Seit über 2500 Jahren praktizieren Menschen Meditation und erleben die verblüffenden Wirkungen auf Gehirnleistungen, den Abbau von Stress oder Ängsten und die Entwicklung der Persönlichkeit. Oft scheint Meditation geradezu Übersinnliches zu leisten. Heinz Hilbrecht, selbst Meditierender, Naturwissenschaftler und Journalist, widmet sich in seinem Buch "Meditation und Gehirn" der wissenschaftlichen Erforschung dieser Phänomene und der Frage, wie östliche Weisheit auf dem Boden der Wissenschaft ins Leben geholt werden kann.
Wissenschaftliche Grundlagen der Meditationsforschung
Die wissenschaftliche Methode fordert, dass Ergebnisse für jeden Menschen nachvollziehbar und überprüfbar sein müssen. In der Naturwissenschaft muss jede Erkenntnis durch Experimente überprüfbar sein. Daher wird unterschieden zwischen Hypothesen, empirischen Erkenntnissen und Theorien.
Hypothesen, Empirie und Theorie
Eine Hypothese ist eine unbewiesene Annahme, die die Motivation zur wissenschaftlichen Forschung liefert. Eine gute Hypothese sollte plausible Grundgedanken haben und Experimente aufzeigen, um sie zu überprüfen. Empirische Erkenntnisse entstehen durch wissenschaftliche Experimente und Beobachtungen. "Wissenschaftlich" bedeutet dabei, dass diese Forschung so gestaltet ist, dass sie prinzipiell für jeden Menschen wiederholbar, nachvollziehbar und damit überprüfbar ist. Der Wissenschaftler ist dabei als Person ersetzbar, denn nur so kann das Experiment wiederholt werden. Zur wissenschaftlichen Forschung gehört auch die selbstkritische Haltung des Wissenschaftlers.
Black-Box-Untersuchungen
In der medizinischen Forschung ist das besonders wichtig, denn der Mensch ist ein extrem komplexes System. Typisch für solche Systeme ist, dass Veränderungen an einer Stelle zu Wirkungen an vielen anderen Stellen führen können, die wieder Ursachen für neue Veränderungen werden. Solche Systeme sind in ihren einzelnen Bestandteilen kaum vorhersagbar. Das bedeutet, dass Beobachtungen und Messungen ein System „von außen“ erfassen und nicht seine Einzelkomponenten. Solche Verfahren sind als „Black-Box-Untersuchungen“ bekannt. Dabei wird ein äußerer Einfluss auf ein System mit der Antwort verglichen, die das System produziert. Die Prozesse innerhalb des Systems werden dabei nicht betrachtet.
Systemgrenzen
Das „System Herz“ kann verdeutlichen, dass die Bestimmung der Systemgrenzen kein triviales Problem ist. Der Herzschlag unterliegt einem regulatorischen System, dass die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff, Nährstoffen oder Bestandteilen des Immunsystems sicherstellt. Dafür wird ein bestimmtes Blutvolumen bewegt und ein bestimmter Blutdruck in den Gefäßen aufrechterhalten. Der Herzschlag wird durch zahlreiche physische Faktoren bestimmt. In diesem System sind allerdings auch psychische Faktoren wirksam. So wirkt allein die Aufregung des Patienten vor der Behandlung bzw. dem Experiment auf den Herzschlag, ebenso Vertrauen oder Abneigung gegenüber dem Therapeuten. Das „System Herz“ erweitert sich auf psychische Faktoren und schließt eventuell sogar den Therapeuten ein.
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Der Therapeut als Teil des Systems
Gerade in der Osteopathie ist der Therapeut immer Teil des Systems. Allein die körperliche Berührung löst eine Vielzahl von Reaktionen im Patienten aus, im günstigen Fall Gefühle von Vertrauen, Zuversicht und Geborgenheit. Damit schüttet der Patient auch das „Bindungshormon“ Oxytozin aus, das die Stressreaktion dämpft und z.B. die Heilung von Wunden deutlich beschleunigt. Subjektive Einzelerfahrungen in der Palpation während einer osteopathischen Behandlung werden durch verschiedene Erfahrungshorizonte des praktizierenden Osteopathen gefärbt. Die Schwäche dieser Vorgehensweisen liegt in einer gewissen Unschärfe subjektiver Wahrnehmungsmodi. Die Stärke dabei ist die Fähigkeit zu Resonanzbildung und Empathie und damit die Fähigkeit, sich auf das dynamische Ganze eines individuellen Patienten einzustimmen.
Theoriebildung als Forschungsziel
Eine Theorie ist in der Wissenschaft kein weltfremdes Konstrukt, wie die Verwendung des Begriffs in der Umgangssprache suggeriert. Vielmehr ist eine wissenschaftliche Theorie das eigentliche Ziel der Forschung. Eine Theorie verallgemeinert die Ergebnisse empirischer Forschung und macht sie berechenbar. Sie ist ein Modell der Wirklichkeit, aus dem sich Vorhersagen ableiten lassen, an denen sich der Wert der Theorie im Alltag messen muss. In aller Regel gilt eine Theorie nur innerhalb bestimmter Grenzen. In der Wissenschaft ist es außerdem normal, dass Widersprüche zwischen Theorie und Wirklichkeit neue Forschung anstoßen, Zusammenhänge tiefer erfassen lassen und sich daraus eine neue Theorie entwickelt.
Wissenschaft als historischer Prozess
Wissenschaft ist ein historischer Prozess, der eingebunden ist in die Entwicklung der gesamten Gesellschaft. Was eine Gesellschaft und damit auch der Wissenschaftler für „undenkbar“ hält, kann sich grundlegend verändern. Eine entscheidende Eigenschaft des Wissenschaftlers sollte sein, jeden Kenntnisstand und jede Theoriebildung als „Stand der Wissenschaft“ zu sehen, der sich mit neuen Erkenntnissen verändern muss. Wissenschaftler handeln nicht aufgrund von „Wahrheit“, sondern nach bestem Wissen und Gewissen.
Osteopathie und Wissenschaft
Häufig wird formuliert, dass die Osteopathie zugleich Philosophie, Wissenschaft und Kunst in einem ist. Nach Wright umfasst die Osteopathie als Wissenschaft beispielsweise Teilbereiche der Biologie, Chemie und Physik im Dienste der Gesundheit sowie der Prävention, der Heilung und der Linderung von Krankheiten.
Ganzheitlichkeit im Trend moderner Wissenschaft
Osteopathie hat den Anspruch der Ganzheitlichkeit, den Menschen nicht mehr in Einzelaspekten wahrzunehmen. Tatsächlich liegt sie damit im Trend moderner Wissenschaft, denn die Trennung von Psyche und Körper (Soma), die Einzelbetrachtung von Organen oder eine rein biologische Sicht des Menschen bricht in diesen Tagen auch in der großen Strömung der Medizin zusammen. Selbst die Heilung einer einfachen Schnittwunde hat starke psychische Aspekte. Die moderne Psychosomatik und ihre Weiterentwicklung zur integrierten Medizin breitet sich auf alle Felder aus, unterstützt durch eindrucksvolle Forschung. Neue Fachgebiete sind entstanden, vor allem die Psychoneuroimmunologie, denn psychische Prozesse wirken bis auf die zelluläre und epigenetische Ebene. Vorstellungen, Gedanken und innere Bilder können Wirkungen haben, die an Wunder glauben lassen, bis hin zum Verschwinden eines anderweitig unheilbaren Tumors. Die sich entwickelnde Osteopathie kann die ganzheitliche Sicht, die Vereinigung von Psyche und Soma, deshalb naturwissenschaftlich begründen und sollte sie von vornherein in ihre Forschungsstrategien einbeziehen.
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Der Osteopath als Teil des Systems
Die Osteopathie ist eine manuelle Kunst, mit der der Osteopath über körperlich ausgeübte Techniken teilweise grundlegend in den Körper des Patienten eingreift. Allein das Sprechen des Therapeuten kann Patienten biologisch verändern, z.B. die Wirksamkeit von Medikamenten stark und messbar verbessern, Schmerzen nachhaltig lindern oder Gehirnfunktionen verändern. Wohlgefühl, nicht allein die Therapie, dämpft das Empfinden von Schmerz. Selbst die Individualität zweier Menschen in einer Interaktion ist eine Illusion, auch wenn Menschen sich individuell erleben. Die alleinige Betrachtung des Patienten in Diagnose und Therapie wäre also nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft nicht ausreichend. Der Osteopath ist Teil des „Systems Patient“, muss sich ebenso als Gegenstand der Forschung sehen und entsprechende Daten über sich erheben.
Wissenschaftlich dokumentieren
Wissenschaft beginnt mit der empirischen Forschung, dem Feststellen „was ist“ für die tägliche Praxis. In der Osteopathie wäre das z.B. Forschung über die Effizienz einer osteopathischen Behandlung bei verschiedenen Erkrankungsbildern. Auf diesem Stand sind Black-Box-Verfahren von großem Wert. Der Behandler behandelt dabei nach üblicher Praxis und beschränkt sich nicht auf beispielsweise die Ausübung einer einzigen Technik. Zur Wissenschaft wird dieser Vorgang durch standardisierte Dokumentation. Sie beginnt mit der Anamnese, die auch Vorerkrankungen einschließt („Schmerzgedächtnis“), der momentanen Befindlichkeit des Patienten und sollte auch Gründe erfassen, die zum Osteopathen führen. Die Erwartungshaltung, Hoffnung, das Vertrauen eines Menschen entscheiden oft grundlegend über den Erfolg einer Therapie. Die Dokumentation von Diagnose und Therapie sollte alle angewendeten Ansätze erfassen. Damit wird der Vorgang am einzelnen Patienten über verschiedene Patienten hinweg vergleichbar, es können immer wiederkehrende Techniken bei einem bestimmten Beschwerdebild identifiziert werden. Dabei spielt es keine Rolle, welche Art von Behandlungsmethoden angewandt wird. Vielmehr wird untersucht, ob sich durch die Behandlung das Befinden der Patienten verbessert. Dafür können objektive Messmethoden, wie beispielsweise Labortestungen, wie auch subjektive Tests, z.B. validierte Schmerzfragebogen, herangezogen werden. Ebenso kann als krankheitsübergreifendes Messinstrument der SF-36 genutzt werden. Dieser Fragebogen ermöglicht die Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Patienten. Grundsätzlich müssen alle Daten, die aus dem Gedächtnis des Therapeuten stammen, sofort nach der Entlassung des Patienten dauerhaft erfasst werden. Verfälschte Erinnerungen und sogar künstliche Erinnerungen sind Realität, die Daten aus dem Gedächtnis schon nach kurzer Zeit unbrauchbar machen kann.
Vergleich der Ergebnisse unterschiedlicher Behandler
Im nächsten Schritt könnte sich der Blick auf den Patienten fokussieren und auf Unterschiede zwischen individuellen Osteopathen. Das gleiche Programm, die gleiche Datenerhebung in einem Netzwerk von Osteopathen kann die individuelle Wirkung des Therapeuten erschließen. Dabei besteht die Gefahr von Konkurrenzgefühlen. Solche Fehlerquellen werden durch Anonymisierung der Daten beseitigt. Patienten und Therapeuten bekommen Codes. Der Schlüssel für Patienten liegt dabei wegen der Schweigepflicht beim behandelnden Osteopathen, der Schlüssel für die Therapeuten bei einer unabhängigen und vertrauenswürdigen Stelle. Dabei entsteht auch individueller Nutzen, denn Forschung im Netzwerk fordert zum Vergleich und zum Austausch positiver Erfahrungen, mit dem Ziel der eigenen Verbesserung. Im ersten Schritt bieten sich Zwischentester-Übereinstimmungen (Intertester-Reliabilitäten) in der Befunderhebung als Gegenstand der Untersuchung an. Hierbei wird getestet, ob bei der manuellen Befundaufnahme verschiedener Osteopathen Übereinstimmungen erzielt werden. Systematische Reviews haben eine schlechte Intertester-Reliabilität bei paraspinalen palpatorischen Weichgewebe-Diagnostiktests gezeigt. Dabei ist Testung des regionalen Bewegungsumfangs zuverlässiger als die Testung des segmentalen Bewegungsumfangs.
Theoriebildung als Forschungsziel
Mit dem wachsenden Fundus empirischer Daten entwickelt sich die Möglichkeit zur Theoriebildung. Selbstverständlich ist es wünschenswert, mögliche Wirkungsweisen osteopathischer Behandlungen aufzudecken. Dazu sind im Forschungsprozess auch Untersuchungen unter kontrollierten Bedingungen nötig, die den Effekt bestimmter Behandlungsstrategien bis zu einzelnen Techniken überprüfen. Das untersuchte System wird dabei immer weiter verkleinert, bis hin zu den Wirkungsweisen einzelner Bausteine der Osteopathie. Im Ideal führt die Kenntnis der Bausteine zur Theorie und damit wieder in die Verallgemeinerung für die Praxis. Allerdings sind solche Untersuchungen aufwändig, teuer und im Grunde auch frustrierend, denn sie können und sollen nur Einzelaspekte erfassen. Diese Art Forschung muss durch zahlreiche praxisnahe Studien im Black-Box-Verfahren motiviert werden, denn nur so lassen sich lohnende Ansätze für aufwändige Forschungsstrategien identifizieren. Außerdem muss diese Art der Forschung häufig interdisziplinär sein, also Partner außerhalb der Osteopathie gewinnen, mit ihren Labors und speziellen Fähigkeiten. Auch dafür ist eine fundierte empirische Forschung entscheidend, die interessante wissenschaftliche Fragestellungen identifiziert und zur Zusammenarbeit motiviert. Die Theoriebildung sollte allerdings nicht das erste Ziel der Forschung sein, auch wenn dieses Ziel natürlich reizvoll ist. Dabei ist es grundlegende Erfahrung der Wissenschaft, dass Theorien im Grunde die vergänglichsten Produkte wissenschaftlicher Arbeit sind. Dagegen ist gut dokumentierte und objektive empirische Forschung oft nach Jahrhunderten noch gültig und findet Eingang in neue Theoriebildung. Auch die Untersuchung sogenannter kranialer Rhythmen bzw. die kraniale Befunderhebung stellt sich ähnlich schwierig dar. Die einzige von bisher acht durchgeführten Studien, die beispielsweise eine zufriedenstellende Übereinstimmung zwischen den Befunden verschiedener Untersucher nachweisen konnte (Interrater-Reliabilität) ist eine Studie von Upledger, die allerdings deutliche Schwächen in der Methodologie und Durchführung aufweist. Mögliche Gründe für solche Ergebnisse liegen beispielsweise darin, dass der sog. kraniosakrale Rhythmus ein Artefakt ist, der PRM eher ein metaphysisches als ein physiologisches Konzept ist, sich physiologische rhythmische Prozesse (z.B. Herz- und Atemrhythmus) zwischen Untersucher und Probanden gegenseitig beeinfluss…
Meditation und Gehirn: Heinz Hilbrechts Ansatz
Heinz Hilbrecht präsentiert in seinem Buch "Meditation und Gehirn" ein Handbuch für Meditierende, das östliche Weisheit auf dem Boden der Wissenschaft ins Leben holt. Meditation führt zu Erfahrungen, die der Alltagswahrnehmung zum Teil sehr widersprechen und galten deshalb früher als unerklärlich. Aus diesem Grunde werden solche Techniken als »okkult« abgetan. Hilbrecht sorgt sich um diejenigen, die es mit Meditation versuchen. Hier scheint mir Hilbrechts zentrale Motivation zu liegen, die Erklärung für Erfahrungen durch Meditation ganz an die verschiedenen - vor allem unbewussten - Hirnfunktionen anzubinden. Der Autor fasst die Untersuchungsergebnisse von frühen Studien bis zu den aktuellsten (2010) immer im Hinblick auf seine jeweilige Themenauswahl zusammen, wie zum Beispiel sprachliches Denken und intuitives Denken, freier Wille, Theory of Mind, Empathie - um nur einige Stichworte zu nennen. Er zeigt, wie die Ausdehnung unserer bewussten Wahrnehmung zunehmend zu einer Bewusstmachung bisher unbewusster Denkprozesse führt und wie sich das in entsprechenden Aktivitäten bestimmter Hirnareale nachweisen lässt. Das letzte Drittel des Buches widmet sich den Gefahren für Meditierende. In diesem Zusammenhang beleuchtet er das Verhältnis Lehrer-Schüler, die Auswirkungen von Drogenkonsum und den Umgang mit dem an die Oberfläche tretenden Unbewussten. Schließlich folgen noch gute vierzig Seiten praktischer Tipps und Hinweise, die augenscheinlich aus der eigenen 30-jährigen Meditationserfahrung des Autors erwachsen sind.
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Willensfreiheit und Hirnforschung
Fasziniert hat, wie Heinz Hilbrecht aus den Ergebnissen der Forschung ein klares Plädoyer für die menschliche Willensfreiheit ableitet. In der Reihe "Wissen & Leben" präsentiert der Schattauer-Verlag anspruchsvolle Essays aus den Themenbereichen Medizin, Psychologie, Naturwissenschaft und Naturphilosophie.
Heinz Hilbrechts Hintergrund
Der Autor des Buches "Meditation und Gehirn", Heinz Hilbrecht, wurde 1990 zum Dr. rer. nat. in Geologie und Paläontologie promoviert und verfügt über 30jährige Erfahrung mit Meditation.
Kritik und Würdigung
Das Buch verbindet ein komplexes Thema mit sehr moderner Forschung unterhaltsam, ohne dabei die Sachlichkeit zu verlieren. Insgesamt ist "Meditation und Gehirn" ein spannendes Buch, nicht nur, weil es neue Erkenntnisse aus der Gehirnforschung enthält.
Gefahren der Meditation
Hilbrecht beleuchtet auch die Gefahren für Meditierende, wie das Verhältnis Lehrer-Schüler, die Auswirkungen von Drogenkonsum und den Umgang mit dem an die Oberfläche tretenden Unbewussten.
Praktische Tipps und Hinweise
Das Buch enthält praktische Tipps und Hinweise, die aus der eigenen 30-jährigen Meditationserfahrung des Autors stammen.
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