Gesichtsfeldtraining nach Schlaganfall: Übungen und Therapieansätze

Ein Schlaganfall oder eine andere neurologische Hirnverletzung kann zu einem Gesichtsfeldausfall führen. Betroffene stoßen dann beispielsweise gegen Hindernisse, verlieren beim Lesen die Zeile oder werden von plötzlich auftauchenden Personen überrascht. Um diese Beeinträchtigungen zu mindern, gibt es verschiedene Therapieansätze, darunter das Gesichtsfeldtraining (VRT). Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Übungen und Therapieansätze zur Verbesserung des Gesichtsfeldes nach einem Schlaganfall.

Was ist ein Gesichtsfeldausfall?

Ein Gesichtsfeldausfall bedeutet, dass ein Teil des normalen Sichtbereichs fehlt. Dies kann verschiedene Ursachen haben, wobei Schlaganfälle und Schädel-Hirn-Verletzungen häufige Auslöser sind. Rund 20 Prozent der Schlaganfallpatienten leiden an Sehstörungen, die auf Läsionen im Gehirn zurückzuführen sind. Je nach Art und Ausmaß der Schädigung können permanente Gesichtsfelddefekte zurückbleiben, die das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen.

Ein Erwachsener hat binokular horizontal ein maximales Gesichtsfeld von rund 180 Grad, vertikal von ca. 120 Grad. Eine Schädigung kann dieses Feld erheblich einschränken, was zu einer behindernden Einschränkung im Sehen und Erkennen führt.

Therapieansätze bei Gesichtsfeldausfällen

Bisherige Therapiekonzepte basierten vor allem auf Kompensationsmechanismen. Patienten lernten, ihre partielle Blindheit durch schnelle Augenbewegungen auszugleichen. Inzwischen gibt es jedoch auch andere vielversprechende Ansätze, die auf neuronaler Stimulation basieren.

Grundsätzlich stehen zwei neuropsychologische Behandlungsansätze zur Verfügung:

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  • Kompensationstraining: Dieses Training zielt darauf ab, bestehende Beeinträchtigungen möglichst wirksam auszugleichen.
  • Restitutionstraining: Dieses Verfahren versucht, die Sehfähigkeit im betroffenen Bereich teilweise wiederherzustellen, indem der Übergangsbereich zwischen intaktem und betroffenem Gesichtsfeld stimuliert wird.

Kompensationstraining

Das Kompensationstraining beinhaltet verschiedene Übungen, die darauf abzielen, die Augenbewegungen und Suchstrategien zu verbessern, um das ausgefallene Gesichtsfeld besser zu kompensieren. Es wird auch als exploratives Training oder Sakkadentraining bezeichnet. Studien belegen, dass ein systematisches Kompensationstraining zu einer erheblichen Verbesserung des Sehens im Alltag führt.

Eine elementare Kompensationsstrategie besteht darin, die Blicke bewusst in das eingeschränkte Sehfeld zu führen, ohne den Kopf oder den Rumpf mitzubewegen. Hier einige Übungen:

  • "Wand anmalen": Fixieren Sie einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand und führen Sie dann rasche, wiederholte Augenbewegungen in verschiedene Richtungen im eingeschränkten Sehfeld aus, wobei Sie versuchen, Zielpunkte anzuvisieren.
  • Stiftübung: Halten Sie zwei dicke Stifte in einer kräftigen Farbe etwa 30 cm vor Ihr Gesicht. Richten Sie den Blick auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand. Führen Sie die Stifte, die zu Beginn der Übung zusammengehalten werden, langsam gleichzeitig nach außen, aber nur so weit, wie Sie sie gerade noch im Blickfeld sehen können.
  • Scanning: Schauen Sie im Freien und in Raumdistanz intensiv Gegenstände, Personen und bewegliche Objekte an, möglichst mit geradem Kopf.
  • Umgebungsadaption: Platzieren Sie "Sehziele" im eingeschränkten Sehfeld.
  • Lesetraining: Lesen oder schreiben Sie kurze Texte ab, z. B. aus der Tageszeitung. Verwenden Sie den Zeigefinger oder ein Lineal als Führungshilfe.

Restitutionstraining (Gesichtsfeldtraining - VRT)

Das Gesichtsfeldtraining (VRT) wurde entwickelt, um Gesichtsfeldverluste aufgrund einer neurologischen Hirnverletzung zu verbessern. Es zielt darauf ab, die Verarbeitung visueller Informationen durch residuale neuronale Strukturen zu stärken, die trotz der Läsion funktionsfähig geblieben sind.

Das VRT wird in der Regel über einen Zeitraum von sechs Monaten am Computer durchgeführt. Das Training sollte zweimal täglich an sechs Tagen der Woche stattfinden. Während jeder Sitzung konzentriert sich der Patient auf einen zentralen Punkt auf dem Bildschirm und reagiert jedes Mal durch Tastendruck, wenn er einen Lichtreiz erkennt. Die Lichtreize werden typischerweise an der Grenze zwischen dem intakten und dem geschädigten Gesichtsfeld präsentiert.

Ein Beispiel für ein solches Programm ist "Spectros", das von der Ruhr-Universität Bochum und der Neurologischen Universitätsklinik Bergmannsheil Bochum entwickelt wurde. Es ermöglicht Patienten mit Gesichtsfelddefekten nach Schlaganfällen und Hirnverletzungen das tägliche Training zu Hause. Die Datenanalyse erfolgt per Internet.

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Neurobiologischer Ansatz

Das VRT basiert auf der Erkenntnis, dass das Gehirn plastisch ist und sich an Veränderungen anpassen kann. Durch gezielte, wiederholte Stimulation der Zellen in der Umgebung des zerstörten Hirngewebes können diese benachbarten, intakten Nervenzellen durch plastische Umorganisationsprozesse teilweise die ausgefallenen Funktionen übernehmen.

Zusätzlich zur Lokalisation werden gesehene Reize auch nach Form, Farbe, Bewegung und Muster verarbeitet. Durch eine gezielte Auswahl an unterschiedlichen visuellen Reizen wird die Interaktion der Hirnareale nochmals verstärkt.

Voraussetzungen und Durchführung

Vor Beginn einer Sehtherapie ist eine neurologische Eingangsuntersuchung erforderlich, um die generelle Therapiefähigkeit festzustellen. Im Rahmen dieser Untersuchung wird das Ausmaß der Gesichtsfeldeinschränkung mit einer Computerkampimetrie erfasst. Anhand der Daten kann der Therapeut ein individuelles Trainingsprogramm erstellen.

Das Therapieprogramm beinhaltet in der Regel drei Trainingsteile, die spezifisch unterschiedliche Funktionen der Sehverarbeitung stimulieren (Form-, Farb-, Muster-, Bewegungs- und Richtungserkennung). Die Patienten bestätigen je nach Aufgabe per Tastendruck einen erkannten Reiz.

Das Programm wird auf dem eigenen PC-System des Patienten installiert. Wesentliche Voraussetzung für einen guten Therapieerfolg ist das regelmäßige, tägliche Training. Die Patienten sollten jeden Tag circa zweimal eine halbe Stunde konzentriert trainieren.

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Systemvoraussetzungen

Für das Trainingsprogramm ist ein handelsüblicher PC mit MS-Windows (ab Version 95) als Betriebssystem und ein mindestens 17 Zoll großer Monitor erforderlich.

Dauer und Erfolg der Therapie

Die Ausdehnungen der Gesichtsfelddefekte sind sehr unterschiedlich. Der Trainingserfolg wird durch individuelle Faktoren wie Alter, Ursache der Hirnschädigung, Begleiterkrankungen, Konzentrationsfähigkeit und Medikamenteneinnahme beeinflusst.

Ein regelmäßiges und aufmerksames Training ist unerlässlich für den Erfolg der Therapie. Das täglich zweimal rund eine halbe Stunde dauernde Training sollte der Patient mindestens vier Monate konsequent durchführen. Eine vollständige Wiederherstellung des Gesichtsfeldes ist durch diesen Therapieansatz nicht möglich. Bei einem positiven Verlauf ist jedoch eine Erweiterung des Gesichtsfeldes um mehrere Sehwinkelgrade zu erwarten.

Kritik am Restitutionstraining

Die Methode des Restitutionstrainings ist nicht unumstritten und wird häufig von den Krankenkassen nicht bezahlt.

Sakkadentraining und Explorationstraining

Schnelle und sprunghafte Blickbewegungen der Augen, sogenannte Sakkaden, werden von Betroffenen mit Gesichtsfeldausfällen seltener ausgeführt. Dies erschwert es zusätzlich, Gegenstände und Personen zu entdecken.

Das Sakkadentraining verbessert die Suchbewegungen in den betroffenen Gesichtsfeldbereich durch gezielte Augenbewegungen. Dies führt zu einer Vergrößerung des Suchfeldes des Betroffenen. Für das Sakkadentraining gibt es speziell entwickelte Trainingsprogramme, bei denen es darum geht, aufleuchtende Reize an verschiedenen Positionen eines Bildschirmes möglichst mit nur einer Sakkade zu entdecken.

Das Explorationstraining führt ebenfalls zur Vergrößerung des Suchfeldes durch den Erwerb systematischer Suchstrategien. Hierbei können beispielsweise Papier- und Bleistift-Aufgaben genutzt werden, bei denen bestimmte Wörter, Buchstaben oder Zahlen gesucht werden sollen. In der Therapie werden auch verschiedene computergestützte Programme genutzt.

Während dieser Übungen ist es wichtig, dass der Betroffene den Kopf möglichst gerade hält und die Suchbewegungen nur mit den Augen durchführt. Im Alltag hingegen sollen zusätzlich zu den Augenbewegungen auch Kopfbewegungen eingesetzt werden.

Lesetraining

Das Lesetraining führt ebenfalls zur Ausweitung des Überblicks und einer Verbesserung des visuellen Suchverhaltens. Dieses Training sollte möglichst früh beginnen und führt zu einer Anpassung der Lesebewegung an den Gesichtsfeldausfall. Auch hierfür gibt es speziell entwickelte Trainingsprogramme, aber auch ein Selbsttraining kann das Lesen deutlich verbessern. Dafür werden kurze Texte gelesen oder abgeschrieben. Der Zeigefinger kann dabei als Führungshilfe dienen oder aber ein Lineal, welches Zeile für Zeile mitbewegt wird.

Neurovisuelle orthoptische Rehabilitation

Die neurovisuelle orthoptische Rehabilitation steht in Deutschland nicht durchgängig stationär und ambulant zur Verfügung. Ziel der neuro-orthoptischen, visuellen Rehabilitation ist es, den Betroffenen das Ausmaß ihrer Einschränkung zum Bewusstsein bringen und ihnen zugleich helfen, mit dieser Behinderung besser umzugehen. Hierzu gehören zunächst die gründliche Diagnostik und die Prüfung der Motivation zur Behandlung. Danach richten sich die individuell geeigneten Trainingsmethoden. Die Übungen zielen darauf ab, die Sicherheit im freien Raum, die Sehqualität und Quantität und das Lesevermögen zu verbessern.

Ergotherapie bei Gesichtsfeldausfällen

Ergotherapie bei Gesichtsfeldausfällen ist ein sehr spezielles Aufgabengebiet innerhalb der neurologischen Rehabilitation. Nicht alle Ergotherapeut*innen sind hierauf spezialisiert. Für eine zielgerichtete Behandlung ist eine umfassende augenärztliche und neuro-orthoptische Diagnostik die Voraussetzung.

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