Der Umgang mit Demenz ist eine Herausforderung, die viele Familien an ihre Grenzen bringt. Wenn die häusliche Pflege nicht mehr möglich ist, stellt sich die Frage nach einer Heimeinweisung - oft gegen den Willen der betroffenen Person. Dieser Artikel beleuchtet die Voraussetzungen, rechtlichen Grundlagen und Alternativen, die in solchen Situationen relevant sind.
Einführung
Die Pflege von Angehörigen mit Demenz ist eine große Belastung. Nicht selten kommt es vor, dass die Betroffenen sich weigern, in ein Pflegeheim zu ziehen. In solchen Fällen ist es wichtig, die rechtlichen Rahmenbedingungen und individuellen Bedürfnisse zu berücksichtigen, um eine würdevolle Lösung zu finden.
Rechtliche Grundlagen
Der Begriff „Zwangseinweisung“ ist im deutschen Recht nicht eindeutig definiert. Für die Aufnahme in ein Pflegeheim gilt grundsätzlich das Vertragsrecht gemäß dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG). Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) und freiheitsentziehende Unterbringung sind in § 1831 BGB geregelt.
Geschäftsunfähigkeit und Vollmachten
Ob in Folge einer Demenz-Erkrankung, eines Herzinfarkts oder einer geistigen oder psychischen Beeinträchtigung - vielen Personen ist es im hohen Alter nicht mehr möglich, sich selbst zu versorgen oder Entscheidungen zu treffen.
Eine Heimeinweisung kann über eine Vorsorge- oder Generalvollmacht erfolgen, wenn die betroffene Person nicht mehr geschäftsfähig ist. Die Geschäftsunfähigkeit muss im Zweifel ärztlich festgestellt werden. Eine Generalvollmacht berechtigt ebenfalls zur Unterbringung, sofern sie weitreichend formuliert ist und nicht widerrufen wurde. Auch hier gilt: Keine Anwendung gegen den Willen einer geschäftsfähigen Person.
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Rechtliche Betreuung
Liegt keine Vollmacht vor, muss beim Betreuungsgericht ein Antrag auf rechtliche Betreuung gestellt werden. Eine Betreuungsverfügung wird häufig mit einer Vorsorgevollmacht verwechselt. Sie richtet sich ausschließlich an das Betreuungsgericht und legt fest, wer im Betreuungsfall eingesetzt werden soll und welche Wünsche die betroffene Person hat.
Heimvertrag
Ein Heimvertrag ist ein zivilrechtlicher Vertrag nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG). Er setzt voraus, dass die betroffene Person zustimmen kann, oder eine bevollmächtigte oder betreuende Person mit gültiger Rechtsgrundlage handelt.
Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM)
Jede Maßnahme, die die Bewegungsfreiheit einschränkt - z.â¯B. Bettgitter, Fixierungen oder das Verschließen von Türen - gilt grundsätzlich als FEM und bedarf einer richterlichen Genehmigung. Ausnahme: akute Gefahr im Verzug. Hier greift das PsychKG des jeweiligen Bundeslands.
Seit dem 1. Januar 2023 gilt § 1831 BGB als neue Rechtsgrundlage für freiheitsentziehende Maßnahmen. In akuten Notfällen erlaubt das Gesetz, eine FEM vorübergehend auch ohne vorherige gerichtliche Genehmigung anzuwenden - unter der Bedingung, dass Gefahr im Verzug vorliegt (§ 1831 Abs. Solche Maßnahmen sind aber nur für den akuten Moment erlaubt. Freiheitsentziehende Maßnahmen dürfen nicht aus Routine oder aus Unsicherheit erfolgen. Jede Maßnahme muss individuell geprüft, nachvollziehbar begründet und eindeutig dokumentiert werden.
Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG)
Nicht alle Notlagen in der Pflege lassen sich über Betreuung oder freiheitsentziehende Maßnahmen nach BGB abdecken. Die rechtliche Grundlage dafür ist nicht das Bürgerliche Gesetzbuch, sondern das Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) des jeweiligen Bundeslands. Die Aufnahme erfolgt dann in eine psychiatrische Akutklinik, meist auf eine geschützte Station. Hier wird zur akuten Behandlung der Krankheit eine Zwangsbehandlung durchgeführt. Pflegeeinrichtungen sind rechtlich nicht befugt, eine Person nach PsychKG selbst einzuweisen.
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Voraussetzungen für eine Heimeinweisung gegen den Willen
Eine Heimeinweisung gegen den Willen der betroffenen Person ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich:
- Geschäftsunfähigkeit: Die betroffene Person ist aufgrund ihrer Demenzerkrankung oder einer anderen psychischen Erkrankung nicht mehr in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln.
- Vollmacht oder Betreuung: Es liegt eine gültige Vorsorge- oder Generalvollmacht vor, die die Aufenthaltsbestimmung umfasst, oder es wurde eine rechtliche Betreuung angeordnet.
- Richterliche Genehmigung: Eine zwangsweise Unterbringung in einem Heim kommt in Betracht, wenn die Voraussetzungen des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychK-Gesetz) vorliegen. Hier gilt als Voraussetzung, dass Mutter oder Vater aufgrund ihres psychischen Zustandes oder einer psychischen Krankheit eine Gefahr für sich selbst oder aber Dritte darstellen. Eine Entscheidung über die zwangsweise Unterbringung trifft in diesen Fällen ein Richter, nachdem Betroffene angehört worden sind.
Keine gesetzliche Grundlage für Zwangsmaßnahmen
Es besteht jedoch keine gesetzliche Grundlage für die betreuungsgerichtliche Genehmigung der zwangsweisen Verbringung des Betreuten in ein offenes Heim (OLG Hamm, 21.10.2002 - Az: 15 W 189/02, LG Hannover, 09.09.2019 - Az: 4 T 70/19).
Was tun, wenn die pflegebedürftige Person nicht ins Heim will?
- Gespräche führen: Es sollte auf jeden Fall das Gespräch mit dem Pflegebedürftigen geführt werden, vielleicht kann man die Ängste und Bedenken ausräumen.
- Hilfe holen: da sich der Angehörige vermutlich nichts von der eigenen Familie sagen lässt und vermutlich vom eigenen Kind sowieso nicht, hilft es manchmal bereits, wenn der Arzt, Neurologe, Pflegedienst, Sozialdienst etc. mit dem „Heimverweigerer“ spricht.
Gründe, warum ältere Menschen nicht ins Heim wollen
- Veränderung des sozialen Umfelds und des gewohnten Lebensstils. Es ist grundsätzlich eine fremde Umgebung, hier stellt sich die Frage „fühle ich mich dort wohl“?
- Angst vor dem Verlust der Unabhängigkeit und Autonomie.
- Angst vor dem Verlust der eigenen Wohnung und Selbstständigkeit. Einen alten Baum versetzt man nicht.
- Die Befürchtung, die Kontrolle über das eigene Leben und den Alltag aufgeben zu müssen.
- Angst vor Einsamkeit und Isolation, dass sich Freunde, Bekannte und Familie nicht mehr so um sie kümmern. „Wenn ich erst im Heim bin, kommt ihr mich doch sowieso nicht mehr besuchen“.
- Angst vor Vernachlässigung und Missbrauch durch das Personal
- Angst vor schlechter Pflege und mangelnder medizinischer Versorgung
- Sorgen um die finanzielle Belastung und Kosten des Pflegeheims. Wie lange kann ich mir das leisten? Aber auch Sorgen um den Verlust des persönlichen Eigentums und Erinnerungsstücken.
- Das Gefühl, dass man ungewollt ist und einfach abgeschoben wird.
- Einigen Betroffenen gefällt die Gesellschaft in einem Heim unter Umständen auch nicht. „Hier hat‘s nur alte Leute. Ich bin nicht alt, ich bin erst 85!“
- Schwierigkeiten sich in den Alltag und die Regeln des Pflegeheims einzufügen. Angst vor Bevormundung. Verlust der Privatsphäre.
Alternativen zur Heimeinweisung
Wenn ein Umzug ins Pflegeheim nicht gewünscht oder möglich ist, gibt es verschiedene Alternativen:
- Ambulante Pflege: Ein ambulanter Pflegedienst kann die Versorgung zu Hause sicherstellen.
- Tagespflege: Die Tagespflege bietet eine stundenweise Betreuung und Entlastung der Angehörigen.
- 24-Stunden-Betreuung: Eine Betreuungskraft wohnt im Haushalt und kümmert sich um die pflegebedürftige Person.
- Technische Hilfsmittel: Signalgeber, Smartwatches oder Handys können die Sicherheit erhöhen.
- Wohnraumanpassung: Ein barrierefreies Bad oder ein Treppenlift erleichtern den Alltag.
Schlechtes Gewissen bei Einweisung der Eltern ins Pflegeheim?
Es gibt immer wieder Situationen im Leben, in denen wir nicht wissen, wie man sich „richtig“ verhält. Einen nahen Familienangehörigen in ein Pflegeheim zu geben, gehört zu einer solchen Situation. Kinder plagen sich mit Schuldgefühlen und einem schlechten Gewissen, wenn sie sich eingestehen müssen, dass Mutter oder Vater in ein Pflegeheim sollten.
Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) zu Hause
Nur weil das Betreuungsgericht freiheitsentziehende Maßnahmen zu Hause nicht genehmigen muss, heißt das nicht, dass rechtliche Betreuer oder Bevollmächtigte nach Belieben die Freiheit von Menschen mit Demenz einschränken dürfen. Wenn Sie von unbegründetem Freiheitsentzug erfahren, den die Betroffenen mit freiem Willen nicht gewollt hätten, können Sie sich ans Betreuungsgericht wenden. Das Betreuungsgericht kann dann z.B. Wenn Sie einen Menschen mit Demenz zu Hause pflegen und freiheitsentziehende Maßnahmen einsetzen wollen bzw. müssen, brauchen Sie dafür die Zustimmung des rechtlichen Betreuers oder der dafür bevollmächtigten Person.
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Umgang mit Gefährdung bei Demenz
Wenn Sie Bedenken haben, dass eine Person mit Demenz sich selbst oder andere gefährdet, dann sollten Sie sich als erstes an dessen gesetzlichen Betreuer (Rechtliche Betreuung) oder Bevollmächtigten wenden. Nur wenn das nicht hilft oder die Person keinen Betreuer oder Bevollmächtigten hat, sind die Polizei, das Ordnungs- bzw. Gesundheitsamt oder der sozialpsychiatrische Dienst vor Ort die richtigen Ansprechpartner. Eine dieser Behörden stellt dann nach dem geltenden PsychKG den Antrag auf Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung (z.B.
Notwehr und Notstand
Notwehr (§ 32 StGB) gegen gerade stattfindende rechtswidrige Angriffe, dazu zählt auch die sog. Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) bei bestimmten nicht anders abwendbareren Gefahren mit angemessenen Mitteln und nach sorgfältiger Abwägung, z.B.
- Notwehr: Frau Müller leidet unter Demenz. Sie versteht viele Dinge nicht mehr und sie leidet unter Wahnvorstellungen. Sie erkennt ihre eigene Tochter nicht mehr und fühlt sich von dieser bedroht. Frau Müller holt mit ihrem Gehstock aus, was ihre Tochter verletzen könnte. Die Tochter muss als erstes versuchen, zu fliehen oder dem Stock auszuweichen, denn Frau Müller ist wegen der Demenz schuldunfähig. Wenn das nicht gelingt, muss die Tochter versuchen sich zu schützen, ohne Frau Müllers Freiheit einzuschränken oder diese zu verletzen. Nur wenn ihr das nicht gelingt, darf sie Frau Müller in deren Zimmer einsperren, aber auch nur so lange, wie Frau Müller sie noch angreift.
- Rechtfertigender Notstand: Herr Ylmaz lebt in einem Pflegeheim. Seine Demenz verstärkt sich immer mehr. Eines Tages schlägt Herr Ylmaz seinen Kopf gegen die Wand, was zuvor noch nie passiert ist. Die Pflegekraft muss ihn schnell mit einem Gurt fixieren, um ihn vor schweren Kopfverletzungen zu schützen.
Technische Hilfsmittel
Technische Hilfsmittel können die persönliche Betreuung von Menschen mit Demenz zu Hause und im stationären Umfeld unterstützen und erleichtern. So gibt es z.B. Signalgeber, wenn Menschen den Impuls haben, sich aus dem sicheren Umfeld zu entfernen und „irgendwo“ hinzugehen. Betroffene tragen dann einen Sender am Körper. Solche Alarmsysteme gibt es auch für Zuhause. Mittlerweile erlauben auch gängige Geräte wie Smartwatches (Multifunktionsuhren) oder Handys die Ortung via Registrierung und Internet.
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