Leber vergiftet Gehirn: Ursachen, Symptome und Behandlung der hepatischen Enzephalopathie

Die hepatische Enzephalopathie (HE) ist eine schwerwiegende Komplikation von Lebererkrankungen, bei der es zu einer Störung der Gehirnfunktion kommt. Meistens bemerken die Angehörigen die ersten Anzeichen: Der Gesichtsausdruck der Betroffenen ändert sich, die Augenlider beginnen zu flattern. Es folgen weitere Krankheitszeichen wie zwanghaftes Schlafbedürfnis oder zunehmende Verwirrtheit. Obwohl die Leberstörung oft bereits bekannt ist, werden über 90 Prozent der Betroffenen zu spät diagnostiziert und behandelt.

Was ist eine hepatische Enzephalopathie?

Die hepatische Enzephalopathie (HE), auch portosystemische Enzephalopathie genannt, ist eine häufige und schwerwiegende Komplikation bei chronischen Lebererkrankungen und akutem Leberversagen. Sie entsteht durch eine schwere Funktionsstörung der Leber, wodurch Giftstoffe im Blut nicht mehr ausreichend abgebaut werden können und sich im Körper anreichern. Die Symptome reichen von leichten Konzentrationsproblemen über Verwirrtheit und verwaschene Sprache bis hin zur Bewusstlosigkeit, dem sogenannten Leberkoma.

In Deutschland leiden bis zu 5.000.000 Menschen an einer chronischen Lebererkrankung, wobei ca. 1.000.000 von ihnen eine Zirrhose aufweisen. Über 80 Prozent der Leberzirrhotiker entwickeln eine Hepatische Enzephalopathie (HE).

Ursachen und Risikofaktoren

Eine der wichtigsten Aufgaben der Leber ist der Abbau von Giftstoffen im Körper. Ist die Leber jedoch so stark geschädigt, dass sie dieser Aufgabe nicht mehr nachkommen kann, steigt die Konzentration an Schadstoffen im Blut. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf den gesamten Körper, insbesondere auf das zentrale Nervensystem (ZNS) und die Gehirnzellen.

Die häufigste Ursache für eine HE ist eine Leberzirrhose. In Deutschland leidet Schätzungen zufolge etwa eine Million Menschen an dieser Erkrankung, die insbesondere durch einen zu hohen Alkoholkonsum, eine Virushepatitis (chronische Hepatitis-B- und -C-Infektion) oder eine Fettleber ausgelöst wird. Eine HE findet sich bei 30 bis 45 Prozent dieser Patienten. Noch häufiger ist die sogenannte minimale hepatische Enzephalopathie, die bei bis zu 70 Prozent aller chronisch Leberkranken auftritt.

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Ammoniak als Zellgift

Ein besonderes Abbauprodukt der Eiweiße scheint Ammoniak zu sein. Normalerweise wird das Zellgift von der Leber in harmlosen Harnstoff umgebaut, der dann über die Nieren mit dem Urin ausgeschieden wird. Bei einer chronischen Leberentzündung indes bleibt der Ammoniak im Blut und gelangt über die Blut-Hirn-Schranke auch zum Gehirn. Bislang hatte man angenommen, dass die Nervenzellen nicht direkt, sondern nur das dazwischen liegende Stützgewebe aus Gliazellen anschwillt und so die Nervenzellen in Bedrängnis bringt. Neueste Untersuchungen haben gezeigt, dass hohe Ammoniak-Konzentrationen aber auch den Stoffwechsel der Nervenzellen selbst verändern.

Normalerweise verarbeitet die Leber Ammoniak zu ungiftigem Harnstoff, der ausgeschieden wird. Ist dieser Mechanismus gestört, gelangt mehr und mehr Ammoniak in das Gehirn und lässt bestimmte Gehirnzellen - die sogenannten Astrozyten - anschwellen. Der Hirninnendruck steigt. So entsteht durch ein Leberversagen letztlich eine Ansammlung von Flüssigkeit im Gehirn (Hirnödem).

Weitere Auslöser

Ein akutes Leberversagen infolge einer Virusinfektion oder Vergiftung ist ein möglicher Auslöser für eine akute hepatische Enzephalopathie. In diesem Fall gehen innerhalb weniger Tage die Leberfunktionen zugrunde. Meist ist die Ursache aber eine chronische Lebererkrankung, zu der plötzlich weitere Faktoren hinzukommen. In solchen Fällen entwickelt sie sich nicht schlagartig, sondern langsam und schleichend. Zu den Faktoren gehören:

  • Blutungen im Magen-Darm-Bereich
  • Proteinreiche Nahrung
  • Infektionen, die zu einer gesteigerten Eiweißverwertung führen
  • Durchfall, Erbrechen oder Abführmittel
  • Bestimmte Medikamente (z. B. Beruhigungsmittel)

Manchmal behandeln Ärzte eine Leberzirrhose mit einem sogenannten portosystemischen Shunt, einer künstlichen Verbindung im Gefäßsystem, die dafür sorgt, dass das Blut aus Darm, Magen und Milz nicht mehr gesammelt durch die geschädigte Leber geleitet wird. Dies ist teilweise vor einer Lebertransplantation sinnvoll. Eine mögliche Nebenwirkung dieses Eingriffs ist jedoch die hepatische Enzephalopathie, da das Blut nun nicht mehr gefiltert wird.

Symptome der hepatischen Enzephalopathie

Die Symptome der HE sind vielfältig und können sich schleichend entwickeln. Oft werden sie zunächst von den Angehörigen bemerkt. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

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  • Veränderungen des Gesichtsausdrucks
  • Flattern der Augenlider
  • Zwanghaftes Schlafbedürfnis
  • Zunehmende Verwirrtheit
  • Wackeliges, zittriges Schriftbild
  • Langsamer Bewegungen
  • Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und Desinteresse
  • Verminderte Auffassungsgabe, plötzliche Erinnerungslücken
  • Eingeschränkte allgemeine Leistungsfähigkeit
  • Stimmungsschwankungen, Angst
  • Unkoordinierte Feinmotorik, verwaschene Sprache

In schweren Fällen kann es zu Benommenheit, Desorientierung, Krämpfen, Zittern der Hände und schließlich zum Leberkoma kommen.

Der Verlauf der Hepatischen Enzephalopathie (HE) wird grundsätzlich in zwei Formen unterteilt, die durchaus parallel auftreten können. Die HE verläuft in Schüben. Dabei wechseln sich Phasen mit Bewusstseinsstörung und solche ohne neurologische Symptome ab. Die Lebensqualität der Patienten ist deutlich einge­schränkt; es treten teils schwerwiegende psychische und neurologische Symptome auf.

Bereits die minimale HE (mHE) führt zu eingeschränkter Lebensqualität und Alltagstauglichkeit, wie zum Beispiel einer verminderten Fahrtüchtigkeit. Patienten mit Leberzirrhose sollten deshalb stets auf mHE bzw. HE untersucht werden.

Stadien der hepatischen Enzephalopathie

Die hepatische Enzephalopathie wird in vier Stadien eingeteilt, die den Schweregrad der Symptome widerspiegeln:

  • Stadium I: Vermehrtes Schlafbedürfnis, gelegentlich kombiniert mit einer Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus. Die Patienten wirken geistesabwesend, antriebsarm und desinteressiert.
  • Stadium II: Deutliche psychomotorische Verlangsamung. Auf Ansprache reagieren sie verzögert. Die feinmotorischen Abläufe wie z.B. die Fingerfertigkeit oder das Sprechen sind nun deutlich stärker beeinträchtigt.
  • Stadium III: Hochgradige Bewusstseinsstörung. Die Patienten sind zeitlich und örtlich desorientiert. Sie können unruhig und agitiert sein, sind aber meist apathisch und schläfrig.
  • Stadium IV: Bewusstlosigkeit. Die Patienten reagieren zunächst nicht auf Ansprache und später auch nicht auf Schmerzreize. Willkürliche Bewegungen sind nicht mehr vorhanden.

Diagnose

Die Diagnose der hepatischen Enzephalopathie stützt sich hauptsächlich auf den klinischen Untersuchungsbefund zusammen mit den laborchemischen Zeichen einer fortgeschrittenen Leberinsuffizienz (GOT, GPT, GLDH, CHE, AP, GT, Thrombozyten, Antithrombin III, Albumin, Quick, Bilirubin) und den Nachweis erhöhter Ammoniakwerte.

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Bei Verdacht auf eine HE sollte der Patient zur Sicherung der Diagnose an einen Hepatologen oder an eine Klinik überwiesen werden. Die finale Diagnose erfolgt dann in erster Linie anhand klinischer und laborchemischer Untersuchungen. Dazu zählen Laborbestimmungen wie der Leberfunktionstests, bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) und elektrophysiologische Diagnostik wie die Elektroenzephalografie (EEG).

Psychometrische Tests

Zur genaueren Bestimmung der geistigen Verfassung wie Konzentration und Feinmotorik haben sich die sogenannten psychometrischen Tests bewährt. Mithilfe dieser Tests wird untersucht, ob die Koordination von visuellen und motorischen Aktivitäten im Gehirn der Patienten gestört ist. Zur Anwendung kommen hier z. B. sogenannte Papier-Bleistift-Verfahren wie der Zahlenverbindungstext, Liniennachfahrtest oder Zahlensymboltest. Wenn die Tests in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, eignen sie sich auch dazu, den Verlauf der Therapie zu bewerten. Online gibt es den sogenannten Stroop-Test. Bei diesem Test müssen Farben dem Text zugeordnet werden. Dieser Test lässt sich mithilfe der „Encephal-App“ sogar zu Hause durchführen. Ein weiterer Test ist der sogenannte Animal Naming Test. In diesem Testverfahren geht es darum, in einer bestimmten Zeit so viele Tiernamen wie möglich aufzuzählen. Werden weniger als der festgesetzte Sollwert an Tieren genannt, steigt die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer hepatischen Enzephalopathie.

Eine herausragende Rolle in der Diagnose der latenten HE wird den psychometrischen Testverfahren, den sogenannten Papier- Bleistift- Tests, zugeschrieben. Als einer der ersten Tests wurde der Linien- Nachfahr-Test in die HE-Diagnostik eingeführt. Bei diesem Test haben die Versuchspersonen die Aufgabe, innerhalb einer 4 mm breiten Doppellinie so schnell wie möglich einen Strich zu ziehen, ohne diese zu berühren. Der Linien-Nachfahr-Test misst auf diese Weise sowohl die Geschwindigkeit und Präzision von feinmotorischen Bewegungsabläufen als auch die visuellräumliche Orientierung und die Konzentrationsfähigkeit unter zeitlichen Stressbedingungen. Kombinationen verschiedener Tests haben gegenüber Einzeltests den Vorteil einer genaueren Erfassung der vielfältigen neuropsychologischen Störungen, die durch einen einzigen Test nicht gewährleistet werden kann.

Neurologische Untersuchungen

Ein sogenannter Flimmerfrequenztest gehört zu den möglichen neurologischen Untersuchungen bei der Diagnose einer hepatischen Enzephalopathie. Dabei werden die Patienten mit einem flimmernden Lichtpunkt konfrontiert, der so schnell flackert, dass er als durchgehendes Licht wahrgenommen wird. Erst mit abnehmender Frequenz kann das Flimmern wahrgenommen werden. Je länger es dauert, bis die Patienten das Flimmern erkennen können, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie an einer Gehirnstörung aufgrund einer HE leiden.

Blutuntersuchungen

Blutuntersuchungen stehen für die Diagnose der HE nicht im Vordergrund. Die Bestimmung des Blutammoniaks ist nicht ganz einfach und mit Fehlerquellen behaftet (die Probe muss sofort bis zur Analyse gekühlt werden). Sie sind jedoch zur Diagnose und Verlaufskontrolle der zugrundeliegenden Lebererkrankung sehr hilfreich.

Behandlung

Eine rechtzeitige und dauerhafte Behandlung der hepatischen Enzephalopathie kann die Lebensqualität der Patienten verbessern. Die Behandlung zielt im Wesentlichen darauf ab, die Funktion der Leber zu unterstützen. Bei Virushepatitiden werden diese behandelt, beim Alkohol natürlich die toxischen Substanzen eingeschränkt. Aber das Wichtigste ist, dass man zum Beispiel die Ammoniak-Bildung durch Bakterien im Darm hemmt.

Tritt akut eine Episode auf, müssen zunächst die auslösenden Ursachen identifiziert und behandelt werden, da dies bereits häufig zu einer Linderung der Symptome führt. Auslöser einer Episode können Magen-/Darm-Blutungen, übermäßiger Eiweißkonsum, Verstopfung oder die Einnahme von Beruhigungsmitteln sein. Auch durch eine angepasste Ernährung kann es möglich sein, den Verlauf der HE zu beeinflussen. Bereits nach der ersten HE-Episode ist eine konsequente Prophylaxe gegen weitere Schübe notwendig, denn mit jeder weiteren Episode drohen dauerhafte Verschlechterungen des mentalen Zustands, die sich aufsummieren.

Medikamentöse Behandlung

Konventionelle medikamentöse Maßnahmen zielen vor allem darauf ab, den Ammoniakspiegel zu senken. Zur Behandlung bzw. Vorbeugung der LHS gibt es verschiedene Möglichkeiten, nämlich die Wirkstoffe Lactulose, L-Ornithin-L-Aspartat und Rifaximin.

  • Lactulose: Lactulose ist ein künstlicher Zucker, der die Verdauung anregt. Er verstärkt die Bildung von „guten“ Bakterien im Darm. Dadurch wird das Darmmilieu (die Lebensbedingung für die Darmbakterien) leicht sauer, so dass weniger Ammoniak in den Körper aufgenommen wird.
  • L-Ornithin-L-Aspartat: L-Ornithin-L-Aspartat regt den Abbau von schädlichem Ammoniak in unschädlichen Harnstoff an, der vermehrt über den Urin ausgeschieden wird.
  • Rifaximin: Rifaximin ist ein Antibiotikum, das kaum in den Körper aufgenommen wird und nur im Darm wirkt.

Einige Zentren verzichten auf Antibiotika, weil die Präparate ohnehin nur für kurze Zeit verabreicht werden dürfen, und immer droht die Gefahr der Resistenzentwicklung. Zusätzlich zur Lactulose kommt auch "Ornitin Aspartat" zum Einsatz. Das gut verträgliche Medikament fördert den Abbau des toxischen Ammoniaks über die Muskulatur. Andere Forscher wiederum setzten zusätzlich auf Zink, um den Mangel an Spurenelementen zu kompensieren. Aber diese Therapie ist umstritten.

Ernährung

Diätfehler wie z.B. Durch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen und geringfügige Veränderungen der Lebensgewohnheiten lassen sich bereits bemerkenswerte Erfolge erzielen. So sollten Patienten mit einer Leberzirrhose eine ausgewogene, ballaststoffreiche Ernährung einhalten und Alkohol meiden.

Es muss an dieser Stelle besonders darauf hingewiesen werden, dass entgegen früherer Meinungen eine Eiweißreduktionskost (= Eiweißmangelkost oder Proteinmangelernährung) bei Leberzirrhotikern, die nicht an einer akuten Enzephalopathie- Episode leiden, aus heutiger Kenntnis nicht sinnvoll ist. Anzustreben sind eine tägliche Proteinzufuhr von 0,8 - 1g/kg Körpergewicht, wobei pflanzliches Eiweiß gegenüber tierischem Eiweiß den Vorteil einer ausgeglicheneren Ammoniakbilanz zu haben scheint.

Weitere Maßnahmen

Die Beseitigung oder Vermeidung der oben beschriebenen, auslösenden Faktoren genügt andererseits in vielen Fällen, eine Enzephalopathie-Episode zu beenden. Infektionen sollten beispielsweise frühzeitig antibiotisch behandelt werden, Beruhigungs- und Schlafmittel wie Benzodiazepine sollten durch andere Medikamente ersetzt werden und eine übermäßige Diurese (Wasserausscheidung) sollte vermieden werden. In unklaren Fällen ist eine Stuhluntersuchung auf Blut und ggf.

Im Extremfall kann eine Leberverpflanzung erforderlich sein. Doch Spender-Organe sind knapp, und die Behandlung einer chronischen Leberentzündung ist schwierig, vor allem dann, wenn die Erkrankung erst sehr spät, 20 oder 30 Jahre nach Infektion mit Hepatitis-Erregern entdeckt wird. Dann ist die Vernarbung des Organs infolge der Zirrhose so weit fortgeschritten, dass selbst Medikamente gegen die Viren wenig ausrichten können.

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