Vitamin B12, auch Cobalamin genannt, ist ein essenzielles Vitamin, das eine zentrale Rolle für die Gesundheit des Nervensystems spielt. Es ist an zahlreichen Prozessen beteiligt, die für die Funktion, Regeneration und das Wachstum der Nerven unerlässlich sind. Ein Mangel an diesem Vitamin kann zu einer Vielzahl von neurologischen Problemen führen, die oft unspezifisch sind und daher leicht übersehen werden können.
Aufnahme und Funktion von Vitamin B12
Die Aufnahme von Vitamin B12 im Körper ist ein komplexer Prozess, der mehrere Schritte umfasst:
- Abspaltung von proteingebundenem Vitamin B12: Im Magen wird Vitamin B12 durch Pepsin und Magensäure von Proteinen getrennt.
- Bindung an R-Proteine (Haptocorrine): Das freigesetzte Vitamin B12 bindet sich an R-Proteine, die auch als Haptocorrine bezeichnet werden.
- Abspaltung von R-Proteinen: Im Duodenum werden die R-Proteine durch Pankreasenzyme abgespalten.
- Bindung an Intrinsic Factor (IF): Das Vitamin B12 bindet sich nun an den Intrinsic Factor, der von den Parietalzellen des Magens gebildet wird.
- Resorption im terminalen Ileum: Der Komplex aus Vitamin B12 und IF wird im terminalen Ileum resorbiert.
- Passive Resorption: Eine geringe Menge (ca. 1%) Vitamin B12 kann auch passiv im gesamten Dünndarm resorbiert werden.
Im Körper wird Vitamin B12 in verschiedenen Formen gebunden:
- Holotranscobolamin: Dies ist die biologisch aktive Form des Vitamins.
- Haptocorrin und Transcobalamin: Dies sind Transportproteine, die Vitamin B12 binden.
Vitamin B12 ist an verschiedenen Stoffwechselprozessen beteiligt:
- Umwandlung von Methylmalonyl-Coenzym A zu Succinyl-Coenzym A: Vitamin B12 ist ein Katalysator für diese Reaktion. Bei einem Mangel kommt es zu einer Erhöhung der Methylmalonsäure.
- Synthese von Methionin aus Homocystein: Für diese Reaktion wird auch Folsäure benötigt. Methionin ist wichtig für die Hämatopoese (Blutbildung). Bei einem Mangel an Methionin kommt es zu einer Erhöhung von Homocystein.
Bedarf und Speicherung von Vitamin B12
Der tägliche Bedarf an Vitamin B12 beträgt ca. 3-4 µg. Der Körper speichert Vitamin B12 hauptsächlich in der Leber, aber auch in geringeren Mengen in Nieren, Muskulatur, Gehirn und Milz. Diese Körperspeicher reichen für ca. 3-5 Jahre.
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Neuropathien und Vitamin B12-Mangel
Ein Mangel an Vitamin B12 kann zu verschiedenen neurologischen Störungen führen, insbesondere zu Neuropathien. Neuropathien sind Erkrankungen des peripheren Nervensystems, die sich durch eine Vielzahl von Symptomen äußern können.
Polyneuropathie:
- Sensible oder sensomotorische Störungen
- Handschuh- und/oder strumpfförmige Hypästhesien (verminderte Empfindlichkeit)
- Gemindertes Lage- und Vibrationsempfinden
- Gangunsicherheit
- Parästhesien (Kribbeln, Taubheitsgefühl)
Funikuläre Myelose:
- Häufig als Begleitsymptomatik einer Polyneuropathie
- Degeneration der Seiten- und Hinterstränge im Myelon (Rückenmark), beginnend am zervikothorakalen Übergang
- Schädigung der Myelinscheiden und im Verlauf der Axone
- Subakute Manifestation
- Parästhesien der Hände und später Füße
- Störung der Tiefensensibilität
- Im Verlauf spastische Ataxie (Koordinationsstörung)
Weitere mögliche neurologische Symptome:
- Optikusatrophie (Schädigung des Sehnervs)
- Psychiatrische Symptome
- Dementielle Symptome
Vitamin B12-Spiegel und Diagnose
Die Normwerte für Vitamin B12 im Serum liegen bei Erwachsenen zwischen 191 und 738 pmol/l bzw. 200-1000 pg/ml. Ein manifester Mangel liegt bei Werten unter 200 pg/ml vor. Ein niedrig-normaler Spiegel liegt zwischen 200 und 400 pg/ml. Eine Behandlungsempfehlung wird oft bei Werten unter 450 pg/ml gegeben, insbesondere wenn neurologische Symptome vorliegen. Es ist wichtig zu beachten, dass neurologische Symptome bereits bei "normalen" Blutwerten auftreten können.
Weitere diagnostische Maßnahmen:
- Methylmalonsäure (MMA): Erhöhte Werte im Serum (>280 nmol/l) oder Urin (>4mg/g Kreatinin) können auf einen Vitamin B12-Mangel hinweisen.
- Holotranscobalamin (Holo-TC): Ein erniedrigter Spiegel (<40pmol/l) ist ein guter Indikator für einen Vitamin B12-Mangel. Werte zwischen 35 und 70 pmol/l sind grenzwertig.
- Antikörper: Parietalzell-Antikörper und IF-Autoantikörper können auf eine Autoimmunerkrankung hinweisen, die zu einem Vitamin B12-Mangel führt.
- Blutbild: Anämie, erhöhtes MCV (mittleres Erythrozytenvolumen), erhöhtes MCH (mittlerer Hämoglobingehalt), hypersegmentierte Granulozyten und Retikulopenie können auf einen Vitamin B12-Mangel hinweisen. Es ist jedoch zu beachten, dass die Laborwerte trotz neurologischer Manifestation normal sein können.
Bildgebung:
- MRT des zervikalen Myelons: Zum Nachweis hyperintenser Darstellung der Hinter- und/oder Seitenstränge bei funikulärer Myelose.
- MRT des Kopfes: Bei psychiatrischer oder demenzieller Symptomatik.
Neurographie:
- Motorische und sensible Nervenleitungsgeschwindigkeitsmessung: Zum Nachweis einer demyelinisierenden sensiblen oder sensomotorischen Polyneuropathie.
- Elektromyographie: Zur Frage einer axonalen Schädigung.
- Evozierte Potentiale:
- Sensibel evozierte Potentiale (SEP)
- Visuell evozierte Potentiale (VEP) bei Verdacht auf Optikusatrophie
- Magnetisch evozierte Potentiale (MEP) bei Verdacht auf eine Pyramidenbahnschädigung
Weitere Untersuchungen:
- Augenärztliche Untersuchung bei Verdacht auf Optikusatrophie
- HNO-ärztliche Untersuchung
Therapie des Vitamin B12-Mangels
Eine Therapie wird dringend bei Spiegeln < 450 pg/ml empfohlen, insbesondere bei Auftreten neurologischer Symptome. Es besteht kein Risiko einer Behandlung, daher ist eine großzügige Indikationsstellung gerechtfertigt.
Orale Therapie:
- Die orale Therapie ist der parenteralen Therapie (Injektionen) gleichwertig.
- Therapiebeginn: 1000-2000 µg/Tag über eine Woche (Dosis abhängig vom Spiegel)
- Bei Spiegel < 200 pg/mg: Therapiebeginn mit 2000 µg/Tag
- Woche 2-4: 1000µg/Woche
- Ab 2. Monat: 1000µg/Monat
Parenterale Therapie:
- Empfehlenswert bei neurologischer Manifestation mit funikulärer Myelose oder Optikusatrophie.
- Therapiebeginn: 1-2x /Woche 1000µg intramuskulär oder 5-7 Tage 1000µg Hydroxycobalamin intramuskulär oder intravenös/subkutan (abhängig von Schwere der Symptome)
- Danach: 2x1000µg in den Wochen 2-4
- Erhaltungsdosis: 1000µg/Monat
Wichtige Hinweise:
- Es besteht keine Toxizität bei Überdosierung!
- Bei Therapiebeginn Kombination mit Folsäure 1,5-5 mg/die
- Kontrolle des B12-Spiegels nach ca. 4 Wochen
- Hämatologische Symptomatik mit Besserung des Blutbildes innerhalb einer Woche (Anstieg Retikulozyten), danach monatliche Kontrollen
- Besserung der neurologischen Symptomatik abhängig von Dauer und Schwere der Symptomatik, meist innerhalb der ersten drei Monate.
Ursachen und Risikofaktoren für einen Vitamin B12-Mangel
Die Ursachen für einen Vitamin B12-Mangel sind vielfältig:
- Ungenügende Zufuhr: Insbesondere bei veganer oder vegetarischer Ernährung. Vitamin B12 kommt hauptsächlich in tierischen Lebensmitteln vor.
- Malabsorption: Störungen der Aufnahme von Vitamin B12 im Darm, z.B. aufgrund von:
- Perniziöser Anämie (Mangel an Intrinsic Factor)
- Magen-Darm-Erkrankungen (z.B. Morbus Crohn, Zöliakie)
- Operationen im Magen-Darm-Bereich
- Medikamenten (z.B. Metformin, Protonenpumpenhemmer)
- Erhöhter Bedarf: In bestimmten Lebenssituationen, z.B. während der Schwangerschaft und Stillzeit, bei älteren Menschen.
- Lachgasmissbrauch: Lachgas kann die Vitamin-B12-Depots im Körper leeren und das noch vorhandene Vitamin B12 blockieren.
Risikogruppen:
- Veganer und Vegetarier
- Ältere Menschen
- Schwangere und Stillende
- Personen mit Magen-Darm-Erkrankungen
- Personen, die bestimmte Medikamente einnehmen
- Säuglinge und Kinder von Müttern mit Vitamin-B12-Mangel
- Raucher
- Menschen mit chronischen Krankheiten wie Diabetes, Niereninsuffizienz oder Demenz
Vitamin B12 und Nervenregeneration
Vitamin B12 spielt eine wichtige Rolle bei der Regeneration geschädigter Nerven. Es ist an der Bildung der Myelinscheide beteiligt, die die Nervenfasern umgibt und für eine reibungslose Reizweiterleitung sorgt. Bei einer Schädigung der Myelinscheide kann Vitamin B12 helfen, diese wieder aufzubauen und die Nervenfunktion zu verbessern.
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Zusätzlich zu Vitamin B12 können auch andere Nährstoffe die Nervenregeneration unterstützen, wie z.B. Uridinmonophosphat (UMP) und Folsäure. UMP ist ein Nukleotid, das ein wichtiger Baustein der RNA ist und die Synthese von Phospho- und Glykolipiden sowie Glykoproteinen anregt, die für den Aufbau der Myelinschicht benötigt werden.
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