Multiple Sklerose (MS) kann das Leben der Betroffenen in unterschiedlichem Maße beeinflussen. Während einige Menschen mit MS über lange Zeit kaum Einschränkungen im Alltag erfahren, benötigen andere im späteren Verlauf der Erkrankung zunehmend Unterstützung. In solchen Situationen stellt sich die Frage, welche Leistungen neben der üblichen medizinischen Versorgung in Anspruch genommen werden können. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die Heilmittelverordnung.
Was sind Heilmittel?
Heilmittel sind ärztlich verordnete Dienstleistungen, die einem Heilzweck dienen oder einen Heilerfolg sichern sollen. Sie werden von ausgebildeten Therapeut*innen erbracht und umfassen Maßnahmen der Physio-, Ergo-, Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapie (Logopädie) sowie Podologie und Ernährungstherapie. Der Gesetzgeber definiert Hilfsmittel als Mittel, die den Erfolg einer Behandlung sichern und krankheitsbedingte Einschränkungen ausgleichen sollen. Für Menschen mit MS bedeutet dies vor allem die Erhaltung und/oder Verbesserung der Selbstständigkeit und Mobilität im Alltag.
Die Heilmittelverordnung bei MS
Wenn Sie aufgrund Ihrer MS beispielsweise Physiotherapie oder Ergotherapie in Anspruch nehmen möchten, benötigen Sie eine Heilmittelverordnung. Diese wird von Ihrer Ärztin bzw. Ihrem Arzt ausgestellt und legt in der Regel eine bestimmte Anzahl an Behandlungen fest.
Wer hat Anspruch auf Heilmittel?
Grundsätzlich haben sowohl gesetzlich als auch privat Versicherte Anspruch auf Heilmittel. Privatversicherte sollten sich jedoch direkt bei ihrer Kranken- oder Pflegekasse beraten lassen, um individuelle Leistungsansprüche zu klären.
Die Heilmittel-Richtlinie
Die Heilmittel-Richtlinie ist eine zentrale Grundlage für die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung. Sie wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegt und regelt detailliert, welche Heilmittel bei welchen Diagnosen verordnet werden dürfen. Diese Richtlinie stellt sicher, dass Patienten eine qualitätsgesicherte und wirtschaftliche Heilmittelversorgung erhalten. Sie enthält unter anderem Regelungen zur orientierenden Behandlungsmenge und zur Höchstmenge je Verordnung. Die Heilmittel-Richtlinie (HeilM-RL) wird vom GBA erlassen und definiert, welche Heilmittelgruppen von der Versorgungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen erfasst sind und unter welchen Voraussetzungen sie verordnet und erstattet werden.
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Die Heilmittel-Richtlinie für Vertragsärzte (HeilM-RL) besteht aus zwei Teilen, wobei der zweite Teil den Heilmittelkatalog beinhaltet. Der erste Teil beschreibt Grundsätze, Voraussetzungen der Verordnung, Informationen zum nachgelagerten Heilmittelkatalog, Angaben zum Verordnungsvordruck sowie Vorgaben zur Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Heilmittelerbringern (Therapeuten). Der zweite Teil besteht aus einem Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen (Heilmittelkatalog) und eine Diagnoseliste zum langfristigen Heilmittelbedarf. Zudem sind in der Richtlinie vom G-BA geprüfte, nicht verordnungsfähige Heilmittel aufgeführt.
Der Heilmittelkatalog
Der Heilmittelkatalog ist ein Verzeichnis der verordnungsfähigen Maßnahmen und Bestandteil der Heilmittel-Richtlinie. Er gibt für jede Diagnosegruppe unter anderem die verordnungsfähigen Heilmittel, die Höchstmengen je Verordnungsblatt sowie für Physiotherapie, Ergotherapie und Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapie eine „orientierende Behandlungsmenge“ vor.
Das Formular 13: Die "Verordnung von Heilmitteln"
Die Heilmittelverordnung wird auf dem Formular Muster 13 ausgestellt. Dieses enthält wichtige Angaben, die für den Ablauf und die Durchführung der Therapie unerlässlich sind:
- Ärztliche Diagnose: Diese wird auf der Verordnung anhand des internationalen ICD-10-Codes angegeben. Dieser Code beschreibt die genaue gesundheitliche Einschränkung oder Erkrankung, die behandelt werden soll.
- Heilmittel: Hier gibt der Arzt an, welche therapeutische Maßnahme durchgeführt werden soll (z.B. Physiotherapie, Ergotherapie).
- Frequenz: Die Frequenz beschreibt, wie oft pro Woche die Behandlung durchgeführt werden soll - typischerweise ein- bis zweimal wöchentlich.
- Anzahl der Behandlungseinheiten: Auf einer Verordnung sind in der Regel sechs bis zehn Behandlungseinheiten vorgesehen, in Einzelfällen auch zwölf. Diese Anzahl kann abhängig von der Diagnose und dem Therapieziel variieren.
- Besonderer Bedarf: Wenn eine Therapie über die üblichen Grenzen hinaus notwendig ist, etwa bei chronischen Erkrankungen, muss der Arzt dies auf der Verordnung besonders kennzeichnen und medizinisch begründen. In solchen Fällen ist ein sogenannter „außerhalb des Regelfalls“ liegender Bedarf gegeben.
- Therapieziele: Manche Ärztinnen und Ärzte tragen zusätzlich konkrete Therapieziele ein - etwa „Verbesserung der Mobilität“, „Schmerzlinderung“ oder „Wiederherstellung der Alltagsfunktion“.
Es ist wichtig, die Verordnung sorgfältig zu prüfen. Eine fehlerhafte, unvollständige oder missverständlich ausgefüllte Verordnung kann erhebliche Konsequenzen haben. Bringen Sie Ihre Verordnung vollständig und möglichst direkt nach Ausstellung in die Praxis, damit die Fristen eingehalten und alle Angaben rechtzeitig geprüft werden können. Nach Ausstellung der Verordnung muss die erste Behandlung innerhalb von 28 Kalendertagen erfolgen - andernfalls verliert das Rezept seine Gültigkeit. In dringenden Fällen (z. B. bei akuten Schmerzen) kann der Arzt auf der Verordnung einen dringenden Behandlungsbedarf vermerken, wodurch sich die Frist auf 14 Tage verkürzt.
Langfristiger Heilmittelbedarf und besonderer Verordnungsbedarf
Patientinnen und Patienten mit schweren funktionellen und/oder strukturellen Schädigungen benötigen in bestimmten Fällen dauerhaft Heilmittel und haben daher einen „langfristigen Heilmittelbedarf“. Die Heilmittel-Richtlinie enthält als Anlage 2 eine Diagnoseliste. Sie führt die Erkrankungen auf, bei denen eine langfristige Heilmitteltherapie erforderlich werden kann. Wenn es sich bei der vorliegenden Indikation um einen gelisteten oder auf Antrag genehmigten langfristigen Heilmittelbedarf oder einen gelisteten besonderen Verordnungsbedarf handelt, lassen die entsprechenden Heilmittel für die Dauer von bis zu zwölf Wochen auf einem Verordnungsvordruck verordnen. Bei den gelisteten langfristigen Heilmittelbedarfen und den besonderen Verordnungsbedarfen wird keine Vorabgenehmigung durch die Krankenkasse der Patient:innen benötigt. Verordnungen, die im Rahmen eines langfristigen Heilmittelbedarfs ausgestellt werden, unterliegen nicht der Wirtschaftlichkeitsprüfung.
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Ist eine bestimmte Kombination nicht gelistet, jedoch hinsichtlich der Schwere und Langfristigkeit der funktionellen beziehungsweise strukturellen Schädigungen mit den gelisteten vergleichbar, so kann ein langfristiger Heilmittelbedarf durch die Patientin oder den Patienten bei seiner Krankenkasse beantragt werden.
Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Morbus Parkinson, Multiple Sklerose oder nach Schlaganfällen können einen “Langfristigen Heilmittelbedarf” geltend machen. In diesen Fällen ist auch eine Verordnung außerhalb des Regelfalls möglich. Hierbei ist eine genaue ärztliche Begründung notwendig, die auf der Verordnung vermerkt sein muss.
Einen besonderen Verordnungsbedarf haben Menschen mit einer schweren Erkrankung (zum Beispiel Multiple Sklerose oder bestimmte rheumatische Erkrankungen), die naturgemäß mehr Heilmittel benötigen. Langfristiger Heilmittelbedarf liegt bei einer schweren und beständigen Beeinträchtigung vor. Die Erkrankungen, die einen langfristigen Heilmittelbedarf oder einen besonderen Verordnungsbedarf begründen, sind in einer gemeinsamen Diagnoseliste aufgeführt. Auch wenn die Diagnose nicht auf der Liste steht, kann ein langfristiger Heilmittelbedarf bestehen. Versicherte müssen in diesem Fall allerdings bei ihrer Krankenkasse einen Antrag auf Feststellung bzw. Genehmigung stellen.
Heilmittel für Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche mit Behinderung, die eine Regelschule oder einen Regelkindergarten besuchen, können in diesen Einrichtungen mit den erforderlichen Heilmitteln versorgt werden. Dafür muss kein Hausbesuch verordnet werden. Das Gleiche gilt für spezielle Fördereinrichtungen. Allerdings können Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie, Ergotherapie, bestimmte Arten der Physiotherapie und Ernährungstherapie auch als Videobehandlung durchgeführt werden. Die Voraussetzungen sind in § 16b der Heilmittel-Richtlinie geregelt.
Welche Heilmittel kommen bei MS in Frage?
Die Auswahl des richtigen Heilmittels ist ein zentraler Bestandteil einer erfolgreichen Behandlung. Je nach Diagnose, Beschwerdebild und individueller Zielsetzung können unterschiedliche Maßnahmen verordnet werden. Bei MS kommen insbesondere folgende Heilmittel in Betracht:
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- Physiotherapie: Physiotherapie spielt eine tragende Rolle, um die körperliche Leistungsfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern. Die Behandlung fördert Kraft und Koordination, Stand- und Gang- und Handfunktionen. Sie mindert Spastik und Schmerzen, verbessert Gleichgewicht und Bewegungsabläufe und erhöht so die Belastbarkeit im Alltag. Beckenbodengymnastik kann zur Regulierung von Blasenstörungen beitragen. Grundlage der Behandlungen sind dabei anerkannte Techniken, zum Beispiel nach Bobath, Vojta und Brunkow oder die propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation (PNF) nach Kabat. Daneben kommen Geräte zum Einsatz, mit denen einzelne Funktionsstörungen gezielt behandelt werden. Hippotherapie ist eine physiotherapeutische Behandlung auf neurophysiologischer Basis mit und auf dem Pferd. Der Patient sitzt in der Gangart Schritt auf dem Pferd. Die dreidimensionalen Bewegungen des Tieres übertragen sich auf den Patienten und lösen Impulse aus, die die Haltung und das Gleichgewicht trainieren sowie die Muskelspannung regulieren.
- Ergotherapie: Ergotherapie trainiert zielgerichtet, individuell und symptomorientiert die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL = Activity of Daily Living): Waschen, Ankleiden, Toilettengänge, Essen und Trinken, Schreiben, Arbeiten im Haushalt. Der Patient lernt, krankhafte Haltungs- und Bewegungsmuster abzubauen und sich wieder normal zu bewegen. Er übt, falls erforderlich, den Umgang mit Hilfsmitteln, die den Alltag erleichtern. Solche Hilfsmittel können in der Ergotherapie verordnet und individuell angepasst werden. Sofern möglich, soll die Ergotherapie auch zur Wiedererlangung beziehungsweise zum Erhalt der beruflichen Leistungsfähigkeit beitragen. Zum Therapie-Spektrum gehört deshalb auch das Arbeitsplatztraining (ergonomisches Arbeiten, Beratung über die Anpassung des Arbeitsplatzes).
- Logopädie: Sprech- und Schluckstörungen (sowie die bei MS seltenen Sprachstörungen) werden im Rahmen der Logopädie mit wissenschaftlich fundierten Methoden behandelt. Dies geschieht in der Regel in Einzeltherapie. Zusammen mit Sprechtherapeuten wird eine bessere Wahrnehmung von Bewegungsvorgängen beim Sprechen, ein langsames Sprechtempo sowie eine bessere Kontrolle und Steuerung des Stimmtons geübt. Reicht dieses Training nicht aus, können technische Hilfen versucht werden: zum Beispiel ein Metronom zur Vorgabe des Sprechtempos oder ein Sprachverzögerer, der zeitversetzt die eigene Sprache wiedergibt und ebenfalls zum kontrollierten Sprechen anhält. Ist Sprechen überhaupt nicht mehr möglich, wird in der Logopädie die Kommunikation mittels Buchstabentafeln oder Computern mit Sprachausgabe intensiv trainiert. In der Schlucktherapie werden Bewegungen der Rachen- und Kehlkopfmuskeln geübt und eine optimale Kopf- und Körperhaltung ebenso trainiert wie langsames bewusstes Essen.
Weitere mögliche Heilmittel sind:
- Klassische Krankengymnastik: Eine der am häufigsten eingesetzten Therapieformen.
- Manuelle Therapie: Diese spezialisierte Form der Therapie richtet sich gezielt auf Funktionsstörungen der Gelenke, Muskeln und Nerven.
- Manuelle Lymphdrainage: Eine besonders sanfte Technik zur Entstauung des Gewebes.
- Wärme- und Kälteanwendungen: Zur Schmerzlinderung und Muskelentspannung.
- Elektrotherapie: Zur Schmerzlinderung und Muskelstimulation.
- Ultraschalltherapie: Arbeitet mit mechanischen Schwingungen, die tief ins Gewebe eindringen, den Zellstoffwechsel anregen und so Heilungsprozesse unterstützen.
Manche Therapieformen können auch kombiniert verordnet werden - beispielsweise Krankengymnastik plus Wärmeanwendung oder Manuelle Therapie plus Elektrotherapie.
Zuzahlungen
Die Zuzahlung bei Heilmitteln beträgt für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, 10 Prozent der Behandlungskosten und 10 Euro je Heilmittelverordnung. Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs sind von der Zuzahlung befreit. Generell gilt: Zuzahlungen sind nur bis zur finanziellen Belastungsgrenze zu leisten.
Blankoverordnung: Mehr Flexibilität in der Therapie?
Die Blankoverordnung ist eine innovative Form der Verordnung von Heilmitteln, die seit 2021 möglich ist. Bei dieser Verordnungsform überlässt der Arzt dem Heilmittelerbringer die Entscheidung über die Dauer, Art und Intensität der Therapie. Dies ermöglicht eine individuellere und flexiblere Behandlung, die besser auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt ist. Die Blankoverordnung ist immer extrabudgetär und belastet nicht das individuelle Heilmittelbudget des Arztes.
[Stand: 13.05.2022]: Derzeit sind bei Heilmitteln (Physiotherapie, Ergotherapie, etc.) noch keine Blankoverordnungen möglich. Der Verband der Physiotherapeuten Baden-Württemberg rechnet frühestens im Jahr 2023 damit, dass geklärt ist, bei welchen Erkrankungen Blankoverordnungen ausgestellt werden können.
Was hat sich geändert? (Stand 2021)
Zum 01.01.2021 wurde eine neue Verordnungssystematik eingeführt, der sogenannte Verordnungsfall mit einer orientierenden Verordnungsmenge. Die bisherige Unterteilung in Erst- und Folgeverordnung sowie die Verordnung außerhalb des Regelfalles gibt es nicht mehr. Der Verordnungsfall ist immer auf den verordnenden Arzt und seinen Patienten mit einer bestimmten Diagnose, wie z.B. Multiple Sklerose, bezogen. Er umfasst alle Heilmittel, die von demselben Arzt, für denselben Patienten, mit derselben Diagnose zur Behandlung dieser Erkrankung verordnet werden sollen. Verordnungsmengen anderer Ärzte müssen nicht mehr berücksichtigt werden. Patienten haben jedoch eine Mitwirkungspflicht und müssen den Arzt über bereits verordnete Heilmittel informieren, wenn sie danach gefragt werden. Der Verordnungsfall dauert solange, bis die Behandlung der behandlungsbedürftigen Erkrankung abgeschlossen ist. Erst wenn 6 Monate keine Verordnungen mehr erfolgt sind, beginnt ein neuer Verordnungsfall.
Hat ein Patient zur gleichen Zeit mehrere Erkrankungen, kann es zeitgleich mehrere Verordnungsfälle geben. Ein neuer Verordnungsfall entsteht auch, wenn ein Patient in eine neue Praxis wechselt. Seit 1.1.2021 kann Ergotherapie bei bestimmten psychischen Erkrankungen auch durch Psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten verordnet werden.
Für jede Diagnosegruppe im Heilmittelkatalog ist jedoch weiterhin eine orientierende Verordnungsmenge angegeben. In Ausnahmefällen und bei medizinischer Notwendigkeit darf der Arzt aber auch künftig mehr Behandlungseinheiten verordnen. Die Angaben im Hilfsmittelkatalog gelten als Orientierung, der Arzt kann weniger aber auch mehr verordnen.
In der Anlage 2 der Heilmittel-Richtlinie sind die Diagnosen aufgelistet, bei denen ein langfristiger Heilmittelbedarf bundesweit anerkannt ist. Bei den hier gelisteten Diagnosen wird davon ausgegangen, dass ein Therapiebedarf von mindestens einem Jahr besteht. Eine Genehmigung eines langfristigen Heilmittelbedarfs ist bei den dort gelisteten Erkrankungen grundsätzlich nicht mehr erforderlich. Außerdem können die notwendigen Heilmittel je Verordnung für eine Dauer von bis zu zwölf Wochen verordnet werden. Danach muss eine erneute ärztliche Untersuchung erfolgen, um den Therapiefortschritt zu bewerten und gegebenenfalls weitere Therapien zu veranlassen. Entsprechende Verordnungen belasten nicht das Praxisbudget des Arztes.
Darüber hinaus haben die Kassenärztliche Vereinigung und der GKVSpitzenverband eine gesonderte Diagnoseliste, die Liste der „besonderen Verordnungsbedarfe“ (früher „Praxisbesonderheiten“) vorgelegt. Bei den hier gelisteten Diagnosen wird ebenfalls anerkannt, dass bei Menschen mit anderen schweren Erkrankungen von einem besonderen Verordnungsbedarf auszugehen ist. Die Multiple Sklerose mit ihren unterschiedlichen Erkrankungsformen ist hier weiterhin gelistet. Der Arzt kann seit 01.01.2021 auch bei diesen Erkrankungen notwendige Heilmittel je Verordnung für eine Dauer von bis zu zwölf Wochen ohne vorherige Genehmigung und unter Beachtung der orientierenden Behandlungsmenge verordnen. Diese Liste ist nicht Bestandteil der Heilmittel-Richtlinie, sondern Anlage der Rahmenvorgaben für die Wirtschaftlichkeitsprüfung zwischen KassenärztlicherBundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband. Entsprechende Verordnungen werden jedoch im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung beim Arzt nicht beachtet und belasten somit ebenfalls nicht das Budget des Arztes.
Für alle Heilmittelverordnungen verwendet der Arzt zukünftig ein einheitliches Verordnungsformular (Formular 13). Das Formular ist übersichtlicher gestaltet, die Arztpraxen sollen dadurch entlastet werden. Soweit dies im Heilmittelkatalog vorgesehen ist, können bei der Physio- und Ergotherapie künftig bis zu drei vorrangige sowie ein ergänzendes Heilmittel gleichzeitig auf einem Rezept verordnet werden (z.B. 3 x Manuelle Therapie, 3 x Krankengymnastik, 6 x Heißluft). Weiterhin kann in medizinisch begründeten Ausnahmefällen ein vorrangiges Heilmittel auch als zusammenhängende Behandlung (Doppelbehandlung) verordnet und erbracht werden. Dies muss jedoch zwingend vom Arzt als ergänzende Angabe zum Heilmittel auf dem Verordnungsformular eingetragen werden und erhöht die zulässige Höchstmenge an Behandlungseinheiten je Verordnung nicht.
Heilmittel können als Einzel- oder Gruppentherapie verordnet werden. Zeigt sich im Verlauf einer Behandlungsserie, dass Einzeltherapie nicht mehr zwingend medizinisch geboten ist, können seit 01.01.2021 einzelne Behandlungseinheiten auch in Form von Gruppentherapien durchgeführt werden. Dafür müssen Heilmitteltherapeuten die Zustimmung des Versicherten einholen und das Einvernehmen mit dem verordnenden Art oder Psychotherapeuten herstellen.
Der Arzt macht auf der Verordnung auch Angaben zur Leitsymptomatik, z.B. Schädigung/Störung der Bewegungs- und Sinnesfunktion oder Schädigung/Störung der Muskelfunktion etc. Es können bis zu drei Leitsymptomatiken nach dem Heilmittelkatalog angegeben werden. Zusätzlich hat der Arzt nun die Möglichkeit, eine oder auch mehrere patientenindividuelle Leitsymptomatiken anzugeben.
Die Angaben der Therapiefrequenz auf der Verordnung (z.B. 2 x pro Woche) sind für den Therapeuten bindend. Auf der Verordnung kann nun jedoch auch eine Frequenzspanne, z.B. 1-3 x wöchentlich, vom Arzt angegeben werden. Durch die Angabe einer Frequenzspanne können die Behandlungstermine nach Bedarf flexibler zwischen Patient und Heilmittelerbringer vereinbart werden.
In der Anlage 3 zur Heilmittelverordnung wurde nun festgelegt, in welchen Fällen eine unvollständig/fehlerhaft ausgefüllte Verordnung geändert werden kann. Nicht in jedem Fall muss dies künftig durch die Unterschrift des verordnenden Arztes erfolgen.
Seit 01.01.2021 haben Patienten nun 28 Tage Zeit, mit der Heilmittelbehandlung zu beginnen, ohne dass die Verordnung ungültig wird. Der Arzt kann diesen Zeitraum jedoch aus medizinischen Gründen auf 14 Tage verkürzen, muss diesen dringenden Behandlungsbedarf dann aber entsprechend auf der Verordnung vermerken. Wird die begonnene Behandlung länger als 14 Tage unterbrochen, verliert die Verordnung grundsätzlich ihre Gültigkeit. Ausnahmen sind: Krankheit/Urlaub des Patienten/Therapeuten sowie therapeutisch angezeigte Behandlungsunterbrechungen, die mit dem Patienten abgestimmt sind. Die entsprechende Begründung der Behandlungsunterbrechung ist vom Therapeuten auf der Verordnung zu dokumentieren.
Weiterhin erfolgt die Heilmittelbehandlung in der Regel in einer zugelassenen Heilmittelpraxis. Wenn Versicherte aus medizinischen Gründen nicht die Heilmittelpraxis aufsuchen können, weil sie zum Beispiel nicht mobil sind, können wie bisher Hausbesuche verordnet werden.
Bereits seit Juli 2020 können Ärzte nun auch für Patienten mit krankhaften Schädigungen am Fuß als Folge einer sensiblen oder sensomotorischen Neuropathie oder als Folge eines Querschnittsyndroms eine Podologie (medizinische Fußpflege) verordnen. Entsprechende Erkrankungen können aufgrund von Gefühls- und Durchblutungsstörungen krankhafte Schädigungen der Zehennägel und der Haut an den Füßen hervorrufen. Bislang war eine entsprechende Verordnung nur beim diabetischen Fußsyndrom möglich.
Fazit
Die Heilmittelverordnung ist ein wichtiger Baustein in der Versorgung von Menschen mit Multipler Sklerose. Sie ermöglicht den Zugang zu einer Vielzahl von therapeutischen Maßnahmen, die dazu beitragen können, die Selbstständigkeit und Lebensqualität zu erhalten oder zu verbessern. Es ist ratsam, sich frühzeitig mit den Möglichkeiten der Heilmittelversorgung auseinanderzusetzen und sich von Ärztinnen und Therapeutinnen beraten zu lassen.
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