Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen bei Hunden. Sie manifestiert sich in wiederholten Krampfanfällen, die durch eine vorübergehende Störung der Hirnfunktion verursacht werden. Diese Störung entsteht durch eine übermäßige und unkontrollierte Aktivität von Nervenzellen im Gehirn. Die Anfälle können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und verschiedene Ursachen haben. Dieser Artikel bietet eine umfassende Übersicht über Epilepsie bei Hunden, einschließlich Ursachen, Symptome, Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten.
Was ist Epilepsie?
Epilepsie ist definiert als das wiederholte Auftreten von Krampfanfällen, die durch eine exzessive und unkontrollierte Aktivität im Gehirn ausgelöst werden. Diese Anfälle sind Ausdruck einer Störung der Erregungsbildung und Reizweiterleitung von Nervenzellverbänden in Teilen des Gehirns. Definitionsgemäß spricht man bei einem Hund von Epilepsie, wenn mindestens zwei epileptische Anfälle im Abstand von mehr als 24 Stunden auftreten.
Ursachen von Epilepsie bei Hunden
Epilepsie bei Hunden wird grob in zwei Hauptformen unterteilt: primäre (idiopathische) und sekundäre (strukturelle oder metabolische) Epilepsie.
Primäre (Idiopathische) Epilepsie
Die primäre oder idiopathische Epilepsie ist die häufigste Form der Epilepsie bei Hunden. Sie ist gekennzeichnet durch wiederholte Anfälle, für die keine zugrunde liegende Ursache gefunden werden kann. Der Begriff "idiopathisch" bedeutet "ohne bekannte Ursache". Es wird vermutet, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen, da bestimmte Rassen häufiger betroffen sind.
- Genetische Prädisposition: Bei einigen Rassen, wie z.B. Australian Shepherd, Beagle, Border Collie, Golden Retriever, Labrador Retriever, Berner Sennenhund, Pudel, und Deutschen Schäferhund, tritt idiopathische Epilepsie häufiger auf. Inzwischen wurde bei einigen Rassen nachgewiesen, dass Epilepsie erblich ist. Erst 2017 hat ein internationales Forscherteam einen Gendefekt identifiziert, der für eine Epilepsieform verantwortlich ist, an der bis zu zwei Prozent der Rhodesian Ridgebacks leiden. In diesem Fall wird die Krankheit autosomal-rezessiv vererbt. Das heißt, so lange nur ein Elternteil den Gendefekt trägt, werden die Nachkommen nicht erkranken. Erst wenn beide, Rüde und Hündin, mit dem Merkmal belastet sind, können sie, ohne selbst krank zu sein, die Epilepsie weitervererben.
- Alter des ersten Anfalls: Die ersten Anfälle treten meist im Alter von einem halben bis fünf Jahren auf.
Sekundäre (Strukturelle oder Metabolische) Epilepsie
Die sekundäre Epilepsie wird durch eine andere Grunderkrankung oder ein Problem im Gehirn verursacht, das die Anfälle auslöst. Mögliche Ursachen sind:
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- Strukturelle Ursachen: Hier lösen andere Krankheiten des Gehirns die wiederkehrenden Anfälle aus. Ursache kann ein Hirntumor sein, ein Schädeltrauma, eine Hirnblutung oder eine Gehirn(haut)entzündung. Diese Art wird auch strukturelle Epilepsie genannt, weil man im MRT Veränderungen im Gehirn sieht.
- Metabolische Ursachen: Bei dieser Form der Epilepsie erhöhen sogenannte metabolische (organische) Erkrankungen, wie eine gestörte Leberfunktion, eine Unterzuckerung oder auch Veränderungen der Blutsalze insbesondere des Calciumspiegels, das Anfallsrisiko. Auch eine krankhafte Veränderung der Blutwerte, die zu Fehlfunktion des Gehirns führen kann (Unterzucker, Leberversagen, usw.).
- Toxine: Über die Nahrung aufgenommene Gifte (Toxine) können ebenfalls Anfälle auslösen.
- Infektionen: Infektionskrankheiten wie Staupe können eine sekundäre Epilepsie verursachen.
- Angeborene Anomalien: Bei jungen Hunden kann ein sogenannter Shunt vorliegen; darunter versteht man eine Missbildung der Lebergefäße.
Symptome von Epilepsie bei Hunden
Epileptische Anfälle können sich auf verschiedene Weise äußern, abhängig davon, welcher Bereich des Gehirns betroffen ist. Die Anfälle werden in fokale (partielle) und generalisierte Anfälle unterteilt.
Phasen eines Anfalls
Ein epileptischer Anfall lässt sich in drei Phasen einteilen:
- Prodromalphase (Aura): In der einleitenden Phase (Aura) zeigt das Tier ein verändertes Verhalten. Es ist unruhig, anhänglich und hat einen merkwürdigen Blick. Das Tier will nach draußen (teils auch umgekehrt), kurz: es verhält sich anders als normal. Diese Phase kann Stunden oder Tage vor dem eigentlichen Anfall auftreten, tritt aber nicht immer auf. Manche Hunde ändern ihr Verhalten kurz vor dem Beginn des Anfalls. Sie werden unruhig und suchen vermehrt den Kontakt zu dem Besitzer.
- Iktus (Anfall): Der eigentliche Anfall (Iktus) beginnt meist mit dem Umfallen des Tieres. Anschließend tritt eine Art Versteifung durch lang anhaltende Krämpfe von Pfoten und Körper auf, der eine Entspannung mit kurz anhaltenden Krämpfen folgt. Der Hund kann während des Anfalls das Bewusstsein verlieren. Die gesamte Dauer des Iktus beträgt meist nur wenige Minuten. Während des Iktus kann das Tier Urin und Stuhl verlieren und heftig speicheln. Der epileptische Anfall wird charakterisiert durch Episoden von sich wiederholenden, unfreiwilligen und unkontrollierten Bewegungen, die eine zunehmende Steifheit beziehungsweise Zuckungen und Krämpfe am ganzen Körper, erzeugen können.
- Postiktale Phase: Im Zeitraum nach dem Anfall, auch postikale Phase genannt, sind die Hunde desorientiert, können nur schlecht sehen und sich nur mit Mühe bewegen. Einige Hunde sind während dieser Phase extrem unruhig und laufen rastlos im Haus hin und her. Auch übermäßiger Hunger oder Durst können vorkommen. Nach dem Anfall sind die meisten Tiere erschöpft und zunächst benommen. Während sich einige Hunde wenige Minuten nach dem Anfall wieder vollständig erholt haben, kämpfen andere noch Stunden später mit neurologischen Ausfällen: Dazu gehören Drangwandern, Sehstörungen, Desorientierung, Steifheit, wackliger Gang oder abnormer Hunger und Durst.
Fokale (Partielle) Anfälle
Bei fokalen Anfällen ist die Entladung der Nervenzellen auf einen bestimmten Bereich des Gehirns beschränkt. Die Symptome sind daher auf bestimmte Körperteile oder Funktionen beschränkt.
- Einfache fokale Anfälle: Der Patient bleibt bei Bewusstsein. Symptome können Zuckungen der Lefzen, einer Gliedmaße oder einzelner Muskeln sein. Beispielsweise wird nur eine Pfote hochgezogen. Diese Anfälle werden von Tierbesitzern oft nicht als solche erkannt, wenn sie ohne Bewusstseinstrübung ablaufen.
- Komplexe fokale Anfälle: Es treten Bewusstseinsstörungen auf.
Weitere Anzeichen für fokale Anfälle können sein:
- Schnappen nach imaginären Fliegen
- Nervosität
- Bellen
- Im Kreis rennen
- Verdrehen des Kopfes oder Halses
Generalisierte Anfälle
Bei generalisierten Anfällen sind von Anfang an beide Großhirnhälften beteiligt. Sie breiten sich in der Folge über den gesamten Tierkörper aus.
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- Tonisch-klonische Anfälle: Dies ist die häufigste Form des generalisierten Anfalls bei Hunden. Der Anfall beginnt mit einer Versteifung (hochgradigen Anspannung) der Skelettmuskulatur (tonische Phase). Die Hunde fallen mit ausgestreckten Beinen um, sind nicht mehr ansprechbar und verlieren das Bewusstsein. Es folgen krampfartige Muskelzuckungen und Paddelbewegungen in der Luft (klonische Phase). Auch Blase und Darm können sich entleeren. Einige Hunde speicheln zudem stark oder winseln.
Status Epilepticus
Lebensbedrohlich wird es allerdings, wenn - was selten ist - ein Anfall länger als fünf Minuten dauert oder sich die Anfälle so schnell wiederholen, dass der Hund dazwischen nicht mehr zu Bewusstsein kommt. Dann spricht man von einem „Status epilepticus“, und das Tier gehört unverzüglich auf die Intensivstation. Auch Serienanfälle - mehrere innerhalb eines Tages - können zu bleibenden Hirnschäden oder einem Status epilepticus führen. Der Status epilepticus ist ein lebensbedrohlicher epileptischer Anfall mit anhaltenden Krämpfen. Dieser Zustand kann bis zu einer halben Stunde andauern.
Diagnose von Epilepsie bei Hunden
Die Diagnose von Epilepsie erfolgt in der Regel durch Ausschluss anderer möglicher Ursachen für die Anfälle. Der Tierarzt wird eine gründliche Anamnese erheben und eine umfassende klinische und neurologische Untersuchung durchführen.
Anamnese
Der Tierarzt wird detaillierte Fragen stellen, um Informationen über die Anfälle und die Vorgeschichte des Hundes zu sammeln:
- Wie hat sich das Tier vor dem Anfall verhalten?
- War der Hund während des Anfalls bei Bewusstsein?
- Wie lange hat der Anfall gedauert?
- Gibt es eine familiäre Disposition für Epilepsie?
- Könnte eine Vergiftung vorliegen?
- Welche Medikamente erhält der Hund?
Klinische und neurologische Untersuchung
Der Tierarzt führt eine allgemeine körperliche Untersuchung durch, um andere Erkrankungen auszuschließen. Eine neurologische Untersuchung hilft, die Funktion des Nervensystems zu beurteilen.
Weitere diagnostische Maßnahmen
- Blut- und Urinuntersuchungen: Mit Blut- und Urinproben werden beispielsweise bestimmte Organfunktionen überprüft. Hier erfolgt eine Blutuntersuchung im hauseigenen Labor mit Prüfung der Organfunktionen (incl. Schilddrüse, Ammoniak, etc.). Eine einfache Methode, um die primäre Epilepsie als Ursache auszuschließen, ist ein Gentest.
- Bildgebende Verfahren: Durch bildgebende Verfahren wie MRT oder CT ist die Veterinärmedizin in der Lage strukturelle Hirnveränderungen wie z.B. Tumoren zu identifizieren. CT- oder MRT-Aufnahmen können mögliche Anomalien im Gehirn aufzeigen. Zusätzlich kann auch ein Ultraschall gemacht werden, sollte er Gefäßmissbildungen des Herzens oder der Nieren, sowie Tumore vermuten. Röntgen von Brustkorb und Bauchraum: um evtl.
- Liquoruntersuchung: In einigen Fällen kann eine Untersuchung des Nervenwassers (Liquor cerebrospinalis) erforderlich sein, um Entzündungen oder andere Erkrankungen des Gehirns auszuschließen.
Behandlung von Epilepsie bei Hunden
Die Behandlung von Epilepsie zielt darauf ab, die Häufigkeit, Dauer und Schwere der Anfälle zu reduzieren.
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Behandlung der Grunderkrankung
Bei sekundärer Epilepsie steht die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund. Bei Infektionen, die zu Hirnhautentzündungen führen, hängt die Therapie von der Art der Infektion ab. Strukturelle Epilepsien werden nach der Grunderkrankung behandelt.
Antiepileptische Medikamente
Bei idiopathischer Epilepsie oder wenn die Grunderkrankung nicht heilbar ist, werden antiepileptische Medikamente eingesetzt. Die Entscheidung, ob eine medikamentöse Behandlung erforderlich ist, hängt von der Häufigkeit, Intensität und Dauer der Anfälle ab.
- Medikamentenauswahl: Die am häufigsten verwendeten Medikamente sind Phenobarbital und Imepitoin. Zusätzlich zur Behandlung der Grundursache setzen wir bei struktureller Epilepsie auch Antiepileptika ein (übrigens dieselben wie in der Humanmedizin).
- Dosierung und Überwachung: Die richtige Dosierung muss individuell für jeden Hund angepasst werden. Es kann einige Wochen oder Monate dauern, bis die Anfälle unter Kontrolle sind. Während der Behandlung sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen erforderlich, um die Wirksamkeit der Medikamente zu überprüfen und mögliche Nebenwirkungen zu überwachen. Die Anfangsbehandlung muss mindestens vier Wochen dauern, damit man eine Wirkung feststellen kann. Ist die Wirkung nicht ausreichend, wird die Dosierung erhöht und die Wirkung wiederum über mindestens vier Wochen beobachtet. So kann es mehrere Monate dauern, bis die ideale Dosis für den Hund bestimmt werden kann. Sie sollten deshalb Ihren Hund regelmäßig beim Tierarzt vorstellen (ein paar Wochen nach Behandlungsbeginn, dann ein oder zweimal im Jahr) um gegebenenfalls die Therapie anzupassen und, falls notwendig, eine Blutuntersuchung oder andere Tests durchzuführen.
- Anfallstagebuch: Die Halter müssen nicht nur konsequent die Tabletten verabreichen, sondern sollten auch eine Art Anfalls-Tagebuch führen. Es ist sehr wichtig, die Anfälle Ihres Tieres zu protokollieren. Machen Sie Notizen, wann und wie oft sie im Monat auftreten, wie sie verlaufen und wie lange sie dauern. Notieren sie auch, falls möglich, den Auslöser des Anfalls und den Verlauf der Aufwachphase.
Was tun während eines Anfalls?
Während eines Anfalls kann der Hundehalter nur wenig tun. Es ist wichtig, ruhig zu bleiben und Panik zu vermeiden. Sorgen Sie dafür, dass sich der Hund nicht verletzen kann. Verdunkle den Raum des Geschehens und dämme weitere Sinnesreize ein, die den Anfall verstärken könnten.
- Nicht festhalten: Versuchen Sie nicht, den Hund festzuhalten oder die Zunge aus dem Maul zu ziehen, da dies zu Verletzungen führen kann. Wenn der Hund mit dem Kopf zuckt und / oder den Zähnen klappert, läuft man Gefahr, gebissen zu werden, wenn man versucht, den Kopf festzuhalten.
- Dokumentation: Dokumentieren Sie den Anfall möglichst genau. Ein Video oder eine genaue Beschreibung enthält für den Tierarzt oft wertvolle Informationen. Vor allem die Dauer des Anfalls sollten Sie notieren. Filmen Sie den Anfall! Ein Film des Anfalls kann für Ihren Tierarzt sehr wertvolle Information liefern. Die Aufnahme kann helfen, die Diagnose zu verfeinern.
- Tierarzt kontaktieren: Wenn der Anfall länger als 5 Minuten dauert, bei mehreren Anfällen an einem Tag, bei zunehmender Anfallshäufigkeit und/oder Anfallsschwere oder bei schwerwiegenden Verhaltensänderungen nach einem Anfall sollte unmittelbar Kontakt mit dem behandelnden Tierarzt aufgenommen werden.
Weitere Maßnahmen
- Stress vermeiden: Ein möglichst unaufgeregtes und regelmäßiges Leben (Spaziergänge, Ernährung, usw.) kann helfen, Anfälle auszulösen.
- Kastration: Bei Hündinnen kann eine Kastration die Therapie der Epilepsie erleichtern, da zyklische Schwankungen der Sexualhormone Anfälle auslösen können.
- Ernährung: Studiendaten zeigen, dass bestimmte Fettsäuren antiepileptische Eigenschaften bei Hunden haben.
Prognose
Mit der richtigen Therapie können die meisten Hunde trotz Epilepsie ein gutes Leben führen und so alt wie gesunde Artgenossen werden. Allerdings kann es Monate dauern, bis die Antiepileptika richtig eingestellt sind. Die Behandlung ist lebenslang und hat als Zielsetzung, die Anfallshäufigkeit und die Anfallsstärke zu vermindern. Zirka 25 - 30% der Epilepsiepatienten lassen sich schlecht bis gar nicht mit Antieplileptika einstellen.
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