Impfungen sind ein wichtiger Bestandteil der öffentlichen Gesundheit und tragen dazu bei, schwere Infektionskrankheiten einzudämmen oder gar auszurotten. Doch wie sieht es bei Menschen mit Epilepsie aus? Bestehen hier besondere Risiken oder Einschränkungen? Dieser Artikel beleuchtet die Thematik umfassend und gibt Empfehlungen für Betroffene und Angehörige.
Impfungen: Ein wichtiger Schutz
Impfungen sind gezielte Anregungen der Körperabwehr. Dabei wird ein Impfstoff verabreicht, der aus abgetöteten oder abgeschwächten Krankheitserregern (oder Teilen davon) besteht. Der Körper erkennt diese als Eindringlinge und bildet Abwehrstoffe (Antikörper) und Abwehrzellen. Kommt es später zu einem Kontakt mit den entsprechenden Erregern, kann der Körper diese bekämpfen und den Ausbruch einer Erkrankung verhindern oder zumindest stark abschwächen. Der Mensch ist immun geworden.
Impfungen werden aus zwei Gründen durchgeführt:
- Verhinderung von Epidemien: Schutz vor schweren Erkrankungen, für die es keine Therapie gibt (z.B. Pocken, Masern, Kinderlähmung, COVID-19).
- Schutz einzelner Menschen: Schutz vor schweren, schwer behandelbaren Erkrankungen, die nicht epidemisch auftreten (z.B. Diphtherie, Haemophilus Influenza Typ B (HIB), Hepatitis A und B, Pertussis (Keuchhusten), Pneumokokken oder Tetanus (Wundstarrkrampf)).
Zusätzlich gibt es Impfungen für bestimmte Personengruppen und bei Reisen in bestimmte Gegenden (z.B. Influenza, FSME, Gelbfieber, Tollwut, Typhus und Paratyphus).
Epilepsie und Impfungen: Eine generelle Kontraindikation?
Die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts stellt klar, dass Epilepsie keine generelle Kontraindikation für Impfungen darstellt. Es sollte jedoch immer eine differenzierte Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen. Dabei müssen die mögliche erhöhte Anfallsbereitschaft durch Fieber als Folge einer Impfung und der zu erwartende Nutzen durch Verhinderung der Erkrankung berücksichtigt werden. Bei Patienten mit Epilepsie liegt dieser Nutzen in der Regel auf Seiten der Impfung.
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Risiken und Komplikationen
In den letzten Jahrzehnten ist die Rate an schwerwiegenden Impfkomplikationen wie Krampfanfällen oder anderen neurologischen Störungen stetig gesunken. Dies ist der Verbesserung der Zusammensetzung der Impfstoffe zu verdanken. Die früher vor allem bei der Keuchhusten-Impfung angebrachte Vorsicht ist heute - auch bei Menschen mit Epilepsie und deren Familienangehörigen - nicht mehr nötig.
Fieberkrämpfe
Fast alle nach Impfungen berichteten Anfälle bei Kindern sind durch Fieber ausgelöst. Fieber ist eine Begleiterscheinung, die bei vielen Impfstoffen kurzzeitig auftreten kann. Bei Kindern mit bekannten fiebergebundenen epileptischen Anfällen („Fieberkrämpfen“) als isoliertes Symptom oder im Rahmen einer bestehenden Epilepsie kann bei Impfungen, die häufig mit einer fieberhaften Allgemeinreaktion einhergehen, vorsorglich ein fiebersenkendes Medikament (Paracetamol, Ibuprofen) gegeben und gegebenenfalls ein Medikament zum Abbruch länger andauernder Anfälle bereitgehalten werden.
Bei jüngeren Kindern (< 2 Jahre) wurde beobachtet, dass die Masern-Mumps-Röteln-Impfung in Kombination mit dem Windpocken-Impfstoff häufiger zu fieberinduzierten Anfällen führt als eine zeitlich getrennte Verabreichung der Impfstoffe.
Dravet-Syndrom
Die immer wieder zitierten „Impfschäden“ bei Kindern im Zusammenhang mit einer Epilepsie sind nahezu alle dem Dravet-Syndrom zuzuordnen. Es handelt sich hierbei um eine genetisch bedingte Erkrankung mit schwerem Epilepsieverlauf und einer erheblichen Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung. Bei dieser Erkrankung tritt der erste epileptische Anfall meistens beim ersten Fieber auf, das ein Kind durchmacht. Häufig wird dieses durch die ersten Impfungen verursacht. Die Impfung bestimmt somit oft den Zeitpunkt des ersten sichtbaren Symptoms, sie ist aber nicht Ursache der Krankheit selbst. Die Erkrankung verläuft bei nicht geimpften Kindern genau so schwer wie bei geimpften Kindern. Auch Kinder mit bekanntem Dravet-Syndrom können und sollten mit den von der STIKO empfohlenen Impfungen immunisiert werden.
Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen
Es gibt einige generelle Einschränkungen, die vom impfenden Arzt beachtet werden müssen:
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- Therapie mit ACTH oder Kortikosteroiden: Während einer Therapie mit ACTH oder Kortikosteroiden darf wegen der dadurch hervorgerufenen Schwächung der Körperabwehr niemals mit Lebendimpfstoffen geimpft werden! ACTH und Kortikosteroide wie etwa Dexamethason sind Hypophysen- bzw. Nebennierenrinden-Hormone, die u.a. beim West-Syndrom, einer im Säuglings- und Kleinkindesalter beginnenden Epilepsieform, eingesetzt werden.
- Anfallsbereitschaft: Anfallsfreiheit ist keine unbedingte Voraussetzung für die Durchführung einer Impfung. In Phasen besonders starker Anfallsbereitschaft sollte jedoch nicht geimpft werden. Die anstehende Impfung sollte dann - wenn möglich - zurückgestellt und auf einen späteren Zeitpunkt mit geringerer Anfallstätigkeit verschoben werden. Gleiches gilt für eine gerade stattfindende Therapieumstellung.
- EEG: Der alleinige Nachweis epileptischer Signale im Hirnstrombild (EEG), ohne dass dabei subjektiv oder objektiv erfassbare Anfallssymptome auftreten, ist kein Grund den Impftermin zu verschieben.
- Fieber: Fieber kann anfallsauslösend wirken! Bei Schutzimpfungen, die mit einer vorübergehenden Temperaturerhöhung einhergehen können, sollte daher vorbeugend ein fiebersenkendes Mittel gegeben werden.
COVID-19-Impfung
Bezüglich der momentan in Deutschland zugelassenen Impfung gegen SARS-CoV-2 Coronaviren mit RNA-Impfstoffen (Comirnaty® von BioNtec-Pfizer) und Covid-19 Vaccine (Moderna® von Moderna) gibt es sowohl aus den Studiendaten als auch aus einer vorläufigen Analyse von Nebenwirkungen keine Hinweise, dass dadurch Anfälle ausgelöst werden können. Auch hier ist zu beachten, dass einige Patienten mit Fieber reagieren können und daher bei fieberinduzierten Anfällen in der Vorgeschichte ggf. Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden sollten.
Es gibt aktuell keine Hinweise darauf, dass für Epilepsiepatienten ein besonders hohes Risiko bei einer Impfung gegen das Coronavirus besteht. Ausnahmen hiervon können möglicherweise bestehen bei einer bestehenden Immunschwäche oder bei einer Behandlung, die die Immunantwort vermindert. Hierzu zählen als Medikamente insbesondere Corticosteroide (z.B. Prednisolon), Azathioprin oder auch monoklonale Antikörper wie Rituximab, die bei frühkindlichen und immunologisch bedingten Epilepsien eingesetzt werden, ferner Everolimus, das zur Behandlung bei einer Epilepsie bedingt durch Tuberöse Sklerose eingesetzt wird.
Epilepsiepatienten sind durch eine COVID-19-Erkrankung nach aktuellem Kenntnisstand nicht stärker gefährdet als Gesunde. Die Empfehlung, ganz besonders schwangere Frauen und Menschen mit chronischen Erkrankungen zu impfen, sollte auch für Frauen mit Epilepsie und besonders ältere Menschen mit Epilepsie und chronischer Erkrankung gelten.
Weitere wichtige Aspekte
- Allergien: Coronavirus-Impfstoffe enthalten Inhaltsstoffe, gegen die eine Allergie bestehen kann. Bei bekannten Allergien sollte mit dem impfenden Arzt besprochen werden, ob Allergene im Impfstoff enthalten sind und ob ggf. Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden müssen.
- Fieberhafte Infekte: Es gibt Epilepsien, bei denen fieberhafte Infekte das Anfallsrisiko erhöhen. Wenn früher im Rahmen von Infekten oder Impfungen epileptische Anfälle ausgelöst wurden, sollte mit dem behandelnden Arzt besprochen werden, ob für drei Tage prophylaktisch ein fiebersenkendes Medikament eingenommen werden sollte.
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