Neurologie und Psychiatrie: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Die medizinischen Fachgebiete Neurologie und Psychiatrie sind eng miteinander verbunden, aber dennoch eigenständig. Ursprünglich in Deutschland unter dem Begriff "Nervenheilkunde" zusammengefasst, haben sie sich im Laufe der Zeit zu zwei separaten Disziplinen entwickelt. Dieser Artikel beleuchtet die Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser beiden wichtigen Fachgebiete, um ein besseres Verständnis ihrer jeweiligen Schwerpunkte und Behandlungsmethoden zu ermöglichen.

Historische Entwicklung und aktuelle Situation

Die "Nervenheilkunde" umfasste in Deutschland lange Zeit sowohl neurologische als auch psychiatrische Aspekte. Heute sind Neurologie und Psychiatrie eigenständige Fachgebiete, obwohl es weiterhin Überschneidungen gibt. Der "Nervenarzt" ist in Deutschland ein Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, der beide Bereiche abdeckt. Im Klinikbereich sind beide Fächer heute selbstständig vertreten, während im niedergelassenen Bereich noch viele nervenärztliche Praxen existieren, die beide Fachgebiete repräsentieren. Dies liegt daran, dass viele organische Nervenkrankheiten mit psychischen Störungen einhergehen und umgekehrt.

Definition und Aufgabenbereiche der Neurologie

Die Neurologie ist das medizinische Fachgebiet, das sich mit dem Aufbau, der Funktion und den Erkrankungen des Nervensystems befasst. Das Nervensystem besteht aus dem zentralen Nervensystem (ZNS), zu dem Gehirn und Rückenmark gehören, sowie dem peripheren Nervensystem (PNS), das die peripheren Nerven, Nervenwurzeln und Nervengeflechte umfasst. Auch das vegetative Nervensystem, das die inneren Organe und unbewussten Körperfunktionen reguliert, sowie die Muskeln gehören zum Teil in das Fachgebiet der Neurologie, da Muskeln und Nerven eine untrennbare Einheit bilden.

Ein Neurologe ist daher ein Facharzt, der auf die Erkennung und Behandlung von Erkrankungen des Gehirns, der Sinnesorgane, des Rückenmarks, der peripheren Nerven einschließlich der Nervenwurzeln und der Muskeln spezialisiert ist.

Behandlungsschwerpunkte in der Neurologie

Die Neurologie befasst sich mit einer Vielzahl von Erkrankungen des Nervensystems, darunter:

Lesen Sie auch: Bewertungsanalyse: Dr. Karl-Martin Fischer's Praxis in Heide

  • Vaskuläre Neurologie: Durchblutungsstörungen des Gehirns, die beispielsweise zu einem Schlaganfall führen können.
  • Neuroimmunologie: Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie Multiple Sklerose oder andere Autoimmunerkrankungen.
  • Infektiöse Erkrankungen: Bakterielle oder virale Infektionen, die Entzündungen des Gehirns und der Hirnhäute verursachen können.
  • Degenerative Erkrankungen: Krankheiten wie Parkinson oder Demenzerkrankungen.
  • Neurotraumatologie: Diagnostik und Folgen von Schädel-Hirn-Traumen oder Verletzungen des Rückenmarks und der peripheren Nerven.
  • Epilepsie: Funktionsstörungen der hirnelektrischen Aktivität des Gehirns, die sich in Anfällen äußern.
  • Neurologische Schmerzerkrankungen: Kopf- und Gesichtsschmerzen, Neuralgien oder Nervenkompressionen, beispielsweise als Folge von Bandscheibenvorfällen.
  • Neuroonkologie: Tumorerkrankungen des Nervensystems.
  • Neuropsychologie/Kognitive Neurologie: Diagnostik und Therapie von kognitiven Beeinträchtigungen.
  • Neurootologie: Schwindelkrankheiten mit neurologischen Ursachen.
  • Neuroophthalmologie: Neurologische Krankheiten der Sehnerven, des sehverarbeitenden Teils des Gehirns und der Augenmuskeln.

Diagnostik in der Neurologie

Grundlage für die präzise Erkennung und Behandlung neurologischer Störungen ist eine moderne Diagnostik. Die wichtigsten diagnostischen Instrumente und Methoden, die in der Neurologie verwendet werden, sind:

  • Computertomografie (CT): Diese bildgebende Methode verwendet Röntgenstrahlen, um detaillierte Querschnittbilder des Körpers zu erstellen, was besonders nützlich ist, um Probleme im Gehirn und in der Wirbelsäule zu diagnostizieren.
  • Magnetresonanztomografie (MRI): MRI nutzt starke Magneten und Radiowellen, um detaillierte Bilder der Organe und Strukturen im Körper zu erzeugen, einschließlich des Gehirns und anderer Teile des Nervensystems.
  • Elektroenzephalogramm (EEG): Diese Methode zeichnet die elektrische Aktivität des Gehirns auf und wird häufig zur Diagnose von Epilepsie und anderen Gehirnstörungen verwendet.
  • Lumbalpunktion (Spinaltap): Hierbei wird eine Probe der Zerebrospinalflüssigkeit entnommen, um auf Infektionen, Blutungen oder andere neurologische Zustände zu testen.
  • Positronenemissionstomografie (PET): Diese nuklearmedizinische Bildgebungstechnik wird verwendet, um die zelluläre Funktion und den Metabolismus im Gehirn zu beobachten, was bei der Früherkennung von Krankheiten wie Alzheimer hilfreich sein kann.
  • Elektromyografie (EMG) und Nervenleitgeschwindigkeit (NCV): Diese Tests messen die elektrische Aktivität in Muskeln und Nerven, um neuromuskuläre Erkrankungen wie ALS zu diagnostizieren.
  • Duplexsonographie der hirnversorgenden Arterien: Eine Ultraschalltechnik, die verwendet wird, um den Blutfluss in den Arterien zu beurteilen und Störungen wie Verengungen oder Blockaden zu erkennen.
  • Arteriogramm (Angiogramm): Ein Röntgenbild der Arterien und Venen, das verwendet wird, um Verengungen oder Blockierungen in den Blutgefäßen zu identifizieren, insbesondere im Gehirn und Rückenmark.

Definition und Aufgabenbereiche der Psychiatrie

Psychiater sind Fachärzt*innen für Psychiatrie (und Psychotherapie). Sie haben also nach dem Medizinstudium noch einige Jahre Weiterbildung in der Psychiatrie und Psychotherapie sowie eine Facharztprüfung absolviert. Die Psychiatrie befasst sich im Wesentlichen mit affektiven Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, bipolaren Erkrankungen, Psychosen, Zwangsstörungen bis zu Begleitreaktionen nach lebenskritischen Ereignissen.

Diagnostik und Behandlung in der Psychiatrie

Niedergelassene Psychiater/innen in einer Praxis werden beim ersten Termin in der Regel eine ausführliche Anamnese machen, bei der die Biographie sowie die Krankengeschichte erhoben wird (wann haben welche Symptome begonnen und sich wie weiterentwickelt). Danach werden gegebenenfalls noch einige psychologische und/oder neurologische Tests gemacht, um andere Diagnosen auszuschließen. Sobald die Diagnose und Ursache klar ist, wird dies mit den Betroffenen besprochen und ein Behandlungsvorschlag gemacht.

Ist eine medikamentöse Behandlung notwendig, wird das Medikament in der Regel zunächst langsam aufdosiert. Wenn - was nicht selten vorkommt - ein Antidepressivum bzw. stimmungsstabilisierendes Medikament nicht den erwünschten Erfolg zeigt, wird nach einigen Wochen ein neuer Versuch mit einem anderen Wirkstoff gestartet. Sind die Medikamente gut eingestellt, erfolgt üblicherweise ein Besuch einmal pro Monat oder pro Quartal. Bei diesem Termin werden in der Regel die Blutwerte kontrolliert, die Frühwarnsignale sowie die Höhen und Tiefen seit dem letzten Termin erfragt. Liegt ein Stimmungstagebuch vor, wird dies besprochen. Eine Gesprächstherapie findet hier jedoch in der Regel nicht statt. Psychiater/innen können jedoch auch als ärztliche Psychotherapeut*innen arbeiten. Dann erfolgt nach Antragstellung bei der Krankenkasse ebenfalls eine Gesprächstherapie mit Terminen von meist einmal pro Woche über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren.

Psychologen und Psychotherapeuten

Psychologinnen haben mindestens 5 Jahre Psychologie an der Universität studiert. Während des Studiums wurden hier unter anderem Diagnostik und Grundlagen der Psychotherapie/Gesprächsführung gelernt. Psycholog/innen führen häufig die testpsychologische Diagnostik durch, geben Beratung oder führen therapeutische Gespräche. Psychotherapeut/innen sind Psychologinnen und machen nach dem Studium noch eine drei- bis fünfjährige Zusatzausbildung zu Psychologischen Psychotherapeutinnen. Im Rahmen dieser Ausbildung müssen sie mindestens ein Jahr in der Psychiatrie arbeiten, ein halbes Jahr in der Psychosomatik, 600 Theoriestunden sowie 600 Einzelpsychotherapiestunden unter Supervision absolvieren. Supervision bedeutet, dass die Therapeutinnen regelmäßig mit einem erfahrenen Therapeuten den Verlauf und die Probleme der Therapie besprechen. Dadurch wird auch bei Therapeutinnen in Ausbildung eine qualifizierte Therapie gewährleistet. In der Therapieausbildung müssen die Therapeutinnen einen Schwerpunkt wählen: Kognitive Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologisch Fundierte Psychotherapie, Psychoanalyse oder Systemische Therapie. Welche Therapieform für Sie die hilfreichste ist, kann in einem Erstgespräch ermittelt werden.

Lesen Sie auch: Demenz: Ein detaillierter Überblick

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Neurologinnen befassen sich im Allgemeinen eher mit körperlichen Störungen des Nervensystems und weniger mit seelischen Erkrankungen. Es gibt auch Fachärztinnen, die sowohl Neurologinnen als auch Psychiaterinnen sind - sie können also sowohl körperliche als auch seelische Erkrankungen behandeln. Medikamente können nur von Ärztinnen oder Ärzten verschrieben werden, also von PsychiateiInnen oder Neurologinnen. Psychologinnen ohne ärztliche Ausbildung haben dazu bisher keine Berechtigung. Nicht selten werden Betroffene von zwei Fachleuten betreut, meist Psychiaterin und Psycholog*in. Es erfolgt dann auf der einen Seite die medikamentöse und auf der anderen Seite die psychotherapeutische Seite der Therapie.

Zusammenfassung der Unterschiede

MerkmalNeurologiePsychiatrie
FokusKörperliche Störungen des Nervensystems (Gehirn, Rückenmark, Nerven)Seelische Erkrankungen (Depressionen, Angststörungen, Psychosen)
BehandlungMedikamentöse Therapie, physikalische Therapie, interventionelle VerfahrenMedikamentöse Therapie, Psychotherapie
DiagnostikBildgebende Verfahren (MRT, CT), EEG, EMG, NervenleitgeschwindigkeitAnamnese, psychologische Tests, neurologische Tests
Ärztliche BefugnisMedikamente verschreibenMedikamente verschreiben
ZusammenarbeitHäufige Zusammenarbeit mit Radiologen, Neurochirurgen, NeuropathologenHäufige Zusammenarbeit mit Psychologen, Psychotherapeuten
BeispielerkrankungenSchlaganfall, Multiple Sklerose, Parkinson, Epilepsie, Demenz, MigräneDepressionen, Angststörungen, Schizophrenie, bipolare Störungen, Zwangsstörungen, Essstörungen, Suchterkrankungen
SpezialisierungenSchlaganfallmedizin, neuromuskuläre Erkrankungen, Epileptologie, BewegungsstörungenSpezifische psychotherapeutische Verfahren (z.B. Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Therapie)

Gemeinsamkeiten

  • Beide Fachgebiete befassen sich mit Erkrankungen des Gehirns und des Nervensystems.
  • Es gibt Fachärzte, die sowohl Neurologe als auch Psychiater sind (Nervenärzte).
  • Beide Fachgebiete können medikamentöse Behandlungen einsetzen.
  • Eine enge Zusammenarbeit ist oft notwendig, da viele neurologische Erkrankungen auch psychische Auswirkungen haben können und umgekehrt.

Die Rolle des Hausarztes

Haben Menschen das Gefühl, ein psychisches Problem zu haben, wenden sie sich anfangs am besten an ihren Hausarzt oder einen Facharzt für Psychiatrie. Denn Symptome einer psychischen Störung können körperliche Ursachen haben - etwa bei einer Schilddrüsenerkrankung. Schließen Ärzte Umstände wie diese aus, kommt eine Psychotherapie infrage. Welcher Spezialist dann geeigneter ist - ob Psychiater oder Psychologe - hängt vom Einzelfall und der individuellen Situation der Betroffenen ab.

Sektorenübergreifende Versorgung

Wie wichtig eine sektorenübergreifende Versorgung ist, zeigt sich insbesondere bei schwerwiegenden Erkrankungen. So umfasste die Behandlung von 86 Prozent der MS-Patienten mindestens drei der folgenden Versorgungsbereiche: Hausarzt, Facharzt, Arzneimittel, stationär, Pflege und Rehabilitation. Gleiches gilt für je drei von vier Schizophrenie- und Demenzpatienten. Leistungen aus mindestens vier dieser Versorgungsbereiche erhielten 40 Prozent der Demenz-, 36 Prozent der MS- und 27 Prozent der Schizophreniepatienten.

Probleme und Herausforderungen

Eine Studie zeigt die Schwachstellen in der Versorgung von Menschen mit Multipler Sklerose, Demenz und Schizophrenie auf: Nach Erstdiagnose und Krankenhausaufenthalt dauert es teils sehr lange, bis die Patienten weiterbehandelt werden. Und: Die Versorgung variiert regional deutlich.

  • Lange Wartezeiten: Probleme bei einer vertragsärztlichen Versorgung nach der Erstdiagnose zeigten sich vor allem bei Demenzkranken: Nur einer von vier Patienten wurde innerhalb von sechs Wochen nach der Erstdiagnose von einem Neurologen, einem Nervenarzt oder einem Psychiater behandelt.
  • Regionale Unterschiede: Die Versorgung der Patienten in Deutschland ist regional sehr unterschiedlich.
  • Übergangsprobleme: Probleme gibt es auch beim Übergang aus dem stationären in den ambulanten Bereich. Etwa die Hälfte aller MS- und Schizophrenie-Patienten wurde vier Wochen nach einer Entlassung aus dem Krankenhaus, in dem sie aufgrund dieser Erkrankungen behandelt wurden, nicht von einer der drei untersuchten Facharztgruppen behandelt.

Berufliche Perspektiven in der Neurologie

Die Neurologie ist ein medizinisches Fachgebiet, das aufgrund der alternden Bevölkerung stetig wächst. Der steigende Anteil älterer Menschen führt zu einem erhöhten Bedarf an neurologischer Versorgung, da mit dem Alter häufig neurologische Erkrankungen wie Schlaganfälle, Demenz und Parkinson zunehmen. Dieser demographische Wandel erzeugt eine kontinuierliche Nachfrage nach spezialisierten Fachkräften sowohl in der stationären als auch in der ambulanten Versorgung.

Lesen Sie auch: Umfassende Pflegeausbildung im Bereich Neurologie/Psychiatrie

tags: #neurologie #und #psychiatrie #unterschiede