Möglichkeit gibt, die Gefahr zu minimieren. Pflegekräfte müssen derartige Maßnahmen nach richterlicher Genehmigung immer im Sinne des gesundheitlichen Patientenwohls und nie länger als notwendig durchführen.
Beispiele:
- Frau Meier mit Wadenbruch im Rollstuhl: Das Feststellen ihres Rollstuhls wäre nicht rechtens, da sie weder sich noch andere körperlich verletzt. Stattdessen sollte das Personal sie zur Rücksichtnahme auffordern und aktivierende Pflege oder Maßnahmen zur Förderung der Mobilität anbieten.
- Herr Großmann mit Diabetes, der Torte essen möchte: Wenn er geistig voll zurechnungsfähig ist, gilt sein Wille als Teil des Persönlichkeitsrechts.
- Frau Schulze mit Depressionen und Schlafstörungen: Ein Bettgitter könnte sie vor Stürzen im Schlaf schützen.
Die Anwendung von FEM erfordert stets eine sorgfältige Abwägung. Bettgitter oder Fixierdecken können dem Schutz eines Patienten dienen, wenn dadurch schwere körperliche Verletzungen vermieden werden können.
Risiken und Folgen von FEM
Neben dem Schutz vor Verletzungen bergen FEM auch Risiken:
- Physische Schäden: Blaue Flecken, Abschürfungen, Druckstellen durch falsche Fixierung. Bei Fixierungen am Hals besteht Erstickungsgefahr.
- Muskelschwund: Abnahme der Mobilität und Schwächung bestimmter Muskelgruppen, was das Sturzrisiko erhöhen kann.
- Psychische Belastung: Verlust von Freiheit und Selbstbestimmung.
Rechtliche Aspekte beim Einsatz von Bettgittern
Hochgefahrene Bettgitter fallen unter freiheitsentziehende Maßnahmen. Nur wer einsichtsfähig ist, kann dem Bettgitter zustimmen. Andernfalls liegt Freiheitsberaubung vor, weshalb ein Richter am zuständigen Betreuungsgericht das Bettgitter mit Zeitraum und Grund anordnen muss (§ 1906 Abs. 2 BGB). Die Zustimmung eines Betreuers genügt nicht, und nur im Notfall dürfen behandelnde Ärzte einmalig für maximal 48 Stunden ein Bettgitter erlauben.
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Ausnahme: Pflegesituationen, um ein Bett zu bewegen oder bei Pflegemaßnahmen Halt zu geben. Hier wird die Begrenzung als Gefühl der Sicherheit erlebt.
Potenzielle Freiheitsentziehung liegt vor, wenn Bettgitter an beiden Seiten hochgefahren sind, das Bett mit einer Seite zur Wand steht (und das Bettgitter gegenüber hochgestellt ist) oder wenn Freiheit überhaupt entzogen werden kann (etwa, wenn sich der Betroffene aus dem Sessel erheben kann).
Wenn aufgrund bestimmter Krankheitsbilder keine zielgerichteten Bewegungen möglich sind, besteht auch kein Freiheitsentzug - das Bettgitter dient nur dem Zweck, gegen Herausfallen bei Drehbewegung zu schützen.
Ob jemand einwilligungsfähig ist (also den Zweck des Bettgitters versteht), stellt der Hausarzt fest. Wenn der gepflegte Familienangehörige bewegungsfähig, aber nicht einwilligungsfähig ist, kann ein richterlicher Beschluss das Bettgitter anordnen.
Alternativen zu Bettgittern
Es gibt zahlreiche Alternativen zu Bettgittern, die mehr Sicherheit ohne Freiheitseinschränkung bieten:
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- Niederflurbetten: Sie können bis ganz auf den Boden abgesenkt werden, wodurch das Verletzungsrisiko bei Stürzen minimiert wird.
- Hüftprotektoren: Sie können das Verletzungsrisiko bei Sturzgefahr verringern.
- Sturzmatten und bewegungsmeldende Sensormatten: Sie federn Stürze ab und melden, wenn jemand das Bett verlässt.
- Schlafen und Pflege am Boden: Eine radikale, aber effektive Lösung.
- Zusammenstellen zweier Betten: Sorgt für eine größere Liegefläche.
- Hausnotruf-System: Ermöglicht es, im Notfall schnell Hilfe zu rufen.
- Stoppersocken: Verhindern das Ausrutschen.
- Bauchgurte zum Selbstöffnen: Bieten Halt, ohne die Freiheit einzuschränken.
- Geteilte Bettgitter: Sie verhindern das Herausfallen, ermöglichen aber dennoch ein selbstständiges Aufstehen.
- Bettnester: Sie bestehen aus weichen Schaumstoffrollen, die um die Matratze gelegt werden und ein Herausrollen verhindern.
Ideal ist es, als Angehöriger in Ruf- und Sichtweite zu sein, um bei Bedarf zur Hilfe zu eilen bzw. den Sturz von vornherein zu vermeiden.
Der "Werdenfelser Weg"
Der "Werdenfelser Weg" wird in mittlerweile über 200 Landkreisen bundesweit angewandt, um freiheitsentziehende Maßnahmen zu unterbinden oder auf ein unumgängliches Minimum zu reduzieren. Spezialisierte Verfahrenspfleger mit pflegefachlichem Grundwissen diskutieren im gerichtlichen Auftrag jeden Fixierungsfall individuell und gehen gemeinsam mit dem Heim und den Angehörigen/Betreuern Alternativen durch und regen im Einzelfall auch Erprobungen von Alternativmaßnahmen an.
Technische Hilfsmittel
Technische Hilfsmittel können die persönliche Betreuung von Menschen mit Demenz zu Hause und im stationären Umfeld unterstützen und erleichtern. So gibt es z.B. Signalgeber, wenn Menschen den Impuls haben, sich aus dem sicheren Umfeld zu entfernen und „irgendwo“ hinzugehen. Betroffene tragen dann einen Sender am Körper. Solche Alarmsysteme gibt es auch für Zuhause. Mittlerweile erlauben auch gängige Geräte wie Smartwatches (Multifunktionsuhren) oder Handys die Ortung via Registrierung und Internet.
Zwangsbehandlung bei Demenz
Bei einer Demenz kann unter Umständen eine Zwangsbehandlung nötig werden, wenn die Demenzsymptome eine Einsicht in die Behandlungsnotwendigkeit verhindern. Als rechtlicher Betreuer eines Menschen mit Demenz können Sie unter Umständen in eine Zwangsbehandlung einwilligen, aber nur mit Zustimmung des Betreuungsgerichts.
Anlaufstellen und Unterstützung
- Pflegestützpunkte: Bieten umfassende Beratung und Unterstützung für pflegende Angehörige.
- Betreuungsvereine: Unterstützen durch Informationen, Beratung und Aufklärung.
Praktische Tipps für die Auswahl und Anwendung von Bettgittern
- Modelle und Vorteile:
- Standard-Bettgitter: Maximaler Schutz vor dem Herausfallen.
- Teilbare Bettgitter: Selbstständiges Ein- und Aussteigen bei gleichzeitigem Schutz.
- Aufstehhilfen mit Schutzfunktion: Stütze beim Aufstehen und begrenzter Fallschutz.
- Klappbare Modelle: Einfaches Herunterklappen bei Nichtgebrauch.
- Befestigungsmöglichkeiten:
- Klemmvorrichtungen
- Spanngurtsysteme
- Einstecksysteme
- Teleskopstangen
- Qualitätsmerkmale:
- DIN-Normen
- Stabilität
- Hochwertige Verarbeitung
- Leicht zu reinigende Materialien
- Polsterungen
- Kosten: Die Preise variieren stark. Unter bestimmten Voraussetzungen übernimmt die Pflegekasse oder Krankenkasse die Kosten.
Sturzprophylaxe im Pflegealltag
Effektive Sturzprophylaxe geht weit über den Einsatz von Bettgittern hinaus:
- Umgebungsanpassung: Beseitigung von Stolperfallen, rutschfeste Bodenbeläge und ausreichende Beleuchtung.
- Bewegungsförderung: Regelmäßiges Gleichgewichts- und Krafttraining.
- Hilfsmittel: Gehhilfen, rutschfeste Socken und sturzsichere Kleidung.
- Überwachung: Sensormatten oder regelmäßige Kontrollgänge.
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