Es ist ein unbestreitbares Faktum, dass Sport und Bewegung positive Auswirkungen auf die kognitive Funktion haben und potenziell einer Demenz vorbeugen können. In Deutschland leiden etwa 1,6 Millionen Menschen an Demenz, wobei die Alzheimer-Krankheit die häufigste Form darstellt. Studiendaten deuten darauf hin, dass Bewegungsmangel der bedeutendste Risikofaktor ist und mit 21 % den stärksten Einfluss auf die Alzheimer-Prävalenz hat.
Die Rolle von Irisin als potenzieller Vermittler
Eine im renommierten Fachjournal „Nature Medicine“ veröffentlichte Studie untersuchte den möglichen Zusammenhang zwischen Muskelaktivität und Gedächtnis im Kontext der Alzheimer-Krankheit. Die Forscher identifizierten den Botenstoff Irisin als möglichen Vermittler zwischen Muskelaktivität und Gedächtnis. Irisin gehört zu den Myokinen und entsteht aus dem Transmembranprotein FNDC5 (Fibronectin Type III Domain Containing Protein 5). FNDC5 wird bei körperlicher Aktivität vermehrt in den Muskelzellen gebildet. Seine extrazelluläre Domäne wird nach dem Transport zur Zellmembran proteolytisch aktiviert und als Irisin sezerniert.
Nach der Freisetzung gelangt Irisin über den Blutkreislauf ins Gehirn. Die Forschergruppe um Mychael V. Lourenco konnte zeigen, dass Patienten mit Alzheimer verminderte FNDC5-/Irisin-Spiegel im Hippocampus und Liquor haben. Im Gegensatz dazu zeigte sich in tierexperimentellen Arbeiten der Forschergruppe eine Verbesserung der synaptischen Plastizität, wenn erhöhte FNDC5-/Irisin-Spiegel vorlagen.
Irisin fördert den Abbau von Beta-Amyloid
Forschende des Massachusetts General Hospital haben möglicherweise einen Faktor gefunden, der zur schützenden Wirkung von Sport beitragen könnte: der körpereigene Botenstoff Irisin. Das Hormon wird bei Bewegung in den Muskeln produziert. Welche Funktionen es konkret erfüllt, ist noch nicht geklärt. Um das zu untersuchen, hat ein Forschungsteam des Massachusetts General Hospitals spezielle Zellkulturen entwickelt, die die Alzheimererkrankung als 3-D-Modell abbilden. Mit diesen lässt sich simulieren, wie Krankheitsprozesse im Gehirn abgelaufen sein könnten, aber auch, ob und wie sich therapeutische Maßnahmen auswirken.
In der Alzheimer-Zellkultur beobachteten die Forschenden, dass eine Gabe von Irisin die Beta-Amyloid-Plaques erheblich reduzierte. Beta-Amyloid entsteht zwar unentwegt auch in gesunden Gehirnen, wird aber im gleichen Maße auch laufend wieder abgebaut. Im Gehirn von Alzheimererkrankten hingegen reichert sich die Substanz zu Plaques an. Diese Ablagerungen werden als Hauptursache für den Untergang der Neuronen bei Alzheimer-Demenz diskutiert.
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Irisin scheint ihrer Bildung entgegenzuwirken: Der Muskelbotenstoff regte spezielle Hirnzellen, die sogenannten Astrozyten, dazu an, verstärkt ein Enzym auszuschütten, das Beta-Amyloid abbaut: Neprilysin. Dazu bindet Irisin an einen speziellen Rezeptor an der Oberfläche der Astrozyten: Integrin αvβ5.
Der Einfluss von Irisin auf die synaptische Plastizität
Eine Steigerung der FNDC5/Irisin-Konzentration führte in den tierexperimentellen Arbeiten der Forschungsgruppe zu einer Verbesserung der sogenannten synaptischen Plastizität. Darunter versteht man bestimmte Umbauprozesse, die zu Vernetzung von Hirnarealen und Nervenzellen führen.
Studienergebnisse und Forschungsergebnisse
Tierexperimentelle Studien
In Untersuchungen mit Mäusen zeigte sich, dass das vom Muskel produzierte Hormon Irisin positive Effekte auf das Gehirn hat. Forscher um Dr. Mychael Lourenco von der Universität in Rio de Janeiro in Brasilien untersuchten, auf welche Art Sport das Gehirn beeinflussen kann. Dabei stellten sie fest, dass in Gehirnen von Alzheimer-Patienten und in denen von Modellmäusen für die Erkrankung niedrigere Level des Muskelhormons Irisin und seines Vorläufermoleküls FNDC5 vorhanden sind als in Gehirnen von Gesunden.
Die Forscher konnten an Modellmäusen zeigen, dass das Ausschalten des Gens für Irisin beziehungsweise FNDC5 zu Lern- und Gedächtnisstörungen führt. Andersherum konnte die Steigerung der Irisin- beziehungsweise FNDC5-Mengen im Gehirn die synaptische Plastizität und die Gedächtnisleistung der Tiere verbessern, berichten die Forscher. Wenn sie den Irisin-Signalweg hemmten, gingen die positiven Effekte von körperlicher Aktivität auf das Gehirn verloren.
Humanstudien und Beobachtungen
Die Forschergruppe konnte zeigen, dass Alzheimer-Patienten erniedrigte FNDC5/Irisin-Spiegel im Hippocampus, unserer „Gedächtniszentrale“ im Gehirn, und in der Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) aufweisen. Viele Studien haben bereits gezeigt, dass Sport die Gedächtnisleistung positiv beeinflusst und körperliche Aktivität wird daher zur Alzheimer-Prävention empfohlen.
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Eine Ende Januar publizierte Interventionsstudie zeigte, dass Sport Gedächtnisleistung und Sprachkompetenz verbessert. In einer EU-geförderten Studie wurden bislang ca. 250 zuvor nicht aktive ältere Menschen, die sich im Frühstadium der Erkrankung befanden, für einen Zeitraum von 12 Monaten einem definierten moderaten Bewegungsprogramm unterzogen. In Deutschland fördert u.a. das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Projekt DENKSPORT, das Teil dieses internationalen Forschungsverbund NEUROEXERCIS ist.
Irisin als Gegenspieler von Beta-Amyloid
Alzheimer ist assoziiert mit Protein-Ablagerungen im Gehirn (‚Protein-Müll‘). Vor allem das Protein Beta-Amyloid spielt hier eine Rolle, gerade in den Arealen, die für das Gedächtnis ausschlaggebend sind, wie der Hippocampus. Die Forscher wollten nun prüfen, ob die künstliche Zugabe von Beta-Amyloid sich auf den Irisinspiegel auswirkt. Deshalb entnahmen sie Laborratten ihre Hippocampi und behandelten diese in der Petrischale mit Beta-Amyloid. Auch hier ein erstaunlicher Befund: nach der Behandlung war Irisin an den Hippocampus Zellen kaum noch zu finden.
Es schien also ganz so, als würde bei Alzheimer der Beta-Amyloid Müll das Irisin aus dem Gehirn verdrängen. Kann man Mäuse durch einen Irisin-Booster vor Alzheimer schützen? Sie injizierten einer Gruppe von Mäusen so einen Irisin-Booster, einer anderen Gruppe nur eine ähnliche Kontrollsubstanz. Das Irisinlevel im Gehirn wurde dadurch bei der ersten Gruppe für 6 Tage stark erhöht. Nun bekamen die beiden Mäusegruppen das Alzheimerprotein, Beta-Amyloid, injiziert - mit sensationellem Ergebnis: nur die zweite Gruppe erkrankte, die Mäuse mit Irisin-Booster blieben dagegen verschont und zeigten keine Gedächtnisprobleme in den Tests.
Der Mechanismus von Irisin auf Astrozyten
Auf den Astrozyten des Alzheimer-Zellkulturmodells war der Rezeptor Integrin αV/β5 die Bindestelle für Irisin: Bindet das Protein, wird Neprilysin freigesetzt und kann so seine Wirkung entfalten. Gleichzeitig blockiert Irisin die Interleukin-6/ERK-Signalübertragung, erhöht die secNEP-Freisetzung und reduziert so den STAT3-Spiegel. Damit haben die WissenschaftlerInnen einen zellulären und molekularen Mechanismus gefunden, durch den Irisin die Amyloid-β-Pathologie abschwächt, was einen neuen Ansatz für Therapien zur Prävention und Behandlung von Alzheimer bieten könnte.
Prävention und Lebensstil
Für Alzheimer-Demenz gibt es bislang keine Heilung. Umso wichtiger ist die Prävention. Dabei spielt körperliche Aktivität eine zentrale Rolle. Wie groß der Effekt ist, hat unter anderem eine große norwegische Langzeitstudie gezeigt: Für Menschen, die sich im mittleren Alter regelmäßig bewegten, sank das Risiko für eine spätere Demenz um 20 Prozent.
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Neben Bewegung spielen auch andere Faktoren wie Depression oder soziale Isolation (Einsamkeit) eine wichtige Rolle. Allein ein Drittel aller Erkrankungsfälle geht auf das Konto dieser beeinflussbaren Faktoren.
Weitere Risikofaktoren
- Rauchen
- Hypertonie
- Diabetes mellitus
- Hyperlipidämie
- Depression
- Soziale Isolation