Der Aufbau und die Funktion des Schlangengehirns: Eine Reise durch die Evolution

Unser Gehirn ist kein monolithischer Block, sondern das Ergebnis von Jahrmillionen der Entwicklung und Anpassung. Es setzt sich aus verschiedenen Teilen zusammen, die im Laufe der Evolution entstanden sind und unterschiedliche Funktionen erfüllen. Dieser Artikel beleuchtet den Aufbau und die Funktion des Schlangengehirns im Kontext der Gehirnevolution und berücksichtigt dabei neueste wissenschaftliche Erkenntnisse.

Die Evolution des Gehirns: Vom einfachen Nervensystem zum komplexen Denkorgan

Vor mehr als einer halben Milliarde Jahren schuf die Natur Neurone - Zellen, die Reize empfangen, verarbeiten und weiterleiten können. Selbst einfache Kreaturen wie das Darmbakterium Escherichia coli können auf Reize reagieren. Allerdings benötigen komplexere Organismen eine Instanz, die Informationen aus verschiedenen Körperregionen zusammenführt und Reaktionen steuert.

Die Evolution führte zwischen Schwämmen und Quallen die Nervenzellen ein. Quallen gehören zu den ältesten Organismen mit einem einfachen Nervensystem. Diese Konstruktion wurde bei Würmern weiterentwickelt, bei denen sich bereits vorn und hinten unterscheiden lässt, was einen Sprung in der Gehirnevolution bedeutete. Bei Tieren, die sich vorwärts bewegen, konzentrieren sich Nerven und Sinneszellen am vorderen Ende. Plattwürmer sind die einfachsten Kreaturen mit einem Kopf und einem Gehirn.

Im Laufe der Evolution vergrößerte sich das Gehirnvolumen durch Mutationen, die sich als vorteilhaft erwiesen. Eine Schlüsselrolle spielten dabei Erbgutveränderungen, bei denen wichtige Gene doppelt an die nächste Generation weitergegeben wurden. Etwas weiter entwickelte Tiere wie Ringelwürmer und Insekten besitzen segmentierte Körper. Jeder Abschnitt hat zwei Nervenknoten (Ganglien), die wie Minihirne das jeweilige Segment steuern. Die Ganglien sind zu einer strickleiterartigen Struktur verknüpft, die in den Kopf führt.

Das Reptiliengehirn: Ein Erbe der Evolution

Die Entwicklung des Krokodilgehirns ist ein entscheidender Fortschritt in der Evolution der Lebewesen, von dem auch wir Menschen profitieren. Wir haben wichtige graue Zellen von den Krokodilen geerbt, die einen Teil unseres Hirnstamms bilden. Der Hirnstamm, auch Reptilienhirn genannt, ist der älteste Teil des menschlichen Gehirns. Er verarbeitet Umweltreize, leitet unbewusste Reaktionen wie Blutdruck und Atmung und ist für instinkthafte Reaktionen verantwortlich. Der Hirnstamm macht uns also fit fürs Überleben.

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In einem weiteren Schritt entwickelte sich das Großhirn, das unter anderem zur Intelligenz befähigt. Der Anteil des Großhirns ist beim Menschen deutlich größer als bei allen anderen Lebewesen, er macht 85 Prozent des Gesamtgehirns aus.

Das Schlangengehirn: Aufbau und Funktion

Die Frage, ob Schlangen ein Gehirn haben, lässt sich eindeutig mit Ja beantworten. Allerdings ist das Schlangengehirn im Vergleich zu dem von Säugetieren oder Vögeln relativ einfach aufgebaut. Es besteht aus den gleichen Grundstrukturen wie bei anderen Wirbeltieren:

  • Hirnstamm: Dieser Teil des Gehirns steuert grundlegende Funktionen wie Atmung, Herzschlag und Reflexe. Er ist für das Überleben der Schlange unerlässlich.
  • Kleinhirn: Das Kleinhirn koordiniert Bewegungen und hilft der Schlange, sich geschmeidig und präzise zu bewegen.
  • Zwischenhirn: Das Zwischenhirn steuert den Stoffwechsel, die Körpertemperatur und den Schlaf-Wach-Rhythmus.
  • Vorderhirn: Das Vorderhirn ist für komplexere Aufgaben wie Lernen, Gedächtnis und Entscheidungsfindung zuständig. Bei Schlangen ist das Vorderhirn im Vergleich zu anderen Gehirnteilen relativ klein.

Besonderheiten des Schlangengehirns

Obwohl das Schlangengehirn im Vergleich zu anderen Wirbeltieren einfach aufgebaut ist, weist es einige Besonderheiten auf:

  • Geruchssinn: Der Geruchssinn spielt für Schlangen eine wichtige Rolle bei der Jagd und der Partnersuche. Ein keulenförmiger Teil des Vorderhirns ist vornehmlich mit der Analyse von Gerüchen beschäftigt.
  • Wärmesinn: Einige Schlangenarten, wie beispielsweise Grubenottern, besitzen einen Wärmesinn, mit dem sie die Körperwärme ihrer Beute wahrnehmen können. Dieser Sinn ist eng mit dem Gehirn verbunden.
  • Lernfähigkeit: Im Gegensatz zu vielen anderen Reptilien sind Krokodile lernfähig und sollen sogar Menschen voneinander unterscheiden können.

Schlangenangst: Angeboren oder erlernt?

Schlangen und Spinnen rufen bei vielen Menschen Angst und Ekel hervor. Bisher war umstritten, ob diese Abneigung angeboren oder erlernt ist. Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig und der Universität Uppsala, Schweden, haben nun eine entscheidende Beobachtung gemacht: Bereits bei Babys wird eine Stressreaktion ausgelöst, wenn sie Schlangen oder Spinnen sehen.

„Als wir den Kleinen Bilder einer Schlange oder Spinne zeigten statt etwa einer Blume oder eines Fischs gleicher Farbe und Größe, reagierten sie mit deutlich vergrößerten Pupillen“, so Stefanie Hoehl, Neurowissenschaftlerin am MPI CBS und an der Universität Wien über die Ergebnisse der zugrundeliegenden Studie. „Wir gehen daher davon aus, dass die Angst vor Schlangen und Spinnen einen evolutionären Ursprung hat. Bei uns, und auch bei anderen Primaten, sind offensichtlich von Geburt an Mechanismen im Gehirn verankert, durch die wir sehr schnell Objekte als ‚Spinne’ oder ‚Schlange’ identifizieren und darauf reagieren können.“

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Diese offensichtlich angeborene Stressreaktion prädestiniere uns wiederum sehr stark dafür, Spinnen und Schlangen als gefährlich oder eklig zu erlernen.

Digitalisierung von Schlangen: CT-Scans in der Forschung

Moderne Technologien ermöglichen es, das Innere von Tieren zu erforschen, ohne sie zu verletzen. Kristin Mahlow, CT-Technikerin, digitalisiert Schlangensammlungen mithilfe eines CT-Scanners. Diese Scans werden für verschiedene Forschungsprojekte verwendet, beispielsweise für die morphologische Analyse der Giftdrüsen von Schlangen.

In einem Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der Universität in São Paulo geht es um die morphologische Analyse der Giftdrüsen der brasilianischen Giftschlange Bothrops jararaca. Diese Schlangenart macht während ihres Lebens einen Nahrungswechsel durch, wodurch sich auch die Zusammensetzung ihres Giftes verändert. Um dies zu erforschen, werden Tiere aller Altersklassen auf ihre Knochenstruktur hin untersucht. Dafür fertigt Kristin zuerst einen Standardscan an. Anschließend werden die Exemplare mit einer Iod-Färbelösung behandelt, welche das Weichgewebe des Kopfes sichtbar macht, wie die Kiefermuskeln, das Gehirn oder die Giftdrüse.

Die Schlangenscans zeigen, dass der Aufbau der Drüsen bei jungen Tieren anders ist als bei erwachsenen Tieren.

Anpassung an das Leben im Wasser: Die Seeschlange als Beispiel

Seeschlangen haben sich erfolgreich an die marine Lebensweise angepasst und können Sauerstoff über die Haut aufnehmen. Wissenschaftler haben ein Gefäßnetzwerk im Kopf von Seeschlangen entdeckt, das ihnen hilft, Sauerstoff noch effizienter aufzunehmen. „Die Seeschlange nutzt ihren Kopf quasi als Kieme, um unter Wasser zu atmen“, erklärt Palci. Dieses Gefäßnetzwerk ermöglicht es der Schlange wahrscheinlich, längere Zeit unter Wasser zu bleiben.

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