Die Vorstellung, dass die beiden Gehirnhälften unterschiedliche Aufgaben haben, ist weit verbreitet. Es wird oft von einer "emotionalen rechten Gehirnhälfte" und einer "analytischen linken Gehirnhälfte" gesprochen. Analytisch denkende Menschen sollen eine stärkere linke Gehirnhälfte haben, während kreative Menschen eine dominante rechte Gehirnhälfte besitzen sollen. Doch wie viel Wahrheit steckt in diesem Mythos?
Die Anatomie des Gehirns: Zwei Hälften, viele Areale
Das menschliche Gehirn ist tatsächlich in zwei Hälften geteilt, die Hemisphären genannt werden. Diese sind durch einen Balken in der Mitte miteinander verbunden und arbeiten eng zusammen. Die Aufgaben des Gehirns sind nicht einfach auf eine rechte und eine linke Seite verteilt, sondern auf verschiedene Areale, die sich meistens sowohl links als auch rechts im Gehirn befinden.
Zu diesen Arealen gehören die Gehirnlappen:
- Frontallappen: Verantwortlich für Planung, Entscheidungsfindung und Persönlichkeit.
- Parietallappen: Zuständig für sensorische Wahrnehmung, räumliche Orientierung und Aufmerksamkeit.
- Temporallappen: Wichtig für Gedächtnis, Sprache und auditive Verarbeitung.
- Occipitallappen: Verantwortlich für visuelle Verarbeitung.
- Insellappen: Beteiligt an Emotionen, sozialem Verhalten und Körperwahrnehmung.
Spezialisierungen der Hemisphären
Obwohl die meisten Hirnareale in beiden Hälften zu finden sind, gibt es dennoch einige Unterscheidungen. So steuert die linke Gehirnhälfte die rechte Körperhälfte und umgekehrt. Zudem gibt es einige Gehirnareale, die bei den meisten Menschen nur in einer Gehirnhälfte liegen.
Ein Beispiel hierfür sind das Broca- und das Wernicke-Areal, die für die Sprache verantwortlich sind und bei Rechtshändern größtenteils in der linken Hemisphäre liegen. Das Broca-Areal ist hauptsächlich für die Sprachproduktion zuständig, während das Wernicke-Areal für das Sprachverständnis wichtig ist.
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Mythos vs. Realität: Was leisten die Gehirnhälften wirklich?
Oft wird die rechte Gehirnhälfte als die emotionale und kreative und die linke als die analytische und rationale Hälfte angesehen. Vereinfacht lässt sich sagen, dass die rechte Seite des Gehirns eher für emotionale, intuitive und kreative Prozesse zuständig ist. Darunter fallen Prozesse wie:
- Erkennen von Mustern und Gesichtern
- Räumliches Denken
- Bild-, Farb-, Symbolsprache
- Wahrnehmen komplexer Informationen
Die linke Seite hingegen kümmert sich überwiegend um logische, rationale und analytische Aufgaben. Dazu gehören zum Beispiel:
- Schrittweises Verarbeiten von Informationen
- Abstraktes Denken
- Geschriebene und gesprochene Sprache
- Konzentriertes Wahrnehmen
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass es sich hierbei um eine Vereinfachung handelt. Das Empfinden von Gefühlen kann man nicht alleine einer Gehirnhälfte zuordnen. In der Realität gibt es eher eine Mischung aus beiden Hemisphären. Je harmonischer beide Gehirnhälften miteinander arbeiten, desto stärker erweitert sich unser Bewusstsein. Einerseits denken wir ganzheitlicher und kombinieren Intuitives mit Logischem. Andererseits handeln und denken wir auch umfassender. Viele komplexe Aufgaben gelingen nur dann, wenn sich alle Abteilungen unseres Gehirns vernetzen und zusätzlich ergänzen. Erst durch die Zusammenarbeit ist unser Denk- und Handlungsapparat funktionstüchtig.
Die Zusammenarbeit der Hemisphären: Teamwork im Oberstübchen
Die beiden Gehirnhälften sind durch den sogenannten Balken (Corpus callosum) miteinander verbunden. Dieser ermöglicht den Austausch von Informationen und die Koordination der Aufgaben. Die Zusammenarbeit der beiden Hemisphären ist entscheidend für komplexe kognitive Prozesse wie Sprache, Problemlösung und Kreativität.
Die Goethe Universität in Frankfurt am Main hat in einer Studie das Zusammenspiel der beiden Gehirnhälften beim Sprechen untersucht und ist zu neuen Erkenntnissen gekommen. Es konnte festgestellt werden, dass die linke Gehirnhälfte zeitliche Aspekte wie den Übergang von Sprachlauten kontrolliert, während die rechte Hirnhälfte dafür zuständig ist, dass die Laute, die unser Mund formt, auch so klingen wie sie klingen sollen. Des Weiteren wurde herausgefunden, dass die linke Hemisphäre bevorzugt zum Steuern schneller Bewegungen genutzt wird, während die rechte Seite besser langsame Abläufe kalibrieren kann.
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Hemisphärendominanz: Gibt es den "linken" oder "rechten" Gehirntyp?
Es gibt nicht den linken und rechten Gehirntyp in Reinkultur, genauso wenig wie rein auditive oder visuelle Lerntypen. Das Zusammenspiel von rechter und linker Gehirnhälfte ist für uns von großer Bedeutung. Das rechte Zentrum lässt uns erst die volle Bedeutung von Sätzen, nicht nur das Gesagte, sondern das Gemeinte verstehen. Bei den meisten Menschen ist die linke Hemisphäre dominanter.
Unterschiede in der Hirnasymmetrie: Vererbung und Umwelt
Die Funktionsaufteilung von Mensch zu Mensch ist verschieden. Frühere Studien hatten gezeigt, dass sich das wiederum auf die Fähigkeiten selbst auswirken kann. Zu wenig asymmetrisch ausgebildete Sprachareale auf der linken Hirnseite werden zum Beispiel als eine mögliche Ursache für Legasthenie vermutet. Auch bei Krankheiten wie Schizophrenie und Autismus-Spektrum-Störungen oder Hyperaktivität bei Kindern wird mit einer zu schwachen Aufgabenteilung zwischen den beiden Hirnhälften in Zusammenhang gebracht.
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften und des Forschungszentrums Jülich haben nun untersucht, wie sich Asymmetrien entlang von sogenannten funktionellen Gradienten entwickeln, d. h. entlang von Achsen in der Großhirnrinde an der sich die Hirnfunktionen anordnen. Das Ergebnis: Es gibt tatsächlich feine Unterschiede darin, wie Hirnregionen unterschiedlicher Funktionen auf der linken und rechten Seite des Gehirns aufreihen. Auf der linken Seite sind es die Regionen zur Sprachverarbeitung, die sich am weitesten entfernt von denen für Sehen und Wahrnehmung liegen. Auf der rechten Seite befindet sich hingegen das Netzwerk für Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis am weitesten entfernt von den sensorischen Regionen. Zudem zeigte sich: Die individuellen Unterschiede in dieser Anordnung sind vererbbar. Sie sind damit zum Teil genetisch bedingt. Ein Großteil dieser Asymmetrie im menschlichen Gehirn lässt sich hingegen nicht durch genetische Faktoren erklärt werden. Das könnte wiederum darauf hindeuten, dass der durch die persönliche Erfahrung einer Person, also durch Einflüsse aus ihrer Umwelt, geprägt ist.
Der Vergleich mit Makaken brachte schließlich zutage: Das Gehirn des Menschen ist asymmetrischer als das von Affen. "Vermutlich ergibt sich die Asymmetrie unseres Gehirns aus genetischen Faktoren und solchen, die sich aus persönlichen Erfahrungen ergeben", erklärt Bin Wan, Doktorand am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften und Hauptautor der Studie, die jetzt in der Zeitschrift eLife veröffentlicht wurde. Tatsächlich beobachtete das Forschungsteam bei älteren Menschen eine geringere Rechtsasymmetrie. Das Phänomen könnte sich demnach im Laufe des Lebens verändern.
Auswirkungen von Schädigungen der Hemisphären
Wenn die linke Gehirnhälfte (Hemisphäre) ausfällt, kann dies zu einer Vielzahl von kognitiven, emotionalen und motorischen Beeinträchtigungen führen. Am häufigsten treten jedoch Sprachschwierigkeiten auf, welche regelmäßig zu Störungen in der Worterkennung führen können. Wenn die linke Gehirnhälfte ausfällt, beispielsweise aufgrund eines Schlaganfalls, findet eine Lähmung der rechten Seite des Körpers statt, eine sogenannte Hemiplegie. Außerdem kann eine Wortfindungsstörung ausgelöst werden.
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Fällt die rechte Gehirnhälfte (Hemisphäre) aus oder ist beschädigt, ist die Orientierungslosigkeit in der Regel die Folge. Darüber hinaus ist die rechte Hemisphäre an der Ausführung von Kreativität, verschiedener Emotionen und der Verarbeitung von Musik beteiligt.
Hemisphärenunterschiede und Krankheit
Eine Vielzahl von neurologischen, psychologisch-psychiatrischen und endokrinen Störungen hängt mit Störungen der Hemisphärenasymmetrie zusammen. Allerdings ist bei wenigen der bisher untersuchten Krankheiten ein ursächlicher Zusammenhang nachgewiesen worden. Aphasien und Apraxien haben wir bereits erwähnt. Diese sind nicht nur bei Frauen, sondern auch bei mehrsprachig aufgewachsenen Personen und Personengruppen mit Bild- und Zeichensprachen - wie in Japan - seltener, da mehrere Hirnregionen über Sprachfunktionen verfügen. Dyslexien (Lesestörungen) entstehen aus frühen Wahrnehmungsstörungen der Lautunterscheidung, bevorzugt im linken Temporallappen. Sie können durch intensives Training von Lautunterscheidung behoben werden. Bei Stotterern liegt dagegen eine erhöhte bilaterale expressive Sprachkontrolle vor, die zu Aktivierungskonflikten führt.
Besonders interessant, wenn auch schwer zu verstehen, sind Befunde an frühkindlichem Autismus und Schizophrenie. In beiden Fällen lassen sich massive Abweichungen von normalen Aktivierungsmustern bei sprachlichen, motorischen und emotionalen Aufgaben in der Hemisphärenbalance zeigen. Während bei Autisten die linke Hemisphäre bei Sprachleistungen weniger aktiv ist, sie häufig Linkshänder sind und negativer Affekt dominiert, sind sie zeichnerisch und in repetitiver Motorik oft besonders "begabt": Alles deutet auf eine Disinhibition und Übergewicht der rechten nach Beeinträchtigung der linken Hemisphäre hin. Bei Schizophrenien ist die Situation gegensätzlich: massive Aufmerksamkeitsstörungen (rechte Hemisphäre) mit intakter, meist ausufernder Sprachleistung und akustische Halluzinationen (links).
Für fast alle psychiatrischen Störungen mit negativem Affekt wurde eine rechts-frontale Überaktivierung des Gehirns gefunden: Depression, Phobie, Panikstörung. Chronische Schmerzzustände scheinen auch zu vermehrter Aktivierung rechtshemisphärischer Hirnstrukturen zu führen. Dies bestätigen die Grundlagenexperimente zur unterschiedlichen Bevorzugung der beiden Hemisphären für positive und negative Emotionen.
Die genannten Befunde bestätigen die Vermutung, daß Störungen der Balance der beiden Hirnhemisphären bei fast allen psychiatrischen und vielen neurologischen Erkrankungen eine Rolle spielen. Wie groß der Beitrag einer Hemisphärenstörung bei den verschiedenen Erkrankungen ist, variiert stark und ist großteils noch nicht ausreichend quantitativ bestimmt.
Training der Gehirnhälften: Ist es sinnvoll, die linke Gehirnhälfte einzeln zu trainieren?
Einige Fähigkeiten sind ausschließlich in der linken Gehirnhälfte beheimatet. Könnte es demnach effektiver sein, sich auf diese Seite zu konzentrieren, wenn speziell diese Fähigkeiten trainiert werden sollen? Die Antwort ist: Nein. Nur die linke Gehirnhälfte zu trainieren, lohnt sich nicht und ist auch nicht wirklich umsetzbar, da beide Gehirnhälften miteinander vernetzt arbeiten. Ein ganzheitliches Training sollte daher immer das Ziel sein. Am effektivsten dabei ist, ein wissenschaftlich belegtes Gehirntraining zu absolvieren, als zu versuchen, speziell die linke Hemisphäre zu verbessern.
Um die Fähigkeiten der linken Gehirnhälfte zu trainieren, bieten sich vor allem Übungen der Kategorie schlussfolgerndes Denken an, diese werden in der linken Hemisphäre verarbeitet. Unsere Übungen trainieren die Logik, sowie Deduktion und Induktion. Damit trainieren Sie die Hauptfähigkeit der linken Gehirnhälfte. Da die linke Gehirnhälfte die rechte Hand kontrolliert, können gerade Linkshänder davon profitieren, einfache Aufgaben wie das Zähneputzen mit der rechten Hand zu erledigen.
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