Das Max-Planck-Institut für Hirnforschung widmet sich der Erforschung der Gehirnfunktion auf mechanistischen und rechnerischen Ebenen. Kein zweites Organ ist so komplex wie das menschliche Gehirn. Jede der rund 100 Milliarden Nervenzellen oder Neurone kann mit tausenden anderen Neuronen in Verbindung stehen. Das “Produkt” des Gehirns - Verhalten, Handlung, Wahrnehmung, Sprache, Erkenntnis und vieles mehr - ist außerordentlich vielfältig und noch immer rätselhaft. Letztendlich wollen die Forscher die grundlegenden Regeln verstehen, die der Funktionsweise des Gehirns zugrunde liegen und so deren Beitrag zu Wahrnehmung und Verhalten klären.
Forschungsschwerpunkte und Methoden
Um grundlegende Erkenntnisse über die Gehirnfunktion zu gewinnen, untersuchen die Wissenschaftler des Instituts weniger komplexe Nervensysteme wie die von Nagetieren, Schildkröten und Fischen. Sie messen, wie diese sensorische Informationen verarbeiten, wie Erinnerungen entstehen und gespeichert werden, wie Tiere schlafen und wie sie sich in ihrem Verhalten an veränderte Bedingungen anpassen.
Ein zentraler Fokus liegt auf der CA2-Region des Hippocampus, die für das soziale Gedächtnis - die Fähigkeit, andere zu erkennen und sich an sie zu erinnern - entscheidend ist. Unsere Arbeit hat gezeigt, wie Veränderungen in dieser Region zu Defiziten im sozialen Gedächtnis bei bestimmten neuropsychiatrischen Erkrankungen führen können. Darüber hinaus haben wir demonstriert, dass die CA2-Region soziale Informationen, wie individuelle Gerüche, auf eine hoch organisierte und komplexe Weise verarbeitet.
Aufbauend auf diesen Entdeckungen untersuchen wir, wie die CA2-Region soziale Informationen in eine einheitliche "soziale Karte" integriert und wie Störungen in diesem Prozess zu neuropsychiatrischen und neurodevelopmentalen Störungen beitragen können. Weiter gefasst zielt unsere Forschung darauf ab, zu verstehen, wie der Hippocampus sensorische Eingaben in interne Modelle umwandelt, die das Verhalten leiten, wobei der Fokus auf sozialen Kontexten liegt und untersucht wird, wie diese Prozesse bei neuropsychiatrischen (z. B. Schizophrenie) und neurodevelopmentalen (z. B. Autismus) Störungen gestört sind.
Um diese Fragen zu beantworten, setzen wir modernste Techniken wie fortgeschrittene Bildgebung, Aufzeichnung der Gehirnaktivität und gezielte Manipulationen ein.
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Der Hippocampus im Fokus: Methodologische Entwicklung und vergleichende Ansätze
Eine aktuelle Übersichtsarbeit von Forschenden des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin (INM-1) beleuchtet die Entwicklung der Methodologie und damit der Fortschritte in den Neurowissenschaften am Beispiel des Hippocampus - der Region des Gehirns für Lernen, Gedächtnis und räumliche Orientierung. Seit über 150 Jahren ermöglichen innovative Methoden, gepaart mit akribischen neuroanatomischen Analysen, einen immer detaillierteren Blick auf Struktur und Funktion des Gehirns. Die Arbeit der Jülicher Wissenschaftler:innen konzentriert sich auf den strukturellen Aufbau des Hippocampus im menschlichen wie im Gehirn häufig verwendeter Tiermodelle. Sie behandelt dabei unterschiedliche Komponenten wie den zellulären Aufbau, die molekulare Diversität und die Konnektivität.
Digitale Neurowissenschaften und Künstliche Intelligenz
Einen Blick in die Zukunft werfen die Autor:innen mit der Digitalisierung der Neurowissenschaften. Bei der Auswertung der riesigen, hochkomplexen Datensätze aus der Forschung setzen Neurowissenschaftler:innen zunehmend auf Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI). Auch im Bereich des Hippocampus-Forschung kommen neue KI-gestützte Verfahren zum Einsatz. Hier werden modernste Bilddaten mit statistischen Lernverfahren kombiniert, um das feine neuronale Schaltungsnetzwerk im Hippocampus zu erfassen.
Das "Common Space"-Konzept
Für die Auswertung der entstehenden, großen und komplexen Datensätze führen die Forschenden das „Common Space“-Konzept an. Ursprünglich entwickelt, um methodologische Einschränkungen zwischen verschiedenen Spezies zu überwinden, erlaubt es diese Methodik, Daten aus verschiedenen Messverfahren - von molekularen Profilen über Konnektivitätsanalysen bis hin zur funktionellen Bildgebung in einem gemeinsamen Analyse-Rahmen zu integrieren.
HippoMaps: Multiskalen-Kartographie der Hippocampus-Organisation
Trotz der wichtigen Rolle des Hippocampus für viele kognitive Prozesse im menschlichen Gehirn gab es bislang kein einheitliches System, um die Struktur und Funktion dieser Region mit verschiedenen Messmethoden zu erfassen, gemeinschaftlich darzustellen und auszuwerten. Ein internationales Team von Wissenschaftler:innen hat deshalb im Rahmen des deutsch-kanadischen Projekts HIBALL (Helmholtz International BigBrain Analytics and Learning Laboratory) „HippoMaps“ entwickelt: eine frei zugängliche Software-Toolbox inklusive einer Online-Datenbank speziell für die Deep-learning-basierte Integration von Bilddaten unterschiedlicher Herkunft und Auflösung sowie die Analyse und die Kartierung des Hippocampus. Ziel ist es, die Zusammenhänge seiner Struktur und Funktion im gesunden wie erkrankten Gehirn besser zu verstehen.
Internationale Kooperationen und Konsortien
Im Rahmen des diesjährigen „International Forum on Mesoscopic Brain Mapping“ im September in Shanghai wurde das „International Consortium for Primate Brain Mapping“ gegründet. Die Mitglieder wählten Apl. Prof. Nicola Palomero-Gallagher (INM-1) gemeinsam mit Prof. Alan Evans (McGill University) zu stellvertretenden Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats. Vorsitzender ist der international renommierte Neurowissenschaftler Prof. Wesentliches Ziel des Konsortiums ist es, in den kommenden zehn Jahren die grundlegenden Prinzipien zu verstehen, wie der Aufbau der Gehirne von Primaten Denk- und Wahrnehmungsfunktionen ermöglicht.
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Aktuelle Forschungsergebnisse und Anwendungen
Neue Erkenntnisse über den prämotorischen Kortex
Wissenschaftler:innen haben den sogenannten prämotorischen Kortex im Gehirn, der Bewegungen und kognitive Prozesse kontrolliert, genauer untersucht und neu kartiert. Durch die neuen Karten konnten die anatomischen Korrelate der sogenannten Augenfelder erstmals genau zugeordnet werden. Die neuen Erkenntnisse kommen einer präziseren Bildgebung zugute und können helfen, klinische Anwendungen zu verbessern.
Tiefe Hirnstimulation bei genetisch bedingter Motorikstörung
In der Fachzeitschrift Movement Disorders Clinical Practice präsentieren Forscher:innen der Arbeitsgruppe Klinische Neuroanatomie am Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-1) in Kooperation mit dem Zentrum für Bewegungsstörungen und Neuromodulation sowie der Funktionellen Neurochirurgie und Stereotaxie am Universitätsklinikum Düsseldorf aktuell einen Fallbericht über den Effekt von tiefer Hirnstimulation bei einem Patienten mit einer genetisch bedingten Störung der Motorik.
Händigkeit bei Wirbeltieren
Mehr als zehn Jahre nach Ihrer wegweisenden Studie aus dem Jahr 2013 hat das Forschungsteam vom C. & O. Vogt-Institut für Hirnforschung an der HHU Düsseldorf, der Ruhr-Universität Bochum und der MSH Medical School Hamburg die wissenschaftliche Literatur zur Gliedmaßen-Nutzung bei nicht-menschlichen Wirbeltieren erneut ausgewertet. Dabei zeigte sich: viele Wirbeltierarten weisen ebenfalls Asymmetrien in der Nutzung ihrer Gliedmaßen auf - genau wie der Mensch. Ihre aktualisierte Analyse umfasst 172 Arten aus allen nicht ausgestorbenen Wirbeltier-Ordnungen und zeigt, dass solche Asymmetrien deutlich weiter verbreitet sind als bislang angenommen.
Auszeichnungen und Ehrungen
- Ein Forschungsteam um Dr. Alona Shagan Shomron (MPI-IS), Prof. Syn Schmitt (Universität Stuttgart) und Prof. Daniel Häufle (HIH) wurde mit dem Innovationspreis der Parkinson Stiftung für neue Ansätze für tragbare Assistenzsysteme, die mit „künstlichen Muskeln“ arbeiten, ausgezeichnet.
- Herzlichen Glückwunsch an Dr. Peng Liu, Postdoc in der Forschungsgruppe von Prof. Esther Kühn, und Dr. Philipp Klocke, Assistenzarzt und Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Neurologischen Klinik bei Prof. Die Preise im Wert von jeweils 5.000€ wurden am 15. Oktober feierlich überreicht.
- Jan-Oliver Kropp (Cécile & Oskar Vogt-Institut für Hirnforschung, INM-1 und Helmholtz AI) kam beim Posterwettbewerb der diesjährigen HAICON - der „Helmholtz AI Conference“ in Karlsruhe - auf den dritten Platz. Titel seines Posters: “Step by Step: Towards a gapless 1-micron BigBrain with Diffusion Models”.
- Rahel Possekel ist jetzt „Dr. med.“! Am Donnerstag, 16. Oktober, verteidigte sie erfolgreich ihre Doktorarbeit.
- Herzlichen Glückwunsch, Dr. Manuel Dietermann!
- Sie hat es geschafft - jetzt Frau Dr. Wir sind unglaublich stolz auf Dich, vor allem Deine Betreuerinnen PD Dr. Christina Herold und PD Dr.
Nachwuchsförderung und Ausbildung
Dieses Institut hat eine International Max Planck Research School (IMPRS): IMPRS for Neural Circuits. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit zur individuellen Promotion bei den Direktoren bzw.
- Die Bewerbungsphase für den Masterstudiengang Translational Neuroscience der HHU Düsseldorf startet am 15.05.2025.
- Gestern hat unser Doktorand Erhan Karsli erfolgreich seine Dissertation an der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf abgelegt. Das ganze Team vom C.&O.
Öffentlichkeitsarbeit und Wissenstransfer
- Einmal jährlich lädt der grüne Zoo Wuppertal die Besucher mit vielen verschiedenen Ständen in die Welt von Natur-, Arten- und Klimaschutz ein. Zusammen mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr.
- Unter den Augen der neugierigen Besucher:innen der ULB Düsseldorf und im Rahmen der Nacht der Bibliotheken am 4. April 2025 erklärte Frau PD Dr. Christina Herold auf der ULB.Wissenskiste in einem anschaulichen Soap-Box-Vortrag, wie Wissen im Gehirn entsteht.
Veranstaltungen und Termine
- Anlässlich des Weltschlaganfalltages am 29. Oktober begrüßen wir recht herzlich PD Dr. Annerose Mengel am HIH. Sie leitet ab sofort ihre eigene Forschungsgruppe "Schlaganfallerholung und Outcome“ in der Abteilung „Neurologie mit Schwerpunkt neurovaskuläre Erkrankungen“ von Prof.
- PD Dr. Justus Marquetand verstärkt mit seiner neuen Junior-Forschungsgruppe „Magnetomyographie“ die Abteilung für „Neuronale Dynamik und Magnetenzephalographie“ von Prof.
- Die Jahresausstellung der Akademie befasst sich mit dem Medium der Zeichnung in Wissenschaft und Kunst. Die Ausstellung ist noch bis zum 12. Dezember im Gebäude der Akademie (Palmenstraße 16, 40217 Düsseldorf) zu sehen und kann im Rahmen von Führungen und Veranstaltungen besucht werden. Im Begleitprogramm hält Institutsdirektorin Prof. Katrin Amunts am Dienstag, 25. November 2025, einen Vortrag, auf den eine Diskussion mit dem Medientheoretiker Prof. Siegfried Zielinski und der Schriftstellerin Marion Poschmann folgt.
- EBRAINS Summit vom 8-11. Das EBRAINS Summit 2025 - „Transforming Brain Research and Medicine“ - findet vom 8. bis 11. Dezember in Brüssel statt.
- Seien Sie dabei beim Wissenschaftsabend der Hector Fellow Academy am 10. Juli in Düsseldorf!
- Unser Symposium „Multilevel Human Brain Mapping and Atlas as a Tool Connecting Micro and Macrostructures", brachte…
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