Lange Zeit wurden Vögel als wenig intelligent angesehen. Sprichwörter wie "dumme Gans" oder "Spatzenhirn" zeugen von dieser weit verbreiteten Meinung. Doch die moderne Forschung hat gezeigt, dass diese Annahme falsch ist. Vögel sind zu erstaunlichen kognitiven Leistungen fähig, die denen von Säugetieren in nichts nachstehen.
Die lange ignorierte Intelligenz der Vögel
Viele Jahre lang wurde die Fähigkeit von Vögeln zu intelligenten Handlungen weitgehend ignoriert. Ein entscheidendes biologisches Merkmal, das Wissenschaftler als Sitz der Intelligenz identifiziert hatten, fehlte ihnen: die Großhirnrinde (Neocortex).
Die Struktur des Vogelgehirns: Klein, aber oho!
Das Vogelgehirn ist viel kleiner als ein vergleichbar schweres Säugetiergehirn, hat dafür aber bis zu zweimal so viele Neuronen. Besonders das Großhirn ist sehr dicht mit Gehirnzellen gepackt, also der Hirnteil, dem bei Vögeln die evolutionsgeschichtlich junge Großhirnrinde fehlt. Trotz Abwesenheit des Neocortex lösen Krähen in Experimenten aber problemlos Memory-Spiele.
Das Pallium: Der Schlüssel zur Intelligenz der Vögel
Die Gehirne von Vögeln unterscheiden sich in grundlegenden Aspekten ihres Aufbaus von Reptilien- und insbesondere von Säugetiergehirnen. Trotzdem verfügen einige Vogelarten über ähnlich komplexe kognitive Fähigkeiten wie etwa Menschenaffen. Dabei spielt das sogenannte Pallium eine entscheidende Rolle. Dieser im Vorderhirn angesiedelte Bereich besteht beim Menschen hauptsächlich aus der gefalteten Großhirnrinde, ist jedoch in Vögeln ganz anders aufgebaut, obwohl er ähnliche Funktionen erfüllt.
Zelluläre Zusammensetzung und Evolution des Palliums
Die zelluläre Zusammensetzung und Evolution des Palliums hat das Team um Prof. Kaessmann an Hühnern untersucht. Die Analysen zeigen, dass sich trotz der unterschiedlichen Gehirnarchitekturen über alle untersuchten Arten hinweg jene Nervenzellen besonders stark ähneln, die die Gehirnaktivität regulieren. Anders die für die Signalübertragung verantwortlichen Neuronen, deren Evolution dynamischer verlaufen ist, wie Dr. Bastienne Zaremba erläutert. Während sich einige von ihnen kaum veränderten, etwa in dem für die Lernfähigkeit und Gedächtnisleistung wichtigen Hippocampus, entwickelten sich andere stark auseinander oder organisierten sich anatomisch neu.
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Unerwartete Erkenntnisse über die Evolution von Nervenzellen
Unerwartet für die Wissenschaftler: "Bestimmte erregende Neuronen besitzen artenübergreifend wahrscheinlich einen gemeinsamen evolutionären Ursprung. Dies betrifft die Nervenzellen in tieferen Schichten des Neokortex, der bei Säugetieren für höhere kognitive Fähigkeiten verantwortlich ist, und die Neuronen im sogenannten Mesopallium der Vögel. Diese Erkenntnis stellt bestehende Annahmen zur Evolution dieser Gehirnregionen infrage", so die Wissenschaftlerin, die Mitglied in Prof. Auch zum Hyperpallium, einer ausschließlich bei Vögeln vorkommenden Struktur innerhalb des Palliums, liefern die Forschungsarbeiten neue Erkenntnisse.
Das Hyperpallium: Nicht der Neocortex der Vögel
Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass das Hyperpallium vergleichbar ist mit dem Neocortex von Säugetieren. Wie das Heidelberger Forschungsteam nun zeigen konnte, ähneln sich zwar einige Neuronen; andere unterscheiden sich jedoch grundlegend. "Unsere Ergebnisse widerlegen frühere Theorien, die davon ausgegangen sind, dass sich bestimmte Hirnregionen bei Vögeln und Säugetieren aufgrund ihrer Lage direkt entsprechen", erklärt Dr. Zaremba. Stattdessen offenbart sich nach den Worten der Wissenschaftlerin ein wesentlich komplexeres evolutionäres Muster aus Erhaltung, Divergenz und Konvergenz. Die Forscherinnen und Forscher fanden zudem heraus, dass bestimmte Nervenzellen in zwei weit voneinander entfernten Regionen des Vogelgehirns große Ähnlichkeit aufweisen, obwohl sie jeweils einen anderen Ursprung im Embryo haben. "Die Vorstellung, dass die Funktion eines Neurons grundsätzlich von seiner Position im embryonalen Gehirn bestimmt wird, müssen wir damit überdenken", betont Prof. Kaessmann.
Das Gedächtnis der Rabenkrähen: Ein "geistiger Notizblock" im Vogelgehirn
Einen ersten Anhaltspunkt für den Ort des „geistigen Notizblocks“ im Vogelgehirn fanden Lena Veit und ihre Kollegen von der Universität Tübingen. Sie zeigten Rabenkrähen für einen kurzen Moment Bilder auf einem Monitor und maßen die Gehirnaktivität der Vögel. Wenn solch eine anhaltende Aktivität registriert wurde, fanden die Krähen auch das richtige Motiv in der kurz darauf gezeigten Auswahl von vier Bildern wieder. Bei Krähen, die falsch tippten, war auch die Intensität des Neuronenfeuerwerks im Endhirn nicht mehr so stark.
Die Intelligenz der Buschhäher: Ein biographisches Gedächtnis
Nicky Clayton besucht ihre Buschhäher. "Das sind sehr hübsche blau-graue Vögel, viel schöner, als die schwarzen Krähen. Und sie sind clever, sie haben für ihre Größe ein riesiges Gehirn, im Verhältnis so groß, wie das eines Schimpansen. Alle Krähenvögel haben ein großes Gehirn, aber diese Buschhäher ganz besonders." Deshalb hat sie Nicky Clayton aus ihrer kalifornischen Heimat ins englische Cambridge geholt. Dutzende Buschhäher hat sie von Hand aufgezogen. Sie vertrauen ihr und sind bereit, für ein paar Maden an Experimenten teilzunehmen.
Buschhäher lagern für schlechte Zeiten ein. Dieses Verhalten macht sich Nicky Clayton zunutze, um etwas über das Gedächtnis ihrer Vögel zu erfahren. Sie stellt den Vögeln alte Eiswürfelformen in den Käfig. Die vielen kleinen Fächer sind mit Sand gefüllt - ideale Verstecke für fleischige Maden.
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Clayton:"Das sind die belgischen Pralinen der Buschhäher-Welt, das ist ihre Leibspeise. Aber das Problem mit Maden ist: Sie verderben. Die Vögel mögen nur frische Maden. Wir haben sie gleichzeitig auch Erdnüsse verstecken lassen, die halten ewig. Unsere Vermutung war, wenn wir die Vögel nach einer kurzen Pause an ihr Versteck lassen, dann sollten sie die leckeren Maden herausholen. Aber wenn wir sie erst wieder hereinlassen, wenn die Maden schon verdorben sind, dann sollten sie gezielt die Erdnüsse ausgraben. Und genau das machen sie auch."
Die Aufgabe mit den Maden und den Erdnüssen ist nämlich kniffeliger, als sie scheint. Clayton:"Wir wollten wissen, ob die Häher sich an das Was, Wo und Wann früherer Versteckaktionen erinnerten. Daraus besteht das biographische Gedächtnis: sich zu erinnern, was ist passiert, wo war man und was hat man gemacht, als x geschah." Das biographische Gedächtnis galt als typisch menschliche Eigenschaft. Nun zeigt sich: nicht nur Menschen sondern auch Buschhäher und wahrscheinlich auch andere Krähenvögel erinnern sich. Und sie ordnen ihre Erinnerungen der Zeit nach an. Auch wenn es bei ihnen nicht um den ersten Kuss oder den letzten Geschäftsabschluss geht, sondern um das Versteck einer leckeren Made.
Schlauheit und soziale Intelligenz: Die Taktiken der Buschhäher
Clayton:"Buschhäher kämpfen mit einem Problem: Sie sind gesellige Vögel, deshalb besteht immer das Risiko, dass andere Tiere ihr Versteck ausräumen." In der Gruppe ist die Konkurrenz groß. Nur der gewitzte Vogel kann von seinen eigenen Vorräten profitieren. Nicky Clayton hat die Taktiken beobachtet, mit denen die gefiederten Diebe ihre Schätze vor anderen Dieben sichern. "Ältere Häher, die selbst schon mal ein fremdes Versteck ausgeräumt haben, kehren an ihr eigenes Lager zurück, wenn niemand mehr zuschaut. Dann verstecken sie das Futter an einem neuen Ort. Das tun sie nicht, wenn sie gar nicht beobachtet wurden, oder wenn ihr Partner zugeschaut hat. Mit dem würden sie das Futter sowieso teilen. Unerfahrene Vögel, die selbst noch keine Gelegenheit zu einem Diebstahl hatten, lassen ihre Vorräte, wo sie sind. Das ist also nichts Angeborenes, diese Taktik leiten die Vögel aus ihren eigenen Erfahrungen ab. Kurz gesagt, es braucht einen Dieb, um einen Dieb zu verstehen."
Buschhäher machen sich offenbar Gedanken über die Gedanken anderer Buschhäher, sie haben eine "Theorie des Geistes", könnte man meinen. Das hatte man bis zu den Experimenten von Nicky Clayton eigentlich nur höheren Affen zugetraut. Sie selbst ist die Erste, die zugibt, dass die Häher wohl keine Überlegungen in Shakespeareschen Dimensionen anstellen. Aber sie sind mindestens so gewitzt, wie der Räuber im Kasperletheater. "Vögel, die selbst schon mal gestohlen haben, denken sich: ,Wenn ich das beobachtet hätte, dann würde ich später zurückkommen und das Futter stehlen. Also sollte ich warten, bis der andere Vogel weg ist, und das Futter dann an einem Ort verstecken, den er nicht kennt.‘" Erfahrungsprojektion. Auch das eine ausgesprochen komplexe geistige Leistung. Die Vögel lernen nicht nur aus ihren Erfahrungen, sie sind in der Lage, die Perspektive zu wechseln und daraus Schlüsse für ihre eigenes Verhalten zu ziehen. "Das können nur wenige Tiere. Das ist weit davon entfernt von dem, was unsere Tauben zum Beispiel leisten. Ich will unsere Tauben nicht klein reden, aber hier ist einfach eine ganz andere Komplexität zugange."
Tauben: Mehr als nur "Vokabelpauker"
An der Ruhruniversität Bochum: Onur Güntürkün. Sein gesamtes Forscherleben widmete er den Tauben. Es gibt wohl niemanden, der mehr über sie weiß und über ihren Verstand. Seine Experimente haben selbst Biologen verblüfft. Schließlich galt das Vogelhirn dem Hirn der Säuger als prinzipiell unterlegen.
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An der Ruhruniversität Bochum haben die Forscher um Onur Güntürkün ihren Tauben schon vieles beigebracht. Für ein Paar Körner unterscheiden die Vögel menschliche Gesichter. Sie können sogar darauf trainiert werden, die Kunststile verschiedener Maler auseinander zu halten - und sie verstehen etwas von Zeit. Damit sind Tauben schon recht clevere Vögel, aber letztlich beherrschen sie nur die Vogelvariante des Vokabelpaukens.
Elstern und der Spiegeltest: Ein Zeichen von Selbstbewusstsein
Onur Güntürkün konfrontierte seine Elstern mit der ultimativen Herausforderung: mit einem Spiegel. "Was die Elstern tun ist, dass sie zunächst einmal hingehen und, ja ich will es mal anthropozentrisch ausdrücken, erstaunt sind, sie stehen vor diesem Spiegel und starren ihn an. Dann wackeln sie so ein bisschen hin und her, ein Tier hat angefangen, die Flügel auszuspreizen und mit den Flügeln ein bisschen so zu vibrieren, was es normalerweise nicht tut." Einige Elstern haben den Spiegel genau untersucht, einige wagten sogar einen Blick hinter den Spiegel. Ein ungewöhnliches Verhalten: Die meisten Tierarten betrachten ihr eigenes Abbild als fremden Artgenossen. Die Elstern aber erkennen, wie der Spiegel funktioniert.
Die Elster vor dem Spiegel versteht, dass die Elster im Spiegel ihr Abbild ist. Mit dem Spiegeltest versuchen Biologen abzuschätzen, ob Tiere über eine Art Selbstbewusstsein verfügen. Erfolg hatten sie bislang nur bei Schimpansen und Orang-Utans, bei Elefanten und Delphinen - und jetzt auch bei Elstern.
Dohlen: Kommunikation mit den Augen
Die Biologin Auguste von Bayern hat schon als Kind Dohlen im Schloss ihrer Eltern aufgezogen. Inzwischen ist aus der Verbundenheit mit den Vögeln ein Beruf geworden. An der Universität Oxford hat sie angefangen, die Intelligenz der Vögel zu erforschen.
Dohlen nehmen unter den Krähenvögeln eine Sonderstellung ein. Ihre Augen sind nicht einheitlich schwarz, sondern hellblau mit klar erkennbarer Pupille. Auch der Mensch hat ein helles Auge mit dunkler Pupille - ungewöhnlich für einen Primaten. Die dunklen Augen der anderen Affenarten verbergen, wohin sie blicken, bei Menschen ist es dagegen leicht zu erkennen. Das Auge kann Zeichen geben, es hilft, das komplizierte Miteinander zu koordinieren. Die Frage war: Haben die Augen der Dohlen eine ähnliche Funktion? Dohlenpaare sind tatsächlich in der Lage, verdeckt zu kommunizieren.
Die Werkzeugmacher von Neukaledonien: Neukaledonische Krähen
Steven Barlow von der Universität Oxford besucht seine Neukaledonischen Krähen. Diese Werkzeugmacher des Vogelreichs stammen von einer Insel in der Nähe Australiens.
Parallele Evolution von Intelligenz bei Vögeln und Säugetieren
Vögel sind klein, ihre Gehirne auch. Und ein Großhirn so wie Säugetiere können sie auch nicht aufweisen. Onur Güntürkün, Professor für Biopsychologie an der Ruhr-Universität Bochum: Nein das stimmt nicht, alle Wirbeltiere haben ein Großhirn und somit auch Vögel. Das Großhirn besteht aus dem Pallium (lat. Mantel) sowie subpallialen Strukturen wie zum Beispiel den Basalganglien. Bei uns Säugetieren bildet sich aus dem dorsalen Teil des Palliums der Cortex (lat. Großhirnrinde), der für die höheren kognitiven Leistungen zentral ist. Vögel haben auch ein Pallium und auch Basalganglien. Mittlerweile wissen wir, dass Vögel auch ein dorsales Pallium besitzen, das sich bei Säugern zum Cortex entwickelt. Doch bei den Vögeln entsteht daraus ein Teil des Großhirns, das sich vom Cortex der Säuger deutlich unterscheidet: Es besteht zwar aus denselben Arten von Zellen wie der Cortex im Säugergehirn, aber es ist nicht geschichtet. Während der Cortex der Säuger aus Schichten unterschiedlicher Arten von Neuronen aufgebaut und, etwa beim Menschen, stark gefaltet ist, ist diese Region des Cortex bei Vögeln in Zellhaufen organisiert. Vögel haben also durchaus ein Großhirn, aber sie haben keinen Cortex. Sie besitzen somit eine Hirnstruktur, die ein evolutionäres Homolog zum Cortex darstellt und dieselbe Funktion übernimmt. Die Vögel sind also keineswegs dümmer als die Säugetiere, weil sie diese geschichtete Struktur nicht besitzen. Ihr Gehirn ermöglicht ihnen ähnlich effiziente kognitive Verarbeitungsmechanismen wie bei Säugetieren. Dazu gehören etwa die erstaunlichen Navigationsleistungen mancher Vogelarten und die Fähigkeit, sich an Hunderte von abstrakten Symbolen zu erinnern und sogar logische Schlüsse zu ziehen. Durch die Forschung an Vögeln, vor allem an Tauben, wissen wir also, dass der Cortex der Säugetiere nur eine von verschiedenen Möglichkeiten ist, ein Gehirn so zu organisieren, dass höhere kognitive Leistungen möglich sind. Vielleicht gibt es noch andere, aber zurzeit wissen wir das nur von den Vögeln.
Vögel und Säugetiere haben gemessen an ihrer Körpergröße die größten Gehirne. Ansonsten hätten sie allerdings wenig gemeinsam, so die Überzeugung der Wissenschaft seit mehr als hundert Jahren: Säugetiergehirne verfügen über eine Hirnrinde, die aus sechs Schichten aufgebaut und senkrecht zu diesen Schichten in Säulen hochgradig geordnet ist. „Angesichts der erstaunlichen kognitiven Leistungen, die Vögel vollbringen können, lag der Verdacht allerdings nahe, dass ihr Gehirn organisierter aufgebaut ist als gedacht“, so Prof. Dr. Und tatsächlich, die Gehirne von Vögeln und Säugetieren sehen sich in ihrer Organisation überraschend ähnlich. In mehreren Experimenten gelang den Forschern um Dr. Christina Herold (C. u. O. Vogt Institut für Hirnforschung, HHU) und Dr. Martin Stacho (RUB) nun der Nachweis dafür.
Mit der Methode konnten die Forscher drei komplette Taubengehirne in einer Auflösung von 1,3 Millionstel Millimetern analysieren. Jeweils 250 hauchdünne Schnitte wurden dabei hochauflösend gescannt und in 3D rekonstruiert. „Das 3D-PLI trägt wesentlich zu einem tieferen Verständnis der Verbindungsstruktur des Gehirns bei und ermöglicht es, über die verschiedenen Spezies hinweg Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Struktur der Netzwerke der Neurone zu erfassen“, betont Prof. Da die 3D-PLI-Methode sehr rechenintensiv ist, nutzen die Forscher bei der Verarbeitung der Daten die Supercomputing-Plattform FENIX, zu der das Jülich Supercomputing Centre maßgeblich beiträgt. Weitere Tracing-Experimente in Bochum erlaubten es, die Vernetzung der Zellen im Vogelhirn genau zu untersuchen. Die Technik nutzt winzige Kristalle, welche sich bis in die kleinsten Verästelungen der Nervenzellen in Hirnschnitten ausbreiten. „Auch hierbei zeigte sich der Aufbau in Säulen, in denen Signale von oben nach unten und umgekehrt weitergeleitet werden, und horizontale lange Fasern“, erklärt Onur Güntürkün. Dieser Aufbau ist allerdings nur in den sensorischen Bereichen des Vogelgehirns vorzufinden.
Kopfgröße als Indikator für Intelligenz?
Bedeuten größere Köpfe auch größere Gehirne? In der Vergangenheit wurde die Kopfgröße als Indikator verwendet, um auf die Gehirngröße zu schließen. Dies scheint für einige Arten zu funktionieren - aber nicht für alle. Anhand einer Studie an Wachteln von Forschenden des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni und der Poznań Universität für Lebenswissenschaften, Polen, fand man heraus, dass die Kopfhöhe und nicht das Gesamtkopfvolumen ein besserer Indikator für die Gehirngröße sein könnte. Die Fähigkeit des Gehirns, kognitive Prozesse zu verarbeiten, hängt zumindest teilweise von der Masse des beteiligten Nervengewebes ab - je mehr Gewebe, desto mehr Informationen können verarbeitet werden. Tatsächlich finden Studien oft eine positive Beziehung zwischen Gehirngröße und kognitiver Leistung.
Die vier Innovationen für Intelligenz bei Vögeln
Mit ihrem Beitrag in Trends in Cognitive Science kommen Prof. Dr. Onur Güntürkün, Dr. Roland Pusch und Prof. Dr. Die Autoren der Studie zeigen, dass Vögel in ihrer Evolution unabhängig von den Säugetieren vier ähnliche Innovationen für Intelligenz entwickelt haben.
- Hohe Neuronendichte: Erstens besitzen Vögel in ihren kleinen Gehirnen sehr viel mehr Nervenzellen als vermutet. Vor allem Rabenvögel bringen diese extra Portion an Rechenkapazität in den kognitiv wichtigsten Bereichen des Gehirns unter.
- Spezialisierte Hirnstruktur: Zweitens haben Vögel eine spezialisierte Hirnstruktur, die dem präfrontalen Kortex bei Säugern ähnelt und für Abstraktion und Planung wichtig ist. Diese Hirnregion ist bei intelligenten Vögeln und Säugern zudem besonders groß.
- Dopamin-System: Drittens verfügen Vögel und Säugetiere über ein System, mit dem mittels des Neurotransmitters Dopamin die Güte ihrer Entscheidungen dem präfrontalen System ständig rückgemeldet wird. Dadurch passen sich die präfrontalen Rechenprozesse ununterbrochen den sich ändernden Situationen und dem Erfolg oder Misserfolg der eigenen Entscheidungen an.
- Arbeitsgedächtnis: Viertens haben Vögel unabhängig von den Säugetieren ein sehr ähnliches Arbeitsgedächtnis entwickelt, mit dem sie sich kurzfristig einige Dinge merken können.
All diese neuronalen Merkmale scheinen sich beim Vogel und Säuger evolutionsbiologisch parallel und unabhängig voneinander entwickelt zu haben. Darum spricht viel für die Annahme, dass sie zu den grundlegenden Hirnmechanismen gehören, die kognitive Leistungen ermöglichen.
Warum Vögel schlau sind: Neuronendichte und assoziative Neuronen
Studien konnten zeigen, dass es nicht auf die Größe und Masse des Gehirns ankommt, sondern auf die Dichte der Gehirnzellen (Neuronen). Krähen haben in ihrem Pallium in etwa 62% ihrer Neuronen, während ein Schimpanse in seinem Präfrontalcortex in etwa nur 19% seiner Neuronen hat. Krähen haben außerdem im Vergleich zu den einfacheren Arten (Tauben, Hühner, Strauße) mehr als doppelt so viele Neuronen in ihrem Pallium. Tatsächlichen hat das Gehirn von Vögeln auf gleicher Masse durchweg mehr Neuronen als das von Säugetieren. Der Vogel Strauß hat das größte Gehirn aller Vogelarten, gehört hingegen aber nicht zu den intelligentesten Vogelarten, weil er weniger Neuronen im Pallium hat, was zeigt, dass es schlussendlich nicht auf die Größe selbst ankommt. Die hohe Anzahl an Neuronen verbraucht gleichzeitig auch weniger Energie als bei Säugetieren. Das kann die geringere Größe ihrer Gehirne kompensieren und im „Kosten-Nutzen Verhältnis“ schneiden ihre Gehirne besser ab als die von Säugetieren.
Für erfahrungsbasiertes, flexibles Denken sind die sogenannten assoziativen Neuronen, die die sensorischen und motoirischen Gehirnareale verbinden, besonders wichtig. Intelligente Vogelarten unterscheiden sich von simpleren Vogelarten besonders in ihrer Anzahl an assoziativen Neuronen, deren Anzahl in etwa der der gleich intelligenten Primatenarten entsprach. Daraus ziehen Professor Güntürkün und seine Kolleginnen und Kollegen den ersten relevanten Schluss, der das neuronale Funktionieren höherer Kognitionen erklärt: Je mehr assoziative Neuronen, desto intelligenter die Spezies/das Tier.
Evolutionäre Perspektive: Topologische Integration und Kommunikation
Aus evolutionärer Perspektive kann ein Gehirn nur dann überleben, wenn relevante Bereiche gut verbunden sind, Informationen topologisch integriert werden können und wenn verschiedene Systeme miteinander kommunizieren können. Es ist also logisch anzunehmen, dass sich die neuronalen Verbindungen innerhalb der Gehirne von Vögeln und Säugetieren ähneln müssen. Dies konnte bestätigt werden: Das Gehirn von Vögeln ist nicht, wie vorher angenommen, komplett unstrukturiert. Bildgebende Verfahren konnten zeigen, dass sensorische Areale des Palliums ähnlich vernetzt und organisiert sind wie Areale des Neocortex, und dass diese im Pallium sehr weit verbreitet sind. Sie zeigen ähnliche Verbindungen, zelluläre Mechanismen, neurochemische Prozesse und Funktionen wie der Neocortex. Es braucht also keinen eigenen Präfrontalcortex für höhere Kognition.
Die Rolle von Dopamin und des Arbeitsgedächtnisses
Damit wir Verhalten, das dem Überleben des Organismus beiträgt, erlernen und häufiger zeigen können, was zentral ist, braucht das Gehirn den Botenstoff Dopamin. Dopamin verstärkt Verhalten, indem es den Organismus belohnt und für Glücksgefühle sorgt. Das Pallium der Vögel ist, ebenso wie der Neocortex der Säugetiere, eng mit Dopamin gekoppelt.
Schließlich berichten Professor Güntürkün und Kolleginnen und Kollegen von den Grundlagen des Arbeitsgedächtnisses. Das Arbeitsgedächtnis ist eine wichtige Grundlage für eine Vielzahl an höheren kognitiven Fertigkeiten. Es hält eine begrenzte Anzahl an Informationen und kann diese für weitere Anforderungen bearbeiten. Im Menschen ist das Arbeitsgedächtnis eine Funktion des Präfrontalcortex. In Vögeln können Aktivierungsmuster einzelnen Zellen, die typisch für das Arbeitsgedächtnis sind, in einem Bereich des Palliums gefunden werden. Vögel haben also auch hier in Abwesenheit eines Neocortex die für höhere Kognition erforderlichen Fähigkeit entwickelt und die Kapazität ihres Arbeitsgedächtnisses ähnelt der von Säugetieren.