Hirnwasserentnahme aus dem Rückenmark: Ein umfassender Überblick über das Verfahren

Gehirn und Rückenmark sind von einer schützenden Flüssigkeit umgeben, der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor), die auch als Nervenwasser bezeichnet wird. Die Entnahme dieser Flüssigkeit, bekannt als Lumbalpunktion oder Liquorpunktion, ist ein wichtiges diagnostisches und therapeutisches Verfahren in der Neurologie. Dieser Artikel bietet einen detaillierten Einblick in die Hirnwasserentnahme aus dem Rückenmark, einschliesslich der Indikationen, des Verfahrens, der Risiken und der Nachsorge.

Einführung

Die Lumbalpunktion ist eine Methode zur Entnahme von Liquor cerebrospinalis, der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umhüllt. Die Liquoranalyse gewinnt zunehmend an Bedeutung in der Diagnostik neurodegenerativer Erkrankungen. Der Liquor, lateinisch für "Flüssigkeit", ist im Normalfall eine wasserklare Flüssigkeit, die im Subarachnoidalraum zirkuliert, dem Raum zwischen zwei Schichten der Hirnhäute.

Indikationen für eine Lumbalpunktion

Eine Lumbalpunktion wird sowohl für diagnostische als auch für therapeutische Zwecke durchgeführt.

Diagnostische Indikationen

  • Nachweis oder Ausschluss von Erkrankungen des Nervensystems:
    • Hirnhautentzündung (Meningitis)
    • Hirnentzündung (Enzephalitis)
    • Multiple Sklerose
    • Subarachnoidalblutung (SAB)
    • Hirn- und Rückenmarkstumore
    • Krebsbefall der Hirnhäute, z. B. bei Lymphomen
    • Infektionskrankheiten (Lyme-Borreliose, Neurosyphilis u. a.)
    • Demenzerkrankungen
    • Rückenmarkentzündung (Myelitis)
    • Blutkrebs (Leukämie)
    • Autoimmunerkrankungen
  • Druckmessung im Schädelinneren: Feststellung einer Erweiterung der Liquorräume (Hydrozephalus).
  • Diagnostik bei Fazialisparese: Ausschluss einer durch Zecken vermittelten Borreliose als Ursache.
  • Abklärung unklarer neurologischer Symptome: Bei jungen Erwachsenen mit Symptomen wie Flackern vor den Augen, Taubheit in den Beinen oder Unsicherheit beim Gehen.

Therapeutische Indikationen

  • Verabreichung von Medikamenten:
    • Örtliche Betäubungsmittel
    • Chemotherapeutika (Zytostatika)
    • Antibiotika
  • Entlastung bei Normaldruckhydrozephalus: Ableitung von Nervenwasser, um die Flüssigkeitsräume zu entlasten.
  • Intrathekale Medikamententherapie: Bei chronischen Erkrankungen, bei der eine programmierbare Pumpe unter der Bauchhaut platziert und über einen Katheter mit dem Liquorraum verbunden wird.

Kontraindikationen

Es gibt bestimmte Situationen, in denen eine Lumbalpunktion nicht durchgeführt werden sollte:

  • Erhöhte Blutungsneigung: Bei Bluterkrankungen oder Einnahme von Antikoagulanzien (blutgerinnungshemmende Medikamente).
  • Erhöhter Hirndruck: Muss vor der Punktion anhand klinischer Kriterien und bildgebender Untersuchungen (CT oder MRT) ausgeschlossen werden.
  • Entzündungen der Haut, Unterhaut oder Muskulatur an der Einstichstelle.
  • Thrombozytopenie: Ein Mangel an Blutplättchen, der mit einer erhöhten Blutungsneigung einhergeht.

Vorbereitung auf die Lumbalpunktion

Vor der Lumbalpunktion sind einige wichtige Schritte zu beachten:

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  • Aufklärungsgespräch: Der behandelnde Arzt klärt den Patienten über Nutzen, Risiken und Alternativen der Untersuchung auf. Der Patient hat die Möglichkeit, Fragen zu stellen.
  • Anamnese und Laborbefunde: Die Krankenvorgeschichte und relevante Laborbefunde, insbesondere Gerinnungswerte, werden besprochen.
  • Medikamenteneinnahme: Der Patient informiert den Arzt über alle eingenommenen Medikamente, da diese möglicherweise abgesetzt oder ersetzt werden müssen.
  • Einverständniserklärung: In der Regel ist eine schriftliche Einverständniserklärung des Patienten erforderlich.
  • Ausschluss von Kontraindikationen: Insbesondere muss ein erhöhter Hirndruck ausgeschlossen werden.

Durchführung der Lumbalpunktion

Die Punktion kann im Sitzen oder in Seitenlage durchgeführt werden.

Vorbereitung

  1. Positionierung des Patienten: Der Patient wird gebeten, einen "Katzenbuckel" zu machen, um die Wirbelsäule zu krümmen und die Dornfortsätze der Wirbelkörper aufzufächern.
  2. Lokalisierung der Einstichstelle: Die Oberkante der Beckenkämme wird ertastet, die etwa auf der gleichen Höhe wie der vierte und fünfte Lendenwirbelkörper liegt. Die Punktionsnadel wird zwischen dem 3. und 4. oder dem 4. und 5. Lendenwirbel-Dornfortsatz eingeführt.
  3. Desinfektion: Die Einstichstelle wird desinfiziert.
  4. Lokale Betäubung: Meist erfolgt eine örtliche Betäubung.

Punktion

  1. Einführen der Nadel: Der Arzt führt eine Hohlnadel, meist eine atraumatische Nadel, zwischen den Wirbelkörpern in den Nervenwasserkanal ein.
  2. Entnahme des Liquors: Sobald die Nadel im Nervenwasserraum ist, tropft der Liquor in ein Probengefäß. Es werden etwa 10 bis 15 Milliliter entnommen.
  3. Druckmessung: Direkt im Anschluss wird der Eröffnungsdruck im Nervenwasserraum gemessen. Beim liegenden Patienten sollte er 60 bis 200 Millimeter Wassersäule betragen.
  4. 3-Gläser-Probe: Bei rot verfärbtem Liquor wird eine 3-Gläser-Probe durchgeführt, um eine künstlich verursachte Blutbeimengung zu erkennen.
  5. Entfernen der Nadel: Nach der Entnahme wird die Nadel entfernt und die Einstichstelle mit einem Verband abgedeckt.

Spezielle Punktionstechniken

  • Ventrikelpunktion: Hierbei wird Liquor über eine Hirnkammer (Hirnventrikel) entnommen oder ein Medikament verabreicht. Die Punktion erfolgt über ein Rickham- oder Ommaya-Reservoir, das zuvor implantiert wurde.

Analyse des Liquors

Unmittelbar nach der Entnahme wird der Liquor beurteilt und analysiert:

  • Makroskopische Beurteilung: Beurteilung von Farbe und Trübung. Normalerweise ist der Liquor klar wie Wasser.
  • Mikroskopische Untersuchung: Im Labor werden Zellzahl, Eiweißgehalt und Glukosekonzentration bestimmt.
  • Weitere spezielle Analysen: Je nach Fragestellung werden weitere Analysen durchgeführt, z. B. zum Nachweis von oligoklonalen Banden, infektiösen Erregern oder Tumorzellen.

Risiken und Komplikationen

Wie bei jedem medizinischen Eingriff birgt auch die Lumbalpunktion gewisse Risiken:

  • Häufige Nebenwirkungen:
    • Postpunktioneller Kopfschmerz: Tritt relativ häufig auf (24 bis 72 Stunden nach der Punktion) und kann einige Tage anhalten. Verstärkt sich beim Aufrichten.
    • Rückenschmerzen.
    • Übelkeit und Erbrechen.
    • Schmerzen an der Einstichstelle.
  • Seltene Komplikationen:
    • Blutungen und Blutergüsse.
    • Infektionen und Entzündungen.
    • Kreislauf- und Bewusstseinsstörungen (Synkope).
    • Vorübergehende Nervenausfälle mit Taubheitsgefühlen oder Lähmungen.
    • Liquorunterdrucksyndrom: Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Ohrensausen (Tinnitus), Übelkeit und Lichtempfindlichkeit.
    • Auslösung eines Anfalls: Bei Patienten mit Epilepsie oder Migräne.
    • Infektion des Stichkanals.

Nachsorge

Nach der Lumbalpunktion sind folgende Massnahmen wichtig:

  • Liegen: Der Patient sollte für ein bis zwei Stunden liegen, um Kreislaufbeschwerden und Kopfschmerzen vorzubeugen.
  • Schonen: Für etwa 24 Stunden sollte sich der Patient schonen. Bettruhe ist bei Beschwerdefreiheit nicht mehr erforderlich.
  • Flüssigkeitszufuhr: Ausreichend Wasser trinken.
  • Beobachtung: Die Einstichstelle wird auf Blutergüsse kontrolliert, und die Beweglichkeit der Beine wird überprüft.

Behandlung von Komplikationen

  • Postpunktioneller Kopfschmerz:
    • Steigerung der Trinkmenge
    • Hinlegen in Rückenlage
    • Koffein
    • Schmerzmittel (Ibuprofen oder Paracetamol mit Koffein)
    • Epiduraler Blutpatch: Bei stark ausgeprägten Kopfschmerzen wird Eigenblut in den Epiduralraum injiziert, um das Loch in der Hirnhaut zu verschliessen.
  • Liquorunterdrucksyndrom: Gabe von Medikamenten wie Theophyllin oder Eigenblutinjektion (Blood Patch).

Bedeutung der Liquordiagnostik

Die Liquordiagnostik hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen, insbesondere bei der Diagnose von entzündlichen und neurodegenerativen Erkrankungen des Nervensystems. Neue Erkenntnisse, wie die Identifizierung spezifischer Biomarker im Liquor, ermöglichen eine schnellere und sicherere Diagnose.

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Eine Studie der Universität Münster zeigte, dass die Analyse des Liquors genauere Diagnosen bei neurologischen Erkrankungen ermöglicht. Das Forschungsteam identifizierte fünf Marker, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems hinweisen. Zudem konnten sie anhand der im Liquor gefundenen Zelltypen verschiedene Entzündungserkrankungen wie Multiple Sklerose, Neuromyelitis Optica und Susac-Syndrom differenzieren.

Tipps für Patienten

  • Arztsuche: Nehmen Sie sich Zeit bei der Arztsuche und wählen Sie einen Arzt, dem Sie vertrauen.
  • Aufklärungsgespräch: Nutzen Sie das Aufklärungsgespräch, um Ihre Fragen und Ängste zu besprechen.
  • Begleitperson: Fragen Sie, ob eine Begleitperson bei dem Eingriff anwesend sein darf.
  • Flüssigkeitszufuhr: Trinken Sie vor der Untersuchung ausreichend Wasser.
  • Kommunikation: Teilen Sie dem Arzt während der Punktion übermässige Schmerzen oder Angst mit.
  • Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Bitten Sie den Arzt um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, falls Sie berufstätig sind.

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