David Eagleman, ein renommierter Neurowissenschaftler, nimmt den Leser in seinem Buch "Inkognito" mit auf eine faszinierende Reise in die Tiefen des menschlichen Gehirns. Er entlarvt dabei die Illusion, dass unser Bewusstsein die treibende Kraft hinter unseren Entscheidungen und Handlungen ist. Stattdessen argumentiert er, dass ein Großteil unseres Verhaltens von unbewussten Prozessen gesteuert wird, die sich unserem "Ich" entziehen.
Wer trifft die Entscheidungen in unserem Leben?
Eagleman wirft die grundlegende Frage auf, wer eigentlich die Entscheidungen in unserem Leben trifft: Sind es wir selbst oder unser Unterbewusstsein? Er verdeutlicht, dass unser Bewusstsein nur einen Bruchteil dessen ausmacht, was in unserem Gehirn vor sich geht. Es ist wie ein blinder Passagier auf einem Ozeandampfer, der sich für den Kapitän hält, aber in Wirklichkeit kaum Einblick in den gewaltigen Maschinenraum hat.
Schon antike Denker erkannten, dass das Gehirn ein "Spekulationsobjekt" ist, dessen Funktionsweise unser Verständnis übersteigt. Auch heute tappen wir Neurowissenschaftler noch oft im Dunkeln, wenn es darum geht, die komplexen Prozesse im Gehirn vollständig zu entschlüsseln.
Das Gehirn als ein Apparat mit widerstreitenden Teilen
Eagleman beschreibt das Gehirn als einen "Apparat mit widerstreitenden Teilen", in dem verschiedene Untersysteme mit ihren jeweiligen Spezialgebieten zusammenarbeiten und miteinander konkurrieren. Diese Dynamik führt dazu, dass wir in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich handeln und denken, was die Frage aufwirft, ob wir überhaupt jemals "dieselbe Person" sind.
Diese Erkenntnis stellt die Allmacht unseres Egos in Frage und zwingt uns, unsere Vorstellung von uns selbst zu überdenken. Wir müssen uns eingestehen, dass wir nicht immer die Kontrolle über unser Handeln haben und dass unser Unterbewusstsein eine viel größere Rolle spielt, als wir bisher angenommen haben.
Lesen Sie auch: "Inkognito" verstehen
Sinnestäuschungen und die Grenzen unserer Wahrnehmung
Ein weiteres Thema, dem sich Eagleman widmet, sind Sinnestäuschungen. Er zeigt auf, wie unsere Wahrnehmung getrübt sein kann und wie unser Gehirn uns Streiche spielt. Schon Augustinus stellte fest: "Ich fasse selbst nicht ganz, was ich bin". Zwischen dem, was das Gehirn weiß, und dem, wozu der Geist Zugang hat, tut sich nach Eaglemans Meinung ein tiefer Abgrund auf.
Eagleman veranschaulicht dies anhand eines kleinen Experiments: Versuchen Sie in Gedanken, mit geschlossenen Augen, einen einfachen Fahrspurwechsel vorzunehmen. Die meisten Menschen lenken das Lenkrad erst gerade, dann nach rechts und dann wieder gerade. Eagleman erklärt, dass man mit dieser Fahrweise im Graben landen würde. Das Unterbewusstsein hat sich alles so eingeprägt, dass es sich dem Bewussten entzieht. Viele Aufgaben, vor allem wenn sie routiniert sind, laufen besser ab, wenn das Bewusstsein nicht mitwirkt.
Schuld und Sühne im Lichte der Neurowissenschaften
In einem besonders spannenden Kapitel beschäftigt sich Eagleman mit der Frage nach Schuld und Sühne. Er zitiert Wolf Singer, der sagt: "Selbst wenn wir nicht messen könnten, was mit dem Gehirn eines Kriminellen nicht stimme, könnten wir trotzdem mit Sicherheit davon ausgehen, dass irgendetwas nicht stimmt."
Diese Aussage wirft grundlegende Fragen auf: Können wir mit diesem Satz alles erklären? Welche Auswirkungen hat es auf den Menschen, wenn sich das Gehirn verändert? Entzieht sich jedes Verbrechen unserem Bewussten? Eagleman plädiert dafür, die Erkenntnisse der Neurowissenschaften bei der Beurteilung von Schuld und Unschuld zu berücksichtigen.
Was bleibt vom Menschen übrig?
Im letzten Kapitel hinterfragt Eagleman, was denn jetzt noch vom Menschen eigentlich übrig bleibt, wenn wir unser Bewusstsein entthront haben. Welche Rolle spielen Gene, welche die Umwelt? Haben wir eine Seele, die unabhängig ist von der Biologie unseres Körpers?
Lesen Sie auch: Gehirnkerngebiet Amygdala verstehen
Eagleman gibt keine einfachen Antworten, sondern regt zum Nachdenken an. Er zeigt auf, dass die Hirnforschung zwar rasante Fortschritte macht, wir aber auch immer wieder einen Schritt zurücktreten und uns fragen müssen, was es heißt, ein Lebewesen und Mensch zu sein.
Lesen Sie auch: Potenzial des menschlichen Gehirns
tags: #Inkognito #David #Eagleman #Zusammenfassung