Afferente Strukturen leiten Informationen zu einem bestimmten Punkt hin, vorwiegend im zentralen Nervensystem (ZNS). "Afferent" ist eine Richtungsbezeichnung für den Zufluss von Informationen (neuronale Afferenzen) oder Substanzen (Blut über afferente Blutgefäße) zu einem definierten Ziel.
Afferenzen im Nervensystem: Eine Übersicht
Der Begriff "afferent" wird hauptsächlich im Zusammenhang mit dem ZNS verwendet. Dabei lassen sich verschiedene Ebenen unterscheiden:
- Zelluläre Ebene: An der kleinsten strukturellen Ebene, dem Perikaryon (Zellkörper) eines Neurons, sind die Dendriten die afferenten Äste, die Informationen zuführen.
- Regionale Ebene: Auf der Ebene einer Hirnregion oder eines Kerngebiets im ZNS werden Strukturen, die Reize zu dieser Region leiten, als afferent bezeichnet.
- Systemische Ebene: Auf der größten strukturellen Ebene, dem ZNS und dem peripheren Nervensystem, werden Nervenfasern, die vom peripheren zum zentralen Nervensystem ziehen, als Afferenzen bezeichnet. Hier unterscheidet man zwischen somatischen und viszeralen Afferenzen.
Afferente Nervenfasern leiten Informationen über Neuronen an das Gehirn und das Rückenmark, also das zentrale Nervensystem weiter. Hingegen gehen efferente Nervenbahnen vom zentralen Nervensystem ab und leiten Informationen an die Gliedmaßen und Organe. Zum Beispiel geht die Information über die Hitze einer Kerzenflamme, die beim Anfassen empfunden wird, über afferente Nervenbahnen an das zentrale Nervensystem. Die motorische Reaktion, um die Hand von der Flamme wegzuziehen, wird über efferente Nerven an die Gliedmaßen weitergeleitet.
Somatische und viszerale Afferenzen
Ähnlich wie bei den Efferenzen können afferente Fasern sowohl somatische als auch viszerale Informationen an das ZNS leiten.
- Somatische Afferenzen (somatoafferente oder somatosensible Fasern) umfassen Reize von der Leibeswand. Man unterscheidet zwischen allgemein somatischen Afferenzen und den speziellen somatischen Afferenzen. Allgemeine somatische Afferenzen umfassen die Bahnen der haptischen Wahrnehmung, was die Berührungsempfindung, die Temperatur- und Schmerzwahrnehmung und die Propriozeption mit einschließt.
- Viszerale Afferenzen (viszeroafferente oder viszerosensible Fasern) umfassen Informationen des vegetativen Nervensystems und der inneren Organe. Wie bei den somatischen Afferenzen unterscheidet man zwischen allgemeinen und speziellen Reizen. Zu den allgemeinen viszeralen Afferenzen zählt die Schmerzwahrnehmung sowie chemische und mechanische Reize an Organen.
Primär afferente Neurone: Der Weg der Information
Der Weg der Afferenzen beginnt in der Peripherie. Die Fasern ziehen von dort in Richtung der Strukturen im zentralen Nervensystem. In der Peripherie nehmen sie über Rezeptoren oder Sinnesorgane die Primärinformationen auf, die in späteren Stationen verarbeitet und interpretiert werden. Primäre afferente Nervenfasern bringen die Informationen von ihrem Ursprung zum Gehirn oder Rückenmark. Ihre Zellkörper liegen im Spinalganglion und dem Ganglion trigeminale. Die Nerven gehören zu den pseudounipolaren Neuronen.
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Anatomische Untergruppen: A- und C-Fasern
Anatomisch kann man zwischen zwei Untergruppen der primären Fasern unterscheiden, den A-Fasern und den C-Fasern. A-Fasern sind von einer Myelinschicht umgeben und deutlich dünner als die unmyelinisierten C-Fasern. Unangenehme Reize, zum Beispiel Schmerz, werden zum Großteil über die C-Fasern geleitet.
- A-alpha-Fasern: Sie sind die dicksten Fasern und leiten Informationen am schnellsten.
- A-beta-Fasern: Diese mitteldicken Fasern beginnen an Merkelzellen, Meissner-Tastkörperchen, Vater-Pacini-Körperchen oder Krause-Endkolben.
- A-delta-Fasern: Sie beginnen als freie Nervenendigungen und führen Afferenzen zur Temperaturempfindung.
Sensorische Reize und ihre Weiterleitung
Sinnesrezeptoren sind spezialisierte Zellen, welche Reize aufnehmen und diese in elektrische Signale umwandeln können. Diese elektrischen Signale werden in Form eines Aktionspotenzials an die nächste Zelle weitergegeben und somit an das zentrale Nervensystem weitergeleitet. Ein Aktionspotenzial beschreibt die kurzzeitige Umkehr des elektrischen Potenzials der Zellmembran einer Nervenzelle.
Im Ruhezustand besitzt die Nervenzelle ein Ruhepotential von -45 bis -70 mV. Kommt es durch einen Reiz zu einer kleinen lokalen Spannungsänderung, passiert in der Nervenzelle zuerst nichts. Nur wenn der Reiz stark genug ist, kann die Schwellenspannung für ein Aktionspotenzial überschritten werden. Ist die Schwellenspannung erreicht, kommt es immer zu einem Aktionspotenzial. Es strömen vermehrt positiv geladene Ionen in die Nervenzelle ein und es kommt zu der Depolarisierung der Zellmembran (-70 mV bis 0 mV). Da der Einstrom von positiv geladenen Ionen noch kurze eine Weile anhält, kommt es zum Overshoot, das heißt, das Membranpotential wird kurzzeitig positiv (+30 mV), bevor die Repolarisation einsetzt. Während der Repolarisation werden positiv geladenen Ionen aus der Nervenzelle gepumpt, sodass der Ruhezustand erneut erreicht werden kann. Dabei kommt es kurzzeitig zu einer Hyperpolarisation, also einem negativeren Membranpotential als im Ruhezustand, bis die Zelle das Ionengleichgewicht bei -70 mV wiederhergestellt hat. Das Potenzial der Zelle steigt auf einen Wert von bis zu +30 mV an. Daher hat die Zelle eine größere elektrische Spannung als zuvor. Man spricht in diesem Fall von einer Depolarisation.
Die Depolarisierung führt zu einem exzitatorischen postsynaptischen Potenzial (EPSP) und somit zu einem Aktionspotenzial im nächsten Neuron. Über die Signaltransduktion wird die elektrische Erregung des Rezeptorpotentials weitergegeben und über Nervenbahnen an das zentrale Nervensystem (ZNS) weitergeleitet. Erst im Gehirn ist eine Wahrnehmung des Reizes möglich. Das Rezeptorpotenzial ist eine Depolarisation der Zellmembran der Sinneszelle durch einen adäquaten Reiz.
Exterozeptive und propriozeptive Reize
Primär afferente Neurone lassen sich in zwei große Klassen einteilen: extero- und propriozeptive. Exterozeptive Erregungen entstammen Reizen der Umwelt wie Druck, Berührung, Schmerz, Temperatur und Vibrationsempfindung. Propriozeption beschreibt die Tiefensensibilität. Exterozeptive Reize werden normalerweise wahrgenommen, d.h. zum Cortex cerebri.
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Spezifische Bahnsysteme für die Reizübertragung
Die Weiterleitung sensorischer Informationen erfolgt über spezifische Bahnsysteme:
Das Antero-Laterale System (ALS)
Das Antero-Laterale System (ALS) ist ein wichtiger Bestandteil des aufsteigenden Systems, das Schmerz- und Temperaturempfindungen sowie grobe Berührungen vermittelt. Es besteht aus dem Tractus spinothalamicus, dem Tractus spinoreticularis und dem Tractus spinomesencephalicus.
Tractus spinothalamicus
Der Tractus spinothalamicus ist der Hauptweg für Schmerz- und Temperaturempfindungen vom Körper zum Thalamus. Er besteht aus drei Neuronen:
- 1. Neuron: Im Spinalganglion.
- 2. Neuron: Die Ursprungszellen des Tractus befinden sich im Hinterhorn des Rückenmarks (Ncl. proprius) und kreuzen zur Gegenseite, wo sie im Vorderseitenstrang zum Ncl. posterolateralis des Thalamus (VPL) ziehen.
- 3. Neuron: Projiziert vom Thalamus zum somatosensorischen Kortex (S I) und zur sekundären somatosensorischen Region (S II).
Entsprechend ihrer Lage im Rückenmark können ein Tractus spinothalamicus anterior, Tractus spinothalamicus lateralis und ein Tractus spinothalamicus posterior unterschieden werden. Der Tractus spinothalamicus anterior vermittelt Druck- und Berührungsempfindungen, während der Tractus spinothalamicus lateralis vorwiegend Schmerz- und Temperaturreize vermittelt.
Tractus spino-reticularis und Tractus spino-thalamicus
Diese beiden Komponenten verlaufen getrennt aufwärts, wobei der Tractus spino-reticularis in der Formatio reticularis endet. Gemeinsam werden sie auch als Tractus spino-reticulo-thalamicus bezeichnet. Dieses System dient der Abwehr von Gefahren und wird daher dem Tractus neo-spino-thalamicus gegenübergestellt.
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Schmerzwahrnehmung und die Gate-Control-Hypothese
Die Umschaltung zwischen dem 1. und 2. Neuron im Rückenmark wird durch die Gate-Control-Hypothese moduliert. Diese Hypothese besagt, dass das Projektionsneuron in Lamina V sowohl von Schmerz- als auch Tastfasern angesteuert wird. Beide beeinflussen über Kollaterale (gegensinnig) ein Interneuron, das durch präsynaptische Hemmung die Weiterleitung der Schmerzinformation blockiert. Eine zusätzliche Beeinflussung der Schmerzüberleitung erfolgt über serotoninerge Fasern und absteigende Fasern.
Das Antero-Laterale System des Kopfes: Der Tractus trigeminalis
Die sensible Innervation (Berührungsreize) aus dem Kopfbereich erfolgt über den Tractus trigeminalis.
- 1. Neuron: Ganglion trigeminale.
- 2. Neuron: Axone der Neurone in der Pars caudalis bilden den Tractus trigemino-thalamicus lateralis (TTT), der dem Tractus spino-thalamicus lateralis entspricht.
- 3. Neuron: Verläuft vom VPM zur Gesichtsregion im Gyrus postcentralis.
Das Hinterstrangsystem (Lemniskales System - LMS)
Das Hinterstrangsystem vermittelt epikritische Sensibilität, d.h. die genaue Lokalisation und diskriminierende Wahrnehmung von Berührungs-, Druck- und Vibrationsreizen.
- 1. Neuron: Die Axone der Spinalganglienzellen bilden die Fasciculi gracilis und cuneatus, die in den Hintersträngen des Rückenmarks aufsteigen und in den Hinterstrangkernen (Ncl. gracilis bzw. cuneatus) in der Medulla oblongata enden.
- 2. Neuron: Die Hinterstrangkerne senden Axone über den Lemniscus medialis zum kontralateralen Thalamus (Ncl. ventralis posterolateralis, VPL).
- 3. Neuron: Projiziert auf die somatosensiblen Regionen der Großhirnrinde.
Die Fasern des N. trigeminus (Ncl. sensibilis principalis) in der Brücke entsprechen den Hinterstrangkernen und -Bahnen.
Kleinhirnseitenstrangsysteme
Informationen über Propriozeption werden auch an das Kleinhirn weitergeleitet. Hierbei spielen zwei Systeme eine Rolle:
- Das hintere Kleinhirnseitenstrangsystem (Tractus spino-cerebellaris posterior/dorsalis und Tractus cuneo-cerebellaris): Dieses System vermittelt unbewusste Tiefensensibilität.
- Das vordere Kleinhirnseitenstrangsystem (Tractus spino-cerebellaris anterior): Dieses System erhält Impulse der Golgi-Sehnenorgane und vermittelt Informationen über die spinale motorische Aktivität und Reflexe.
Klinische Bedeutung: Ausfälle und Schädigungen
Schädigungen der afferenten Bahnen können zu charakteristischen Ausfällen führen:
- Einseitige Rückenmarksläsion (Brown-Séquard-Syndrom): Hier kommt es zu einem Verlust der epikritischen Sensibilität auf der Herdseite und einem Verlust der Schmerz- und Temperaturempfindung auf der Gegenseite.
- Periphere Schädigung des N. trigeminus: Führt zu Sensibilitätsstörungen im Versorgungsgebiet des Nervs.