Pilze sind seit langem ein Rätsel für die Wissenschaft. Obwohl sie weder über ein Gehirn noch über ein Nervensystem verfügen, zeigen sie Verhaltensweisen, die Intelligenz vermuten lassen. Jüngste Forschungsergebnisse haben die Debatte darüber neu entfacht, ob Pilze lernen, sich erinnern und Entscheidungen treffen können. Dieser Artikel untersucht die faszinierenden Fähigkeiten von Pilzen und wie diese unser Verständnis von Intelligenz und Kognition in der Biologie erweitern.
Schleimpilze: Intelligente Einzeller ohne Gehirn
Schleimpilze, einst als Pilze klassifiziert, werden heute den Amöben zugeordnet. Diese einzelligen Organismen besitzen weder Neurone noch ein Gehirn. Trotzdem diskutieren Wissenschaftler seit Jahren, inwieweit sie in der Lage sind, von ihrer Umwelt zu lernen und ihr Verhalten entsprechend anzupassen.
Audrey Dussutour, Biologin an der französischen Université Paul Sabatier in Toulouse, hat fast ein Jahrzehnt mit ihrem Team am Schleimpilz Physarum polycephalum geforscht und gezeigt, dass dieser Organismus lernen kann, schädliche Substanzen zu ignorieren und sich noch viel später an sein erlerntes Verhalten erinnern kann. Dieses "Lernen" wird bei simplen Organismen meist als Habituation bezeichnet, um den Prozess von dem komplexerer Tiere mit Nervenzentren abzugrenzen. Chris Reid, Verhaltensbiologe an der Macquarie University in Australien, erklärt, dass nach der klassischen Definition von Habituation ein primitiver Einzeller so lernt, wie es Tiere mit Gehirn tun.
Pilzmyzelnetzwerke: Intelligente Futtersuche und Informationsverarbeitung?
Eine japanische Studie unter der Leitung von Dr. Yu Fukasawa von der Universität Tohoku hat gezeigt, dass bestimmte Pilzarten lernen, sich erinnern und Entscheidungen treffen können. Die These ist, dass auch Lebewesen ohne Gehirn auf ihre Umwelt reagieren und dabei strukturelle Erinnerungen speichern oder sogar Muster erkennen können.
In einer Studie aus dem Jahr 2019 bevorzugte der Pilz größere Holzstücke gezielt gegenüber kleineren. In einem späteren Versuch im Jahr 2024 legten die Forscher neun Holzblöcke in Form eines Kreuzes oder Kreises aus. Der holzzersetzende Pilz Phanerochaete velutina wuchs vom Zentrum aus und bewegte sich je nach Anordnung unterschiedlich. Im Kreuzmuster verließ er die mittleren Blöcke früher, im Kreis blieb er länger in der Mitte.
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Die Studie zeigt, wie sich die Pilzmyzelnetzwerke mit der Zeit ausbreiten und dabei die Holzklötze verbinden. Dabei zeigte sich, dass der Pilz sein Mycelnetzwerk nur anfangs gleichmäßig erweiterte, sich später aber tatsächlich nach den Holzwürfeln ausrichtete. Bei der kreuzförmigen Anordnung der Würfel bildete der Pilz dabei stärkere Verbindungen zu und zwischen den äußersten vier Klötzen. Diese „Außenposten“ waren so besser vernetzt als die inneren Klötze. In der Kreisform waren hingegen alle Würfel gleichermaßen gut in das Mycelnetzwerk eingebunden. Insgesamt waren die Klötze allerdings stärker vernetzt und das Holz wesentlich mehr „angeknabbert“ als in der Kreuzform.
Die Forschenden vermuten, dass sich der Pilz mithilfe dieser Ausbreitungsweise auf Futtersuche begibt und dabei dichtere Informationsnetzwerke in Richtung der bis dato unerforschten und unbesiedelten Umgebung seiner Außenposten bildet. „Diese Erkenntnisse lassen darauf schließen, dass das Pilzmyzel anhand seiner Holzzersetzungsaktivität die Unterschiede in der räumlichen Anordnung von Holzblöcken ‚erkennen‘ kann“, schreibt das Team.
Dennoch schließen die Forschenden aus ihren Ergebnissen, dass der Pilz aktiv Informationen verarbeitet, Entscheidungen trifft und sein Mycelnetzwerk strategisch passend zu seiner Umgebung ausrichtet. Dies sei ein Zeichen für basale kognitive Fähigkeiten und damit für Intelligenz, so das Team. „Es ist erstaunlich, zu wie viel Pilze fähig sind“, bemerkt Fukasawa. „Pilze haben Erinnerungen, sie lernen und sie können Entscheidungen treffen.“
Intelligenz ohne Gehirn: Neue Perspektiven auf Kognition
Die Erkenntnisse helfen damit zu verstehen, wie sich verschiedene Formen von Kognition und primitiver Intelligenz in unterschiedlichen Organismen entwickelt haben. „Ob das Mycel ein Bewusstsein hat oder nicht, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, da kognitive Prozesse auch im Gehirn unabhängig vom Bewusstsein funktionieren“, erklären die Forschenden.
Biophysik-Professor Hans-Günther Döbereiner von der Universität Bremen, der zu Schleimpilzen forscht, argumentiert, dass unser Verständnis von „Intelligenz“ auf Tiere, Pflanzen und Pilze ausgeweitet werden sollte. Er fragt, ob Lebewesen auch ohne Gehirn und Nervenzellen denken können.
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Döbereiner betont, dass „überlegtes und planerisches Denken“ auch in Lebewesen existiere, bei denen man es nicht erwarten würde. „Der Intelligenz-Begriff wird langsam aufgebohrt.“ Er führt den Schleimpilz Physarum polycephalum als Beispiel an und erklärt, dass Schleimpilze ideale Objekte sind, um einfache kognitive Fähigkeiten zu erforschen.
Experimente zur biologischen Physik der Zellbewegungen hätten etwa gezeigt, dass der Schleimpilz dabei auf Erinnerungen zurückgreifen kann. „Seine natürliche Lebenswelt ist dunkel und feucht, Licht mag er nicht. Kollegen haben den Schleimpilz dreimal nach jeder Stunde kurz mit Licht bestrahlt. Jedes Mal hörte der Schleimpilz auf, sich zu bewegen. Nach der vierten Stunde wurde er nicht bestrahlt, hörte aber trotzdem aus eigenen Stücken auf, sich zu bewegen - er hatte sich die Bestrahlung also gemerkt.“ Physarum könne zudem den kürzesten Weg in einem Labyrinth finden und realen Bahnnetzen verblüffend ähnliche Transportnetze entwerfen. „Verschmelzen zwei Schleimpilze, kann der eine dem anderen zudem Gelerntes beibringen, so dass die gesamte Schleimpilzstruktur die neuen Informationen anwenden kann.“
Döbereiner betont, dass weder die Größe eines Gehirns noch die Zahl der Nervenzellen etwas über die Intelligenz eines Lebewesens aussagen. Wenn wir unter „Lernen“ aber verstehen, sich etwas zu merken, um in der Zukunft daraus eine Verhaltensänderung abzuleiten, dann lernt der Schleimpilz.
Kontroverse um Pflanzenbewusstsein und fungalen Geist
Im noch relativ jungen Forschungsfeld der Pflanzen-Neurobiologie beschäftigen sich Wissenschaftler:innen tatsächlich mit pflanzlichen Synapsen und pflanzlicher Intelligenz. Die Schlussfolgerungen daraus sind aber in der Wissenschaft zum Teil sehr umstritten. Selbst einige Pflanzenforschende sprechen von einer Art Pflanzenbewusstsein.
Im Juli 2019 unterstützte ein Forschungsteam um Lincoln Taiz von der University of California in Santa Cruz mit einer Veröffentlichung diejenigen, die die Existenz eines Pflanzenbewusstseins ablehnen. Sie bilden auch die große Mehrheit unter den Pflanzenphysiolog:innen. Das Forschungsteam bezieht sich dabei vor allem auf eine neue Hypothese zur Evolution des Bewusstseins, die Kriterien für die Entwicklung eines Bewusstseins definiert. Demnach erfüllen nur Wirbeltiere, Arthropoden und Kopffüßer diese Mindestanforderungen.
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Einige Biologen wie Dr. Nicholas Money gehen noch weiter und sprechen von einem „fungalen Geist“. Seiner Ansicht nach sollten Konzepte wie Bewusstsein oder Intelligenz auf einem Kontinuum betrachtet werden - vom Menschen bis zum Einzeller. Cecelia Stokes von der University of Wisconsin-Madison steht solchen Gedanken skeptisch gegenüber.
Die Rolle elektrischer Signale in Pilzen
Einige Theorien verweisen auch auf elektrische Signale, die in Pilzen gemessen wurden und den Impulsen im Nervensystem von Tieren ähneln. Für Cecelia Stokes von der University of Wisconsin-Madison ist das allerdings kein Beweis für Intelligenz, da alle Zellen elektrische Ladungen durch Ionentransport erzeugen.
Vergessen und Lernen bei Schleimpilzen
Eine Studie, welche im wissenschaftlichen Magazin Proceedings of the Royal Society B erschien, wirft ein neues Licht auf die Entwicklung der Lernfähigkeit. Bei den Tests wurden zwei Schleimpilz-Gruppen vor einer Brücke platziert, an deren anderem Ende sich Hafer als Nahrung befand. Bei der ersten Gruppe war die Brücke nur mit Agar-Gel überzogen, was die Fortbewegung der Einzeller erleichtert. Bei der zweiten Schleimpilzgruppe wurde Koffein auf der Brücke verteilt.
Die Unterschiede waren deutlich: Die erste Testgruppe überwand die Brücke innerhalb einer Stunde. Die zweite Schleimpilz-Gruppe bewegte sich nicht so schnell, sondern schlängelte sich über einen dünnen Arm an das Koffein heran bis sie einen Weg zum Hafer gefunden hatte. Anschließend zog es den Rest der Gruppe über diesen schmalen Weg nach.
Der Test wurde mehrfach wiederholt, um zu sehen wie sich das Verhalten der einzelligen Organismen verändern würde. Um herauszufinden, ob dies an eventuell durch das Koffein abgestumpften Rezeptoren oder an einer Art Ermüdung lag, sich sorgsam fortzubewegen, war ein neuer Test notwendig. Dabei verteilten die Forscher Chinin statt Koffein auf der Brücke.
Nach einigen Tagen ohne Tests wurden die Schleimpilze erneut mit einer mit Koffeein versetzten Brücke konfrontiert: Die Reaktionen waren jedoch genauso vorsichtig, als hätte es die vorherigen Erfahrungen nie gegeben. Somit konnte nachgewiesen werden, dass auch ein Vergessen für die einzelligen Lebewesen möglich ist.
Psilocybin und seine Wirkung auf das Nervensystem
Psilocybin, der bekannte Wirkstoff in Magic Mushrooms, wird im Körper zu Psilocin umgewandelt - der Verbindung, die letztendlich die psychoaktive Wirkung entfaltet. Ein Mannheimer Forscherteam arbeitete direkt mit Psilocin, um die neurobiologischen Effekte zu untersuchen.
Die Forschenden konnten zudem nachweisen, dass Psilocin die Aktivität bestimmter Gene verändert, die für die Anpassungsfähigkeit des Gehirns wichtig sind. Diese sogenannte Neuroplastizität ist bei vielen psychischen Erkrankungen reduziert. „Vereinfacht gesagt macht Psilocin das Gehirn wieder formbarer“, erläutert Studienleiter Prof. Dr. Philipp Koch.
Die Arbeit ergänzt die am ZI und anderen Forschungseinrichtungen weltweit bereits laufenden klinischen Studien, in denen Psilocybin als Therapieoption für verschiedene psychische Erkrankungen untersucht wird. Die Forschungsergebnisse vertiefen das Verständnis der neurobiologischen Wirkmechanismen von Psilocybin und könnten dazu beitragen, die bereits in der klinischen Erprobung befindlichen psychedelischen Therapien weiter zu optimieren.
Um herauszufinden, wie genau die Wirkungskette von Psilocybin im Körper verläuft, injizierten die Forschenden Psilocin in verschiedene Regionen des zentralen Nervensystems. Wurde die Substanz direkt in den präfrontalen Kortex des Gehirns gespritzt, bewirkte sie eine Verbesserung der Stimmung sowie eine Senkung von Schmerzen. Genau wie die Verabreichung des natürlichen Stoffes Psilocybin. Wurde der Stoff dagegen ins Rückenmark gespritzt, hatte das nicht die gleiche, beruhigende Wirkung. Daraus folgern die Forschenden, dass die Substanz nicht im ganzen Körper wirkt, sondern vielmehr direkt innerhalb der entsprechenden Schaltkreise im Gehirn.
Gefährliche Pilzerreger: Eine wachsende Bedrohung
Pilze können nicht nur faszinierende Fähigkeiten besitzen, sondern auch eine tödliche Gefahr darstellen. Gefährliche Pilzerreger sind weltweit auf dem Vormarsch und können die Lunge zerfressen, das Gewebe vergiften und das Gehirn erobern. Fachleute warnen, dass wir auf diese Arten kaum vorbereitet sind.
Ein Beispiel ist der einzellige Hefepilz Candida auris, der 2009 zum ersten Mal identifiziert wurde und seitdem weltweit auftaucht. Auch die Kokzidioidomykose, eine Infektion, die von Pilzen ausgelöst wird, stellt eine ernsthafte Bedrohung dar.
Pilze bilden ein riesiges, kaum erforschtes Reich mit schätzungsweise drei Millionen verschiedenen Arten. Sie sind für mehr als 80 Prozent aller Pflanzen lebenswichtig, liefern ihnen Sauerstoff oder Mineralien. Doch von Pilzen kann auch eine tödliche Gefahr für Pflanzen und Tiere ausgehen. Sie vernichten Bäume und Bananenplantagen. Als die Kartoffelfäule Mitte des 19. Jahrhunderts Irlands Ernten zerstörte, verhungerten eine Million Menschen. Pilze töten Fledermäuse, Delfine und Salamander.
Das Wood Wide Web: Pilze als Kommunikationsnetzwerk zwischen Bäumen
Pilze spielen auch eine wichtige Rolle im Ökosystem, indem sie als Kommunikationsnetzwerk zwischen Bäumen fungieren. Die kanadische Forscherin Suzanne Simard hat erstaunliche Beobachtungen gemacht und das Wood Wide Web spielt dabei eine entscheidende Rolle.
In verschiedenen Experimenten konnten Simard und ihr Team diesen Austausch von Stoffen beobachten. Besonders viele Pilzverflechtungen bilden sich zwischen großen "Mutterbäumen" und ihren eigenen Sämlingen. Vom großen Mutterbaum gelangt sogar eine Zuckerlösung zum Sämling, die den kleinen Baum ernährt.
Bis ein kleiner Sämling Fotosynthese in nennenswertem Umfang betreiben kann, dauert es. Durch die dichten Kronen der älteren und höheren Bäume dringt kaum Licht - wie also überleben die kleinen Bäume so lange? Das Wood Wide Web, ein Netzwerk von Pilzfäden im Boden, ermöglicht es den Bäumen, miteinander zu kommunizieren und Nährstoffe auszutauschen.
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