Das Gehirn ist ein komplexes Organ, das für unsere Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Handlungen verantwortlich ist. Es steuert lebenswichtige Funktionen wie Atmung, Verdauung und Stoffwechsel. Die Kommunikation zwischen den Nervenzellen im Gehirn erfolgt über elektrische Impulse und chemische Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter. Ein Ungleichgewicht dieser Botenstoffe kann zu verschiedenen psychischen Störungen führen.
Die Rolle der Neurotransmitter
Neurotransmitter sind chemische Substanzen, die Nervenimpulse von einer Nervenzelle zur nächsten übertragen. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Steuerung unserer Stimmung, unseres Verhaltens und unserer kognitiven Funktionen. Zu den wichtigsten Neurotransmittern gehören:
- Serotonin: Wirkt stimmungsaufhellend, angstlösend und schlaffördernd.
- Noradrenalin: Wirkt antriebssteigernd, konzentrationsfördernd und motivationssteigernd.
- Dopamin: Spielt eine wichtige Rolle bei der Steuerung von Bewegung, Motivation und Belohnung.
- Glutamat: Ist der wichtigste erregende Neurotransmitter im Gehirn und spielt eine Rolle bei Lernprozessen und Gedächtnis.
- GABA (Gamma-Aminobuttersäure): Ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter im Gehirn und wirkt beruhigend und entspannend.
Ursachen für einen gestörten Botenstoffwechsel
Ein gestörter Botenstoffwechsel im Gehirn kann verschiedene Ursachen haben:
- Genetische Veranlagung: Studien haben gezeigt, dass psychische Störungen familiär gehäuft auftreten können. Dies deutet darauf hin, dass genetische Faktoren eine Rolle bei der Entstehung spielen können. Es gibt jedoch nicht nur ein einziges Gen, das für die Entstehung einer bestimmten Störung verantwortlich ist. Vielmehr ist es ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Gene.
- Biologische Faktoren: Veränderungen in der Gehirnstruktur oder -funktion können ebenfalls zu einem gestörten Botenstoffwechsel führen. Bildgebende Verfahren haben beispielsweise bei Menschen mit bipolaren Störungen eine veränderte Aktivität des limbischen Systems festgestellt.
- Umweltfaktoren: Belastende Lebensereignisse, Stress, traumatische Erfahrungen, Medikamente und Drogen können ebenfalls den Botenstoffwechsel im Gehirn beeinflussen und das Risiko für psychische Störungen erhöhen.
- Hormonelle Einflüsse: Hormonschwankungen, wie sie beispielsweise im Laufe des Menstruationszyklus, während der Schwangerschaft oder in den Wechseljahren auftreten, können ebenfalls die Stimmung beeinflussen und das Risiko für Depressionen erhöhen.
- Körperliche Erkrankungen: Einige körperliche Erkrankungen, insbesondere Erkrankungen des Gehirns und Hormonstörungen, können ebenfalls die Gefühlswelt beeinflussen und das Risiko für psychische Störungen erhöhen.
Psychische Störungen im Zusammenhang mit einem gestörten Botenstoffwechsel
Ein gestörter Botenstoffwechsel im Gehirn kann eine Rolle bei der Entstehung verschiedener psychischer Störungen spielen:
Depressionen
Es gibt Hinweise darauf, dass ein gestörter Noradrenalin- oder Serotoninspiegel im Gehirngewebe möglicherweise mitverantwortlich für eine Depression ist. Sind diese Botenstoffe nicht im Gleichgewicht, stört das den Austausch zwischen den Nervenzellen. Und das wiederum beeinflusst Gefühle und Gedanken negativ. Andere Erklärungsansätze bezüglich der Ursache von Depressionen sehen eine Fehlregulation der Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol im Mittelpunkt. Insbesondere hat man bei depressiven Menschen einen erhöhten Cortisolspiegel festgestellt. Ein solcher kommt als Auslöser einer Depressionserkrankung infrage, aber auch als deren Folge.
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Depressionen sind eine psychische Erkrankung, die bei Betroffenen über einen Zeitraum von mehr als 2 Wochen zu durchgehender Niedergestimmtheit und Freudlosigkeit führt. Fast jeder 5. Deutsche erlebt mindestens einmal in seinem Leben eine Depression. Frauen sind dabei häufiger betroffen als Männer.
Die Hauptsymptome einer Depression sind Niedergestimmtheit, Antriebsmangel und Interesse-/Freudlosigkeit. Häufige Nebensymptome sind:
- Gedankenkreisen
- Innere Unruhe und Anspannung
- Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen
- Angst
- Hoffnungslosigkeit
- Selbstwertverlust
- Schlafstörungen
- Verminderte Libido
- Appetitlosigkeit
Depressionen treten oft in Zusammenhang mit schwierigen Lebensumständen auf:
- Trennung
- Verlust eines nahestehenden Menschen
- Arbeitsplatzverlust oder -wechsel, höhere Arbeitsbelastung
- Geburt oder Auszug eines Kindes
- Konflikte
Biografische Erfahrungen und das Vorkommen von Depressionen in der Familie beeinflussen das Risiko, an einer Depression zu erkranken.
Depressionen sind gut behandelbar. Etwa die Hälfte der Betroffenen wird innerhalb von 6 Monaten wieder gesund. Die Art der Behandlung richtet sich dabei nach der Schwere der Erkrankung. Psychotherapie und Medikamente sind in der Regel die Mittel der Wahl. Im Falle von ausbleibendem Behandlungserfolg stehen weitere antidepressive Therapiemöglichkeiten zur Verfügung.
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Bipolare Störungen
Durch bildgebende Verfahren wurde bei Betroffenen während einer Krankheitsepisode eine veränderte Aktivität des so genannten limbischen Systems im Gehirn festgestellt. Das limbische System ist für das Empfinden und Verarbeiten von Gefühlen mit verantwortlich. Auch wenn eine bipolare Störung selbst offenbar nicht vererbt werden kann, so wird zumindest die Anfälligkeit für solch eine Erkrankung von Generation zu Generation weitergegeben. Belastende Lebensereignisse können dann zum Ausbruch der Krankheit führen. Offenbar spielt bei bipolaren Erkrankungen auch die Jahreszeit eine gewisse Rolle. Statistisch gesehen treten im Sommer häufiger manische Episoden auf, während es im Herbst vermehrt zu depressiven Episoden kommt.
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung)
Fest steht, dass bei einer ADHS das Gleichgewicht der Botenstoffe (Neurotransmitter) im Gehirn verändert ist. Das womöglich komplexe Zusammenspiel zwischen Genen, weiteren biologischen Faktoren und Umweltfaktoren bei der Entstehung einer ADHS ist noch nicht hinreichend erforscht. Ein wichtiger Faktor bei der Entstehung einer ADHS ist die genetische Veranlagung. Untersuchungen haben gezeigt, dass ADHS familiär gehäuft auftritt. Sie kann demnach von Eltern vererbt werden. Das muss aber nicht unbedingt der Fall sein. Es gibt nicht nur ein einziges Gen, das für die Entstehung einer ADHS verantwortlich ist. Eine Vielzahl weiterer Faktoren wird im Zusammenhang mit der Entstehung und den Symptomen einer ADHS untersucht. Sie sind jedoch noch nicht ausreichend belegt.
Psychosen
LSD kann eine sogenannte Drogen-Psychose mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen auslösen, auch LSD-Psychose oder Amphetamin-Psychose genannt. Je nachdem, wie viel und welche Art der Droge konsumiert wurde, verschwinden die Symptome nach wenigen Stunden oder bleiben einige Tage bestehen. Etwa die Hälfte aller Menschen, die an einer Psychose erkrankt sind, konsumierten Substanzen wie Alkohol, Kokain oder Cannabis. Cannabis-Konsument*innen mit einer genetisch bedingten Psychose-Anfälligkeit haben ein deutlich höheres Risiko zu erkranken, wie aktuelle Forschungsergebnisse zeigen. Psychosen treten oft bei schweren psychischen Erkrankungen auf. Das sind die nicht organischen oder sekundären Psychosen. Am häufigsten treten bei Menschen, die unter einer Schizophrenie leiden, Psychosen auf. Doch auch bipolare Störungen oder Depressionen können mit psychotischen Symptomen einhergehen. So kann eine schizoaffektive Psychose bei einer Mischform aus Schizophrenie und affektiver Störung wie Depression oder bipolarer Störung auftreten. Auch bei schweren affektiven Störungen wie Depressionen oder Manien können psychotische Symptome auftreten. Typische psychotische Symptome bei der schweren Depression sind Wahnideen, die inhaltlich zur gedrückten Stimmung passen, zum Beispiel Schuldwahn oder Versündigungswahn. Außerdem können olfaktorische Halluzinationen auftreten, das bedeutet, Betroffene nehmen beispielsweise einen Geruch von Verwesung wahr. Während einer Manie treten eher Größen- oder Abstammungswahn auf. Eine postpartale Psychose wird auch Wochenbettpsychose genannt. Sie kann in den ersten Wochen nach einer Geburt auftreten. Sie muss sofort ärztlich, meistens stationär behandelt werden, da die Mutter unter Realitätsverlust leidet und sich selbst oder auch ihr Kind gefährden kann.
Tourette-Syndrom
Mediziner führen die Entstehung des Tourette-Syndroms auf eine Störung im Botenstoffwechsel des Gehirns zurück. Insbesondere der Neurotransmitter Dopamin steht im Fokus der Forschung: Dopamin ist im Gehirn für das Weiterleiten von Informationen wichtig. Untersuchungen haben unter anderem gezeigt, dass die Zahl der Dopaminrezeptoren im Gehirn von Menschen mit Tourette-Syndrom erhöht ist. Auch ein gestörter Haushalt anderer Neurotransmittersysteme, wie zum Beispiel Serotonin, Noradrenalin, Glutamin, Histamin und Opioide, sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Stoffen scheinen eine Rolle zu spielen. Die Störungen betreffen vor allem die sogenannten Basalganglien. Diese Hirnareale befinden sich in den tieferen Strukturen beider Gehirnhälften und erfüllen eine Art Filterfunktion. Sie regulieren, welche Impulse ein Mensch in Handlungen umsetzt und welche nicht. Die Gene scheinen beim Tourette-Syndrom eine Rolle zu spielen: Kinder von betroffenen Eltern haben ein deutlich erhöhtes Risiko. Umweltfaktoren wie Rauchen während der Schwangerschaft, psychosozialer Stress und bestimmte bakterielle Infektionen zählen ebenfalls zu den möglichen Ursachen.
Diagnose und Behandlung
Die Diagnose von psychischen Störungen erfolgt in der Regel durch einen Arzt oder Psychotherapeuten. Dabei werden die Symptome des Patienten erfasst und mit den Kriterien der internationalen Klassifikationssysteme ICD-10 oder DSM-5 verglichen.
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Die Behandlung von psychischen Störungen kann verschiedene Therapieansätze umfassen:
- Psychotherapie: Durch eine Psychotherapie können Betroffene lernen, ihre Gedanken und Gefühle besser zu verstehen und zu verändern. Verschiedene Therapieformen wie Verhaltenstherapie, kognitive Therapie oder tiefenpsychologische Therapie können eingesetzt werden.
- Medikamente: Medikamente können helfen, den Botenstoffwechsel im Gehirn zu regulieren und die Symptome der psychischen Störung zu lindern. Antidepressiva, Antipsychotika oder Stimmungsstabilisierer können je nach Störungsbild eingesetzt werden.
- Weitere Therapieansätze: Ergänzend zu Psychotherapie und Medikamenten können weitere Therapieansätze wie Ergotherapie, Sporttherapie oder Entspannungstechniken eingesetzt werden.
Prävention
Ein gesunder Lebensstil mit ausreichend Bewegung, ausgewogener Ernährung und Stressbewältigung kann dazu beitragen, das Risiko für psychische Störungen zu senken. Auch der Verzicht auf Drogen und übermäßigen Alkoholkonsum ist wichtig für die psychische Gesundheit.
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