Primär progrediente Multiple Sklerose: Definition, Diagnose und Therapie

Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, die das zentrale Nervensystem (ZNS) angreift und zu verschiedenen neurologischen Problemen führt. MS ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Die Krankheit wird auch Encephalomyelitis disseminata (ED) genannt. Multiple Sklerose zählt zu den Autoimmunkrankheiten und beginnt meist im frühen Erwachsenenalter, wobei Frauen etwa 2-3mal häufiger betroffen sind. Weltweit gibt es fast drei Millionen Menschen mit MS, über 280.000 davon in Deutschland.

Verlaufsformen der Multiplen Sklerose

Der Verlauf der Multiplen Sklerose ist nicht vorhersagbar. Bei jedem zeigt sich die MS anders. Sowohl die Art und Anzahl der Symptome, Häufigkeit, Dauer und Schwere der Schübe als auch das mögliche Fortschreiten einer Beeinträchtigung unterscheiden sich voneinander. Je nach Verlauf unterscheidet man folgende Formen von MS:

  • Schubförmig remittierende Multiple Sklerose (RRMS)
  • Sekundär progrediente Multiple Sklerose (SPMS)
  • Primär progrediente Multiple Sklerose (PPMS)

MS beginnt am häufigsten mit der schubförmig remittierenden Verlaufsform (RRMS). Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Symptome zwischen den Schüben ganz oder teilweise zurückgehen. Aus einer RRMS kann sich eine SPMS entwickeln. Die Symptome und Einschränkungen werden von Beginn an kontinuierlich schlimmer. Etwa 10 bis 15 % der MS-Erkrankten erfahren von Beginn an eine kontinuierliche Verschlechterung ihrer Beschwerden, ohne dass sie Schübe haben.

Was ist primär progrediente MS (PPMS)?

PPMS (Primary Progressive Multiple Sclerosis), auf Deutsch auch Primär Progrediente MS genannt, ist die seltenste Form der Multiplen Sklerose. Im Gegensatz zu RRMS und SPMS verläuft sie nicht schubförmig, sondern von Beginn an allmählich fortschreitend. Bei der PPMS nehmen die Symptome von Beginn an stetig zu, ohne dass Schübe oder ausgeprägte Remissionen auftreten. Auftritt meistens erst ab dem 40. Lebensjahr.

Symptome der PPMS

Die Beschwerden können vielfältig sein und hängen von den jeweils betroffenen Bereichen des zentralen Nervensystems ab. Häufigste Symptom ist die langsam progrediente Gangstörung, selten treten schubartige Verschlechterungen auf. Durch das fortschreitende Krankheitsbild fällt es vielen Betroffenen schwer, ihren Alltag uneingeschränkt zu bewältigen. Die Auswertung der NTD-Daten zeigte, dass die Symptome anfänglich oft unspezifisch sind und bis zu 10 Jahre zwischen dem Beginn der Erkrankung und der Diagnose liegen können.

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Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen der Multiplen Sklerose sind (noch) nicht bekannt. Es wird vermutet, dass mehrere verschiedene Umstände zusammenwirken. Die Genetik scheint eine große Rolle zu spielen. Spezielle Genveränderungen erhöhen das Erkrankungsrisiko und vor allem die Erkrankungsschwere. Im Rahmen der Epigenetik, also den Umweltfaktoren, die Einfluss auf die Gene haben spielen das Epstein-Barr-Virus (EBV) und Rauchen eine große Rolle, aber auch Übergewicht, Vitamin D Mangel und ein zu hoher Konsum von Kochsalz können zum Ausbruch beitragen.

Das Risiko für eine MS-Erkrankung steigt z.B. durch:

  • Bestimmte Viruserkrankungen
  • Genetische Veranlagung
  • Rauchen und auch Passiv-Rauchen
  • Stress

Diagnose der PPMS

Multiple Sklerose ist schwer zu diagnostizieren. Zuerst wird ausgeschlossen, dass die Beschwerden durch andere Ursachen (z.B. Borreliose oder Syphilis) hervorgerufen werden. Finden sich keine anderen Erklärungen, nutzen Ärzte die sog. Kriterien. Die Diagnose erfolgt durch Ausschluss anderer Krankheiten und mithilfe bestimmter Untersuchungen, z.B. MRT.

Bei Verdacht auf MS werden i.d.R. Bluttest, um andere Krankheiten (z.B.) auszuschließen, durchgeführt. Je nach Symptomen und Ergebnis bisheriger Untersuchungen, können weitere Diagnoseverfahren (z.B.) notwendig sein.

Wichtig zu beachten - Die MS ist eine Erkrankung mit tausend Gesichtern. Entscheidend ist, dass sich Entzündungsherde an mehreren Stellen im Gehirn oder Rückenmark nachweisen lassen. Dafür wird eine Magnetresonanz-Tomographie (MRT) des Kopfes durchgeführt. Weitere wichtige Untersuchungen zur Bestätigung einer MS-Diagnose sind die Untersuchung des Nervenwassers mittels einer Lumbalpunktion sowie Messungen von Sehnerven (VEP) und Nervenbahnen (SEP).

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Therapie der PPMS

Multiple Sklerose ist nicht heilbar. Durch moderne Behandlungsmöglichkeiten kann der Verlauf der Erkrankung jedoch meist lange herausgezögert und verbessert werden. Die Therapie der Multiplen Sklerose stützt sich dabei auf mehrere Säulen:

  • Schubtherapie: Behandlung akuter Schübe, damit Beschwerden sich schnell zurückbilden
  • Verlaufsmodifizierende Therapie (= Basistherapie): Reduktion der Schwere und Häufigkeit der Schübe, um die beschwerdefreie oder -arme Zeit zu verlängern
  • Symptomatische Therapie: Linderung von MS-Beschwerden und Vorbeugung möglicher Komplikationen

Für Patienten mit primär-progredienter MS (PPMS) gab es lange Zeit trotz intensiver Forschung kein zugelassenes Basis-Medikament. Im Jahr 2018 kam erstmals ein solches Medikament heraus; das Präparat enthält den Antikörper Ocrelizumab und kann die Krankheitsaktivität dämpfen. Besonders bei jüngeren Betroffenen mit kürzerer Erkrankungsdauer und nachweisbarer Krankheitsaktivität kann das Fortschreiten der Erkrankung durch die Behandlung mit Ocrelizumab gebremst werden.

Mit B-Zelltherapien, wie Ocrelizumab und Rituximab, können wir vor allem fokale Aspekte der PPMS therapieren, also wenn räumlich begrenzte Entzündungsaktivität vorhanden ist. Dies gilt vor allem für jüngere Patienten unter 45-50 Jahren mit einer kurzen Krankheitsdauer, einem geringen Behinderungsgrad und bei Nachweis der beschriebenen, entzündlichen Aktivität im MRT.

Früher hat man regelmäßig Kortisonstöße gegeben. Ocrelizumab wirkt bei Patienten unter 45 Jahren mit einem niedrigen EDSS besser als im später Verlauf.

Da aktuell nur nur für einen Teil der PatientInnen medikamentöse Optionen zur Verfügung stehen, ist der eigene aktive Umgang mit der Erkrankung besonders wichtig. Dazu gehört eine aktive Lebensführung und das minimieren von Risikofaktoren.

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Leben mit PPMS

Alle direkt und indirekt Betroffenen sollten versuchen die Diagnose zu akzeptieren inklusive dem speziellen Krankheitskonzept der primär progredienten Multiplen Sklerose (PPMS). Es ist enorm wichtig aktiv zu bleiben und seine Ressourcen zu pflegen. Bauen sie sich ein gutes Netzwerk auf, mit einer/m guten NeurologIn, guten TherapeutInnen und einer guten Rehaklinik. Und bleiben sie informiert, zum Beispiel mit einem guten Podcast.

Jede und jeder sollte versuchen, die Spielräume der Einflussnahme auf den Verlauf maximal zu nutzen, aber auch die Grenzen wahrnehmen und das „neue Normal“ akzeptieren und damit umgehen lernen. Indem sie Angebote für Rehabilitationsmaßnahmen nutzen, sich selber empowern und einen aktiven Umgang mit der Erkrankung anstreben.

Die wichtigsten Informationen rund um das Leben mit MS finden Sie in unseren Broschüren, die Ihnen auch als Download zur Verfügung stehen.

Aktuelle Forschung und Therapieansätze

Die Krankheitsprozesse gerade auch der Neurodegeneration werden immer besser verstanden. Damit eröffnen sich auch Möglichkeiten der Einflussnahme. Neue Therapieoptionen stehen direkt vor der Türe, die theoretisch das Potential haben, auch die PPMS noch effektiver zu adressieren.

Ein wichtiger Schwerpunkt der klinischen Forschung liegt 2024 wie auch in den vergangenen Jahren auf der Weiterentwicklung von immunmodulatorischen Substanzen, die das Voranschreiten der Behinderung effektiver unterbinden sollen. Durch Immunmodulatoren kann die Immunantwort im Körper beeinflusst und neu ausgerichtet werden. Sie können beispielsweise Botenstoffe sein, die therapeutisch eingesetzt werden, um die Kommunikation zwischen den Immunzellen zu beeinflussen. Ein weiterer Fokus liegt auf der Erforschung der Zelle, insbesondere der Rolle von T-Zellen und B-Zellen, um die Mechanismen der Autoimmunreaktion besser zu verstehen. Andere Studien zielen darauf ab, den Anwendungskomfort durch längere Anwendungsintervalle oder eine orale Verabreichung zu erhöhen.

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hat die Leitlinie "Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-opticaSpektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen" mit ausführlichen Informationen und aktuellen Behandlungsempfehlungen herausgegeben.

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