Haben Vegetarier ein kleineres Gehirn? Studien geben Aufschluss

Ein weitverbreiteter Glaube ist, dass der Verzicht auf Fleisch einen Einfluss auf unsere körperliche und geistige Verfassung hat. Die Frage, ob Vegetarier ein kleineres Gehirn haben, ist eine komplexe und viel diskutierte Thematik. Diverse Studien haben sich mit den Auswirkungen vegetarischer Ernährung auf die psychische und physische Gesundheit auseinandergesetzt. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte dieser Frage und fasst die Erkenntnisse aus verschiedenen Forschungsarbeiten zusammen.

Vegetarismus: Mehr als nur eine Ernährungsweise

Vegetarismus ist mehr als nur eine Ernährungsweise; es ist eine Lebensphilosophie, die oft mit ethischen, ökologischen und gesundheitlichen Überzeugungen einhergeht. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden im Zuge der Reformbewegung, die die Industrialisierung und die zunehmende Verstädterung kritisierte, die ersten Vegetariervereine. "Die fleischlose Ernährung war Teil der damaligen Ideologie", erklärt Sebastian Zösch vom Vegetarierbund Deutschland. Anhänger dieser Bewegung verzichteten oft auch auf Genussmittel wie Zigaretten und Alkohol.

Motive für eine vegetarische Ernährung

Die Gründe für eine vegetarische Ernährung sind vielfältig. Moralische Motive spielen eine große Rolle. Viele Vegetarier sind ethisch motiviert und lehnen den Fleischkonsum ab, weil er mit dem Töten und Leiden von Tieren verbunden ist. Gesundheitliche Aspekte sind ein weiterer wichtiger Faktor. Studien zeigen, dass Vegetarier seltener übergewichtig sind und ein geringeres Risiko für Bluthochdruck, Diabetes sowie Gallen- und Nierensteine haben. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmte Krebsarten treten bei ihnen seltener auf. Emotionale Gründe, wie der bloße Geschmack von Fleisch, können ebenfalls eine Rolle spielen.

Die Rolle von Intelligenz und Bildung

Eine groß angelegte Studie aus Großbritannien aus dem Jahr 1970 deutet auf einen Zusammenhang zwischen Vegetarismus und Intelligenz hin. Die Auswertung von 8170 Datensätzen zeigte, dass Vegetarier einen höheren "Kindheits-IQ" hatten als Fleischesser. Die Forscher vermuten, dass eine höhere Intelligenz dazu beiträgt, die Vorteile einer vegetarischen Ernährung zu erkennen. Es ist seit längerem bekannt, dass intelligente Menschen seltener rauchen oder das Rauchen eher aufgeben.

Die psychologische Ebene des Fleischverzichts

Die psychologische Ebene des Fleischverzichts ist ein komplexes Feld. Studien haben gezeigt, dass Fleischesser und Vegetarier unterschiedliche psychologische Profile aufweisen. Fleischesser neigen dazu, eine schärfere Grenze zwischen Mensch und Tier zu ziehen und schreiben Tieren weniger "menschliche" Emotionen zu. Vegetarier und Veganer hingegen messen traditionell "essbaren" Tieren und Haustieren ähnliche emotionale Fähigkeiten bei.

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Mitgefühl im Hirnscanner

Neurowissenschaftliche Studien haben die neuronalen Grundlagen des Vegetarismus untersucht. Mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) wurde die Hirnaktivität von Vegetariern, Veganern und Fleischessern während des Betrachtens von Bildern menschlichen und tierischen Leids gemessen. Die Ergebnisse zeigten, dass Vegetarier und Veganer insgesamt stärker auf negative Szenen reagierten und eine erhöhte Aktivität in Regionen des Empathienetzwerks aufwiesen. Dies deutet darauf hin, dass sie die negativen Szenen als belastender empfanden.

Kritische Nährstoffe und mögliche Mangelerscheinungen

Wer auf Fleisch verzichtet, sollte auf eine ausreichende Zufuhr bestimmter Nährstoffe achten. Vitamin B12 ist ein kritischer Nährstoff, der hauptsächlich in tierischen Produkten vorkommt. Ein Mangel kann zu Müdigkeit, Blutarmut und Blässe führen. Auch die Versorgung mit Eisen, Kalzium, Jod, Zink und Selen kann bei einer vegetarischen oder veganen Ernährung problematisch sein.

Vegane Ernährung bei Kindern: Eine besondere Herausforderung

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine vegane Ernährung für Kinder und Jugendliche nicht. Eine ausreichende Versorgung mit allen notwendigen Nährstoffen sei nicht oder nur schwer möglich. Der Berufsverband für Kinder- und Jugendärzte lehnt Veganismus bei Kindern kategorisch ab und warnt vor "fatalen Folgen und irreversiblen Schäden". Es könne zu einer starken Entwicklungsverzögerung der Hirnreife und wichtigen kognitiven Beeinträchtigungen kommen.

Die Evolution des menschlichen Gehirns und der Fleischkonsum

Die Evolution des menschlichen Gehirns ist eng mit dem Fleischkonsum verbunden. Vor etwa 2,5 Millionen Jahren begannen tierische Lebensmittel einen immer wichtigeren Platz auf dem Speiseplan unserer Vorfahren einzunehmen. Der zunehmende Fleischanteil in der Ernährung lieferte mehr tierisches Eiweiß und Fett, was möglicherweise mit der zunehmenden Körpergröße und der Entwicklung des Gehirns zusammenhängt.

Die "Expensive Tissue Hypothesis"

Die "Expensive Tissue Hypothesis" besagt, dass die Vergrößerung des menschlichen Gehirns mit einer Reduktion der Darmgröße einherging. Da das Gehirn und der Verdauungstrakt zu den energieintensivsten Organen gehören, konnte die Energie, die durch die Verkleinerung des Darms eingespart wurde, für das Wachstum des Gehirns verwendet werden.

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Der Rückgang der Gehirngröße seit der Landwirtschaft

Seit dem Aufkommen der Landwirtschaft ist ein besorgniserregender Trend zu beobachten: Unsere Gehirne haben tatsächlich an Größe verloren. Eine Analyse der Veränderungen der menschlichen Gehirngröße ergab, dass die Gehirngröße unserer Vorfahren mit den ersten anatomisch modernen Menschen vor etwa 90.000 Jahren ihren Höhepunkt erreichte. Seit dem Aufkommen der Landwirtschaft vor etwa 10.000 Jahren hat sich dieser Rückgang jedoch erheblich beschleunigt, so dass unsere Gehirne heute um weitere 8 % kleiner sind. Dies deutet auf einen Mangel in der menschlichen Ernährung hin, der mit dem Rückgang des Verzehrs energiereicher, fettreicher Lebensmittel tierischen Ursprungs und einem Anstieg des Verzehrs von weniger energiereichen Getreidesorten zusammenhängt.

Studien zur psychischen Gesundheit von Vegetariern

Einige Studien haben gezeigt, dass Vegetarier häufiger an psychischen Erkrankungen leiden als Nicht-Vegetarier. Eine Studie von Johannes Michalak und seinem Forscherteam ergab, dass Vegetarier tatsächlich häufiger an einer psychischen Erkrankung leiden als Nicht-Vegetarier. Die Forscher berücksichtigten depressive Störungen, Angststörungen und somatoforme Störungen.

Was war zuerst da: Die Depression oder der Vegetarismus?

Die Frage, was zuerst da war - die Depression oder der Vegetarismus - ist schwer zu beantworten. Bei den meisten Befragten war es so, dass sie zuerst an einer physischen Erkrankung litten und dann mit der vegetarischen Ernährung begonnen haben. Es ist möglich, dass Menschen, die ohnehin eher perfektionistisch und neurotisch veranlagt sind, eher eine vegetarische Lebensweise wählen. Diese Eigenschaften begünstigen aber ebenfalls eine psychische Erkrankung.

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