Viele Menschen lassen unbewusst ihren Nacken knacken, um kurzzeitig Verspannungen zu lösen. Doch die potenziellen Gefahren, die mit dieser Gewohnheit einhergehen, werden oft unterschätzt. Dieser Artikel beleuchtet das Thema Nackenknacken und das damit verbundene Schlaganfallrisiko, indem er Fallbeispiele, medizinische Erklärungen und Forschungsergebnisse analysiert. Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis für die Risiken zu schaffen und präventive Maßnahmen aufzuzeigen.
Einführung: Das Knacken im Nacken - Gewohnheit oder Gefahr?
Das Knacken im Nacken ist für viele Menschen ein vertrautes Phänomen, das oft als befreiend empfunden wird. Verspannungen, insbesondere bei sitzenden Tätigkeiten, verleiten dazu, den Kopf ruckartig zu bewegen oder zu kreisen, bis ein Knacken zu hören ist. Dieses Knacken wird oft als Zeichen der Entspannung interpretiert, doch die potenziellen Risiken werden dabei häufig außer Acht gelassen.
Fallbeispiele: Wenn das Knacken zum Schlaganfall führt
Der Fall Josh Hader
Ein besonders drastisches Beispiel ist der Fall von Josh Hader aus Oklahoma, USA. Der damals 28-Jährige erlitt 2019 einen Schlaganfall, nachdem er versucht hatte, seinen schmerzenden Nacken selbst zu dehnen und zu entspannen. Medienberichten zufolge verspürte Hader nach dem Knacken heftigere Schmerzen und konnte plötzlich nicht mehr geradeaus gehen. Im Krankenhaus wurde festgestellt, dass er durch das Nackenknacken Arterien verletzt hatte, was zu Taubheitsgefühlen und Schwäche auf einer Körperhälfte führte. Dr. Vance McCollom, der behandelnde Arzt, erklärte, dass die Verdrehung des Halses zu einer Halbierung der Arterien geführt habe, was lebensbedrohlich hätte sein können. Hader musste mehrere Tage auf der Intensivstation verbringen und eine intensive Rehabilitation absolvieren.
Vera Milazewski: Gelähmt nach dem Einrenken
Ein weiteres erschreckendes Beispiel ist der Fall von Vera Milazewski. Sie war wegen eines steifen Nackens, den sie sich beim Autofahren zugezogen hatte, bei einem Chirotherapeuten. Während der Behandlung wurde ihr Kopf nach links und rechts gedreht, wobei es deutlich knackte. Unmittelbar danach wurde ihr schwindlig und schlecht, sie konnte nicht mehr richtig sprechen und bekam kaum Luft. Im Krankenhaus wurde ein schwerer Schlaganfall diagnostiziert. Der Arzt hatte beim Einrenken ihre Halsschlagadern eingerissen. Vera Milaszewski ist seitdem gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen.
Alexandra Weber: Schlaganfall nach chirotherapeutischer Behandlung
Auch Alexandra Weber erlitt nach einer chirotherapeutischen Behandlung wegen Nackenverspannungen einen Schlaganfall. Unmittelbar nach dem Einrenken traten Sprachstörungen und Lähmungen auf. Sie kann bis heute nicht mehr richtig schreiben und wird wahrscheinlich nie wieder als Lehrerin arbeiten können.
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Diese Fälle verdeutlichen, dass das Nackenknacken und insbesondere das chiropraktische Einrenken des Halses schwerwiegende Folgen haben können.
Medizinische Erklärungen: Wie das Nackenknacken zum Schlaganfall führen kann
Verletzung der Arterien
Dr. Vance McCollom erklärte im Fall von Josh Hader, dass das Knacken des Nackens zu Rissen in den Arterien führen kann, die bis zum Knochen des Halses reichen. Diese Arterien sind mit dem Schädel an der Basis des Gehirns verbunden. Durch die Verdrehung des Halses können diese Arterien verletzt werden.
Vertebralisdissektion
Eine MRT-Untersuchung im Fall eines Mandanten, der nach einer chiropraktischen Behandlung einen Schlaganfall erlitten hatte, ergab, dass der Schlaganfall durch eine Vertebralisdissektion ausgelöst wurde. Dabei handelt es sich um einen Riss in der Arteria vertebralis, die den Hirnstamm und das Kleinhirn mit Blut versorgt. Der Riss befand sich auf Höhe des Atlaswirbels, genau dort, wo auch der chiropraktische Eingriff vorgenommen wurde.
Blutgerinnselbildung
Durch die Verletzung der Arterien kann sich ein Blutgerinnsel bilden. Dieses Gerinnsel kann ins Gehirn wandern und dort eine Ader verstopfen, was zu einem Schlaganfall führt.
Risikofaktoren
Bestimmte Faktoren können das Risiko eines Schlaganfalls durch Nackenknacken erhöhen. Dazu gehören:
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- Vorerkrankungen der Blutgefäße
- Genetische Veranlagung
- Gewaltsame Manipulationen am Hals
Chiropraktik: Eine umstrittene Behandlungsmethode
Die Chiropraktik ist eine umstrittene Behandlungsmethode, bei der Gelenke mit gezielten schnellen Impulstechniken behandelt werden. Diese Techniken rufen das für die Chiropraktik typische Knacken hervor, weshalb diese Art der Therapie häufig als „Einrenken“ umschrieben wird. Die These der Chiropraktik besagt, dass Verschiebungen der Wirbelkörper (Subluxationen) Druck auf Nervenbahnen ausüben und Schmerzen verursachen. Durch das Einrenken sollen die Wirbel wieder in die richtige Position gebracht und die Schmerzen gelindert werden. Diese These ist jedoch wissenschaftlich nicht bewiesen.
Kritik an der Chiropraktik
- Mangelnde wissenschaftliche Evidenz: Viele chiropraktische Behandlungsmethoden sind wissenschaftlich nicht ausreichend belegt.
- Risiko von Komplikationen: Insbesondere die Manipulation der Halswirbelsäule birgt das Risiko von Gefäßverletzungen und Schlaganfällen.
- Fehlende Aufklärung: Patienten werden oft nicht ausreichend über die Risiken der Behandlung aufgeklärt.
Stellungnahme von Chirotherapeuten
Dr. Thomas Hartmann von der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin äußerte sich skeptisch gegenüber dem Risiko von Schlaganfällen durch chiropraktische Behandlungen. Er glaubt nicht, dass es durch die Manipulation an einer vorher gesunden Halswirbelsäule, an gesunden Arterien, durch die Art und Weise wie wir unsere chirotherapeutischen Behandlungen durchführen, nicht geben kann. Allerdings räumte er ein, dass es keine gesicherten Erkenntnisse gibt.
Untersuchung an der Berliner Charité
Eine Untersuchung an der Berliner Charité ergab, dass es einen Zusammenhang zwischen chirotherapeutischen Eingriffen und nachfolgenden Schlaganfällen gibt. Eva Schielke, Chefärztin Neurologie, berichtete, dass in einer Untersuchung an allen deutschen Uni-Kliniken 36 Fälle gemeldet wurden, in denen ein ziemlich eindeutiger Zusammenhang zwischen einem chirotherapeutischen Eingriff und einem nachfolgenden Schlaganfall bestand.
Forschungsergebnisse: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Nackenknacken und Schlaganfall?
Die wissenschaftliche Forschung zum Thema Nackenknacken und Schlaganfall ist komplex und liefert keine eindeutigen Antworten. Einige Studien deuten auf einen Zusammenhang hin, während andere keine signifikante Verbindung finden.
Studie aus dem Jahr 2016
Eine Studie aus dem Jahr 2016 wertete Krankenhausdaten über 9 Jahre aus und untersuchte alle Fälle von ischämischen Schlaganfällen im Gebiet der A. carotis. Die Studie ergab, dass es bei unter 45-Jährigen einen zeitlichen Zusammenhang mit Konsultationen bei verschiedenen Ärzten gab, insbesondere wenn Nacken- oder Kopfschmerzen der Konsultationsgrund waren. Allerdings machte es keinen Unterschied, ob die Patienten beim Chiropraktiker oder beim Hausarzt waren. Bei über 45-Jährigen ergab sich keinerlei Zusammenhang. Ein Schwachpunkt dieser Studie ist, dass man keine Schlaganfälle durch Dissektionen der Vertebralarterien im Blick hatte.
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Querschnittsuntersuchung von 2023
Eine Querschnittsuntersuchung der International Federation of Orthopedic Manual Physical Therapists aus dem Jahr 2023 entwickelte und evaluierte einen vaskulären Komplikationsrisiko-Index. Auch in dieser Studie zeigte sich jedoch, dass chiropraktische Manipulationen der HWS nicht mit einem Exzessrisiko für ischämische Schlaganfälle im Stromgebiet der Aa. Carotis einhergehen. Es ist somit eher wahrscheinlich, dass frühe Symptome der Dissektion die Betroffenen mit Nacken- und Kopfschmerzen zum Arzt geführt haben. Allerdings wurden auch in dieser Studie keine Dissektionen der Vertebralarterien berücksichtigt.
Zusammenfassende Bewertung der Forschungslage
Die bisherige Forschungslage deutet darauf hin, dass Manipulationen an der Halswirbelsäule möglicherweise kein erhöhtes Risiko für ischämische Schlaganfälle im Stromgebiet der A. carotis bergen. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass Manipulationen an der Halswirbelsäule das Risiko von Verletzungen der Vertebralarterien erhöhen könnten, die aufgrund ihrer anatomischen Lage viel eher für Schädigungen durch Manipulationen an der HWS gefährdet sind. Weitere Forschung ist notwendig, um die Zusammenhänge zwischen Nackenknacken, chiropraktischen Behandlungen und Schlaganfällen besser zu verstehen.
Rechtliche Aspekte: Arzthaftung bei Schlaganfall nach Chiropraktik
Ein Schlaganfall nach einer chiropraktischen Behandlung kann einen Arzthaftungsfall darstellen. Der Arzt haftet, wenn er bei der Behandlung einen Fehler gemacht hat und dieser Fehler zu dem Schlaganfall geführt hat.
Beweislast
In der Arzthaftung trägt der Patient die Beweislast. Er muss beweisen, dass der Arzt einen Fehler gemacht hat und dass dieser Fehler zu dem Schaden geführt hat. Dies kann schwierig sein, da es oft keine eindeutigen Beweise gibt. Wenn es um die Aufklärung geht, muss der Arzt eine ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten beweisen.
Gutachten
In der Regel wird in Arzthaftungsverfahren ein medizinisches Gutachten eingeholt. Dieses Gutachten soll klären, ob der Arzt einen Fehler gemacht hat und ob dieser Fehler zu dem Schaden geführt hat.
Höhe des Schmerzensgeldes
Die Höhe des Schmerzensgeldes richtet sich nach der Schwere des Schadens und den individuellen Lebensumständen des Patienten. Bei einem Schlaganfall mit bleibenden Schäden kann das Schmerzensgeld in die Hunderttausende von Euro gehen.
Verjährung
Arzthaftungsansprüche verjähren nach drei Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem der Patient von dem Schaden und dem Arztfehler Kenntnis erlangt hat.
Was tun bei Nackenschmerzen und Verspannungen?
Anstatt den Nacken selbst zu knacken oder sich chiropraktisch behandeln zu lassen, gibt es eine Reihe von alternativen Maßnahmen, die bei Nackenschmerzen und Verspannungen helfen können:
- Physiotherapie: Ein Physiotherapeut kann gezielte Übungen zur Stärkung und Dehnung der Nackenmuskulatur empfehlen.
- Manuelle Therapie: Ein Manualtherapeut kann Blockaden lösen und die Beweglichkeit der Halswirbelsäule verbessern.
- Wärmeanwendungen: Wärme kann die Muskeln entspannen und Schmerzen lindern.
- Entspannungsübungen: Stress kann zu Verspannungen führen. Entspannungsübungen wie Yoga oderProgressive Muskelentspannung können helfen, Stress abzubauen.
- Ergonomische Anpassung des Arbeitsplatzes: Eine ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes kann helfen, Fehlhaltungen zu vermeiden und Verspannungen vorzubeugen.
- Schmerzmittel: Bei Bedarf können Schmerzmittel eingenommen werden, um die Schmerzen zu lindern.
Fazit: Vorsicht ist besser als Nachsicht
Das Nackenknacken kann in seltenen Fällen zu schwerwiegenden Komplikationen wie Schlaganfällen führen. Insbesondere bei chiropraktischen Manipulationen der Halswirbelsäule besteht ein Risiko von Gefäßverletzungen. Es ist daher ratsam, auf das selbstständige Knacken des Nackens zu verzichten und bei Nackenschmerzen und Verspannungen alternative Behandlungsmethoden in Anspruch zu nehmen. Eine sorgfältige Diagnose und Aufklärung durch einen Arzt sind unerlässlich, um das Risiko von Komplikationen zu minimieren.
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