Anfang der neunziger Jahre war die Gentherapie mit großer Euphorie verbunden. Es schien, als gäbe es kaum eine Krankheit - von Krebs über Erbleiden bis hin zu Alzheimer und AIDS -, gegen die keine Gentherapie entwickelt werden könnte. Doch die anfängliche Begeisterung wich schnell der Ernüchterung, als Todesfälle und erfolglose Versuche die Gentherapie in eine Krise stürzten. Nun kehrt die Hoffnung langsam zurück, angetrieben durch verbesserte Verfahren und neue Vektoren, sogenannte Gentaxis oder Genfähren.
Vektoren als Transportmittel der Hoffnung
Das Hauptwerkzeug eines Gentherapeuten ist der Vektor, das Transportmittel, das heilende Gene präzise zu den Zellen des Patienten bringt. Diese Vektoren werden oft als Genfähren oder Gentaxis bezeichnet, doch diese Begriffe verschleiern ihre wahre Herkunft: Viren, die im Grunde Krankheitserreger sind. Der richtige Umgang und die richtige Auswahl sind entscheidend, wie der Gentherapie-Experte Inder Verma vom Salk-Institut in La Jolla, Kalifornien, betont.
Verma und seine Kollegen suchen nach einer Methode, um Gene effizient und ohne unerwünschte Folgen in möglichst viele Zellen einzuschleusen. Neben bereits existierenden Vektoren kommen nun neue, verbesserte Varianten hinzu. Ein vielversprechender Kandidat, der beim Gentherapeutentreffen in Langen für Aufsehen sorgte, ist der AIDS-Erreger HIV, der zu einem Lentivirus als Vektor weiterentwickelt wurde.
HIV als Gentaxi: Ein Hoffnungsträger mit Risiken
Lentiviren, zu denen auch HIV gehört, haben sich als effiziente Gentransporter erwiesen. Das HI-Virus dringt geschickt in Zellen ein und wird Teil von ihnen, um sie zu zerstören und das Immunsystem zu schwächen. Die Forscher wollen ein verändertes HI-Virus verwenden, das ebenso gut in Zellen eindringt, aber keine Krankheit auslöst.
Dazu wurden alle krankmachenden Gene aus dem HI-Virus entfernt, sodass nur ein Gerüst übrig bleibt, das mit neuen Inhalten gefüllt werden kann. Trotzdem bleibt ein Restrisiko, dass versteckte Eigenschaften des AIDS-Erregers erhalten geblieben sind oder das amputierte Virus seine krankmachenden Fähigkeiten zurückerlangen könnte. Verma betont jedoch, dass dieses Risiko sehr gering sei und als vertretbar gilt.
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Das Restrisiko wird durch die Tatsache minimiert, dass die Infektion außerhalb des Körpers stattfindet, da Blutstammzellen entnommen und genetisch verändert werden. Zudem ermöglicht die hohe Trefferquote der neuen Vektoren, dass weniger Zellen genetisch verändert werden müssen, was das Risiko der Krebsentstehung verringert. Klinische Studien können also beginnen, meint auch Klaus Cichutek vom Paul-Ehrlich-Institut in Langen, der für die Zulassung und Überprüfung von Gentherapien zuständig ist.
Erste Studien mit Lentiviren vielversprechend
In den USA läuft bereits eine Studie an HIV-Infizierten, bei der paradoxerweise dieser amputierte HI-Virus verwendet wird, um den Patienten HIV-hemmende Gene zu übertragen. Die Studie verläuft bisher einwandfrei, und die behandelten Patienten befinden sich in gutem Zustand.
Lentiviren als Vektoren eignen sich besonders für die Gentherapie von Blutstammzellen, aber auch für Nervenzellen. Daher stehen Parkinson und Alzheimer bereits auf der Wunschliste der Gentherapeuten. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Art der Genfähren auch bei anderen Krankheiten durchsetzen wird, so Klaus Cichutek.
Stammzelltherapie bei Parkinson: Hoffnung gegen Geld
Im XCell-Center gibt es Hoffnung gegen Geld: Bis zu 26.000 Euro müssen Parkinson-Patienten zahlen, damit ihnen Stammzellen aus dem Knochenmark entnommen und ins Gehirn gespritzt werden. Dies soll ihre Schüttellähmung lindern. Das Therapieprinzip ist vermeintlich einfach: Die transplantierten Zellen können sich in verschiedene Arten von Zellen verwandeln und beschädigtes Gewebe regenerieren.
Das XCell-Center präsentiert sich als medizinische Wunderwerkstatt, doch die Firma garantiert nicht, dass die Therapie funktioniert. Das Unternehmen weiß nach eigenen Angaben selbst nicht, was der Wirkmechanismus der eigenen Eingriffe ist. "Auf welchem Wege Knochenmarkstammzellen zur Heilung beitragen, ist noch nicht vollständig geklärt", steht auf der Web-Seite zu lesen. Dennoch boomt das Geschäft mit der Hoffnung, und mehr als 1600 Patienten haben sich seit 2007 einer Therapie unterzogen.
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Experten warnen vor unseriösen Therapiemethoden
Experten halten die Experimente des XCell-Centers am Menschen für fragwürdig und befürchten, dass ihre Forschung durch unseriöse Therapiemethoden in Misskredit gerät. Die DMSG rät von der Behandlung ab, da die Therapieeffekte wissenschaftlich nicht belegt und potenziell schwere Nebenwirkungen bekannt sind.
Für die Therapie entnehmen die Mediziner Stammzellen aus dem Knochenmark und schicken sie zur Aufbereitung in ein Labor. Dort werden die Zellen vom Plasma getrennt und auf Krankheitserreger überprüft. Sind genügend vitale Stammzellen vorhanden, spritzen die Ärzte diese zurück in den Körper des Patienten - in eine Vene, Arterie, das Nervenwasser oder per Operation mitten in das kranke Organ.
Das Unternehmen bietet Therapien für eine Vielzahl von Krankheiten an, darunter ALS, Alzheimer, Arthrose, Diabetes, Multiple Sklerose und Parkinson. Es setzt dabei sogenannte mesenchymale Stammzellen ein, die sich nach bisherigem Kenntnisstand unter anderem zu Fett-, Knorpel- und Knochenzellen entwickeln können, aber nicht zu Nervenzellen.
Unklarheiten und Bedenken
Es gibt viele Unklarheiten über die Wirkungsmechanismen der Stammzelltherapien, die das XCell-Center anbietet. Forscher hegen zudem ernsthafte Bedenken, dass die kaum erforschte Heilmethode für Patienten gefährlich werden könnte.
Das XCell-Center verteidigt sein Geschäftsmodell nachdrücklich und fordert von Kritikern Unterlassungserklärungen. Es ist jedoch kein Einzelfall, denn weltweit gibt es etwa 130 Kliniken, die ungeprüfte Stammzelltherapien anbieten. Eine Gesetzeslücke im deutschen Recht lässt den Machern freie Hand.
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Gesetzeslücke und fehlende Genehmigungen
Das XCell-Center brüstet sich damit, das weltweit erste private Institut mit einer offiziellen Genehmigung für die Entnahme von Knochenmark und die Freigabe des Stammzellpräparates zur autologen Anwendung zu sein. Die Bezirksregierung Köln hat dem Unternehmen die Genehmigung zur Entnahme und Freigabe von Zellen aus dem Knochenmark erteilt, aber nicht die Genehmigung zur Anwendung.
Nach europäischem Recht benötigt das Unternehmen erst ab 2012 eine Zulassung von der Europäischen Arzneimittelagentur. Um diese zu bekommen, müsste es belegen, dass seine angebotenen Therapien verträglich und wirksam sind und der Nutzen die Risiken überwiegt. Die Deutsche Parkinson-Gesellschaft glaubt, dass dies nicht der Fall ist.
Eine Gesetzesnovelle gibt dem XCell-Center nur noch bis Ende 2010 Zeit, Belege für Funktionalität und Risiken vorzulegen. Das Paul-Ehrlich-Institut muss dann entscheiden, ob eine Genehmigung erteilt werden kann. Die Ärztekammer Nordrhein könnte indes schon jetzt eingreifen, da ihr Berufsauftrag die missbräuchliche Ausnutzung des Vertrauens von Patienten verbietet.
Die Rolle des Paul-Ehrlich-Instituts
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen ist als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Es verbindet Forschung mit der Zulassung und Prüfung von biomedizinischen Arzneimitteln.
Das PEI hat in der Pandemie eine internationale Führungsrolle übernommen und maßgeblich zur schnellen Entwicklung und Produktion wirksamer und sicherer COVID-Impfstoffe beigetragen. Es ist auch für die Erfassung von Verdachtsfällen von Impfkomplikationen zuständig.