Aktuelle Leitlinien zur Behandlung des ischämischen Schlaganfalls

Der ischämische Schlaganfall ist eine schwerwiegende Erkrankung, die durch den Verschluss oder die hochgradige Verengung einer hirnversorgenden Arterie verursacht wird. Um das Absterben von Gehirnzellen und bleibende Schäden zu verhindern, ist eine schnelle Wiederherstellung der Blutversorgung entscheidend. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) haben zusammen mit weiteren Fachgesellschaften eine aktualisierte und erweiterte Leitlinie auf S2e-Niveau zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls publiziert. Diese Leitlinien dienen als systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen. Sie basieren auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie in der Praxis bewährten Verfahren und sollen die Sicherheit in der medizinischen Versorgung erhöhen, während gleichzeitig ökonomische Aspekte berücksichtigt werden.

Bedeutung von Leitlinien in der Schlaganfallbehandlung

Leitlinien der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften sind systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie in der Praxis bewährten Verfahren und sorgen für mehr Sicherheit in der Medizin und sollen zudem ökonomische Aspekte berücksichtigen.

Überwachung und initiale Behandlung auf der Stroke Unit

Generell sollten alle akuten Schlaganfallpatienten mit transitorischen Attacken oder Hirninfarkt zumindest in den ersten zwei bis drei Tagen apparativ auf einer Stroke Unit überwacht werden. Dabei ist ein engmaschiges klinisches Monitoring bzgl. unerwarteter Verschlechterungen des Patienten wichtig.

Thrombolyse mit Alteplase

Bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall, die innerhalb von 4,5 Stunden nach Symptombeginn behandelt werden können und bei denen keine Kontraindikationen vorliegen, sieht die Leitlinie eine systemische Thrombolyse mit Alteplase (0,9 mg/kg KG, Maximaldosis 90 mg über 60 Minuten, initial 10 % der Dosis als Bolus über eine Minute) vor - und das unabhängig vom Alter des Patienten. Zusätzlich sollte umgehend eine nicht invasive Gefäßdiagnostik mithilfe einer computertomografischen Angiografie oder Magnetresonanzangiografie angefertigt werden.

Erweiterte Bildgebung bei überschrittenem Zeitfenster

Patienten, bei denen das kritische Zeitfenster von 4,5 Stunden bei der Ankunft in der Klinik bereits überschritten ist, sollen mit einer erweiterten multimodalen Bildgebung untersucht werden.

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Mechanische Thrombektomie

Liegen ein akuter ischämischer Schlaganfall, ein klinisch relevantes neurologisches Defizit oder ein Verschluss einer großen Arterie im vorderen Kreislauf vor, soll innerhalb von sechs Stunden (Zeit zwischen Symptombeginn und Leistenpunktion) eine mechanische Thrombektomie erfolgen, um das funktionelle Ergebnis zu verbessern. Dieses Vorgehen kann auch bei Verschlüssen der A. cerebri anterior oder der A. cerebri posterior von Vorteil sein. Wenn eine mechanische Thrombektomie infrage kommt, sollte stets auch eine Gefäßdiagnostik vom Aortenbogen aufwärts stattfinden. Jenseits des 6-Stunden-Zeitfensters soll eine mechanische Thrombektomie relevanter Verschlüsse im vorderen Kreislauf lediglich dann erfolgen, wenn durch erweiterte Bildgebung zu vermuten ist, dass rettbares Risikogewebe vorliegt.

Kombination von Thrombolyse und Thrombektomie

Patienten, die für eine endovaskuläre Schlaganfalltherapie in Betracht kommen und keine Kontraindikation für eine systemische Thrombolyse haben, sollen so früh wie möglich auch mit Alteplase behandelt werden, wobei keine der beiden Behandlungen die andere verzögern darf.

Delir-Management

Weiterhin soll jetzt bei allen Schlaganfallpatienten ein regelmäßiges gezieltes Screening auf delirante Symptome mit einem validen und reliablen Delir-Score (z. B. Confusion ­Assessment Method for the Intensive Care Unit [CAM-ICU] oder Intensive Care Delirium Screening Checklist [ICDSC]) erfolgen. Um ein Post-Stroke-Delir zu vermeiden bzw. zu behandeln, ist ein mehrdimensionaler Ansatz mit nicht medikamentösen und medikamentösen Maßnahmen vorgesehen. Eine nicht pharmakologische Delir-Prävention soll bei allen überwachungspflichtigen Patienten durchgeführt werden.

Geschlechtsspezifische Aspekte

Ein Hinweis darauf, dass Frauen mit einem akuten Schlaganfall anders diagnostiziert oder behandelt werden sollten als Männer, wurde bei der systematischen Suche in Datenbanken bei der Erstellung der Leitlinie nicht gefunden.

Sekundärprophylaxe

Wiederholte Schlaganfälle sind relativ häufig. Demnach muss fast jeder Fünfte, der einen Schlaganfall erlitten hat, innerhalb der nächsten fünf Jahre mit einem Folgeschlaganfall rechnen. Und bei einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) bilden sich die Symptome zwar innerhalb weniger Stunden komplett zurück. Dennoch ist das Schlaganfall-Risiko vor allem in den Tagen unmittelbar nach der Attacke deutlich erhöht.

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Blutdruckmanagement

Der Blutdruck sollte nach einem Schlaganfall oder einer TIA langfristig unter 140/90 mm Hg gesenkt werden. Je nach Alter der Betroffenen, Verträglichkeit der Blutdrucksenker und Vorerkrankungen ist sogar eine Senkung auf systolisch 120 bis 130 mm Hg zu erwägen, wobei das Erreichen der Zielblutdruckwerte einen höheren Stellenwert als die Wahl der antihypertensiven Therapie hat.

Thrombozytenaggregationshemmer

So genannte Thrombozyten-Aggregationshemmer sollen die Verklumpung von Blutplättchen und damit die Entstehung von Blutgerinnseln verhindern. Die Leitlinie empfiehlt dafür ausschließlich Acetylsalicylsäure (ASS), Clopidogrel und Ticagrelor, andere Präparate haben mehr Nebenwirkungen oder es fehlt der Nachweis eines Zusatznutzens. „Die Thrombozytenaggregationshemmung und der Einsatz der oralen Antikoagulation sollten individuell je nach Blutungsneigung, Komorbiditäten und Risikofaktoren aufeinander abgestimmt werden.

Lebensstilmodifikation

„Für Betroffene sind insbesondere die Informationen zum Lebensstil von hoher Relevanz, da sie ihn selbst beeinflussen können“, erklärt Professor Tobias Kurth, einer der Autoren der Leitlinie. Die Leitlinie rät zu regelmäßiger körperlicher Aktivität. Der regelmäßige Verzehr von Obst und Gemüse oder eine mediterrane Diät senken das Risiko eines Schlaganfallrezidivs und vaskulärer Folgeereignisse, dabei sollte der Salzkonsum reduziert werden. Einem Diabetes mellitus als „gewichtigem“ Risikofaktor für Schlaganfälle sollte man möglichst vorbeugen. Diabetikerinnen und Diabetiker sollten nach einem Schlaganfall in jedem Fall auf eine gute Blutzuckereinstellung achten. Nach einer Schlafapnoe als zusätzlichem Risikofaktor sollte gezielt gesucht werden. Die nächtliche Überdruckbeatmung (CPAP) ist bei mittelschwerer bis schwerer Schlafapnoe die Therapie der Wahl. Schlaganfall-Patientinnen, die Kontrazeptiva einnehmen, sollten andere Verhütungsmethoden erwägen. „Gerade die langfristige Lebensstilumstellung stellt für viele Patientinnen und Patienten eine Herausforderung dar, bei der Medizinerinnen und Mediziner immer wieder Unterstützung leisten müssen“, betont DGN-Generalsekretär Professor Dr. Peter Berlit.

Aktualisierungen und Erweiterungen der Leitlinie

Die überarbeitete S2e-Leitlinie zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls wurde laut Ringleb auch um Abschnitte etwa zur Rekanalisation im verlängerten Zeitfenster, Delir-Management, Stimulation des Ganglion sphenopalatinum, frühe antithrombotische Sekundärprävention und Geschlechtsspezifika ergänzt.

Tenecteplase

Die Standardtherapie für die systemische Thrombolyse erfolgt laut der Leitlinie mit Alteplase. Der Wirkstoff Tenecteplase könnte laut den Autorinnen und Autoren als modifiziertes Molekül eine noch bessere Wirksamkeit haben. In der EU sei diese Substanz aber bisher nur zur Behandlung des Herzinfarktes zugelassen, die Studienlage beim Schlaganfall sei bislang nicht einheitlich. „Gemäß der neuen Leitlinie soll Tenecteplase außerhalb klinischer Studien nur in Einzelfällen eingesetzt werden“, so die Leitlinienautoren.

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Post-Stroke-Delir

Ein Post-Stroke-Delir tritt je nach Studie bei bis zu 48 % der Patienten auf (durchschnittlich bei 26 %). Dabei entwickeln sich in kurzer Zeit fluktuierende Störungen von Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Bewusstsein, die nicht allein durch den Schlaganfall erklärt werden können. Das Post-Stroke-Delir geht einher mit einer fast 5-fach erhöhten Sterblichkeit, längeren Klinikaufenthalten und häufigeren Entlassungen in Pflegeeinrichtungen. Neue Forschungsergebnisse zum Post-Stroke-Delirs sind rar und die Therapien kaum standardisiert. Die Leitlinien empfehlen das gezielte Screening mit etablierten Scores. Neben der Behandlung mit speziellen Medikamenten ist es besonders wichtig, frühzeitig die Reorientierung der Patienten zu stimulieren (Kommunikation, Mobilisation, Brille, Hörgeräte, Tag-Nacht-Rhythmus).

Duale antithrombotische Sekundärprophylaxe

Eine duale antithrombotische Sekundärprophylaxe (ASS plus Clopidogrel oder Ticagrelor) sollte nicht routinemäßig erfolgen. Sie kann bei ausgewählten Patienten nach TIA oder leichten Schlaganfällen über einen Zeitraum von 21-30 Tagen Vorteile haben (nichttödliche Rezidive reduzieren), möglicherweise jedoch zulasten des Blutungsrisikos bei insgesamt unveränderter Mortalität und nur geringem Einfluss auf bleibende Behinderung und Lebensqualität. Bei erhöhtem Blutungsrisiko sollte keine duale Plättchenhemmung erfolgen.

Geschlechtsspezifische Unterschiede in Studien

„In Schlaganfallstudien waren Frauen häufig unterrepräsentiert, da dort die Altersgrenze oftmals bei 80 liegt. Da Schlaganfallpatientinnen durchschnittlich älter waren als männliche Patienten, ist also denkbar, dass sich geschlechtsspezifische Unterschiede in den Behandlungsergebnissen der Studien nicht abzeichnen konnten“, erläutert Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN. „Hierauf sollte bei der Konzipierung künftiger Studien besonders geachtet werden, denn wenn geschlechtsspezifische Besonderheiten bei der Behandlung sicher belegt werden könnten, wären das gegebenenfalls leicht realisierbare Therapieoptimierungen für beide Geschlechter.“

Fazit

Die aktualisierten Leitlinien zur Behandlung des ischämischen Schlaganfalls bieten eine umfassende Grundlage für die optimale Versorgung von Patienten. Die Leitlinien berücksichtigen sowohl die Akuttherapie als auch die Sekundärprävention und betonen die Bedeutung einer schnellen Diagnose und Behandlung, insbesondere auf spezialisierten Stroke Units. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Berücksichtigung individueller Risikofaktoren und Bedürfnisse der Patienten sind entscheidend für eine erfolgreiche Schlaganfallbehandlung.

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