Stürze stellen einen bedeutenden klinischen Meilenstein im Verlauf der Parkinson-Krankheit (PD) dar, der oft unterschätzt wird. Im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen besteht ein dreifach erhöhtes Sturzrisiko, welches insbesondere im späteren Krankheitsstadium auftritt. Stürze sind häufig mit Frakturen, insbesondere des Femurhalses, sowie einer verminderten Lebensqualität von Patienten und Angehörigen verbunden.
Bedeutung von Stürzen bei Parkinson
Stürze sind nicht nur ein Symptom der Parkinson-Krankheit, sondern auch ein wichtiger Faktor, der die Lebensqualität und die Selbstständigkeit der Betroffenen erheblich beeinträchtigen kann. Die Angst vor Stürzen kann zu sozialer Isolation und einem Verlust an Lebensfreude führen. Daher ist es wichtig, die Ursachen und Risikofaktoren für Stürze bei Parkinson zu verstehen, um gezielte Präventionsmaßnahmen ergreifen zu können.
Ursachen und Risikofaktoren für Stürze bei Parkinson
Die Ursachen für Stürze bei Parkinson sind vielfältig und komplex. Sie lassen sich in motorische und nicht-motorische Faktoren unterteilen.
Motorische Faktoren
- Gangstörungen: Parkinson-Patienten leiden häufig unter Gangstörungen wie Verlangsamung der Schritte (Bradykinese), kleinschrittigem Gang (Mikrobasie), vermindertem Mitschwingen der Arme und Schwierigkeiten beim Starten und Stoppen von Bewegungen. Diese Gangstörungen erhöhen das Sturzrisiko erheblich.
- Freezing of Gait (FoG): Das sogenannte "Freezing" beschreibt plötzliche, kurzzeitige Blockaden der Bewegung, insbesondere beim Gehen. Diese Blockaden treten häufig beim Durchqueren von Engstellen, beim Drehen oder beim Erreichen eines Ziels auf und können zu Stürzen führen.
- Gleichgewichtsstörungen: Parkinson beeinträchtigt die Gleichgewichtsreflexe, was zu einer erhöhten Instabilität und Sturzneigung führt. Der Pull-Test, bei dem der Untersucher den Patienten von hinten an den Schultern zieht, kann zur Beurteilung der Gleichgewichtsreflexe herangezogen werden.
- Posturale Instabilität: Die Fähigkeit, den Körper aufrecht zu halten und das Gleichgewicht zu bewahren, ist bei Parkinson-Patienten oft beeinträchtigt. Dies führt zu einer vornübergebeugten Haltung und einer erhöhten Sturzgefahr.
- Rigor und Bradykinese: Muskelsteifigkeit (Rigor) und Bewegungsverlangsamung (Bradykinese) erschweren flüssige Bewegungen und erhöhen das Sturzrisiko.
Nicht-motorische Faktoren
- Kognitive Beeinträchtigungen: Aufmerksamkeitsstörungen, Verlangsamung des Denkens und Demenz können die Fähigkeit beeinträchtigen, potenzielle Gefahren zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.
- Sehstörungen: Visuelle Defizite können die Wahrnehmung von Hindernissen und räumlichen Beziehungen erschweren und somit das Sturzrisiko erhöhen.
- Medikamente: Einige Medikamente, insbesondere solche mit anticholinerger Wirkung, können Schwindel, Verwirrtheit und orthostatische Hypotonie verursachen und somit das Sturzrisiko erhöhen.
- Depressionen und Angst: Psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angst können die Motivation zur Bewegung verringern und die Sturzneigung erhöhen.
- Orthostatische Hypotonie: Ein plötzlicher Blutdruckabfall beim Aufstehen kann zu Schwindel und Ohnmacht führen und somit Stürze verursachen.
- Polyneuropathie: Schädigungen der peripheren Nerven, z. B. bei Diabetes mellitus, können zu Sensibilitätsstörungen in den Füßen und Beinen führen und somit die Gangsicherheit beeinträchtigen.
- Umweltfaktoren: Stolperfallen wie Teppiche, Kabel oder unebene Oberflächen erhöhen das Sturzrisiko erheblich.
Atypische Parkinson-Syndrome
Es ist wichtig zu beachten, dass Stürze auch bei atypischen Parkinson-Syndromen wie Multisystematrophie (MSA) und progressiver supranukleärer Blicklähmung (PSP) auftreten können. Bei PSP treten Stürze oft früh im Krankheitsverlauf auf und sind mit einer Schwäche der Blickhebung verbunden. Im Gegensatz zur klassischen Parkinson-Erkrankung sprechen diese atypischen Syndrome oft nur begrenzt auf Parkinson-Medikamente an.
Diagnostik von Gangstörungen und Sturzneigung
Die Diagnose von Gangstörungen und Sturzneigung bei Parkinson umfasst eine umfassende Anamnese, eine körperlich-neurologische Untersuchung und gegebenenfalls apparative Zusatzdiagnostik.
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- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte, einschließlich der Symptome, der Medikamenteneinnahme und der Sturzereignisse.
- Körperlich-neurologische Untersuchung: Beurteilung des Gangbildes, der Gleichgewichtsreflexe, der Muskelkraft, der Sensibilität und der kognitiven Funktionen. Der Pull-Test dient zur Prüfung der Gleichgewichtsreflexe.
- Apparative Zusatzdiagnostik: Bildgebende Verfahren wie MRT des Gehirns können zum Ausschluss anderer Erkrankungen wie Normaldruckhydrozephalus oder vaskuläres Parkinsonsyndrom eingesetzt werden. Der DAT-Scan kann zur Darstellung der Dopamin-Transportermoleküle im Gehirn verwendet werden.
Präventionsstrategien zur Vermeidung von Stürzen
Die Prävention von Stürzen bei Parkinson erfordert einen multidisziplinären Ansatz, der sowohl medizinische als auch therapeutische Maßnahmen umfasst.
Medikamentöse Therapie
EineOptimierung der Parkinson-Medikation kann helfen, motorische Symptome wie Bradykinese, Rigor und Tremor zu reduzieren und somit die Gangsicherheit zu verbessern. BeiFreezing of Gait kann eine Anpassung der Medikation oder der Einsatz zusätzlicher Medikamente erforderlich sein.
Physiotherapie
- Gangschulung: Verbesserung des Gangbildes durch gezielte Übungen zur Erhöhung der Schrittlänge, der Schrittfrequenz und des Armschwungs.
- Gleichgewichtstraining: Stärkung der Gleichgewichtsreflexe und Verbesserung der Körperhaltung durch Übungen zur Gewichtsverlagerung, zum Stehen auf instabilen Unterlagen und zur Reaktion auf Störungen des Gleichgewichts.
- Krafttraining: Stärkung der Muskeln in Beinen, Rumpf und Armen, um die Stabilität und die Kraft für Geh- und Gleichgewichtsaktivitäten zu verbessern.
- Cueing-Strategien: Erlernen von Techniken zur Überwindung von Freezing of Gait, z. B. durch visuelle oder akustische Reize.
- Münchner Anti Freezing Training (MAFT): Ein spezielles Trainingsprogramm zur Reduktion von Freezing-Episoden.
Ergotherapie
- Wohnraumanpassung: Beseitigung von Stolperfallen, Installation von Haltegriffen und Anpassung der Beleuchtung, um die Sicherheit in der häuslichen Umgebung zu erhöhen.
- Hilfsmittelversorgung: Anpassung von Gehhilfen wie Stöcken oder Rollatoren, um die Stabilität und die Sicherheit beim Gehen zu verbessern.
- Schulung im Umgang mit Hilfsmitteln: Erlernen des richtigen Gebrauchs von Hilfsmitteln, um Stürze zu vermeiden.
Weitere Maßnahmen
- RegelmäßigeAugenuntersuchungen: Korrektur von Sehfehlern, um die Wahrnehmung von Hindernissen zu verbessern.
- Behandlung vonBegleiterkrankungen: Behandlung von Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Polyneuropathie oder orthostatische Hypotonie, die das Sturzrisiko erhöhen können.
- Ernährungsberatung: Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung mit Vitamin D und Kalzium, um das Risiko von Osteoporose und Frakturen zu verringern.
- PsychologischeBetreuung: Unterstützung bei Depressionen, Angstzuständen oder sozialer Isolation, die die Sturzneigung erhöhen können.
- Tai Chi undTanzen: Diese Aktivitäten können die Balance, Koordination und Flexibilität verbessern und somit das Sturzrisiko reduzieren.
- Argentine Tango: Eine systematische Überprüfung und Meta-Analyse deutet darauf hin, dass Argentine Tango positive Auswirkungen auf die Verbesserung der Gleichgewichtsstabilität haben kann.
Technische Hilfsmittel
- Baiobit-Test: Die Verwendung von tragbaren Systemen zur Beurteilung des Gleichgewichts und der Mobilität kann dazu beitragen, das Sturzrisiko zu erkennen und die Wirksamkeit von Rehabilitationsmaßnahmen zu überwachen.
- Spezielle (Anti-Freezing-)Gehstöcke: Diese Gehstöcke verfügen über eine ausklappbare horizontale Barriere am unteren Ende, über die der Patient steigen muss, um das Freezing zu überwinden.
Besonderheiten im fortgeschrittenen Stadium der Parkinson-Krankheit
Im fortgeschrittenen Stadium der Parkinson-Krankheit treten häufig Symptome in den Vordergrund, die nicht mehr so gut auf Parkinson-Medikamente ansprechen. Dazu gehören eine stärker vorgebeugte Haltung, Gehblockaden, Haltungsinstabilität, Sprechstörungen, Schluckprobleme und kognitive Veränderungen. In dieser Phase ist es besonders wichtig, die Therapieziele anzupassen und den Fokus auf die Erhaltung der Lebensqualität und die Vermeidung von Komplikationen zu legen.
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