Handfunktionsstörungen in der Neurologie umfassen ein breites Spektrum von Beeinträchtigungen, die durch Schädigungen des Nervensystems verursacht werden. Diese Störungen können die Feinmotorik, die Kraft und die Sensibilität der Hand beeinträchtigen und somit die Fähigkeit, alltägliche Aufgaben auszuführen, erheblich einschränken. Der Begriff Schlaganfall ist ein Oberbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen. Heutzutage wird der Begriff detaillierter beschrieben, indem von einem Hirninfarkt oder einer Hirnblutung gesprochen wird. Bei einem Hirninfarkt werden Teile des Gehirns nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt und es kommt zu verschiedenen Ausfällen. Diese treten ebenso bei einer Hirnblutung auf, allerdings ist hier die Ursache in einem verletzten Gefäß zu sehen, welches in das Gehirn einblutet. Die Ausfälle können sowohl sensibel, als auch motorisch sein. Zudem können die Sprache, die räumliche Wahrnehmung und/ oder kognitive Leistungen beeinträchtigt sein.
Ursachen von Handfunktionsstörungen
Handfunktionsstörungen können vielfältige Ursachen haben, die sich grob in zentrale und periphere Ursachen einteilen lassen.
Zentrale Ursachen
Zentrale Ursachen liegen im Gehirn oder Rückenmark. Bei zentralen Ursachen zeigt sich häufig eine Kombination aus inkompletten (Paresen) und kompletten Lähmungen (Plegien) einzelner Muskeln. Zu den häufigsten zentralen Ursachen gehören:
- Schlaganfall: Der Schlaganfall ist in Europa und den USA die häufigste Ursache für eine körperliche Behinderung. In Deutschland erleiden jährlich etwa 150.000 Menschen einen Schlaganfall. Ein Schlaganfall, sei es durch einen Hirninfarkt oder eine Hirnblutung, kann die motorischen Bahnen im Gehirn schädigen, die für die Steuerung der Handbewegungen verantwortlich sind. In einer Studie wurden Patienten mit einer magnetischen Hirnstimulation behandelt Köln, den 30. Juli 2008. Wissenschaftler der Neurologischen Klinik der Uniklinik Köln und des Forschungs-zentrum Jülich, Kognitive Neurologie, konnten die Funktion der nach einem Schlaganfall betroffenen Hand mittels einer magnetischen Hirnstimulation verbessern. Die Methode normalisiert das nach einem Schlaganfall gestörte Zusammenspiel zwischen den beiden Hirnhälften und unterstützt die Erholung von Handfunktionsstörungen.
- Multiple Sklerose (MS): MS ist eineAutoimmunerkrankung, die das zentrale Nervensystem betrifft und zuEntzündungen und Schädigungen der Nervenfasern führen kann. Dies kann sich inForm von Schwäche, Koordinationsstörungen undSensibilitätsverlust in den Händen äußern.
- Infantile Zerebralparese (ICP): ICP ist eine Gruppe von Bewegungsstörungen, die durch Schädigungen des Gehirns vor, während oder kurz nach der Geburt verursacht werden. Handfunktionsstörungen sind häufige Symptome bei Kindern mit ICP.
- Schädel-Hirn-Trauma (SHT): Ein SHT kann zu direkten Schädigungen der Hirnareale führen, die für die Handfunktion zuständig sind, oder indirekt durch dieEntwicklung von Ödemen oder Blutungen.
- Querschnittslähmung: Eine Schädigung des Rückenmarks kann zu einer Lähmung der Arme und Hände führen, abhängig von der Höhe der Schädigung.
- Tumore: Tumore im Gehirn oder Rückenmark können Druck auf die Nervenbahnen ausüben und so Handfunktionsstörungen verursachen.
Bei zentralen Paresen befindet sich die gelähmte Muskulatur immer auf der Gegenseite zur Gehirnschädigung.
Periphere Ursachen
Periphere Ursachen liegen außerhalb des Gehirns und Rückenmarks, d.h. in den Nerven, die die Muskeln der Hand versorgen. Bei einer peripheren Parese ist der Nerv in seinem Verlauf in Armen oder Beinen geschädigt. Periphere Paresen können einen oder mehrere Nerven betreffen. Eine Schädigung mehrerer Nerven im Bereich des Nervengeflechts bezeichnet man als Plexusparese. Man unterscheidet eine Armplexusparese (Plexus brachialis) und eine Beinplexusparese (Plexus lumbalis).
Lesen Sie auch: Neurologie vs. Psychiatrie
- Karpaltunnelsyndrom: Das Karpaltunnelsyndrom ist eine häufige Erkrankung, bei der der Nervus medianus im Handgelenk eingeklemmt wird. Dies kann zu Schmerzen, Taubheit und Schwäche in der Hand führen.
- Ulnarisrinnensyndrom: Hierbei wird der Nervus ulnaris am Ellbogen eingeklemmt, was zu Sensibilitätsstörungen und Schwäche im Klein- und Ringfinger führen kann.
- Periphere Neuropathie: Periphere Neuropathien sind Erkrankungen, die die peripheren Nerven schädigen können. Diabetes mellitus, Alkoholmissbrauch, Vitaminmangel undAutoimmunerkrankungen können periphere Neuropathien verursachen.
- Nervenverletzungen: Verletzungen der Nerven in Arm oder Hand, z.B. durch Schnitte, Brüche oder Quetschungen, können zu Handfunktionsstörungen führen.
- Bandscheibenvorfall: Druckschäden werden häufig durch Tumore oder Bandscheibenvorfälle verursacht, durch die die Reizweiterleitung über den Spinalkanal (Wirbelkanal) eingeschränkt wird.
Bei peripheren Lähmungen ist die Parese immer gleichseitig zur Schädigung.
Formen der Parese
Je nach Ausprägung und Lokalisation der Schädigung werden verschiedene Formen der Parese unterschieden:
- Monoparese: Die inkomplette Lähmung betrifft nur eine Extremität, z.B. den Arm.
- Paraparese: Beide Beine sind von der Lähmung betroffen, Arme sind nicht betroffen.
- Hemiparese: Arm und Bein einer Seite sind inkomplett gelähmt.
- Tetraparese: Eine inkomplette Lähmung aller vier Gliedmaßen (Arme und Beine) sowie eine gestörte Rumpf- und Kopfkontrolle sind vorhanden.
Eine vollständige Lähmung wird als Plegie bezeichnet. Die Ursache liegt in einer Schädigung des zuleitenden motorischen Nervs.
Diagnose von Handfunktionsstörungen
Die Diagnose von Handfunktionsstörungen umfasst in der Regel eine umfassende neurologische Untersuchung, bildgebende Verfahren und elektrophysiologischeTests. Die Diagnose einer Parese erfolgt durch eine klinische Untersuchung, bildgebende Verfahren und optional durch spezielle Zusatzuntersuchungen.
Klinische Untersuchung
Der Arzt wird die Kraft, Sensibilität, Koordination und Reflexe der Hand untersuchen. Aus diesem Grund werden zur klinischen Klassifizierung der verschiedenen Lähmungsgrade diverse Skalen zur Bewertung der Muskelkraft herangezogen. Ein häufig verwendetes Instrument ist der „Medical Research Council“ (MRC). Hierbei werden pro Muskel bzw. Bewegung Punkte von 0 bis 5 vergeben. 5 steht hierbei für normale Kraftentfaltung gegen vollen Widerstand.
Lesen Sie auch: Expertise in Neurologie: Universitätsklinik Heidelberg
Bildgebende Verfahren
Auf eine zentrale Schädigung können Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) Aufschluss geben. Mittels CT oder MRT könnenGehirn und Rückenmark dargestellt werden, um Schädigungen wie Schlaganfälle, Tumore oderEntzündungen zu identifizieren.
Elektrophysiologische Tests
Durch Elektromyographie (EMG) und Elektroneurographie (ENG/NLG) können Nervenleitgeschwindigkeit und Muskel genauer untersucht werden. Sie können bei der Ursachenfindung eine wichtige Rolle spielen. Diese Tests messen die elektrische Aktivität der Muskeln und Nerven und können helfen, die Lokalisation und den Schweregrad der Nervenschädigung zu bestimmen.
Therapie von Handfunktionsstörungen
Die Therapie von Handfunktionsstörungen richtet sich nach der Ursache und dem Schweregrad der Störung. Ziel der Therapie ist es, die Handfunktion zu verbessern, Schmerzen zu lindern und dieSelbstständigkeit des Patienten im Alltag zu fördern.
Konservative Therapie
- Physiotherapie: Physiotherapie ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von Handfunktionsstörungen. Durch gezielte Übungen können Kraft, Koordination und Beweglichkeit der Hand verbessert werden. Bei zentralen Paresen, wie nach Schlaganfall oder Schädelhirntrauma, erfolgt die Rehabilitation angepasst an die Ziele des Patienten nach den Prinzipien des motorischen Lernens. Dabei werden spezifische Handlungen, wie Greifen oder Gehen, die durch die Parese eingeschränkt sind, trainiert (Hauptmann & Müller 2011). Es wird empfohlen, auf die empfohlene Therapiedichte von 5 Übungseinheiten zu je 30-45 Minuten wöchentlich zu kommen (Platz 2011).
- Ergotherapie: Ergotherapie hilft Patienten, ihreHandfunktion im Alltag zu verbessern. Ergotherapeuten könnenHilfsmittel anpassen oder entwickeln, um alltägliche Aufgaben zu erleichtern.
- Schmerztherapie: Schmerzen können ein großesProblem bei Handfunktionsstörungen sein. Medikamente,Injektionen oder alternative Therapien wie Akupunktur können helfen, Schmerzen zu lindern.
- Funktionelle Elektrostimulation (FES): Die funktionelle Elektrostimulation kann ausgezeichnet mit Aktivitäten des täglichen Lebens kombiniert werden. FES kann eingesetzt werden, um gelähmte Muskeln zu aktivieren und dieHandfunktion zu verbessern. Ist der periphere Nerv geschädigt, der Muskel also teils denerviert, ist eine Kombination aus aktiven Übungen und elektrischer Stimulation sinnvoll. Dies kann helfen, die Muskelkraft zu erhalten und somit eine Atrophie/Abbau der vom Nerv nicht mehr versorgten Muskelanteile verhindern (Kern et al. 2010) und die Regeneration der Nerven fördern (Gordon et al. Gordon, T., & English, A. W. (2016). Strategies to promote peripheral nerve regeneration: electrical stimulation and/or exercise. European Journal of Neuroscience, 43(3), 336-350.
- Spiegeltherapie: In jüngster Zeit sind eine Reihe von hochqualitativen randomisierten, kontrollierten Studien entstanden, die den Effekt der Spiegeltherapie auf Symptome nach Schlaganfall zeigen. Als gesichert gilt, dass die Anwendung der Spiegeltherapie zu einer Verbesserung motorischer Funktionen nach Schlaganfall führt. Darüber hinaus gibt es Arbeiten, die zeigen, dass sich die sensible Wahrnehmung oder ein eventuell vorliegender Neglect verbessern. Bei der Spiegeltherapie wird die betroffene Extremität, in einer schmerzfreien Position, hinter dem Spiegel gelagert. Die Bewegungen werden mit der gesunden Extremität ausgeführt. Dies ist der entscheidende Vorteil der Spiegeltherapie. Erste Untersuchungen zur Therapie des komplexen regionalen Schmerzsydroms mit dem Spiegel unternahmen McCabe und ihre Mitarbeiter 2003 in England. Ähnliche Resultate konnten Moseley et al. 2004 in einer radomisierten kontrollierten Studie nachweisen, wobei er die Spiegeltherapie als ein Element seines „Mental Imagery Programs“ (MIP) einsetzte.
Medikamentöse Therapie
- Schmerzmittel: Schmerzmittel können helfen, Schmerzen zu lindern, die durch Handfunktionsstörungen verursacht werden.
- Muskelrelaxantien: Muskelrelaxantien können beiSpastik eingesetzt werden, um die Muskelspannung zu reduzieren.
- Botulinumtoxin: Botulinumtoxin kann in die betroffenen Muskeln injiziert werden, um die Muskelspannung zu reduzieren und dieHandfunktion zu verbessern.
Operative Therapie
- Nervenrekonstruktion: Bei Nervenverletzungen kann eine operative Rekonstruktion der Nerven erforderlich sein, um dieHandfunktion wiederherzustellen.
- Dekompression von Nerven: BeiEngpasssyndromen wie dem Karpaltunnelsyndrom kann eine operative Dekompression des Nervs erforderlich sein, um den Druck auf den Nerv zuentlasten.
Innovative Therapieansätze
- Repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS): Die Neurologen aus Köln und Jülich um Priv.- Doz. Dr. Dennis Nowak, Oberarzt der Neurologischen Klinik der Uniklinik Köln, untersuchten Patienten mit einem erstmaligen Schlaganfall mithilfe einer computerbasierten Bewegungsanalyse und der funktionellen Kernspintomographie. Es zeigte sich, dass die Patienten eine verstärkte Hemmung der motorischen Hirnrinde der vom Schlaganfall betroffenen Hirnhälfte, die für die Steuerung der gelähmten Hand zuständig ist, aufweisen. In einer Studie wurden Patienten mit einer magnetischen Hirnstimulation behandelt (repetitive transkranielle Magnetstimulation, rTMS). Dabei wurden ihnen in einer zehn-minütigen Sitzung zwei kreisrunde Spulen am Kopf platziert. Diese senden starke, aber sehr kurze Magnetpulse direkt in bestimmte Hirnregionen. Auf diese Weise erzeugen sie in den neuronalen Schaltkreisen schmerzfrei winzige elektrische Ströme. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass die Hemmung der motorischen Hirnrinde der gesunden Hirnhälfte mittels einer magnetischen Hirnstimulation das Zusammenspiel zwischen den beiden Hirnhälften wieder normalisiert und die Funktion der gelähmten Hand sich dadurch verbessert. Die Methode eröffnet neue Wege in der Behandlung von motorischen und anderen Störungen nach einem Schlaganfall. DieUntersuchungen wurden kürzlich in der international renommierten Fachzeitschrift "Archives of Neurology" publiziert (Nowak DA, Grefkes C, Dafotakis M, Eickhoff S, Küst J, Karbe H, Fink GR. Effects of low-frequency repetitive transcranial magnetic stimulation of the contralesional primary motor cortex on movement kinematics and neural activity in subcortical stroke. Arch Neurol 2008 Jun;65(6):741-7). Aufgrund des Erfolges der Behandlung läuft nun eine Folgestudie, welche die Auswirkungen einer über drei Wochen erfolgenden täglichen Behandlung mit magnetischer Hirnstimulation während der Rehabilitationsphase untersucht.
Verlauf und Heilungschancen
Kann die Ursache der Nervenschädigung nicht behoben werden, kommt es durch die fortdauernde Lähmung meist zum Abbau von Muskelmasse (Atrophie). Dies kann zu einer Veränderung der Muskelfasern und zu vermehrten Fetteinlagerungen kommen. Das Ausmaß der Atrophie und der Fibrosierung geht mit dem Schweregrad der Lähmung einher. Abhängig vom Ausmaß der Parese tritt bei zentralen Schädigungen aufgrund der fehlenden Kontrolle durch das Gehirn im Rückenmark im Verlauf zusätzlich eine Spastik (erhöhte Muskelspannung) auf. So spricht man bei Multipler Sklerose oder Schlaganfall häufig von einer spastischen Parese. Je stärker die Parese, desto stärker die Spastik. In der Regel verbessern sich die aufgetretenen Symptome durch Selbstheilungsprozesse im Körper (Spontanremission) und Training. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Akutkrankenhaus beträgt ca. 2 Wochen. Auch hier muss jeder Mensch individuell betrachtet werden. Junge Menschen ohne Restsymptomatik tendieren bei behandelter Ursache und behobenen Risikofaktoren zu einer guten Prognose. Diese verschlechtert sich, wenn die Ursache nicht behoben wird und/oder die Risikofaktoren nicht behandelt werden. Durch den steigenden medizinischen Standard nimmt die Sterblichkeitsrate über die Jahre gesehen im Allgemeinen jedoch ab (Feigin et al. A., Fisher, M., Macleod, M., Davis, S. M. (2008). Stroke. (9624), 1612-1623.
Lesen Sie auch: Aktuelle Informationen zur Neurologie in Salzgitter
tags: #Handfunktionsstörungen #in #der #Neurologie #Ursachen