Myasthenia Gravis und der Grad der Behinderung: Ein umfassender Überblick

Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche gekennzeichnet ist. Die Erkrankung wird durch Autoantikörper verursacht, die die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln stören. Dies führt zu einer belastungsabhängigen Muskelschwäche, die sich im Tagesverlauf verstärken kann. Die Symptome können von Doppelbildern und Ptose (hängendes Augenlid) bis hin zu Kau- und Schluckstörungen sowie Schwäche der Atemmuskulatur reichen. Die Diagnose und Therapie myasthener Syndrome hat sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt, was die Prognose und Lebensqualität der Betroffenen maßgeblich verbessert hat.

Grundlagen der Myasthenia Gravis

Pathophysiologie und Molekulargenetik

Die Myasthenia gravis ist eine der am besten verstandenen Autoimmunerkrankungen. Sie wird durch Autoantikörper gegen den nikotinischen Acetylcholinrezeptor verursacht, einem Ionenkanal an der motorischen Endplatte. Diese Antikörper reduzieren die Anzahl der verfügbaren Acetylcholinrezeptoren und führen zu einer komplementvermittelten Destruktion des postsynaptischen Apparats. Moderne elektrophysiologische Techniken haben gezeigt, dass die Antikörper den Acetylcholinrezeptor-Ionenkanal auch direkt blockieren können.

Die motorische Endplatte, die Stelle der Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel, dient als Modellsystem für die Untersuchung von Erkrankungen der synaptischen Signalübertragung. Neben der Myasthenia gravis wurden in den vergangenen Jahren weitere angeborene oder immunologisch verursachte Störungen der neuromuskulären Signalübertragung identifiziert.

Neuromuskuläre Signalübertragung

Jede Skelettmuskelfaser wird von einer einzelnen motorischen Endplatte versorgt. Bei der Depolarisation der Nervenendigung öffnen sich Calciumkanäle, durch die Calcium in die Nervenendigung einströmt. Dieser Calciumeinstrom bewirkt die Exozytose von Acetylcholinvesikeln in den synaptischen Spalt. Das freigesetzte Acetylcholin bindet am nikotinischen Acetylcholinrezeptor, einem ligandengesteuerten Ionenkanal. Die Öffnung dieses Kanals führt zu einem Kationenstrom, der den postsynaptischen Bereich depolarisiert und ein muskuläres Aktionspotenzial auslöst. Die Spaltung von Acetylcholin durch die Acetylcholinesterase beendet den Signalimpuls.

Formen der Myasthenia Gravis

Die Myasthenia gravis kann in jedem Lebensalter beginnen und betrifft etwa zehn von 100.000 Einwohnern. Klinisch äußert sich die Erkrankung durch eine belastungsabhängige Muskelschwäche, die typischerweise im Tagesverlauf zunimmt. Häufig sind zunächst die äußeren Augenmuskeln betroffen, bevor sich die Symptomatik generalisiert. In etwa 15 Prozent der Fälle bleiben die Symptome dauerhaft auf die Augen beschränkt.

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Grad der Behinderung (GdB) bei Myasthenia Gravis

Der Grad der Behinderung (GdB) ist ein Maß für die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aufgrund einer oder mehrerer gesundheitlicher Schädigungen. Er wird in Zehnergraden von 20 bis 100 abgestuft. Bei Myasthenia gravis hängt der GdB von der Schwere der Erkrankung und den damit verbundenen Einschränkungen ab.

Feststellung des GdB

Die Feststellung des GdB erfolgt durch das zuständige Versorgungsamt oder die Agentur für Arbeit. Grundlage für die Bewertung sind die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG), die in der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) festgelegt sind. Diese Grundsätze enthalten Anhaltswerte für die Bewertung verschiedener Erkrankungen und Funktionsbeeinträchtigungen.

Mögliche GdB-Bewertungen bei Myasthenia Gravis

Die GdB-Bewertung bei Myasthenia gravis ist individuell und hängt von der Ausprägung der Symptome und deren Auswirkungen auf den Alltag ab. Folgende Aspekte werden bei der Bewertung berücksichtigt:

  • Muskelschwäche: Der Grad der Muskelschwäche und deren Auswirkungen auf die Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer.
  • Augenmuskelbeteiligung: Doppelbilder, Ptose und andere Beeinträchtigungen der Augenfunktion.
  • Bulbärere Symptome: Kau- und Schluckstörungen, Sprechprobleme und Beeinträchtigungen der Atmung.
  • Fatigue: Chronische Müdigkeit und Erschöpfung, die die Leistungsfähigkeit erheblich einschränken können.
  • Therapie: Die Notwendigkeit und Wirksamkeit der medikamentösen Therapie sowie eventuelle Nebenwirkungen.

Eine pauschale Aussage über den GdB bei Myasthenia gravis ist nicht möglich. In leichteren Fällen, in denen die Symptome gut kontrolliert werden können und keine wesentlichen Einschränkungen bestehen, kann ein GdB von 20 oder 30 festgestellt werden. Bei stärker ausgeprägten Symptomen, die den Alltag erheblich beeinträchtigen, kann der GdB auch höher liegen, bis hin zu 50 oder mehr.

Beispielhafte GdB-Bewertung

Ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 1997 (Aktenzeichen im Originaltext enthalten) befasste sich mit dem Fall eines Klägers, der an Myasthenia gravis leidet. Ihm wurde zunächst ein GdB von 60 zuerkannt, der später auf 50 reduziert wurde. Der Kläger begehrte die erneute Gewährung des Merkzeichens G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr). Das Gericht gab dem Kläger Recht und stellte fest, dass er aufgrund der Auswirkungen der Myasthenia gravis in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist.

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Rechte und Nachteilsausgleiche bei Schwerbehinderung

Menschen mit einem GdB von mindestens 50 gelten als schwerbehindert und haben Anspruch auf verschiedene Nachteilsausgleiche. Diese sollen die durch die Behinderung bedingten Nachteile ausgleichen und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen. Zu den wichtigsten Nachteilsausgleichen gehören:

  • Besonderer Kündigungsschutz: Schwerbehinderte Menschen genießen einen besonderen Kündigungsschutz, der sie vor ungerechtfertigten Kündigungen schützt.
  • Zusätzlicher Urlaub: Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben Anspruch auf zusätzlichen bezahlten Urlaub.
  • Steuerliche Vergünstigungen: Schwerbehinderte Menschen können verschiedene steuerliche Vergünstigungen in Anspruch nehmen.
  • Ermäßigungen: Ermäßigungen bei öffentlichen Verkehrsmitteln, kulturellen Veranstaltungen und anderen Einrichtungen.
  • Hilfen im Arbeitsleben: Unterstützung bei der Arbeitsplatzausstattung, Betreuung durch spezielle Fachdienste und Beschäftigungsanreize für Arbeitgeber.

Gleichstellung

Menschen mit einem GdB von mindestens 30, aber weniger als 50 können einen Antrag auf Gleichstellung stellen. Die Gleichstellung ermöglicht es, den rechtlichen Status schwerbehinderter Menschen zu erlangen, auch wenn der GdB unter 50 liegt. Dies kann insbesondere im Berufsleben von Vorteil sein, da die Gleichstellung den gleichen Kündigungsschutz wie bei Schwerbehinderung gewährt und Zugang zu verschiedenen Unterstützungsangeboten eröffnet.

Myasthenia Gravis im Alltag: Beruf, Urlaub und Rehabilitation

Berufstätigkeit mit Myasthenia Gravis

Viele Menschen mit Myasthenia gravis können ihren beruflichen Alltag ohne große Einschränkungen weiterverfolgen, insbesondere wenn die Erkrankung medikamentös gut eingestellt ist. Es kann jedoch sinnvoll sein, während des Arbeitstages vermehrt Pausen einzulegen und Stress zu vermeiden. Wenn die Beschwerden einen Arbeitstag unmöglich machen, ist eine Krankschreibung möglich. Bei dauerhaften Einschränkungen kann die Anerkennung einer Schwerbehinderung oder die Beantragung einer Erwerbsminderungsrente in Betracht gezogen werden.

Urlaub und Reisen

Patienten mit myasthenen Syndromen können trotz ihrer Erkrankung in den Urlaub fahren. Im Vorfeld bedarf es jedoch einiger Organisation und eventuell einer individuellen Abstimmung mit dem behandelnden Arzt. Wichtig ist, die Therapieintervalle regelmäßiger Infusionen zu beachten und sicherzustellen, dass die medizinische Versorgung im Notfall vor Ort gewährleistet ist. Es empfiehlt sich, einen Notfallausweis und einen Medikationsplan mit sich zu führen. Temperaturextreme sollten vermieden werden, da viele Patienten mit myasthenen Syndromen Hitze schlechter vertragen.

Rehabilitation und Hilfsmittel

Die Rehabilitation spielt eine wichtige Rolle bei der Behandlung von Myasthenia gravis. Ziel ist es, die körperliche Leistungsfähigkeit zu verbessern, die Selbstständigkeit zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Verschiedene Hilfsmittel können den Alltag erleichtern, wie z.B. orthopädische Hilfsmittel zur Unterstützung der Muskelfunktion.

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Therapie der Myasthenia Gravis

Die Therapie der Myasthenia gravis zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Zu den wichtigsten Therapieansätzen gehören:

  • Acetylcholinesterase-Inhibitoren: Medikamente, die den Abbau von Acetylcholin verzögern und die Signalübertragung an der motorischen Endplatte verbessern.
  • Immunsuppressiva: Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken und die Autoantikörperproduktion reduzieren.
  • Thymektomie: Die operative Entfernung der Thymusdrüse, die bei vielen Patienten mit Myasthenia gravis eine Thymitis oder ein Thymom aufweist.
  • Plasmapherese und Immunadsorption: Verfahren zur Entfernung von Autoantikörpern aus dem Blut.
  • Intravenöse Immunglobuline (IVIG): Die Gabe von Antikörpern aus Spenderblut, die das Immunsystem modulieren.

Die Therapie der Myasthenia gravis muss individuell erfolgen und wird am besten in Abstimmung mit einem erfahrenen Neurologen im Rahmen einer Myasthenie-Sprechstunde geplant.

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