Die Frage, ob das Gehirn selbst Schmerzen empfinden kann, ist komplex und führt uns in die Tiefen der Anatomie und Physiologie des Schmerzes. Entgegen der landläufigen Meinung ist das Gehirn selbst nicht schmerzempfindlich, da es keine Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) besitzt. Schmerzen, die wir im Kopfbereich wahrnehmen, haben ihren Ursprung in anderen Strukturen wie den Hirnhäuten oder den Blutgefäßen.
Schmerzentstehung: Der Weg des Schmerzes zum Gehirn
Um zu verstehen, warum das Gehirn selbst keine Schmerzen empfindet, ist es wichtig, den Prozess der Schmerzentstehung zu betrachten. In Haut, Muskeln, Gelenken und Organen befinden sich freie Endigungen von Nervenfasern, die als Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) dienen. Diese Rezeptoren können durch verschiedene Reize wie Temperatur, Dehnung, Druck und Entzündungsbotenstoffe aktiviert werden.
Die Rolle der Schmerzrezeptoren und -mediatoren
Bei Reizung der Nozizeptoren werden im betroffenen Gewebe bestimmte körpereigene Stoffe freigesetzt, die als Schmerzmediatoren bekannt sind. Zu diesen Mediatoren gehören beispielsweise Histamin und Serotonin. Zusätzlich steigern weitere Substanzen, wie Prostaglandine (Gewebehormone), die Empfindlichkeit der aktivierten Schmerzrezeptoren, wodurch weitere Schmerzmediatoren gebildet werden.
Schmerzmodulation und das "Tor" zum Bewusstsein
Der Körper versucht, diesen Prozess mit Endorphinen, die im Gehirn gebildet werden, zu verlangsamen oder zu beenden. Der Schmerzreiz wird aus dem betroffenen Gewebe über die Nervenfasern an das Rückenmark geleitet, wo eine erste unbewusste Verarbeitung stattfindet, die sogenannte Schmerzmodulation. Hier muss der Schmerzreiz ein "Tor passieren", bevor er ins Gehirn und damit ins Bewusstsein gelangen kann. Die Eigenschaften dieses "Tors" unterliegen vielfältigen Einflüssen und sind von Mensch zu Mensch verschieden.
Die persönliche Lebenssituation, Sorgen, Stress und Freude können das Tor mehr oder weniger weit für den Schmerz öffnen. Dies erklärt, warum das Schmerzempfinden je nach psychischer Verfassung variiert und warum psychotherapeutische Methoden bei der Schmerzbekämpfung hilfreich sein können.
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Die Verarbeitung von Schmerz im Gehirn
Gelangt der Schmerzreiz schließlich zum Gehirn, spüren wir ihn. Die Reaktion des Körpers kann motorische Reflexe (z. B. sich Krümmen vor Schmerz) sowie unbewusste Reaktionen (z. B. Herzrasen, Gänsehaut oder Schweißausbruch) umfassen.
Das Gehirn: Zentrale Schaltstelle, aber nicht Schmerzquelle
Das Gehirn ist der Teil des zentralen Nervensystems, der innerhalb des knöchernen Schädels liegt und diesen ausfüllt. Es besteht aus unzähligen Nervenzellen, die über zuführende und wegführende Nervenbahnen mit dem Organismus verbunden sind und ihn steuern. Das Gewicht des Gehirns macht mit 1,5 bis zwei Kilogramm ungefähr drei Prozent des Körpergewichts aus. Ein Mensch hat ungefähr 100 Milliarden Gehirnzellen, die das zentrale Nervensystem aufbauen und untereinander verknüpft sind. Die Zahl dieser Verknüpfungen wird auf 100 Billionen geschätzt.
Aufbau des Gehirns
Das menschliche Gehirn lässt sich grob in fünf Abschnitte gliedern:
- Großhirn (Telencephalon)
- Zwischenhirn (Diencephalon)
- Mittelhirn (Mesencephalon)
- Kleinhirn (Cerebellum)
- Nachhirn (Myelencephalon, Medulla oblongata)
Die verschiedenen Anteile der Großhirnrinde übernehmen unterschiedliche Funktionen. Das Großhirn ist der größte und schwerste Teil des Gehirns. Das Zwischenhirn besteht unter anderem aus dem Thalamus und dem Hypothalamus.
Die Schmerzunempfindlichkeit des Gehirns
Das Gehirn selbst besitzt keine Schmerzrezeptoren. Dies wurde bereits in den 1930er-Jahren durch Experimente des amerikanischen Physiologen Harold Wolff gezeigt. Wolff stach Patienten, die unter lokaler Anästhesie operiert wurden, mit einer kleinen Nadel ins Gehirn. Die Patienten bemerkten nichts von dem Stich. Daraus schloss Wolff, dass das Gehirn schmerzunempfindlich ist.
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Schmerzempfindliche Strukturen im Kopfbereich
Obwohl das Gehirn selbst keine Schmerzen empfindet, gibt es andere Strukturen im Kopfbereich, die sehr wohl schmerzempfindlich sind. Dazu gehören die Hirnhäute und die großen Gefäße des Gehirns. Bei Berührung dieser Strukturen verspürten Wolffs Patienten massive Schmerzen.
Kopfschmerzen und ihre Ursachen
Auch bei Kopfschmerzen ist nicht das Gehirn selbst die Schmerzquelle. Stattdessen handelt es sich vermutlich um eine Entzündung der Hirnhäute oder der großen Gefäße. Bei Migräne beispielsweise, einer besonders gut untersuchten Form von Kopfschmerz, trifft eine genetische Veranlagung auf Umweltfaktoren wie Stress oder Schlafentzug. Dies kann einen Migräneschmerz auslösen, der aus der Hirnhaut stammt und durch eine vorübergehende aseptische Entzündung verursacht wird.
Die Rolle des Gehirns bei der Schmerzwahrnehmung
Obwohl das Gehirn selbst keinen Schmerz zufügen kann, ist es entscheidend für das Empfinden von Schmerzen. Nur im Gehirn gelangt Schmerz überhaupt in unser Bewusstsein. Die Nozizeption, die einfache Weiterleitung eines Schmerzreizes zum Gehirn, findet immer statt, auch bei bewusstlosen Menschen. Sobald das Gehirn wach ist, wird die Nozizeption in eine bewusste Wahrnehmung (Perzeption) übersetzt. Dabei wird der Reiz mit Erfahrungswerten abgeglichen und bewertet.
Die bewusste Verarbeitung von Schmerz
Durch die Perzeption ist man fähig, Konsequenzen aus dem Schmerz zu ziehen und einen Handlungsplan zu entwerfen. Soll man den Schmerz ertragen oder reagieren? In diesem Sinne einer bewussten Verarbeitung "empfindet" das Gehirn Schmerzen und ist das einzige Organ, das dazu in der Lage ist.
Empathischer Schmerz: Wenn wir den Schmerz anderer fühlen
Schmerzverzerrt zucken wir zusammen, wenn wir jemanden beobachten, der sich versehentlich verletzt. Dieses Phänomen wird als empathischer Schmerz bezeichnet. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass die gleichen Hirnstrukturen (vordere Inselregion und mittlerer cingulärer Cortex) aktiviert werden, egal ob es sich um persönlich erfahrenen oder empathischen Schmerz handelt.
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Ein neuer Denkansatz zur Schmerzerfahrung
Neurowissenschaftler schlagen vor, Schmerz als komplexes Zusammenspiel vieler einzelner Elemente zu betrachten, die zusammen die komplexe Erfahrung "Schmerz" ergeben. Dazu zählen sensorische Prozesse, die beispielsweise verarbeiten, wo der Schmerzreiz ausgelöst wurde, sowie emotionale Vorgänge, wie das negative Gefühl während des Schmerzes.
Die Bedeutung unspezifischer und spezifischer Informationen
Allgemeinere Komponenten signalisieren, dass es sich überhaupt um ein Negativereignis handelt, während spezifische Informationen Auskunft darüber geben, dass es sich tatsächlich um Schmerz handelt und ob man selbst oder jemand anderes den Schmerz erlebt.
Parallele Verarbeitung im Gehirn
Sowohl die unspezifischen als auch die spezifischen Informationen werden parallel in den für Schmerz zuständigen Hirnstrukturen verarbeitet. Diese parallele Verarbeitung ermöglicht es dem Gehirn, verschiedene unangenehme Erfahrungen zeit- und energiesparend zu verarbeiten und gleichzeitig Detailinformationen schnell zu registrieren.
Soziale Bedeutung der Schmerzwahrnehmung
Die Tatsache, dass unser Gehirn Schmerz und andere unangenehme Erfahrungen zu großen Teilen gleich verarbeitet, egal, ob wir sie selbst oder andere sie erleben, hat große Bedeutung für das soziale Miteinander.
Neuropathische Schmerzen: Wenn Nerven falsch verschaltet sind
Bei chronischen Schmerzen wird zwischen nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen unterschieden. Nozizeptive Schmerzen haben ihren Ursprung in Gewebeverletzungen, neuropathische Schmerzen in der Schädigung der Nervenfasern selbst.
Falsche Verschaltung als Ursache chronischer Schmerzen
Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe hat herausgefunden, dass neuropathische Schmerzen nach traumatischen Verletzungen wie Quetschungen auftreten können. Dabei kommt es zu einer falschen Verschaltung von Sensoren, wenn sich die schmerzleitenden Fasern schneller regenerieren als die taktilen Nervenfasern. Diese Form des chronischen Schmerzes ist also die unmittelbare Folge der Reinnervation der Sensoren durch schmerzleitende Fasern bei gleichzeitig ausbleibender Reinnervation der taktilen Nervenfasern.
Interdisziplinäre Forschung als Schlüssel zum Verständnis
Die neuen Erkenntnisse waren nur durch die explizit interdisziplinäre Ausrichtung der Projektgruppe möglich. Derzeit gibt es keine Behandlungsmöglichkeit, diese Form von chronischen Schmerzen zielgerichtet zu lindern oder zu verhindern.
Energieverbrauch und Gehirnkapazität
Der Energieverbrauch im Gehirn ist enorm hoch. Fast ein Viertel des Gesamtenergiebedarfs des Körpers entfällt auf das Gehirn. Die Glukosemenge, die täglich mit der Nahrung aufgenommen wird, wird bis zu zwei Drittel vom Gehirn beansprucht. Die Gehirnkapazität ist deutlich größer als die, die wir im Alltag tatsächlich nutzen. Das bedeutet: Ein Großteil unserer Gehirnkapazität ist ungenutzt.
Entwicklung des Gehirns
Die embryonale Entwicklung des Gehirns aus dem Neuralrohr zeichnet sich durch ein besonderes Größenwachstum und ein ungleichmäßiges Dickenwachstum der Wand aus. Aus der Hirnanlage bilden sich zunächst drei hintereinander liegende Abschnitte (primäre Hirnbläschen) heraus, die dann das Vorderhirn, das Mittelhirn und das Rautenhirn bilden. In der weiteren Entwicklung entstehen daraus fünf weitere, sekundäre Hirnbläschen: Aus dem Vorderhirn entwickeln sich Großhirn und Zwischenhirn. Aus dem Rautenhirn gehen die Medulla oblongata, die Brücke und das Kleinhirn hervor.
Funktion des Gehirns
Die Gehirn-Funktionsbereiche sind vielfältig. Der Hirnstamm ist für die grundlegenden Lebensfunktionen zuständig. Das Zwischenhirn weist mehrere Abschnitte auf, darunter den Thalamus und den Hypothalamus. Das Kleinhirn koordiniert unsere Bewegungen und das Gleichgewicht und speichert erlernte Bewegungen. Im Großhirn sitzen Sprache und Logik sowie Kreativität und Orientierungssinn. In der Hirnrinde sind die Lern-, Sprech- und Denkfähigkeit sowie das Bewusstsein und das Gedächtnis verankert. Das Limbische System regelt das Affekt- und Triebverhalten.
Wie funktioniert das Gehirn?
Ein reibungsloses Funktionieren aller Organe und Gewebe im Körper sowie ein sinnvolles Verhalten sind nur möglich, wenn alle Organfunktionen von einer übergeordneten Kontrollinstanz koordiniert und kontrolliert werden und alle Informationen, die uns die Umwelt liefert, aufgenommen, verarbeitet und beantwortet werden. Diese Aufgabe leistet unser Gehirn, das Netzwerk aus Milliarden von Nervenzellen (Neuronen). Die Gehirnzellen sind durch Synapsen, Kontaktstellen zwischen den Zellen, miteinander verbunden. Informationen aus dem Körper oder der Umwelt gelangen etwa in Form von Hormonen über das Blut oder als elektrische Impulse aus den Sinneszellen über Nervenbahnen bis ins Gehirn. Dort werden sie bewertet und verarbeitet. Als Reaktion werden entsprechende Signale vom Gehirn wieder ausgesendet.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gehirn selbst nicht schmerzempfindlich ist, da es keine Schmerzrezeptoren besitzt. Schmerzen im Kopfbereich haben ihren Ursprung in anderen Strukturen wie den Hirnhäuten oder den Blutgefäßen. Das Gehirn spielt jedoch eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von Schmerz. Es übersetzt die Nozizeption in eine bewusste Perzeption und ermöglicht es uns, Konsequenzen aus dem Schmerz zu ziehen und entsprechend zu handeln.
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