Die vaskuläre Demenz stellt nach der Alzheimer-Demenz die zweithäufigste Form der Demenzerkrankungen dar. Sie betrifft schätzungsweise 0,3 Prozent der Bevölkerung und entsteht durch Durchblutungsstörungen im Gehirn. Diese Störungen können vielfältige Ursachen haben, darunter Ablagerungen in Blutgefäßen, Blutgerinnsel oder Hirnblutungen, auch in kleinerem Umfang. Die Folge ist eine unzureichende Sauerstoffversorgung bestimmter Hirnareale, die zu Schädigungen oder dem Absterben von Hirnzellen führen kann. Ein beeinträchtigtes Herz-Kreislaufsystem erhöht das Risiko für die Entwicklung einer vaskulären Demenz.
Symptome und Diagnose der vaskulären Demenz
Zu Beginn der Erkrankung können sich vor allem Probleme mit der Aufmerksamkeit, verlangsamtes Denken und Persönlichkeitsveränderungen zeigen. Gangstörungen, Kontrollverluste der Blase sowie Sprachprobleme können ebenfalls auftreten. Gedächtnisstörungen sind zwar möglich, stehen aber nicht immer im Vordergrund.
Die Diagnose beginnt mit der Erfassung der Symptome und ihres Verlaufs. Dies kann bereits erste Hinweise auf eine vaskuläre Demenz geben. Um die Diagnose zu bestätigen, werden das Herz-Kreislauf-System und neurologische Funktionen, wie der Gleichgewichtssinn, untersucht. Blutuntersuchungen können Aufschluss über Risikofaktoren für Durchblutungsstörungen geben.
Behandlung von Durchblutungsstörungen und Risikofaktoren
Durchblutungsstörungen im Gehirn können medikamentös behandelt werden, ebenso wie bestimmte Risikofaktoren, wie beispielsweise Bluthochdruck.
Das erhöhte Sturzrisiko bei Demenz
Menschen mit Demenz, einschließlich der vaskulären Demenz, haben ein deutlich erhöhtes Sturzrisiko. Studien zeigen, dass Demenzkranke ein rund 20-mal höheres Sturzrisiko haben als gesunde Gleichaltrige. Als Hauptrisikofaktoren gelten Muskelschwäche, Gangstörungen, ein verringertes Sehvermögen oder eine Störung des Gleichgewichtssinnes - Symptome, die im Rahmen einer Demenz auftreten können. Auch mangelhafte Umgebungsbedingungen erhöhen das Sturzrisiko für ältere Menschen.
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Sturzprävention im Alltag
Um die Sturzgefahr zu minimieren, empfiehlt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft verschiedene Maßnahmen:
- Nachtlichter in der Toilette, auf dem Weg dorthin und in anderen Räumen, die ältere Patienten nachts aufsuchen.
- Eine Matratze vor dem Bett, um schlimme Folgen von Stürzen aus dem Bett zu verhindern.
- Farbliche Markierung von Schwellen oder Stufen, über die der Betroffene stolpern könnte.
Es wird auch empfohlen, die eigene Umgebung bzw. die des Angehörigen auf Sturzsicherheit zu testen.
Stürze als Vorboten von Demenz?
Forschungen deuten darauf hin, dass Stürze als „Vorboten eines zukünftigen Demenzrisikos dienen“ könnten. Eine Studie ergab, dass bei 10,6 Prozent der Patienten, die einen Sturz erlitten hatten, innerhalb eines Jahres eine Demenz festgestellt wurde. Eine mögliche Erklärung ist, dass Patienten, die stürzen, an einer zugrundeliegenden Demenz leiden. Daher wird empfohlen, nach einem Sturz einer älteren Person kognitive Screenings durchzuführen, um eine rechtzeitige Diagnose von Demenz zu ermöglichen.
Multimorbidität und Sturzrisiko
Menschen mit Demenz leiden häufig unter mehreren Krankheiten, wie Gefäßerkrankungen am Herzen oder Gehirn, Anämie oder Hypoglykämie, die Auslöser eines Sturzes sein können. Auch Schmerzen in einem Gelenk wie der Hüfte oder dem Knie erhöhen die Wahrscheinlichkeit zu stürzen. Weitere Risikofaktoren sind Gebrechlichkeit, Gleichgewichtsstörungen und Sarkopenie (Abbau von Muskelmasse und Muskelkraft).
Bei Vorliegen mehrerer Krankheiten wird eine umfassende Prüfung der Medikation empfohlen. Ebenfalls sind Hör- und Sehscreenings sowie die Beachtung der Fußpflege angeraten. Mit Hilfe bestimmter Instrumente kann das Sturzrisiko bewertet werden, um eine rechtzeitige und angemessene Pflege zur Verringerung dieses Risikos zu gewährleisten.
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Die Rolle von Kopfverletzungen und Chronisch Traumatischer Enzephalopathie (CTE)
Ein Sturz, ein Verkehrsunfall oder ein Schlag gegen den Kopf können ein Schädel-Hirn-Trauma verursachen, das langfristig das Risiko für Demenz erhöhen kann. Selbst leichte Traumata können das Demenzrisiko erhöhen. Besonders bedenklich ist es, wenn jemand häufiger ein Hirntrauma erleidet.
Chronisch Traumatische Enzephalopathie (CTE)
In Folge wiederholter Kopfverletzungen kann es später zu bleibenden kognitiven Einschränkungen oder auch zu einer Demenz kommen. Eine mögliche Form ist die Chronisch Traumatische Enzephalopathie (CTE). Besonders gefährlich sind wiederholte Schläge gegen den Kopf, die im Einzelfall nicht unbedingt schwerwiegend sein müssen.
Bei einer Kopfverletzung wird das Gehirn durch die schnelle Beschleunigung des Kopfes gegen die Schädelknochen gepresst. Dabei können die empfindlichen Fortsätze der Nervenzellen im Gehirn beschädigt werden. Diese Axone leiten Impulse an andere Nervenzellen weiter und sorgen so für die Informationsverarbeitung im Gehirn. Werden diese Axone geschädigt, wird das so genannte Tau-Protein freigesetzt, das zu schädlichen Ablagerungen verklumpt. Diese Tau-Ablagerungen setzen einen Prozess in Gang, der zum allmählichen Absterben der Nervenzellen führen kann. Neben Kopfverletzungen könnten auch genetische Risikofaktoren eine Rolle bei der Entstehung der Chronisch Traumatischen Enzephalopathie spielen.
Symptome und Verlauf der CTE
Die Symptome und der Verlauf der Chronisch Traumatischen Enzephalopathie können sehr unterschiedlich sein. Wie die meisten Demenzerkrankungen beginnt CTE zunächst schleichend mit leichten kognitiven Einschränkungen, die in klinischen Tests bereits messbar sind, das Alltagsleben jedoch nicht wesentlich beeinträchtigen. Diese Phase dauert rund ein bis vier Jahre und wird auch als "Mild Cognitive Impairment (MCI)" bezeichnet. Die Krankheitszeichen ähneln denen anderer neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer, Frontotemporale Demenz und Parkinson. Menschen mit CTE können psychische, motorische und geistige Störungen entwickeln.
Typisch für CTE sind Verhaltensauffälligkeiten und psychische Probleme, bei manchen Menschen stehen auch kognitive Defizite im Vordergrund. Der Verlauf kann grob in vier Krankheitsphasen unterteilt werden:
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- Phase 1: Leichte Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen, Kopfschmerzen und leichte depressive Verstimmungen.
- Phase 2: Starke Stimmungsschwankungen, Verhaltensauffälligkeiten und schwere depressive Symptome.
- Phase 3: Deutliche Zunahme der kognitiven Störungen, Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses, Probleme beim Planen, Organisieren und Handeln, Störungen der visuellen und räumlichen Wahrnehmung sowie Apathie.
- Phase 4: Starke dementielle Symptome und Gedächtnisverlust, Zunahme der motorischen Defizite, Sprachstörungen und psychotische Symptome einschließlich Paranoia.
Diagnose und Behandlung der CTE
Die Diagnose einer CTE ist noch schwierig, da es keinen Biomarker gibt, der die Chronisch Traumatische Enzephalopathie zweifelsfrei nachweisen kann. Neuropsychologische Tests für Gedächtnis, Aufmerksamkeit und komplexere Hirnfunktionen geben Aufschluss über Art und Schwere der geistigen Defizite. Auch eine Untersuchung der Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) auf bestimmte Proteine kann einen Hinweis auf die Erkrankung geben.
Die CTE ist nicht heilbar. Es gibt keine Medikamente, die eigens zur Therapie von CTE zugelassen sind. Die Symptome und Begleiterscheinungen können mit unterschiedlichen Medikamenten behandelt werden, was den Verlauf der Erkrankung verzögern und die Lebensqualität verbessern kann.
Prävention von Kopfverletzungen
Da es für die Chronisch Traumatische Enzephalopathie noch keine Therapie gibt, ist es sehr wichtig, Risikofaktoren zu vermeiden und Kopfverletzungen vorzubeugen. Bei Sport- und Freizeitaktivitäten mit erhöhtem Sturzrisiko sollte ein Helm getragen werden. Besonders gefährdet sind Kontaktsportlerinnen und Kontaktsportler.
Veränderung des Gangbildes als frühes Anzeichen von Demenz
Veränderungen im Gangbild können erste Zeichen für eine Demenz sein. Bislang wurden sinkende Fitness, Stürze und andere Motorikprobleme schlicht als Zeichen von Gebrechlichkeit gewertet. Doch neue Forschungen zeigen überraschende Zusammenhänge auf.
Mithilfe von Ganganalysen, bei denen ein Teppich mit Sensoren kleinste Abweichungen zwischen den Schritten festhält, stellte sich heraus: Je stärker die Abweichungen, desto höher das Sturzrisiko des Patienten in den kommenden Monaten. Daher sollte zur Demenzfrüherkennung nicht nur die Hirnleistung gemessen, sondern auch motorische Veränderungen untersucht werden. Ein Blick auf den Gang des Patienten liefert vielleicht sogar früher Hinweise als die üblichen Verfahren.
Bewegungstherapie zur positiven Beeinflussung des Demenzverlaufs
Um den Verlauf einer Demenz positiv zu beeinflussen, wird besonders auf den Effekt von Bewegung gesetzt. Insbesondere T’ai Chi, Tanzen und die klavierbegleitete Dalcroze-Rhythmik - auch bekannt als Eurythmie - fördern motorisch-kognitive Fähigkeiten. Sogar liegende Patienten würden an den Kursen, die mittlerweile in vielen Seniorenheimen angeboten werden, begeistert teilnehmen. Studien haben gezeigt, dass das Sturzrisiko um 50 Prozent sinkt, wenn die Patienten sechs Monate lang einmal pro Woche am Kurs teilnehmen.
Erfahrungen von pflegenden Angehörigen
Kirstin Puchner, eine pflegende Angehörige, teilt ihre Erfahrungen mit der Pflege ihres Mannes, der an vaskulärer Demenz leidet. Sie betont die Bedeutung einer festen Tagesstruktur, viel Bewegung und einer Ernährungsumstellung.
Alltag mit vaskulärer Demenz
Jeden Morgen geht Kirstins Mann mit dem Hund Gassi, während sie das Frühstück vorbereitet. Sie bindet ihren Mann beim Kochen ein, indem er bei den Vorbereitungen hilft. Nach dem Essen machen sie Mittagspause, und am Nachmittag unternehmen sie gemeinsam etwas oder er macht seine Ergotherapie-Übungen. Abends gehen sie noch einmal mit dem Hund spazieren.
Wichtige Vorkehrungen
Kirstins Mann hat sein Handy immer dabei, wenn er mit dem Hund unterwegs ist. Im Portemonnaie hat er eine Karte, auf der seine Erkrankungen gelistet sind mit Hinweisen, was im Notfall zu beachten ist. Zuhause haben sie einen Kalender mit einer Markierung an der Tür, die zeigt, welcher Tag ist.
Medikamenteneinnahme
Kirstins Mann nimmt am Tag 10 Tabletten. Sie bereitet seine Medikamente einmal in der Woche vor und legt sie in Medikamentendosen, auf denen „morgens, mittags, abends, nachts“ steht.
Herausforderungen und Lösungen
Kirstin gibt zu, dass es auch herausfordernde Momente gibt, besonders wenn sie selbst krank ist und die Geduld verliert. Sie betont aber, wie wichtig es ist, sich zu entschuldigen und körperlichen Kontakt zu suchen.
Tipps für Betroffene und Angehörige
Kirstin rät Betroffenen und Angehörigen, erste Anzeichen ernst zu nehmen und sich gut zu informieren. Pflegende Angehörige sollten auch auf sich achten und einen Ausgleich schaffen. Es gibt Hilfsangebote, die über Pflegeleistungen finanziert werden können.
Antipsychotika, Cholinesterasehemmer und Sturzrisiko
Eine Studie aus Taiwan untersuchte den Zusammenhang zwischen der Einnahme von Antipsychotika und Cholinesterasehemmern und dem Risiko von Stürzen und Frakturen bei älteren Menschen mit Demenz.
Methodik
Die Studie stützte sich auf die nationale Krankenversicherungsdatenbank von Taiwan und erfasste 15 278 Erwachsene im Alter von ≥ 65 Jahren mit neu verschriebenen Antipsychotika und Cholinesterasehemmern, die zwischen 2006 und 2017 einen Sturz oder eine Fraktur erlitten.
Ergebnisse
Die Studie ergab, dass ältere Menschen, die mit Cholinesterasehemmern behandelt wurden, ein um 17 % erhöhtes Risiko hatten, zu stürzen und sich Frakturen zuzuziehen. Bei der Einnahme von Antipsychotika war das Risiko um 33 % erhöht.
Kommentar
Die Studie zeigt aber auch, dass das höchste Risiko für Stürze und Frakturen in dem Zeitraum besteht, bevor die erwähnten Medikamente eingesetzt wurden. Dies spricht dafür, dass das erhöhte Risiko primär durch die Grunderkrankung und nicht durch den Einsatz von Antipsychotika und Cholinesterasehemmern bedingt ist. Antipsychotika führen allerdings zu extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen, die insbesondere die Fähigkeit zu stehen und zu gehen beeinträchtigen. Dies erklärt zum Teil die erhöhte Sturzhäufigkeit. Cholinesterasehemmer haben als Nebenwirkung blutdrucksenkende Eigenschaften und können so zu orthostatischer Dysregulation mit erhöhter Sturzgefahr führen.
Neue Therapieansätze bei Alzheimer-Demenz
Seit 2023 stehen zwei Antikörper zur ursächlichen Behandlung der frühen Alzheimer-Demenz zur Verfügung. Diese bauen aktiv Amyloid-Plaques ab, Eiweißablagerungen im Hirn, die bei der Entstehung der Krankheit eine zentrale Rolle spielen. Derartige Therapien können nur wirken, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt zum Einsatz kommen. Voraussetzung ist eine frühe Diagnose.
Körperliche Veränderungen im Verlauf der Demenz
Im weiteren Verlauf einer Demenz verschlechtern sich die körperlichen Anzeichen. Im Endstadium sind Betroffene vollständig auf Pflege angewiesen - beim Essen und Trinken ebenso wie beim Anziehen, bei der Körperpflege und beim Toilettengang. In der letzten Phase werden die Erkrankten häufig bettlägerig, was - im Zusammenspiel mit der Verschlechterung des Allgemeinzustands - zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führt. Insbesondere Lungenentzündungen treten in dieser Phase der Demenz häufig auf und führen nicht selten zum Tod. Problematisch ist zudem, dass Erkrankte möglicherweise unter Schmerzen leiden, die nicht erkannt werden, weil die betroffene Person sich nicht bemerkbar machen kann.
Im Sterbeprozess ist der Herzschlag oft erhöht, der Blutdruck hingegen erniedrigt. Die Haut wirkt sehr blass oder ist bläulich-gemustert, das Gesicht ist eingefallen. Die Kombination aus erheblichen kognitiven Einschränkungen mit einem fortschreitenden körperlichen Verfall macht die Pflege von Demenzkranken besonders herausfordernd. Viele Betroffene werden zu Hause gepflegt, andere in ambulant betreuten Demenz-Wohngruppen oder in stationären Einrichtungen.
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