Die Diagnose Demenz stellt Betroffene und Angehörige vor große Herausforderungen. Weltweit leben Millionen von Menschen mit dieser Erkrankung, und in Deutschland sind es aktuell rund 1,8 Millionen. Da es derzeit keine Therapie gibt, die zur Heilung führt, konzentrieren sich die Behandlungen darauf, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Neben medikamentösen Behandlungen spielen psychosoziale Therapien eine wichtige Rolle, insbesondere künstlerische Therapien wie Musik-, Kunst- und Tanztherapie. Diese Therapieformen nutzen nonverbale und prozedurale Kommunikation, um Fähigkeiten zu stärken und Ressourcen zu aktivieren.
Künstlerische Therapien im Überblick
Künstlerische Therapien nutzen künstlerische Medien und Prozesse, um die Wahrnehmung und Gestaltung zu fördern. Durch die Stimulation visueller, auditiver und taktiler Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Konzentration und Orientierung sollen kommunikative und soziale Kompetenzen gefördert werden. Zu den bekanntesten künstlerischen Therapien gehören:
- Musiktherapie
- Kunsttherapie
- Tanztherapie
- Theatertherapie
Musiktherapie bei Demenz
Die Musiktherapie wird in zwei Hauptformen angewendet: aktive und rezeptive Musiktherapie.
- Aktive Musiktherapie: Hierbei beteiligt sich der Demenzkranke aktiv am musikalischen Geschehen, entweder durch Singen oder durch das Spielen eines Instruments.
- Rezeptive Musiktherapie: Diese Form umfasst das gezielte Abspielen von Musik, oft mit biografischem Bezug, um positive Erinnerungen und interpersonale Erfahrungen zu fördern.
Studien deuten darauf hin, dass insbesondere die aktive Musiktherapie positive Effekte auf psychische und Verhaltenssymptome bei Menschen mit Demenz haben kann. Eine Studie zeigte, dass interaktives Musizieren die Anteilnahme der Teilnehmer signifikant erhöhte. Eine weitere Studie ergab eine Verbesserung der psychischen und Verhaltenssymptome wie Wahnerleben, Agitiertheit, Angst, Apathie, Reizbarkeit, Unruhezustände und Schlafrythmusstörungen durch aktive Musiktherapie.
Rezeptive Musiktherapie, insbesondere das Vorspielen von persönlich bevorzugter Musik ("preferred music"), kann ebenfalls geringe Effekte auf agitiertes und aggressives Verhalten haben.
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Kunsttherapie bei Demenz
Die Kunsttherapie bietet Demenzerkrankten die Möglichkeit, sich nonverbal auszudrücken und ihre Kreativität zu entfalten. Sie kann im Einzel- oder Gruppensetting stattfinden und stützt sich auf verhaltens- und tiefenpsychologische sowie heilpädagogisch-rehabilitative Ansätze.
In der Kunsttherapie geht es nicht um die Analyse der Kunstwerke, sondern um den kreativen Prozess selbst. Das künstlerische Gestalten kann Konzentration und Orientierungsfähigkeiten positiv beeinflussen, Depressionen abbauen und den sozialen Austausch fördern. Töpfern, Malen, Basteln, kreatives Schreiben, Häkeln oder Stricken - der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Eine Studie berichtete über Verbesserungen im Bereich der Stimmung, der Gesamtbefindlichkeit im Lebensalltag sowie der kognitiven Leistungen bei Demenzkranken, die an einer psychodynamisch orientierten Kunsttherapie in der Gruppe teilnahmen.
Wie wirkt Kunsttherapie?
- Fördert die Konzentration: Kunsttherapie kann bei unruhigen Menschen die Konzentration fördern.
- Unterstützt die Orientierungsfähigkeit: Sich an ein festes Motiv zu halten, kann auf leicht desorientierte Patienten orientierend wirken.
- Weckt Erinnerungen: Das Malen kann Erinnerungen wecken und stille Zeitgenossen zum Erzählen verleiten.
- Verbessert die Kommunikation: Kunsttherapie kann die Kommunikation zwischen Demenzpatienten und ihren Bezugspersonen verbessern.
- Stärkt das Selbstbewusstsein: Ein Bild ist immer ein Erfolg, den man zeigen und auf den man stolz sein kann.
- Fördert das soziale Miteinander: Kunsttherapie in der Gruppe kann Isolation entgegenwirken und die Patienten als Teil einer Gemeinschaft erleben lassen.
- Ermöglicht nonverbale Kommunikation: Kunsttherapie ermöglicht es Demenzkranken, ihre Gefühle auszudrücken, ohne die richtigen Worte finden zu müssen.
- Reduziert Angst und Unruhe: Kreatives Tun kann Angst und Unruhe reduzieren und zu Vertrauen führen.
- Hebt die Stimmung: Angehörige berichten, dass die Stimmung der Patienten nach Kunststunden oft deutlich aufgehellt ist.
Tanztherapie bei Demenz
In der Tanztherapie werden Bewegung und Tanz zur Interaktion mit dem Demenzkranken eingesetzt. Sie kann insbesondere bei Störungsbildern mit eingeschränkter sprachlicher Kommunikation einen ressourcenstärkenden Effekt haben.
Praktische Umsetzung der Kunsttherapie
Kunsttherapie wird in unterschiedlichen Settings angeboten, z.B. in Seniorenheimen, Tagespflege-Einrichtungen oder gerontopsychiatrischen Kliniken. Eine typische Sitzung dauert 45 bis 90 Minuten und wird von einer qualifizierten Kunsttherapeutin geleitet. Es werden verschiedene Materialien bereitgestellt, und oft werden thematische Impulse gegeben.
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Wie läuft eine Kunsttherapie-Sitzung ab?
- Begrüßungsrunde: Die Sitzung beginnt mit einer Begrüßungsrunde und einem kleinen Aufwärmritual.
- Kreative Phase: Jeder Teilnehmer kann selbst entscheiden, wie und was er gestalten möchte. Die Kunsttherapeutin beobachtet die Gruppe aufmerksam und greift helfend ein, wo nötig, bleibt aber im Hintergrund, um die Eigeninitiative nicht zu stören.
- Abschlussrunde: Zum Abschluss werden die entstandenen Werke in der Runde gezeigt und besprochen. Im Vordergrund steht die Freude an den unterschiedlichen Ergebnissen.
Tipps für die Kunsttherapie zu Hause
Auch pflegende Angehörige und Betreuer in Heimen können Elemente der Kunsttherapie in den Alltag integrieren. Legen Sie z.B. regelmäßig einen „Malnachmittag“ ein. Stellen Sie Papier und Farben auf den Tisch, vielleicht ein paar alte Fotos oder Postkarten als Anregung, und malen Sie zusammen drauflos. Wichtig ist, keine Bewertung und keinen Druck auszuüben. Loben Sie ehrlich und vermeiden Sie Verbesserungsversuche.
Schlagen Sie z.B. vor, gemeinsam etwas zum Thema „Früher Weihnachten bei uns“ zu zeichnen, oder „Haustiere, die wir hatten“. Solche Inhalte verankern das kreative Tun in vertrauten Gefilden. Oft kommen währenddessen Geschichten oder Anekdoten zum Vorschein, die dem Demenzkranken ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Grenzen und Möglichkeiten
Obwohl die Kunsttherapie die Alzheimer- oder andere Demenzprozesse nicht stoppen kann, stellt sie den kreativen Menschen in den Mittelpunkt und nicht die Krankheit. Sie kann die Lebensqualität der Betroffenen verbessern, ihre Stimmung aufhellen, ihre Kommunikationsfähigkeit fördern und ihr Selbstbewusstsein stärken.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Kunsttherapie in allen Demenzphasen versucht werden kann. Selbst im fortgeschrittenen Stadium kann kreatives Tun beruhigend wirken.
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