Odontogene Infektionen, also Infektionen, die von Zähnen oder dem Zahnhalteapparat ausgehen, können sich im Bereich von Mund, Kiefer und Gesicht ausbreiten. In seltenen, aber schwerwiegenden Fällen können diese Infektionen auch das Gehirn erreichen und dort zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Dieser Artikel beleuchtet die Wege, über die Eiter vom Zahn ins Gehirn gelangen kann, die damit verbundenen Risiken, Symptome, Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten.
Odontogene Infektionen: Ursachen und Ausbreitung
Odontogene Infektionen werden durch Bakterien verursacht, die sich in der Mundhöhle befinden. Karies, lockere Zähne, Wurzelreste, Zahnfrakturen, Kieferbrüche, Zysten oder Fremdkörper können als Auslöser für solche Infektionen dienen. Die Entzündungen können sich lokal in der unmittelbaren Umgebung der Entzündungsursache ausbreiten oder über die Blut- und Lymphbahnen in entferntere Regionen des Körpers gelangen.
Häufige Lokalisationen von Abszessen im Gesicht sind Wangen oder Kinn. Ein maxillärer Abszess (Oberkieferabszess) kann sich nach retromaxillär oder in die Fossa canina (Eckzahngrube) ausbreiten. Submandibuläre (Unterkieferabszesse) oder sublinguale (unter der Zunge) Abszesse können sich nach parapharyngeal ausbreiten, von wo aus eine weitere Ausbreitung nach zervikal bis zum Mediastinum (Mittelfell) möglich ist. Ein Mediastinalabszess kann lebensbedrohlich sein.
Wie kann Eiter vom Zahn ins Gehirn gelangen?
In seltenen Fällen können sich odontogene Infektionen bis ins Gehirn ausbreiten. Dies geschieht meist über folgende Wege:
- Direkte Ausbreitung: Infektionen im Oberkieferbereich können sich entlang anatomischer Strukturen wie Blutgefäßen und Nervenbahnen direkt in die Schädelhöhle ausbreiten.
- Hämatogene Streuung: Bakterien aus dem Mundraum können in die Blutbahn gelangen und über diesen Weg ins Gehirn transportiert werden.
- Kontinuitätsausbreitung: Infektionen im Bereich der Nasennebenhöhlen, insbesondere der Kieferhöhle, können sich auf das Gehirn ausdehnen.
Gehirnabszess: Eine gefährliche Komplikation
Gelangen Krankheitserreger ins Gehirn, können sie dort eine Entzündung verursachen. Sammelt sich Eiter in einer Art Kapsel an und bildet einen neuen Hohlraum im Gewebe, spricht man von einem Gehirnabszess. Meist handelt es sich bei den Erregern um Bakterien. In vielen Fällen wandern die Keime von einem anderen Infektionsherd (Ohr, Nase, Zahnwurzel) ins Gehirn ein. Manchmal dringen die Bakterien auch über das Blut ins Gehirn ein. Selten sind offene Kopfverletzungen oder Operationen am Gehirn die Ursache.
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Ein Gehirnabszess ist eine örtlich umschriebene Entzündungsreaktion im Gehirn. Durch das Eindringen von Krankheitserregern in das Gehirn kommt es zunächst zu einer Entzündung im Gewebe (fokale Enzephalitis). Im weiteren Verlauf kann die Entzündung zu einer Eiteransammlung in einer durch Bindegewebe gebildeten Kapsel führen. Diese neu entstandenen, eitergefüllten Hohlräume werden als Abszesse bezeichnet.
Prinzipiell kann ein Abszess in jeder Gehirnregion auftreten. Meistens stellen Bakterien die Ursache dar, wobei Streptokokken, Bacteroides- und Pseudomonas-Arten zu den häufigsten Erregern zählen. Streptokokken verursachen normalerweise eher Infektionen, die das Ohr oder die oberen Atemwege betreffen, wie eine Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis) oder eine Mittelohrentzündung (Otitis media). Auch eine bakteriell bedingte Entzündung im Bereich der Zahnwurzeln kommt als Ursprungsort infrage. Manchmal lösen jedoch auch Pilze einen Hirnabszess aus.
Symptome eines Gehirnabszesses
Die Symptome eines Gehirnabszesses sind oft unspezifisch und können sich in Leistungs- und Konzentrationsschwäche sowie Fieber und Nackensteifigkeit äußern. Je nachdem, welche Hirnareale betroffen sind, können Krampfanfälle (epileptische Anfälle) oder Empfindungsstörungen auftreten. Auch über Gedächtnisprobleme und Konzentrationsschwäche berichten Patienten. Im Verlauf können weitere neurologische Beschwerden hinzukommen, wie halbseitige Lähmungen (neurologische Herdsymptome). Erst später, wenn der Abszess größer ist und mehr Raum beansprucht, kommt es vielfach zu Kopfschmerzen, die auch länger anhalten und zunehmen. Dazu treten oft Übelkeit und Erbrechen auf (Hirndruckzeichen).
Wichtig ist, dass ein Hirnabszess häufig durch einen Entzündungsherd außerhalb des Gehirns ausgelöst wird. Kommt es beispielsweise in Folge einer Nasennebenhöhlen-, einer Mittelohrentzündung oder einer entzündeten Zahnwurzel zu obigen Symptomen, sollten Betroffene dies unbedingt von einem Arzt abklären lassen. Dies gilt umso mehr für Menschen mit einer geschwächten Immunabwehr.
Diagnose eines Gehirnabszesses
Das wichtigste Verfahren zum Nachweis eines Gehirnabszesses stellt die Magnet-Resonanz-Tomografie (MRT) des Schädels dar. Auch durch eine Computertomographie des Schädels (cCT) können Abszesse nachgewiesen werden. Bei unklaren Befunden kann bei beiden bildgebenden Verfahren die Gabe von Kontrastmittel in eine Vene sinnvoll sein, um eine genauere Differenzierung der Befunde zu ermöglichen. Durch diese Diagnosemethode (cMRT) mit Kontrastmittel kann der Arzt sogar Rückschlüsse auf das Abzessstadium ziehen. Allerdings lässt sich ein Abszess in seltenen Fällen nur schwer von einem Hirntumor abgrenzen, insbesondere dem Glioblastom.
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Ergänzend erfolgen Blutuntersuchungen, bei denen Entzündungsparameter, wie beispielsweise das sogenannte C-reaktive Protein (CRP), bestimmt werden. In 60 bis 90 Prozent der Fälle findet sich eine Erhöhung dieses Wertes. Prinzipiell lässt sich auch der Krankheitserreger nachweisen. Die Erregeridentifikation geschieht durch eine Blutkultur oder eine direkte Entnahme von Abszessinhalt. Beide Nachweismethoden liefern jedoch kein hundertprozentig sicheres Ergebnis.
Eine ausführliche körperliche Untersuchung ist ebenfalls wichtig. Hierbei wird auch auf mögliche Infektionsquellen geachtet, wodurch ergänzende Untersuchungen der Zähne, der Hals- und Rachenregion und der Gehörgänge erfolgen. Konnte kein entzündlicher Prozess in der Nachbarschaft festgestellt werden, muss die Diagnostik auch weiter entfernte Ursprungsquellen wie Lunge, Herz, Haut oder Knochen abklären. Die Fokussuche (Ursprungsherd) sollte vor einem neurochirurgischen Eingriff erfolgen, damit die Abszesse und gegebenenfalls auch gleich die Infektursache in einem behoben werden können. Auch müssen Risikofaktoren für eine Immunschwäche, wie HIV (Humanes Immunschwäche-Virus) oder Diabetes mellitus abgeklärt werden.
Behandlung eines Gehirnabszesses
Die Behandlung eines Gehirnabszesses umfasst in der Regel eine Kombination aus Antibiotikatherapie und neurochirurgischen Maßnahmen.
- Antibiotikatherapie: Der Patient erhält über mehrere Wochen (in der Regel vier bis acht Wochen) Antibiotika, die den auslösenden Krankheitserreger abtöten sollen. Die Behandlung erfolgt zunächst immer im Krankenhaus (stationäre Aufnahme). Antibiotika der ersten Wahl sind Penicilline, als Ausweichtherapie werden Lincosamide, Cephalosporine, Makrolide oder Nitroimidazole verabreicht.
- Neurochirurgischer Eingriff: Am häufigsten wird die sogenannte Abszess-Aspiration durchgeführt. Der Operateur saugt dabei durch eine Öffnung in der Schädeldecke die Eiterflüssigkeit ab. Dieser Eingriff ist auch dann von besonderer Bedeutung, wenn der behandelnde Arzt vorher nicht endgültig klären konnte, ob es sich um einen Abszess oder einen Tumor handelt. Je nachdem, wo sich die Entzündung befindet und wie groß der Abszess ist, wird manchmal auch ein größerer Eingriff nötig.
Daneben kommen - je nach Bedarf - Medikamente zum Einsatz, die gegen die Krampfanfälle helfen (Antikonvulsiva) oder eine übermäßige Schwellung im Gehirn (Hirnödem) eindämmen (Kortisonpräparate).
Prävention und Bedeutung der zahnärztlichen Behandlung
Um zu verhindern, dass Eiter vom Zahn ins Gehirn gelangt, ist eine gute Mundhygiene und regelmäßige zahnärztliche Kontrollen unerlässlich. Karies und andere Zahnerkrankungen sollten frühzeitig behandelt werden, um die Entstehung von Infektionen zu vermeiden.
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Die erste Regel der Behandlung von Abszessen an allen Orten des Körpers ist: "Ubi pus, ibi evacua" - wo es Eiter gibt, sollte dieser entfernt werden. So werden alle Abszesse in diesem Bereich chirurgisch behandelt, indem man den Abszess inzidiert und drainiert. Die Drainage ist sehr wichtig, um die Abszesshöhle offen zu halten, damit die Einschnittstelle nicht zuwächst, bevor die Entzündung ausreichend abgeklungen ist. Kleinere Abszesse im Mund werden durch einen Zahnfleischschnitt entleert, während bei großen und fortgeschrittenen Abszessen der Zugang von außen hergestellt wird. Im nächsten Schritt wird dann die Ursache der Infektion (z.B. abgestorbener Zahn) entfernt. Ist ein verursachender Zahn noch erhaltungswürdig, wird er vom Zahnarzt wurzelbehandelt. Ob ein verursachender Zahn in der gleichen Sitzung wie die Abszessspaltung gezogen werden kann, ist vom Aufwand der Zahnentfernung abhängig.
Kieferhöhlenempyem als Risikofaktor
Ein Kieferhöhlenempyem, eine Eiteransammlung in der Kieferhöhle, kann ebenfalls ein Risikofaktor für die Ausbreitung von Infektionen ins Gehirn sein. Oft entwickelt sich ein solches Empyem als Folge von Entzündungen, z. B. durch eine Sinusitis oder Zahnprobleme. Die Kieferhöhle ist eine der vier Nasennebenhöhlen und befindet sich im Oberkiefer - links und rechts neben der Nase. Sie ist der größte dieser Hohlräume und mit Schleimhaut ausgekleidet. Die Hauptaufgabe der Kieferhöhlen besteht darin, die eingeatmete Luft zu befeuchten und zu erwärmen. Normalerweise bleibt sie gut belüftet und kann Flüssigkeiten wie Schleim ungehindert abtransportieren. Eine unbehandelte oder chronische Sinusitis kann dazu führen, dass sich die Entzündung auf die Kieferhöhle ausweitet.
Ein Kieferhöhlenempyem zeigt sich durch verschiedene sehr unangenehme Symptome, die das Wohlbefinden oft stark beeinträchtigen. Schmerzhafte Beschwerden im Bereich der Wangen, die oft in den Oberkiefer, die Augen oder sogar die Stirn ausstrahlen, sind typisch für diese Erkrankung. Sie verschlimmern sich häufig beim Bücken oder bei schnellen Kopfbewegungen.
Ein unbehandeltes Kieferhöhlenempyem kann ernste Komplikationen mit sich bringen, da die Infektion weiter fortschreiten und sich auf benachbarte Gewebe und Strukturen ausbreiten kann. Die Infektion kann von der Kieferhöhle auf umliegende Strukturen übergreifen, wie etwa die Augenhöhle (Orbita), was zu einer Orbitaphlegmone (einer schweren Entzündung des Gewebes um das Auge) führen kann. Ohne Behandlung kann sich das Kieferhöhlenempyem zu einer chronischen Entzündung entwickeln, die dauerhaft Schmerzen, Druck und Atembeschwerden verursachen kann. Eine chronische Entzündung ist schwieriger zu behandeln. Die Infektion kann sich außerdem auch auf den Knochen ausbreiten, was eine schmerzhaften und langwierigen Knochenentzündung bedingen kann. Ein Abszess kann sich in der Nähe der Kieferhöhle oder im Oberkieferbereich bilden. In seltenen Fällen kann sich die Infektion auf das Gehirn ausbreiten und eine Hirnhautentzündung (Meningitis) oder einen Hirnabszess verursachen.
Die Diagnose eines Kieferhöhlenempyems umfasst die Klärung der Symptome, die Betrachtung der Nasenhöhle und des Zugangs zur Kieferhöhle mit einem Endoskop, eine Ultraschall- und/oder Röntgenuntersuchung sowie eine CT-Aufnahme der Nasennebenhöhlen. Ein Blutbild kann auf Entzündungszeichen hinweisen.
Die Behandlung umfasst Antibiotika, Nasensprays oder -tropfen zur Abschwellung der Nasenschleimhaut und Verbesserung der Belüftung der Kieferhöhle. Wenn die Infektion schwerwiegend ist oder sich der Eiter von selbst nicht entleert, kann eine operative Drainage notwendig sein. Wenn das Kieferhöhlenempyem durch eine Zahninfektion oder eine Zahnwurzelentzündung ausgelöst wurde, ist es notwendig, zusätzlich die Zahnerkrankung zu behandeln.