Epilepsie im Kindesalter ist ein vielschichtiges Thema, das eine präzise Diagnostik und individualisierte Therapie erfordert. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die aktuellen Leitlinien zur Epilepsie bei Kindern, basierend auf den Empfehlungen von Experten und wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Einführung
Die Diagnose Epilepsie wird gestellt, wenn wiederholt unprovozierte epileptische Anfälle auftreten. Treten mehrere Anfälle innerhalb von 24 Stunden auf, werden diese als ein einzelner Anfall gewertet. In bestimmten Fällen, wie beispielsweise bei Vorliegen einer Läsion in der MRT und einem pathologischen EEG, kann die Diagnose jedoch auch schon nach einem einzigen Anfall gestellt werden, wenn das Anfallsrisiko über 60 % liegt. Eine Epilepsie gilt als überwunden, wenn Patienten ein altersgebundenes Epilepsiesyndrom haben und das Ende des Manifestationsalters erreicht ist.
Epidemiologie
Die Inzidenz von Epilepsie bei Kindern in den entwickelten Ländern beträgt etwa 50 von 100.000 pro Jahr. Dabei zeigt sich eine zweigipfelige Verteilung: Im ersten Lebensjahr ist die Inzidenz fast dreimal so hoch, fällt dann bis zum 5. bis 10. Lebensjahr kontinuierlich ab und steigt nach einer Plateauphase (ca. 15.-65. Lebensjahr) wieder an. Kinder machen etwa 25 % aller Neuerkrankungen aus. Die Prävalenz der Epilepsien im Kindesalter liegt bei etwa 0,5 %.
Ätiologie und Klassifikation
Die Klassifikation der epileptischen Anfälle und Epilepsiesyndrome ist komplex. Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat die ursprünglichen Klassifikationsansätze von 1981 und 1989 in den Jahren 2001, 2006, 2010 und 2017 überarbeitet. Die Klassifikation berücksichtigt die Ätiologie, die Anfallssymptomatik und das EEG.
Ätiologische Einteilung
- Symptomatische Epilepsien: Diese werden durch strukturelle, infektiöse, metabolische oder immunologische Ursachen ausgelöst.
- Idiopathisch-genetische Epilepsien: Hierbei handelt es sich um genetische Epilepsien, bei denen abgesehen von der Epilepsie selbst keine weiteren Symptome auftreten.
- Genetisch bedingte monogene Erkrankungen: Eine Vielzahl genetisch bedingter monogener Erkrankungen ist fakultativ mit einer symptomatischen Epilepsie assoziiert. Hierzu gehören zahlreiche Stoffwechselstörungen, Phakomatosen, chromosomale Syndrome sowie genetisch bedingte Hirnfehlbildungen. Insgesamt handelt es sich um fast 300 einzelne Erkrankungen.
- Progressive Myoklonusepilepsien: Diese Gruppe von neurometabolischen und neurodegenerativen Erkrankungen mit genetischer Ursache zeichnet sich dadurch aus, dass die Epilepsie als erstes und oft auch im Verlauf führendes Symptom auftritt. Beispiele hierfür sind die MERRF ("myoclonic epilepsy with ragged red fiber") und die CLN2 (neuronale Zeroidlipofuszinose Typ 2).
Es ist wichtig zu beachten, dass genetisch nicht mit "erblich" gleichzusetzen ist, da die Familienanamnese oft unauffällig ist. Bei einigen Epilepsiesyndromen konnten Defekte in verschiedenen spannungsabhängigen und liganden-mediierten Ionenkanälen nachgewiesen werden, was eine Parallele zu anderen paroxysmalen neuromuskulären Erkrankungen, den sogenannten Ionenkanalerkrankungen, darstellt.
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Antikörper-vermittelte Epilepsien
Immunologisch ausgelöste Epilepsien (früher: limbische Enzephalitis) haben in den letzten Jahren große Beachtung erfahren und wurden vermutlich lange unterdiagnostiziert, da die diagnostischen Verfahren erst seit kurzem zur Verfügung stehen bzw. noch stetig weiterentwickelt werden (v. a. Anti-NMDA-Rezeptor und Anti-LGl1-Enzephalitis).
Klassifikation nach Anfallsform
Epileptische Anfälle werden grundsätzlich in fokale und generalisierte Formen unterteilt. Fokale Anfälle können sekundär generalisieren. Generalisierte Anfälle können somit generalisierten als auch fokalen Ursprungs sein. Fokale Anfälle können mit oder ohne Bewusstseinseinschränkung einhergehen. Die Symptomatik der Anfälle hängt von ihrem Entstehungsort und ihrer Ausbreitungsregion ab (z. B. temporal, frontal oder okzipital). Als elementare Symptomatik wird eine gleichbleibende sensorische Wahrnehmung einer einzelnen Sinnesmodalität bezeichnet.
Diagnostik
Die Diagnostik der Epilepsie umfasst verschiedene Schritte:
- Anamnese: Eine detaillierte Anamnese ist essenziell, um die Anfallsform, Häufigkeit, Auslöser und Begleitumstände zu erfassen. Dabei sollten auch die medizinische und chirurgische Vorgeschichte (inkl. intrakranielle Infektionen oder schwere Stoffwechselstörungen wie Hypoglykämie oder Elektrolytstörungen), neurologische Erkrankungen und neurochirurgische Eingriffe berücksichtigt werden. Wichtig ist auch die ggf. frühere Anfallsbehandlung.
- EEG (Elektroenzephalogramm): Das EEG ist eine wichtige Untersuchung zur Diagnosestellung und Klassifikation der Epilepsie. Es misst die elektrische Aktivität des Gehirns und kann epilepsietypische Potenziale aufzeichnen.
- MRT (Magnetresonanztomographie): Eine kranielle MRT dient zum Ausschluss struktureller Ursachen der Epilepsie, wie z. B. Läsionen, Fehlbildungen oder Tumoren.
- Labordiagnostik: Je nach Verdacht auf eine spezifische Ursache können Laboruntersuchungen durchgeführt werden, um Stoffwechselstörungen, Infektionen oder andere zugrunde liegende Erkrankungen zu identifizieren.
Differentialdiagnosen
Es ist wichtig, epileptische Anfälle von anderen paroxysmalen Ereignissen abzugrenzen, wie z. B. Synkopen, Migräne mit Aura, Tic-Störungen oder psychogene nicht-epileptische Anfälle.
Therapie
Ziel der Therapie ist die Anfallsfreiheit bei bestmöglicher Lebensqualität. Die medikamentöse Therapie ist die häufigste Behandlungsform. In einigen Fällen können jedoch auch nicht-medikamentöse Therapien, wie z. B. die ketogene Diät oder eine Operation, in Betracht gezogen werden.
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Medikamentöse Therapie
Die Wahl des Antiepileptikums richtet sich nach der Anfallsform, dem Epilepsiesyndrom, dem Alter des Patienten und möglichen Begleiterkrankungen. Die Therapie wird in der Regel mit einem einzigen Medikament (Monotherapie) begonnen. Bei unzureichender Wirksamkeit oderUnverträglichkeit kann ein anderes Medikament ausprobiert oder eine Kombinationstherapie in Betracht gezogen werden.
Akuttherapie des Status epilepticus
Ein Status epilepticus ist einNotfall, der umgehend behandelt werden muss. Die Therapie erfolgt stufenweise:
Therapie der 1. Wahl:
- Midazolam: 0,3 mg/kg bukkal/i.n. (max. 10 mg) oder 0,15 mg/kg i.v./i.o. (max. 5 mg)
- Diazepam: 0,2 mg/kg i.m. (max. 10 mg) oder 0,1 - 0,4 mg/kg i.v./i.o. (max. 10 mg) oder 0,3 - 0,5 mg/kg rektal (max. 10 mg)
Therapie der 2. Wahl (sofern die Anfälle nach zwei Dosen der Therapien der 1. Wahl anhalten):
- Levetiracetam (Keppra): 60 mg/kg i.v. (max. 3000 mg)
- Phenytoin: 20 mg/kg i.v. (max. 1500 mg) über min. 20 min bei Kinder > 1 Jahr (langsamer verabreichen über 60 min mit max. 50 mg/min)
- Phenobarbiton: 20 mg/kg i.v. (max. 1 g) über min. 20 min mit max. 100 mg/min
- Valproat: 40 mg/kg i.v. (max. 3000 mg)
Therapie der 3. Wahl:
- Intubation und Narkose mit z. B. Thiopental oder Propofol. Dies ermöglicht den Einsatz höherer Dosen von Antiepileptika.
- ggf. Einleitung: Präperation des Materials, inkl. Platzierung des Tubus (inkl. Rocuronium als Muskelrelaxanz der 1. Wahl)
Altersgebundene Epilepsiesyndrome
Bestimmte Epilepsiesyndrome treten gehäuft in bestimmten Altersgruppen auf. Im Folgenden werden einige wichtige altersgebundene Epilepsiesyndrome vorgestellt:
Epilepsien und Epilepsiesyndrome mit Beginn im 1. Lebensjahr
- Häufigste Ursachen symptomatischer Anfälle im Neugeborenenalter: Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie, konnatale und neonatale Infektionen, akute Stoffwechselentgleisungen (Glukose, Elektrolyte, Ammoniak, Aminosäuren) und kortikale Affektionen (Infarkte, Fehlbildungen).
- Benigne familiäre Neugeborenenanfälle: Man beobachtet sie meist zwischen dem 1. und 7. Lebenstag bei ansonsten gesunden Reifgeborenen. Oft handelt es sich um fokale Anfälle. Bei den benignen, familiären, autosomal-dominanten Neugeborenenanfällen kommt es zu fokalen oder generalisierten Anfällen zwischen dem 2. und 3. Lebenstag.
- Benigne infantile Partialepilepsie: Sie manifestiert sich zwischen dem 3. und 20. Lebensmonat. Sie kann sporadisch und familiär auftreten. Es kommt zum Innehalten der Bewegungen, Augenverdrehen und fokalen Kloni, evtl. mit sekundärer Generalisation. Dieses Epilepsiesyndrom ist recht häufig. Erkrankt ein Kind nach der 4.
- Frühinfantile myoklonische Enzephalopathie und frühinfantile epileptische Enzephalopathie (Otahara-Syndrom): Sie beginnen meist in den ersten 3 Lebensmonaten, zeigen im EEG ein sog. Burst-suppression-Muster und sind schwer behandelbar. Beim Ohtahara-Syndrom dominieren tonische und fokale Anfälle. Man findet oft strukturelle ZNS-Anomalien. Bei der frühinfantilen myoklonischen Enzephalopathie kommen, neben den myoklonischen Anfällen, auch fokale Anfälle vor. Ursächlich sind meist metabolische Störungen (z. B. nichtketotische Hyperglycinämie u. a.).
- Schwere myoklonische Epilepsie des Säuglingsalters: Sie beginnt im 1. Lebensjahr bei bis dahin normal entwickelten Kindern mit febrilen und afebrilen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen und Halbseitenanfällen (meist wechselnder Körperseite!). In der Folge kommt es in ca. 70 % der Fälle zu massiven myoklonischen Anfällen und Staten. Falls myoklonische Anfälle nicht im Vordergrund stehen, wird die Epilepsie im deutschen Sprachgebrauch als frühkindliche Grand-Mal-Epilepsie mit alternierenden Hemi-Grand-Mal bezeichnet. Typisch ist die ausgeprägte Temperatur- bzw. Infektabhängigkeit der Anfälle beider Epilepsiesyndrome. Betroffen sind meist Säuglinge zwischen dem 2. und 8. Lebensmonat, dabei Jungen häufiger als Mädchen. In ca. 2/3 der Fälle lässt sich letztlich eine Ätiologie nachweisen. Häufige Ursachen sind pränatal angelegte oder erworbene kortikale Anomalien, hypoxisch-ischämische Insulte, konnatale und neonatale ZNS-Infektionen und die tuberöse Sklerose (mit Hautdepigmentierungen, die in diesem Alter nur unter Wood-Licht zu erkennen sind (Kap.
- West-Syndrom: Klinisch charakterisiert ist das West-Syndrom durch die Trias Blitz-Nick-Salaam-Anfälle (engl. „spasm“), Hypsarrhythmie im EEG und durch die Entwicklungsregression. Je nachdem, wie schnell die Epilepsie diagnostiziert wird, kann die Regression (noch) fehlen. Die Anfälle treten häufig bei Müdigkeit und in Serien auf und können anfangs nur aus Lidflattern oder Blinzeln bestehen. Die häufigste Anfallsform sind symmetrische Beuge- und Streckkrämpfe der Extremitäten, die an den Armen am deutlichsten zu sehen sind. Blitzanfälle bestehen aus heftigen myoklonischen Stößen, bei denen Arme und Beine nach vorne geschleudert werden. Kopf und Rumpf werden dabei gebeugt. Die Kinder scheinen zu erschrecken oder Schmerzen zu empfinden und weinen dabei oft. Nickanfälle sind kurze, oft diskrete (myoklonische) Beugungen des Kopfes. Treten eindeutige epileptische Spasmen (BNS-Anfälle) auf, liegt auch bei Fehlen einer vollständig ausgeprägten Hypsarrhythmie ein West-Syndrom vor. Die Behandlung mit Steroiden oder ACTH (adrenokortikotropes Hormon, sog. ACTH-Kur) führt zu den besten Ansprechraten (ca. 70 %). Die Rückfallrate nach Reduktion ist jedoch hoch (ca. 30 %). Durch eine Kombination von ACTH und Vigabatrin können noch bessere Ergebnisse erzielt werden. In letzter Zeit haben sich kurze Behandlungsdauern etabliert, die deutlich besser verträglich sind als dies früher bei langdauernden ACTH-Therapien der Fall war. Vigabatrin gilt ebenso als Mittel der 1. Wahl zur Therapie des West-Syndroms (vor allem bei tuberöser Sklerose!), obwohl vor einigen Jahren irreversible partielle Gesichtsfeldausfälle bei ca. 20 % der Fälle beschrieben wurden. Man versucht, diese Komplikation durch kurze Anwendung des Präparats (max. 4 Monate) zu vermeiden. Ob dies so gelingt, kann derzeit allerdings noch nicht sicher beantwortet werden.
Mit Beginn im frühen Kindesalter (etwa bis sechstes Lebensjahr)
- Myoklonisch-astatische Epilepsie (Doose-Syndrom): Sie gehört zu den idiopathischen generalisierten Epilepsien und tritt zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr auf. Meist beginnt die Epilepsie mit febrilen oder afebrilen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen. Wenige Wochen später setzen dann oft explosionsartig myoklonisch-astatische Anfälle ein, die von da an den Verlauf dominieren. Absencen, myoklonische Anfälle und nächtliche tonische Anfälle (seltener) kommen auch vor. Ein nichtkonvulsiver Status, der wie ein Stupor manifestiert, ist möglich. Lässt sich die Epilepsie schnell und nachhaltig beherrschen, ist die Prognose gut (ca. 60 % der Fälle). Gelingt dies nicht, droht demenzieller Abbau. Die Therapie kann sehr schwierig sein. Zum Einsatz kommen u. a. Valproat, Ethosuximid, Benzodiazepine, ACTH, die ketogene Diät und evtl.
- Lennox-Gastaut-Syndrom: Es wird zu den epileptischen Enzephalopathien gezählt. In 2/3 der Fälle lässt sich eine ZNS-Fehlbildung oder kortikale Läsion nachweisen. Die meisten Fälle manifestieren sich zwischen dem 2. und 6. Lebensjahr. Die Diagnose basiert auf dem Auftreten von tonischen Anfällen, atypischen Absencen und Sturzanfällen, denen eine Myoklonie vorausgehen kann. Die Mehrzahl der Patienten (ca. 90%) ist intellektuell beeinträchtigt. Die tonischen Anfälle bestehen meist in einer axialen Beugung des Rumpfes und treten bevorzugt im Schlaf auf. Im EEG zeigen sich hierbei ca. 10- bis 20-Hz-Spike-Entladungen (sog. tonische Muster). Tonische Anfälle oder zumindest der Nachweis der tonischen EEG-Muster werden zur Diagnosestellung gefordert.
Mit Beginn im Kindesalter (etwa bis 12. Lebensjahr)
- Absence-Epilepsie des Kindesalters (Pyknolepsie): Es erkranken zumeist normal intelligente Kinder im Alter zwischen fünf und acht Jahren. Die Absencen (Abwesenheitszustände) dauern zwischen 5 und 30 Sekunden. Bei der Pyknolepsie können manchmal über 100 Anfälle pro Tag auftreten. Je länger eine Absence dauert, umso wahrscheinlicher geht sie mit motorischer (zum Beispiel Blinzeln) oder vegetativer Symptomatik (zum Beispiel Blässe) einher. Bei einem geringen Prozentsatz manifestiert sich die Absenceepilepsie als nicht-konvulsiver Status (früher Petit-Mal-Status genannt). Die Patienten sind oft über Stunden extrem verlangsamt, wirken desorientiert und reagieren nur eingeschränkt auf Ansprache.
- Rolando-Epilepsie: Die benigne idiopathische Partialepilepsie mit zentrotemporalen Spikes im EEG ist mit etwa einem Fall auf 12 000 Kinder neben der Absenceepilepsie die häufigste Epilepsie im Kindesalter. Die Mehrzahl der Patienten erleidet den ersten Anfall zwischen dem sechsten und neunten Lebensjahr. Charakteristisch sind sensomotorische Herdanfälle der Perioralregion. Diese bestehen aus seitenbetonten Parästhesien der Lippe, der Zunge und des Gaumens sowie aus perioralen myoklonischen, klonischen und tonischen Anfällen (Zucken und Verziehen der Lippen und Wangen). Die Kinder können im Anfall nicht schlucken und sprechen. Es kommt zu starkem Speichelfluss. Im Alter von 12 bis 14 Jahren sind praktisch alle Betroffenen mit und ohne Therapie anfallsfrei. In seltenen Fällen (eventuell 1 bis 3 Prozent) kommt es zu einer ausgeprägten Aktivierung der für die Rolando-Epilepsie charakteristischen EEG-Veränderungen im Schlaf bis hin zum sogenannten bioelektrischen Status. Die Kinder entwickeln das Bild einer atypischen idiopathischen Partialepilepsie (sogenanntes Pseudo-Lennox-Syndrom). Die Prognose der Epilepsie selbst bleibt gut, die Entwicklungsprognose ist jedoch zurückhaltend zu stellen.
Mit Beginn im Jugendlichenalter (ab etwa 13. Lebensjahr)
- Juvenile Absence-Epilepsie: Die Absencen unterscheiden sich nicht prinzipiell von denen der Absence-Epilepsie des Kindesalters, treten aber in der Regel seltener auf. Im Verlauf, kommt es neben den Absencen in etwa 80 Prozent der Fälle auch zu einzelnen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen.
- Epilepsie mit isolierten generalisierten tonisch-klonischen Anfällen: Im deutschen Sprachraum ist die Bezeichnung „Aufwach-Grand-Mal-Epilepsie“ gebräuchlich. Die Anfälle treten meist innerhalb der ersten zwei Stunden nach dem Erwachen auf. Der Manifestationsgipfel liegt um das 16. Lebensjahr. Die Anfallsfrequenz ist meist gering. Schlafentzug, Alkoholkonsum oder starke seelische Belastung sind häufig Auslöser für einen Anfall.
- Juvenile myoklonische Epilepsie (Janz-Syndrom): Diese Epilepsie ist häufig (5 bis 10 Prozent aller Epilepsien) und betrifft normal intelligente Kinder und Jugendliche. Sie beginnt meist zwischen dem 13. und 18. Lebensjahr. Kardinalsymptom sind morgendliche, oft kurz nach dem Erwachen auftretende, kurze myoklonische Zuckungen.
Fieberkrämpfe
Fieberkrämpfe sind epileptische Anfälle, die im Zusammenhang mit Fieber auftreten. Sie sind die häufigste Form epileptischer Anfälle im Kindesalter. Die Definition der ILAE lautet: Ein Fieberkrampf ist ein epileptischer Anfall jenseits des ersten Lebensmonats, der in Verbindung mit einer fieberhaften Erkrankung, die nicht durch eine ZNS-Infektion verursacht ist, meist bei einer Temperatur von mehr als 38 Grad Celsius auftritt. Anfälle symptomatischer Genese und vorausgehende Neugeborenenanfälle oder afebrile Anfälle stellen Ausschlusskriterien dar.
Einteilung
Fieberkrämpfe werden als einfach eingeordnet, wenn sie:
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- als generalisierte tonisch-klonische Anfälle verlaufen
- weniger als 15 Minuten dauern
- innerhalb von 24 Stunden nur ein einziges Mal auftreten
Ungefähr 70 Prozent der Fieberkrämpfe verlaufen „einfach“, meist als generalisierte tonisch-klonische Anfälle (Grand-Mal) und dauern etwa drei Minuten. Nach dem Sistieren des Anfalles folgt oft ein postiktaler Schlaf.
Pathophysiologie
Die genaue Pathophysiologie der Fieberkrämpfe ist unklar. Alter, Fieber (meist bedingt durch triviale Infekte) und genetische Disposition sind die bedeutsamsten Einflussfaktoren. Etwa drei Prozent aller Kinder erleiden bis zum siebten Lebensjahr einen Fieberkrampf. Betroffen sind in aller Regel normal entwickelte Kinder im Alter von drei Monaten bis fünf Jahren. Die Prognose auch von wiederholt auftretenden einfachen Fieberkrämpfen ist sehr gut. Die psychomotorische Entwicklung bleibt unbeeinträchtigt und das Epilepsierisiko erhöht sich nur geringfügig - von 0,5 auf etwa 3 Prozent.
Diagnostik und Differentialdiagnose
Bei 1 bis 3 Prozent aller febrilen Anfälle im Kindesalter handelt es sich um das erste Symptom einer Meningoenzephalitis. Im Säuglings- und jungen Kleinkindalter können die typischen klinischen Zeichen einer Meningitis fehlen. Daher sollte bei Kindern mit einem febrilen Anfall im ersten Lebensjahr immer und bei Kindern bis zu 18 Monaten in der Regel eine Liquordiagnostik erfolgen. Das Gleiche gilt bei antibiotischer Vorbehandlung in jeder Altersgruppe. Nach dem fünften Lebensjahr sind Fieberkrämpfe als Ursache febriler Anfälle nicht mehr primär anzunehmen. Die Herpesenzephalitis manifestiert sich im Säuglings- und Kleinkindalter oft wie ein komplizierter Fieberkrampf. Entscheidet man sich für eine Lumbalpunktion, sollte auch eine Blutentnahme mit Bestimmung von Natrium, Kalzium und Glucose erfolgen. EEG und Bildgebung sind bei einfachen Fieberkrämpfen nicht erforderlich.
Therapie und Rezidivprophylaxe
Wenn ein Fieberkrampf nicht innerhalb von fünf Minuten spontan endet, muss er medikamentös unterbrochen werden. Eltern von Kindern mit Fieberkrämpfen oder Epilepsie sollten mit einem schnell wirksamen, rektal (oder oral) applizierbaren Benzodiazepin-Präparat zur Anfallsunterbrechung ausgestattet sein. Bei richtiger Dosierung braucht keine Atemdepression befürchtet zu werden. Eine Dauertherapie ist in aller Regel nicht indiziert. Das generelle Wiederholungsrisiko für Fieberkrämpfe beträgt etwa 30 Prozent. Um weitere Fieberkrämpfe zu vermeiden, werden oft antipyretische Maßnahmen bei fieberhaften Infekten empfohlen. Zwar ist dies pragmatisch sinnvoll und bessert den Allgemeinzustand der Kinder, doch ist gut belegt, dass es hierdurch zu keiner nennenswerten Reduktion des Wiederholungsrisikos von Fieberkrämpfen kommt. Eine intermittierende Diazepamprophylaxe bei Fieber ist in einer Dosis von 0,33 mg/kg/d wirksam. Eine solche Therapie sollte aber erst nach wiederholten Fieberkrämpfen erfolgen und nicht länger als maximal 72 Stunden durchgeführt werden. Bei Nebenwirkungen wie erheblicher Sedierung oder Gangunsicherheit muss die Diazepamgabe reduziert oder vorzeitig beendet werden.
Begleiterkrankungen
Etwa 70 Prozent aller Kinder mit Epilepsie sind kognitiv normal entwickelt. Andererseits ist eine Intelligenzminderung (IQ < 70) die häufigste Komorbidität bei Kindern mit Epilepsie. In epidemiologischen Studien sind Zerebralparese, Hydrozephalus, Tuberöse Sklerose und Sturge-Weber-Syndrom die häufigsten Begleiterkrankungen.
Verbesserung der Epilepsietherapie bei Kindern und Jugendlichen
Die Erstellung einer Leitlinie zum rationalen Einsatz antikonvulsiver und nicht-medikamentöser Behandlungen unter besonderer Berücksichtigung Epilepsiesyndrom-spezifischer Empfehlungen ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Epilepsie.