Die Alzheimer-Demenz ist eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen weltweit. Mit dem steigenden Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung hat auch die Häufigkeit dieser und anderer Demenzerkrankungen zugenommen. Die Suche nach wirksamen Mitteln zur Vorbeugung oder Verlangsamung des Fortschreitens dieser Erkrankungen ist daher von großer Bedeutung. Klinische Studien befassen sich zunehmend mit Heilpflanzen und deren Potenzial, hier einen Beitrag zu leisten. Ginseng, eine der am häufigsten verwendeten Heilpflanzen, steht dabei besonders im Fokus.
Neurodegenerative Erkrankungen und Alzheimer-Demenz
Unter den neurodegenerativen Erkrankungen, bei denen die Nervenzellen des zentralen Nervensystems nach und nach zerstört werden, spielt die Alzheimer-Demenz mit 50 bis 75 Prozent der Krankheitsfälle eine große Rolle. Typisch für diese bisher unheilbare Erkrankung sind Ablagerungen außerhalb der Nervenzellen im Gehirn, die aus fehlgefalteten Amyloid-Beta-Proteinen und verknäuelten Tau-Proteinen bestehen. Die meisten der mehr als hundert Stoffkandidaten, die seit 2003 klinisch auf die Eigenschaft getestet wurden, die Alzheimer-Plaques aufzulösen, erwiesen sich als unbrauchbar.
Die Rolle von Ginseng in der traditionellen Medizin
Ginseng ist eines der ältesten Naturheilmittel der Menschheit und wird traditionell zur Stärkung und Kräftigung bei Müdigkeits- und Schwächegefühl, nachlassender Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit sowie zur Rekonvaleszenz eingesetzt. Die moderne Forschung geht davon aus, dass die Ginsengwirkstoffe (Ginsenoside) in der Hypothalamus-Hypophysen-Region des Gehirns ansetzen, wo die körperlichen und geistigen Bedürfnisse des Körpers gesteuert werden. Ginseng sorgt offenbar dafür, dass unser Gehirn sensibler reagiert und die Nervenzellen aktiver sind, sodass der aktuelle Körperstatus schneller erfasst und angepasst werden kann.
Aktuelle Forschungsergebnisse zu Ginseng und Demenz
Ginseng und die Reduktion von Amyloid-Beta-Peptiden
Forscher der Mayo-Klinik in Florida untersuchten den Einfluss von Ginseng auf den Abbau von Amyloid-Beta (Abeta) mithilfe eines Zell-Modellsystems. Die Studie erbrachte folgende Ergebnisse: Ginseng und mehrere seiner isolierten Inhaltsstoffe bewirken eine deutliche Reduzierung der Konzentration von Abeta in der Zelle. Diese Wirkung ist dosisabhängig, d.h. je höher die Dosis, desto stärker die Reduktion.
Langzeitstudie zur Wirkung von Ginseng bei Alzheimer-Erkrankung
Eine langfristig angelegte klinische Studie hatte zum Ziel, den Langzeiteffekt einer Ginsengeinnahme als begleitende Therapie zu konventionellen Anti-Demenz-Medikamenten bei Alzheimer Erkrankung zu klären sowie Veränderungen kognitiver Fähigkeiten während der länger andauernden Versuchsreihe zu überwachen.
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Insgesamt wurden 61 Patienten (Männer und Frauen) im Alter zwischen 50 und 80 Jahren über einen Gesamtzeitraum von 2 Jahren (96 Wochen) untersucht. 15 Patienten erhielten täglich eine hohe Dosis Ginseng (9 g/Tag), aufgeteilt auf 2-3 Einzeldosen, 15 Patienten bekamen täglich eine geringere Dosis Ginseng (4,5 g/Tag), ebenfalls in mehreren Dosen, und 31 Patienten bildeten die Kontrollgruppe ohne Ginseng und ohne Placeboeinnahme.
Die kognitiven Fähigkeiten der Patienten wurden alle 12 Wochen mithilfe des Mini-Mental-State-Tests (MMST) überprüft. Im Rahmen dieses Tests werden Patienten zu 9 Aufgabenkomplexen interviewt, d.h. sie mussten einfache Fragen beantworten bzw. Handlungen ausführen. So können zentrale kognitive Funktionen (zeitliche und räumliche Orientierung, Merk- und Erinnerungsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Sprache und Sprachverständnis, Lesen, Schreiben, Zeichnen und Rechnen) überprüft werden.
Nach den ersten 6 Monaten Studiendauer ergaben sich bereits sehr vielversprechende, positive Ergebnisse. Eine messbare Verbesserung der Lebensqualität trat schon nach 3 Monaten und geringer Ginsengdosis (4,5 g/Tag) auf. Sowohl mit zunehmender Einnahmedauer (6 Monate) als auch steigender Ginsengdosis (9 g/Tag) verbesserten sich die kognitiven Fähigkeiten und somit die Lebensqualität nochmals entscheidend.
Beide Patientengruppen, die Ginseng einnahmen, wurden deshalb für weitere 18 Monate überprüft, um die Wirkung einer Langzeitnutzung von Ginseng zu dokumentieren. In dieser zweiten Versuchsphase gab es keine Kontrollgruppe mehr und die Teilnehmer der Ginsenggruppen wurden erneut alle 12 Wochen den neuropsychologischen Tests unterzogen.
Diese Langzeitstudie über 2 Jahre zeigte nach Versuchsende eindeutige Ergebnisse: Bei beiden Tests gab es einen signifikanten Unterschied zwischen den Patientengruppen, die Ginseng eingenommen hatten im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Ginseng. Diese Versuchsreihe belegt in eindrucksvoller Weise, dass der Konsum von Ginseng effektive Wirkung in der Langzeitbehandlung von Alzheimer Patienten zeigt. Es tritt nicht nur nach kurzzeitiger Einnahme von Ginseng eine Verbesserung kognitiver Fähigkeiten auf, sondern diese deutliche Verbesserung der Lebensqualität bleibt bei weiterer Ginseng-Einnahme auch über mindestens 2 Jahre erhalten.
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Im Vergleich hierzu bessert sich der Zustand bei Alzheimer Patienten, die ausschließlich konventionelle Medikamente nutzen zu Beginn der Therapie für etwa 3 bis 6 Monate, um danach wieder - nach etwa einem Jahr - in den Ausgangszustand zurückzufallen.
Weitere Untersuchungen zur Wirkung von Ginseng
Im Rahmen einer weiteren Untersuchung mit 60 Bewohnern eines Altenheims wurde die Ginseng Wirkung auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit untersucht. Die Probanden nahmen über einen Zeitraum von 100 Tagen zwei Ginsengkapseln bzw. zwei Placebokapseln ein. Darüber hinaus war die Fähigkeit zu klarer, deutlicher Ausdrucksweise wesentlich verbessert und altersbedingte Befindlichkeitsstörungen wie häufiges Auftreten von Schlaflosigkeit, Schwindel, Herzklopfen oder Nervosität besserten sich bei den Ginsengkonsumenten deutlich. Die positive Wirkung der 100-Tage-Ginseng-Kur blieb bis zum 50. Tag nach der letzten Einnahme messbar.
Ginseng zur Stressbewältigung und Vorbeugung von Gedächtnisverlust
Stress, insbesondere Dauerstress, kann eine Ursache für nachlassende Gedächtnisleistung oder sogar Gedächtnisverlust sein. Ginseng kann helfen, "stressresistenter" zu werden bzw. Stress abzubauen. Ginseng ist den meisten Menschen vor allem als Stärkungsmittel für Ältere bekannt, da deren Körper durch altersbedingte Abbauprozesse besonderer Unterstützung bedarf. Doch gerade auch jüngere Personen sind immer wieder Phasen besonderer Belastung ausgesetzt und profitieren von den umfangreichen Wirkweisen des Ginsengs. So verhilft Ginseng Jugendlichen bei Prüfungssituationen in Schule und Ausbildung zu erhöhter Konzentration, vermag Prüfungsängste abzubauen und Prüfungsstress zu vermeiden. Erwachsenen verschafft er in unserer modernen Welt mit täglich steigenden Leistungsanforderungen, Termindruck und dauernder innerer Anspannung die notwendige Ausgeglichenheit, um private und berufliche Stressphasen zu bewältigen und das innere Gleichgewicht wieder herzustellen. So kann einem "burn-out" gezielt vorgebeugt werden.
Weitere Naturstoffe und ihre potenzielle Wirkung bei Demenz
Neben Ginseng werden auch andere Naturstoffe auf ihre potenzielle Wirkung bei Demenz untersucht. Ein Beispiel ist der aus Bodenbakterien isolierte Naturstoff Collinolacton.
Collinolacton und Rhizolutin: Eine vielversprechende Entdeckung
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Professorin Stephanie Grond von der Universität Tübingen fand heraus, dass der aus Bodenbakterien isolierte Naturstoff Collinolacton im Laborversuch künstlich verursachten Stress auf Nervenzellen reduziert und sie dadurch vor Schäden schützt, wie sie bei neurodegenerativen Erkrankungen auftreten. Das Team wies zudem nach, dass das Molekül Collinolacton in seiner chemischen Struktur identisch ist mit dem Stoff Rhizolutin, der aus Bakterien an den Wurzeln der asiatischen Heilpflanze Ginseng isoliert wurde. Ein koreanisches Forschungsteam hatte im vergangenen Jahr entdeckt, dass Rhizolutin im Tierversuch die für die Alzheimer-Krankheit charakteristischen Proteinzusammenlagerungen um Nervenzellen auflösen kann.
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Die Forscherinnen und Forscher der Mikrobiologie analysierten im nächsten Schritt, welche Gencluster in den Streptomyces-Bakterien für die Herstellung des Collinolactons verantwortlich sind, und entwickelten gentechnisch einen Streptomyceten-Stamm, der den Stoff in erheblich gesteigerter Menge produziert und so erst weitergehende Studien ermöglichte. Von Collinolacton stellten die Forscherinnen und Forscher der Chemie chemische Abkömmlinge her und veränderten verschiedene Seitengruppen an der Grundstruktur. All diese Stoffe wurden im Labor auf ihren Einfluss auf künstlich in Stress versetzte Nervenzellen getestet. Nur der unveränderte Naturstoff Collinolacton hatte die schützende Wirkung auf Nervenzellen.
Nach Einschätzung des Forschungsteams lassen sich diese Ergebnisse gleichsetzen für Collinolacton. Beide Eigenschaften zusammen machen Collinolacton interessant als Stoffkandidaten für die Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten. Denn die Tierversuche mit Rhizolutin hätten bereits ergeben, dass der Stoff ins Säugerhirn gelangen und dort seine Wirkung bei den Nervenzellen entfalten kann.
Rhizolutin löst Proteinplaques auf
Wissenschaftler der Nationaluniversität Seoul um Yun Kwon kultivierten Bakterien auf einem Nährboden, der mit Ginseng-Pulver angereichert wurde, um den Naturstoff Rhizolutin detailliert untersuchen zu können. Die Wurzelmikroben erzeugten so zehnmal mehr Rhizolutin als in der Natur. Es war so möglich, die chemische Struktur von Rhizolutin zu analysieren. Der dabei beobachtete Aufbau des Rhizolutin-Moleküles aus drei verknüpften Ringen, die von einem sieben- und einem sechsgliedrigen Ring umgeben sind, war zuvor in der Wissenschaft unbekannt.
Um ihre These zu überprüfen, führten die Wissenschaftler Experimente mit Zellkulturen aus menschlichen Neuronen und Gliazellen und mit unter Alzheimer leidenden Mäusen durch. Laut Kwon „führte die Behandlung der Mäuse mit Rhizolutin zu einer signifikanten Auflösung von Proteinplaques im Hippocampus der Tiere.“ Dabei löste der Naturstoff sowohl die Tauproteine als auch die Amyloid-Plaques. Die Wissenschaftler konstatieren daher, dass „ihre Ergebnisse belegen, dass diese einzigartige chemische Verbindung sowohl die Amyloid-Plaques als auch die Tau-Proteine angreift.“ Eine Computersimulation zeigt, dass Rhizolutin sehr wahrscheinlich in das fehlgefalteten Proteine über dessen wasserabweisende Bereiche eindringt und die Klumpen von innen auflöst. Der Wirkung ist damit vergleichbar mit einer Immuntherapie, die bereits in einigen klinischen Studien mit Menschen Erfolge zeigte.
Ginkgo Biloba und Demenz
Ginkgo Biloba ist ein weiteres pflanzliches Mittel, das häufig zur Behandlung von Demenz eingesetzt wird.
Studien zu Ginkgo Biloba
Experten und Expertinnen untersuchen, ob Gingko biloba auch eingesetzt werden kann, um Demenz vorzubeugen. In einer randomisiert-kontrollierten Studie (RCT) wurde untersucht, ob Ginkgo biloba das Auftreten von Demenz verhindern kann. An der Studie nahmen Personen ab 75 Jahren teil. Die Ergebnisse zeigen, dass Ginkgo biloba bei Menschen ab 75 Jahren keinen Einfluss auf das spätere Auftreten von Demenz hat. Die Einnahme von Ginkgo biloba hatte keine schweren schädlichen Folgen für die Gesundheit.
Allerdings kam es in beiden Gruppen gleich häufig zu Blutungen. In diese Untersuchungen wurden auch Männer und Frauen eingeschlossen, bei denen leichte geistige Einschränkungen vorlagen. Den größten Teil nahmen aber Teilnehmende ohne geistige Einschränkungen ein. In einem Zeitraum von sechs Jahren traten bei 9 von 100 Männern und Frauen schwere Blutungen auf - egal, ob sie Gingko biloba eingenommen hatten oder nicht.
Einschränkungen der Ergebnisse
Eventuell ist der Zeitraum, in dem die Teilnehmenden beobachtet wurden zu kurz, um mögliche Auswirkungen von Ginkgo biloba festzustellen. Das liegt daran, dass sich das Gehirn bei Demenz schon Jahre vor dem Auftreten der ersten Symptome verändert. Am Ende der Studie nahmen nur noch 60 Prozent der Teilnehmenden Ginkgo biloba oder das Scheinmedikament ein. Dadurch wird die Wirkung von Ginkgo biloba sowohl hinsichtlich Nutzen als auch Schaden möglicherweise geringfügig unterschätzt.
Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761®
Der Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761® verbesserte die Gedächtnisleistung, die exekutiven Funktionen und die Verhaltenssymptome von Patienten mit neurokognitiven Störungen signifikant - und das bei guter Verträglichkeit. Bei der Studie handelte es sich um eine multizentrische, offene Phase-IV-Studie, die an zwölf klinischen Standorten in Indien durchgeführt wurde. In die Studie wurden 150 Patienten im Alter von ≥ 50 Jahren mit einer schweren neurokognitiven Störung aufgrund von Alzheimer-Demenz (21,3 %), vaskulärer Demenz (48,0 %) oder Mischformen (30,7 %) gemäß den Kriterien des DSM-5* und einem Ergebnis von 12 bis 24 Punkten im Mini-Mental-Status-Test eingeschlossen. Nach 18 Wochen zeigten sich signifikante Verbesserungen in der konstruktiven Praxis und der Gedächtnisleistung (CERAD-Test, p < 0,0001), der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und den exekutiven Funktionen (Trail-Making-Test A, p < 0,0001; Trail-Making-Test B, p < 0,0001) sowie den Verhaltenssymptomen (BEHAVE-AD*, p < 0,0001) im Vergleich zu den Ausgangswerten. Zudem zeigten sich positive Effekte auf die allgemeine klinische Einschätzung der Patienten (mittels Clinical Global Impression-Skala).
Die Bedeutung weiterer Forschung
Es ist wichtig zu beachten, dass viele der Studien zu Ginseng und anderen Naturstoffen bei Demenz noch in einem frühen Stadium sind. Weitere großangelegte, placebokontrollierte Studien sind notwendig, um die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Substanzen abschließend zu beurteilen. Es ist auch wichtig, vor der Einnahme von Ginseng oder anderen pflanzlichen Mitteln einen Arzt oder Apotheker zu konsultieren, um mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auszuschließen.