Chorea Huntington: Ursachen, Symptome und Behandlung einer erblichen Hirnerkrankung

Chorea Huntington, auch bekannt als Huntington-Krankheit oder Morbus Huntington, ist eine erbliche, neurodegenerative Erkrankung des Gehirns. Sie ist durch den fortschreitenden Verlust von Nervenzellen gekennzeichnet, was zu unwillkürlichen Bewegungen, kognitiven Beeinträchtigungen und psychiatrischen Störungen führt. Die Krankheit ist nach dem US-amerikanischen Arzt George Huntington benannt, der sie 1872 erstmals wissenschaftlich beschrieb.

Was ist Chorea Huntington?

Der Begriff "Chorea" stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Tanz". Er bezieht sich auf die charakteristischen, unwillkürlichen und unregelmäßigen Bewegungen, die bei der Huntington-Krankheit auftreten. Diese Bewegungen können die Extremitäten, das Gesicht, den Hals und den Rumpf betreffen. Früher wurde die Krankheit auch Veitstanz genannt.

Chorea Huntington gehört zu den häufigsten erblich bedingten Erkrankungen des Gehirns, wobei die Inzidenz regional variiert. In Europa liegt sie bei etwa 2-10 Fällen pro 100.000 Einwohner. Männer und Frauen sind zu gleichen Anteilen betroffen. Der typische Erkrankungsbeginn liegt meist im mittleren Lebensalter, zwischen 30 und 50 Jahren, kann aber auch früher oder später auftreten.

Ursachen und Vererbung

Chorea Huntington ist eine genetisch bedingte Erkrankung, die autosomal-dominant vererbt wird. Das bedeutet, dass bereits eine einzige Kopie des mutierten Gens ausreicht, um die Krankheit auszulösen. Jedes Kind eines Elternteils mit Chorea Huntington hat ein 50-prozentiges Risiko, das mutierte Gen zu erben und somit die Krankheit zu entwickeln.

Das verantwortliche Gen, das Huntingtin-Gen (HTT), befindet sich auf dem kurzen Arm von Chromosom 4 (Genlokus p16.3). Eine Mutation in diesem Gen führt zu einer Verlängerung eines CAG-Repeat-Abschnitts. Bei gesunden Menschen wiederholt sich das Basentriplett CAG etwa 10-26 Mal. Bei Menschen mit Chorea Huntington ist diese Wiederholungszahl deutlich erhöht, meist auf über 40. Je höher die Anzahl der CAG-Repeats, desto früher beginnt die Erkrankung und desto schneller schreitet sie voran.

Lesen Sie auch: Kann ein Anfall tödlich sein?

In seltenen Fällen (ca. 1-3%) tritt Chorea Huntington ohne vorherige Familiengeschichte auf. Dies kann auf eine Neumutation im Huntingtin-Gen oder auf eine verminderte Penetranz bei einem Elternteil mit einer geringeren Anzahl von CAG-Repeats zurückzuführen sein.

Die CAG-Repeats im Huntingtin-Gen von Menschen mit Morbus Huntington sind instabil. Das entstehende Genprodukt, das Huntingtin-Protein, ist verändert. Diese veränderte Form von Huntingtin scheint toxische Effekte zu haben und es kommt zu Amyloid-ähnlichen Ablagerungen in den betroffenen Zellen. Weiterhin weisen diese Zellen einen gestörten Glukosemetabolismus und dadurch eine gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber oxidativem Stress und dem exzitatorischen Neurotransmitter Glutamat auf.

Symptome

Die Symptome von Chorea Huntington sind vielfältig und können sich von Person zu Person unterschiedlich äußern. Sie lassen sich in drei Hauptkategorien einteilen: motorische, kognitive und psychiatrische Störungen.

Motorische Störungen

  • Hyperkinesen (Chorea): Unwillkürliche, plötzliche, unregelmäßige und nicht vorhersehbare Bewegungen der Extremitäten, des Gesichts, des Halses und des Rumpfes. Diese Bewegungen werden oft als "tänzelnd" beschrieben.
  • Hypokinesie: Bewegungsverarmung und verlangsamte Bewegungen, die im späteren Verlauf der Erkrankung auftreten können.
  • Dystonie: Anhaltende Muskelkontraktionen, die zu abnormalen Körperhaltungen und Verdrehungen führen können.
  • Okulomotorische Störungen: Schwierigkeiten bei der Steuerung der Augenbewegungen, wie z.B. eine vertikale Blickparese nach oben.
  • Dysarthrie: Sprachstörungen aufgrund von Problemen mit der Artikulation.
  • Dysphagie: Schluckbeschwerden, die zu Mangelernährung und Aspiration führen können.

Kognitive Störungen

  • Exekutive Dysfunktion: Schwierigkeiten bei der Planung, Organisation, Problemlösung und Entscheidungsfindung.
  • Gedächtnisstörungen: Probleme beim Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis.
  • Verlangsamung der Denkprozesse: Schwierigkeiten, schnell und effizient zu denken.
  • Demenz: Im späteren Verlauf der Erkrankung kann sich eine Demenz entwickeln.

Psychiatrische Störungen

  • Affektive Störungen: Depressionen, Angstzustände, Reizbarkeit und Apathie.
  • Verhaltensstörungen: Aggressivität, Enthemmung, Zwangsstörungen und Persönlichkeitsveränderungen.
  • Psychosen: In seltenen Fällen können Halluzinationen und Wahnvorstellungen auftreten.
  • Erhöhtes Suizidrisiko: Patienten mit Chorea Huntington haben ein erhöhtes Risiko, Suizid zu begehen.

Diagnose

Die Diagnose von Chorea Huntington basiert auf einer Kombination aus klinischer Untersuchung, Familienanamnese, neurologischer Untersuchung, neuropsychologischer Testung und molekulargenetischer Untersuchung.

  • Anamnese und klinische Untersuchung: Eine ausführliche Anamnese inklusive Familien- und Medikamentenanamnese ist von besonderer Bedeutung. Da viele Patienten die Bewegungsstörungen zu Beginn nicht wahrnehmen, ist auch eine Fremdanamnese wichtig, um den genauen Beginn der motorischen Krankheitsanzeichen sicher festlegen zu können.
  • Neurologische Untersuchung: Beurteilung der motorischen Fähigkeiten, Reflexe, Koordination und sensorischen Funktionen. Der Unified Huntington’s Disease Rating Scale total motor score (UHDRS-TMS) kann erhoben werden.
  • Neuropsychologische Testung: Beurteilung der kognitiven Funktionen, wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Sprache und exekutive Funktionen.
  • Psychiatrische Untersuchung: Beurteilung des psychischen Zustands, einschließlich Stimmung, Verhalten und Denken.
  • Bildgebung: In der zerebralen Bildgebung (cMRT oder bei Kontraindikation cCT) kann eine Atrophie des Nucleus caudatus durch an den Vorderhörnern erweiterte Seitenventrikel nachgewiesen werden. Als Zeichen der Hirnatrophie tritt eine Verbreiterung der Rindenfurche auf. Die zerebrale Bildgebung dient auch dem Ausschluss symptomatischer Ursachen und dem Nachweis von Veränderungen, die pathognomonisch für einige als Differentialdiagnosen in Betracht kommende Erkrankungen sind.
  • Molekulargenetische Untersuchung: Die molekulargenetische Untersuchung mit Bestimmung der CAG-Repeats im Huntingtin-Gen erfolgt nach Aufklärung des Patienten und dessen Einwilligung. Die gesetzliche Grundlage ist in Deutschland das Gendiagnostikgesetzt (GenDG). Der Patient muss über sein Recht auf Nichtwissen und das Recht auf Widerruf der erteilten Einwilligung informiert werden.

Differentialdiagnosen

Bei choreatischen Bewegungsstörungen müssen verschiedene Differentialdiagnosen berücksichtigt werden, darunter:

Lesen Sie auch: Sicher Autofahren mit Parkinson: Ein Leitfaden für Deutschland

  • Hereditäre neurologische Erkrankungen (z.B. Morbus Wilson, McLeod-Syndrom, Morbus Leigh, Zeroidlipofuszinose)
  • Autoimmun und paraneoplastisch bedingte choreatische Symptome (z.B. Sydenham Chorea, Rasmussen-Syndrom, autoimmun bedingte Enzephalitiden)
  • Infektiöse Ursachen (z.B. Enzephalopathien bei HIV-Patienten, virale Enzephalitis, Neuroborreliose, zerebrale Toxoplasmose)
  • Strukturelle Läsionen der Basalganglien (z.B. bei Schlaganfällen, Neoplasien, abszedierende und demyelinisierende Läsionen)
  • Metabolische, endokrine und toxische Ursachen (z.B. nicht ketotische Hyperglykämie bei Diabetes mellitus, Elektrolytverschiebungen, Hyperthyreose)
  • Durch Medikamente und Drogen induzierte Chorea (z.B. bestimmte Antiepileptika, Kalziumkanalblocker, trizyklische Antidepressiva, Antihistaminika)
  • Andere Ursachen (z.B. Polycythemia vera, essentielle Thrombozythämie)

Therapie

Bisher gibt es keine Heilung für Chorea Huntington. Die Behandlung zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.

Medikamentöse Therapie

  • Hyperkinesen: Zur Behandlung von choreatischen Hyperkinesen sind Tiaprid (D2/D3-Dopaminrezeptor-antagonist) und Tetrabenazin zugelassen. Nach derzeitiger Studienlage ist Tetrabenazin am besten zur Therapie geeignet. Der große Nachteil liegt darin, dass als unerwünschte Arzneimittelwirkung eine Depression auftreten kann. Alternativ können Antipsychotika wie Olanzapin, Haloperidol oder Aripiprazol eingesetzt werden.
  • Dystonien: Tetrabenazin in niedriger Dosierung, Amantadin, Baclofen, Tizanidin und Clonazepam können probiert werden.
  • Bradykinesen und Rigidität: In einzelnen Fallberichten wird über eine Besserung unter L-Dopa, Amantadin oder Pramipexol berichtet. Besonders bei bradykinetischen Patienten und der juvenilen Westphal-Variante können Dopaminagonisten angewendet werden.
  • Depressionen und Apathie: Die Behandlung von Depressionen wird nach den Grundsätzen der üblichen psychiatrischen Therapie durchgeführt, jedoch sollten keine MAO-Hemmer eingesetzt werden. Bei schweren Depressionen scheint die Therapie mit SSRI, besonders mit Venlafaxin, effektiv zu sein. Bei einer leichten Depression kann Sulpirid eingesetzt werden.
  • Psychosen: Antipsychotika sollten angewendet werden. Erfahrungen gibt es zu Haloperidol, Olanzapin, Aripiprazol, Risperidon, Quetiapine, Clozapin und Amisulprid.
  • Demenz: Hier sind bislang keine validen Behandlungsempfehlungen möglich. Cholinesterase-Inhibitoren sind nicht wirksam.

Nicht-medikamentöse Therapieformen

  • Ernährung: Patienten mit Chorea Huntington benötigen eine hochkalorische Kost mit ggf. sechs bis acht Mahlzeiten am Tag und ggf. eine hochkalorische Nahrungsergänzung. Liegen Schluckstörungen vor, kann das Andicken von Flüssigkeiten hilfreich sein. Je nach Verlauf kann eine frühe PEG-Anlage sinnvoll sein.
  • Physiotherapie: Krankengymnastik kann die Gangsicherheit verbessern und die Muskelkraft erhalten.
  • Ergotherapie: Ergotherapie hilft den Patienten, ihreAlltagsaktivitäten so lange wie möglich selbstständig auszuführen.
  • Logopädie: Logopädie kann bei Sprach- und Schluckbeschwerden helfen.
  • Psychosoziale Maßnahmen: Die Patienten sollten psychologisch, psychosozial, krankengymnastisch, ergotherapeutisch und logopädisch betreut werden.

Zukünftige Therapieansätze

Ein kausaler Therapieansatz durch den Einsatz von Antisense-Oligonukleotiden wird erforscht. Auch die Transplantation von Stammzellen in das Gehirn und die Tiefe Hirnstimulation mit experimenteller Implantation eines Hirnschrittmachers sind vielversprechende Forschungsansätze.

Leben mit Chorea Huntington

Chorea Huntington ist eine fortschreitende Erkrankung, die das Leben der Betroffenen und ihrer Familien stark beeinträchtigen kann. Es ist wichtig, dass Patienten und Angehörige Zugang zu umfassender Unterstützung undInformationen haben.

  • Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen und Angehörigen kann sehr hilfreich sein.
  • Huntington-Zentren und Kliniken: Spezielle Zentren und Kliniken bieten umfassende Betreuung und Beratung für Patienten und ihre Familien.
  • Europäisches Huntington-Netzwerk (EHDN): Das EHDN ist ein unabhängiges und gemeinnütziges Netzwerk, das sich für die Förderung der Forschung, die Durchführung klinischer Studien und die Verbesserung der Versorgung und Betreuung von Erkrankten einsetzt.
  • Deutsche Huntington Hilfe e.V.: Die Deutsche Huntington Hilfe e.V. bietet Informationen, Beratung und Unterstützung für Betroffene und ihre Familien.

Lesen Sie auch: Corona und das Gehirn: Was wir wissen

tags: #Chorea #Huntington #ohne #Vererbung #Ursachen