Aktuelle Entwicklungen in der Neurologie: Fokus auf Multiple Sklerose und Neuromyelitis Optica Spektrum Erkrankungen (NMOSD)

Die Neurologie hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht, insbesondere bei der Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) und der Neuromyelitis Optica Spektrum Erkrankungen (NMOSD). Diese Fortschritte umfassen sowohl neue Therapieansätze als auch verbesserte Instrumente zur Qualitätssicherung in der Versorgung von Patientinnen und Patienten.

Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS)

Das KKNMS ist ein Netzwerk, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiiert wurde. Es vernetzt Forschende verschiedener Disziplinen, um den Transfer von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis zu beschleunigen. Der Fokus liegt auf der Verbesserung der MS-Diagnose, -Therapie und -Versorgung.

Qualitätssicherung durch das KKNMS-Qualitätshandbuch

Das KKNMS hat ein Qualitätshandbuch entwickelt, das Ärztinnen und Ärzten als Handreichung bei der Behandlung von MS- und NMOSD-Patientinnen und Patienten dient. Dieses Handbuch wird regelmäßig aktualisiert und erweitert, um den neuesten Erkenntnissen und Entwicklungen Rechnung zu tragen. So wurden beispielsweise in 2021 verschiedene Ergänzungen und Überarbeitungen zu bestehenden Kapiteln vorgenommen.

Um die Arbeitsabläufe im Praxisalltag zu erleichtern, soll das Qualitätshandbuch und die KKNMS-App in 2022 in ein neues, benutzerfreundlicheres Design überführt werden, das für alle Endgeräte optimiert ist.

Unabhängigkeit und Finanzierung

Die KKNMS betont die Unabhängigkeit ihrer Handbücher von der Pharmaindustrie, um eine objektive Qualitätssicherung zu gewährleisten. Die Realisierung dieser Initiativen wird durch Spenden ermöglicht, insbesondere von privaten Spendern.

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Neue Therapieoption bei NMOSD: Satralizumab

Satralizumab ist ein humanisierter monoklonaler anti-Interleukin-6 (IL-6) Rezeptor-Antikörper, der speziell für die Therapie der NMOSD entwickelt wurde. Dieser Antikörper unterscheidet sich von Tocilizumab durch eine neue Recycling-Technologie, die es ihm ermöglicht, mehrfach an die Zielstruktur zu binden. Ziel der Behandlung mit Satralizumab ist es, die durch IL-6 vermittelten Entzündungskaskaden bei NMOSD zu inhibieren und die Differenzierung von B-Zellen in antikörperproduzierende Plasmablasten zu unterbinden.

Patientinnen und Patienten, die Satralizumab erhalten, sollten regelmäßig von spezialisierten und in der Therapie der NMOSD erfahrenen Ärztinnen und Ärzten betreut werden. Der Krankheitsverlauf und die erforderlichen Kontrolluntersuchungen sollten engmaschig überwacht werden, insbesondere wenn die Injektionen selbstständig zu Hause durchgeführt werden.

Multiple Sklerose: Eine chronisch-entzündliche Erkrankung

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die zu Störungen der Bewegungen, der Sinnesempfindungen und der Sinnesorgane führen kann. In Deutschland sind schätzungsweise 280.000 Menschen an MS erkrankt, weltweit etwa 2,8 Millionen.

Ursachen und Risikofaktoren

MS ist keine Erbkrankheit, aber eine genetische Veranlagung scheint eine Rolle zu spielen. Es wird auch angenommen, dass Infekte in der Kindheit und frühen Jugend die Krankheitsentwicklung beeinflussen können. Welche anderen Faktoren zum Auftreten der MS beitragen, ist noch nicht vollständig geklärt.

Therapie und Krankheitsverlauf

Die MS kann heute im Frühstadium günstig beeinflusst werden. Eine frühe Therapie mit verlaufsmodifizierenden Medikamenten kann den weiteren Verlauf der Erkrankung entscheidend beeinflussen. Ziel ist es, die Krankheitsaktivität zu verhindern (NEDA - "no evidence of disease activity").

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Allerdings erhalten Studien zufolge nur etwa die Hälfte der Patientinnen und Patienten mit Erstdiagnose im gleichen Jahr auch eine verlaufsmodifizierende Therapie. Therapieabbrüche stellen eine weitere Herausforderung dar, da MS-Medikamente oft lebenslang eingenommen werden müssen und Nebenwirkungen oder vermutete Unwirksamkeit der Therapie zu einem Abbruch führen können.

Symptome und Begleiterkrankungen

Neben den motorischen und sensorischen Beeinträchtigungen können auch neuropsychologische Symptome wie Depressionen und Fatigue auftreten. Fatigue, ein Gefühl starker geistiger und körperlicher Erschöpfung, wird zunehmend als Schlüsselfaktor im Umgang mit MS angesehen.

Weitere typische Symptome sind Muskelversteifungen (Spastiken) und Einschränkungen der Sexualität. Viele Patientinnen und Patienten fühlen sich zudem unzureichend über die Auswirkungen der MS auf ihre Sexualität informiert.

Kosten der MS

Die MS ist mit hohen Krankheitskosten verbunden. Die direkten Behandlungskosten belaufen sich durchschnittlich auf jährlich rund 22.000 Euro pro Patientin oder Patient. Mit fortschreitendem Krankheitsverlauf spielen Folgekosten, etwa durch Arbeitsunfähigkeit, eine immer größere Rolle.

Unterstützung und Beratung

Die Diagnose MS stellt für die Betroffenen und ihr Umfeld einen tiefen Einschnitt dar. Neben der medizinischen Behandlung ist auch Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung wichtig, um die psychischen, sozialen und finanziellen Folgen einzudämmen. Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) bietet ein breites Spektrum an Unterstützungsleistungen an, darunter die MS Helpline, die unter 0800 - 52 52 022 gebührenfrei erreichbar ist.

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Engagement für MS-Erkrankte: AMSEL Stiftung Ursula Späth-Preis für Prof. Dr. Judith Haas

Die AMSEL Stiftung Ursula Späth würdigt jedes Jahr Menschen und Organisationen, die sich für die Verbesserung der Lebenssituation von MS-Erkrankten einsetzen. Im Jahr 2024 wurde Prof. Dr. med. Judith Haas für ihren langjährigen Einsatz mit dem AMSEL Stiftung Ursula Späth-Preis ausgezeichnet.

Prof. Haas hat sich seit Beginn ihrer medizinischen Laufbahn für MS-Betroffene eingesetzt, unter anderem als Chefärztin am Jüdischen Krankenhaus in Berlin, wo sie ein spezialisiertes Zentrum für Multiple Sklerose aufbaute. Sie war auch lange Jahre als Vorsitzende der DMSG aktiv. Das Preisgeld soll dem Projekt „Fatigue“-Coach“ zugutekommen, einem Online-Programm, das Menschen mit MS beim Umgang mit der Fatigue unterstützt.

Forschung und Register

Um die Versorgung von MS-Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern, sind umfassende Daten zur gesundheitlichen Situation, medizinischen Versorgung, psychischen und sozioökonomischen Folgen der Erkrankung erforderlich. Das MS-Register in Deutschland erfasst diese Daten und trägt so zu einem besseren Verständnis der MS und ihrer Versorgungssituation bei.

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