Zweisprachigkeit im kindlichen Gehirn: Vorteile, Nachteile und Auswirkungen

Zweisprachige Erziehung, bei der Kinder von Geburt an oder im frühen Kindesalter mit zwei Sprachen aufwachsen, ist ein Thema von großem Interesse und wird oft diskutiert. Neben den unbestreitbaren Vorteilen, die eine Zwei- oder Mehrsprachigkeit mit sich bringt, ist es wichtig, auch mögliche Herausforderungen und Nachteile zu berücksichtigen. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte der bilingualen Erziehung, von den kognitiven Vorteilen bis hin zu potenziellen Schwierigkeiten, und bietet einen umfassenden Überblick für Eltern, Erzieher und alle, die sich für dieses Thema interessieren.

Vorteile der bilingualen Erziehung im Kindesalter

Müheloser Spracherwerb

Im Kindesalter fällt das Erlernen von Sprachen in der Regel leichter als im Erwachsenenalter. Das Gehirn von Kindern ist besonders aufnahmefähig und flexibel, was den Spracherwerb erleichtert. Wenn Kinder von klein auf mit zwei Sprachen aufwachsen, können sie diese oft fast wie Muttersprachen beherrschen.

Entwicklung des Sprachbewusstseins

Bilinguale Kinder entwickeln nicht nur Kenntnisse in den einzelnen Sprachen, sondern auch ein allgemeines Bewusstsein für Sprachen, Kulturen und Kommunikation. Sie lernen, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Sprachen zu erkennen und entwickeln ein tieferes Verständnis für die Struktur und Funktion von Sprache.

Verbesserte Gedächtnisleistung

Neurowissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Gehirnzellen von mehrsprachigen Menschen dichter und komplexer miteinander vernetzt sind. Dies führt zu einer höheren Gedächtnisleistung und einer besseren Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und zu speichern. Mehrsprachige Kinder zeigen oft ein schnelleres Verständnis für Mathematik und ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen.

Kognitive Vorteile

Studien haben gezeigt, dass Zweisprachigkeit die Konzentrationsfähigkeit verbessert und möglicherweise Demenz und ähnliche altersabhängige kognitive Beeinträchtigungen vorbeugen kann. Das Sprechen von zwei Sprachen erhöht den Blut- und Sauerstoffzufluss zum Gehirn und hält die Nervenverbindungen damit gesund.

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Nachteile der bilingualen Erziehung

Inkonsequenz

Nachteile entstehen vor allem dann, wenn die bilinguale Erziehung nicht konsequent umgesetzt wird. Wenn Kinder nicht ausreichend mit beiden Sprachen in Kontakt kommen, können unzureichende Kenntnisse und mangelnde Kommunikationsfähigkeiten in beiden Sprachen entstehen.

Unterforderung in der Schule

Der Sprachunterricht in der Schule kann Kinder, die zweisprachig aufgewachsen sind, unterfordern und demotivieren. Dies kann jedoch auch positiv sein, wenn die Kinder durch gute Noten motiviert werden.

Mögliche soziale Ausgrenzung

Bilinguale Kinder könnten in einem überwiegend einsprachigen Umfeld gemobbt und ausgegrenzt werden. Dies ist jedoch eher selten.

Sprachliche Mischformen

Wenn ein Elternteil die Zweitsprache nicht zu 100 Prozent beherrscht, können sprachliche Mischformen entstehen. Es besteht die Gefahr, dass das Kind eine fehlerhafte Grammatik und Aussprache im Kopf verankert und sie später nur schwierig wieder ablegen kann.

Tipps für Eltern zur bilingualen Erziehung

Sprachverteilung

Halten Sie die unterschiedliche Sprachverteilung innerhalb der Familie stets aufrecht. Dies bedeutet, dass ein Elternteil nur in der Sprache A und der andere Elternteil nur in der Sprache B mit dem Kind kommunizieren sollte. Dies hilft dem Kind, die unterschiedlichen Sprachsysteme strikt auseinanderzuhalten. Ausnahmen sollten höchstens gemacht werden, wenn Freunde oder Familienmitglieder zu Besuch kommen, die nur eine der Sprachen sprechen.

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Wertschätzung beider Sprachen

Bei einer bi- oder multilingualen Erziehung sollte keine der Sprachen und Kulturen als minderwertiger betrachtet werden. Kinder übernehmen solche negativen Einstellungen und lehnen als Folge das Erlernen und Praktizieren der betroffenen Sprache ab. Achten Sie darauf, dass allen Sprachen die gleiche Wertschätzung zugutekommt!

Integration von Medien

Lesen Sie Ihrem Kind in der Nicht-Landessprache vor und hören Sie gemeinsam Musik und Radiosender in der entsprechenden Sprache. Lassen Sie Ihr Kind auch Filme und Serien in der jeweiligen Sprache schauen.

Geduld und Verständnis

Bleiben Sie geduldig und verständnisvoll, wenn sich die Sprachkompetenz in einer Sprache langsamer entwickelt als in der anderen oder wenn Ihr Kind die Sprachen mischt. Derartige Unterschiede und Vermischungen sind normal und gleichen sich im Laufe der Jahre aus. Den Sohn oder die Tochter zu kritisieren und Druck aufzubauen ist kontraproduktiv!

Neurowissenschaftliche Erkenntnisse zur Zweisprachigkeit

Das Sprachzentrum im Gehirn

Das Sprachzentrum im Gehirn besteht aus mehreren Regionen, hauptsächlich in der linken Hemisphäre, von denen jede darauf spezialisiert ist, einen bestimmten Aspekt der Sprache zu verarbeiten. Dazu gehören Sprachproduktion, Sprachverständnis und die Verarbeitung eingehender Sprachsignale.

Exekutive Funktionen

Experimente haben gezeigt, dass im zweisprachigen Gehirn beide Sprachen gleichzeitig aktiv sind, selbst wenn ausschließlich eine Sprache in einem bestimmten Kontext verwendet wird. Dies stellt besondere Herausforderungen an das Gehirn. Wie behält man den Überblick darüber, welche Worte zu der Sprache gehören, die gerade gesprochen wird und welche Worte unterdrückt werden müssen? Dies erfordert zusätzliche Arbeit sogenannter exekutiver Gehirnfunktionen.

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Veränderungen im Gehirn

Der ausgiebige Gebrauch von Exekutivfunktionen spiegelt sich in der Gehirnaktivität Zweisprachiger wider: Hirnregionen im präfrontalen Cortex, die für diese Prozesse verantwortlich sind, werden zusätzlich zu dem typischen Sprachnetzwerk aktiviert. Diese zusätzliche Aktivierung trainiert das Gehirn, was dazu führt, dass Gehirnvolumen dieser Bereiche vergrößert und deren Funktion gestärkt wird. Dies wiederum verbessert die kognitive Leistung bei Aufgaben, die auf diesen Funktionen basieren.

Zeitpunkt des Spracherwerbs

Je früher eine zweite Sprache erlernt wird, desto optimaler ist das Ergebnis. Der Grund dafür ist, dass das Gehirn von Kleinkindern sehr plastisch oder formbar ist und sich daher leicht verändert, je nachdem, welche kognitiven Funktionen am meisten verwendet werden. Wenn Kinder zweisprachig aufwachsen, passt sich deren Gehirn schnell daran an, zwei Sprachen zu sprechen, indem es die Netzwerke und Verbindungen formt, die es ermöglichen, mit den erhöhten kognitiven Anforderungen fertig zu werden.

Zweisprachigkeit und Demenz

Aktuelle Studien haben gezeigt, dass Zweisprachigkeit den Ausbruch von Alzheimer um bis zu vier Jahre verzögern kann. Obwohl Hirnschäden von gleichaltrigen ein- und zweisprachigen Alzheimer-Patienten im Schnitt das gleiche Ausmaß haben, können Gehirne von Zweisprachigen damit besser umgehen. Die Theorie dahinter: Zweisprachigkeit stattet das Gehirn mit besseren Kompensationsmechanismen aus, da das Gehirn gewohnt ist, mit hohen kognitiven Anforderungen umzugehen. Dies ist allerdings nur der Fall, wenn beide Sprachen noch gut beherrscht werden.

Mehrsprachigkeit in Deutschland

In Deutschland sprechen viele Menschen mehrere Sprachen. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2021 gaben 40 Prozent der Befragten an, zwei Sprachen zu sprechen. Neben Deutsch sind Türkisch, Russisch und Arabisch die meistgesprochenen Sprachen in deutschen Haushalten.

Deutschlandweit sprechen gut sechs von zehn Kindern zu Hause ausschließlich Deutsch (61,5 %). Gestiegen ist gleichzeitig der Anteil der Kinder, die zu Hause manchmal oder nie Deutsch sprechen - er lag 2021 bei 36,2 bzw. 2,3 Prozent.

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