Die dominante Gehirnhälfte stärken: Mythen, Fakten und Übungen

Viele Mythen ranken sich um die Unterschiede zwischen der linken und rechten Gehirnhälfte. Besonders verbreitet ist die Theorie einer "left-brained" versus "right-brained" Persönlichkeit. Doch was steckt wirklich dahinter? Dieser Artikel beleuchtet die wissenschaftlichen Erkenntnisse, räumt mit Missverständnissen auf und zeigt, wie man beide Gehirnhälften optimal nutzen kann.

Linke und rechte Gehirnhälfte: Ein Überblick

Das menschliche Gehirn besteht aus zwei Hälften, der linken und der rechten Gehirnhälfte. Beide Gehirnhälften sind immer aktiv. Jede Gehirnhälfte ist für bestimmte Funktionen und Fähigkeiten verantwortlich. Die linke Gehirnhälfte ist in der Regel für sprachliche und logische Funktionen zuständig. Sie verarbeitet Informationen sequenziell und analytisch. Die rechte Gehirnhälfte ist in der Regel für räumliche und kreative Funktionen zuständig. Sie verarbeitet Informationen ganzheitlich und intuitiv.

  • Linke Gehirnhälfte: Sprache, Lesen, Rechnen, Logik, systematisches Denken, Detailorientierung, verbale und mathematische Informationen, Grammatik, Wortstellung.
  • Rechte Gehirnhälfte: Körpersprache, Bildersprache, Intuition, Kreativität, Spontanität, Überblick, ganzheitliche Informationsverarbeitung, Mimik, Gestik, Bewegungen, physische Aktivität, künstlerische Leistungen, Musik, Zeichnen, Malen.

Die beiden Gehirnhälften arbeiten zusammen, um uns ein umfassendes Verständnis der Welt um uns herum zu ermöglichen, und ergänzen sich. Erfolgreiche Denkleistungen setzen also eine erfolgreiche Kommunikation beider Hemisphären voraus, um unser volles Potenzial zu nutzen.

Mythen und Fakten über die Gehirnhälften

Viele Behauptungen über die Dominanz einer Gehirnhälfte halten einem Blick auf die Forschungsergebnisse nicht stand. Die Vorstellung, dass das Gedächtnis in erster Linie ein Speicher für Wissen und objektive Fakten sei, wird durch die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse widerlegt.

Mythos 1: "Links- oder rechts-denkende" Menschen

Neurowissenschaftler:innen untersuchen funktionelle Asymmetrien der Gehirnhälften, sogenannte Lateralisierungen. Sie messen die Dominanz einer Seite für eine bestimmte Funktion.

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Dank bildgebender Verfahren beobachten sie die Aktivität in beiden Hirnhälften und berechnen das Verhältnis von links zu rechts, den Lateralitätsindex. Sie sehen also, welche Seite dominanter für eine Funktion ist. Das kann sich allerdings von Mensch zu Mensch unterscheiden! Außerdem ist diese Dominanz spezifisch für eine Aufgabe oder Fähigkeit. "Links-" oder "rechts-denkende" Menschen gibt es also so allgemein nicht.

Mythos 2: Die rechte Gehirnhälfte ist unsere "positive" Hälfte

Heute wird stattdessen ein Zusammenhang zwischen einer Dominanz der rechten Hirnhälfte und Emotionen wissenschaftlich diskutiert - allerdings nur negativer Emotionen!

Auf der Suche nach der Ursache für Depressionen haben Forscher:innen die Valenzhypothese vorgeschlagen. Die Idee ist, dass eine Hyperaktivität der rechten Gehirnhälfte dazu führe, dass negative Gefühle stärker verarbeitet werden, pessimistische Gedanken auftauchen und unkonstruktive Denkmuster entstehen. Aktivität in der rechten Hirnhälfte sei außerdem verknüpft mit Selbstreflektion, die bei depressiven Patient:innen häufig intensiver ist als bei gesunden Menschen. Die rechte Hirnhälfte spielt auch eine wichtige Rolle bei der Anpassung unseres Erregungszustands. Das könnte erklären, wieso depressive Menschen häufig an Schlafproblemen leiden.

Mythos 3: Gehirntraining von nur einer Hirnhälfte

Trainings, die vorgeben, nur die rechte Gehirnhälfte anzusprechen, sind aber nicht wissenschaftlich fundiert. Obwohl die rechte Gehirnhälfte eine Dominanz für räumliche Aufmerksamkeit hat, arbeiten im gesunden Gehirn die Hälften immer zusammen.

Ihre Aufmerksamkeit zu trainieren ist aber trotzdem möglich. NeuroNation bietet Ihnen im Bereich Aufmerksamkeit über 20 Übungen an, die gezielt diese Funktionen und Fähigkeiten ansprechen: Bei regelmäßigem Training verlängern sie die Aufmerksamkeitsspanne und verbessern den Fokus. NeuroNation bietet Ihnen ein wissenschaftlich fundiertes Trainingsprogramm, das in Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungsinstituten entwickelt wurde. Über 30 Übungen warten dort auf Sie. Die App wertet automatisch Ihre Leistung aus und personalisiert die Schwierigkeit, um so den Trainingseffekt zu maximieren.

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Fakt: Lateralisierung von Gehirnfunktionen

Grundsätzlich erforschen Neurowissenschaftler:innen die Lateralisierung von Gehirnfunktionen, und nicht ob eine Funktion "links oder rechts" stattfindet. Das bedeutet: Dank bildgebender Verfahren beobachten sie die Aktivität in beiden Hirnhälften und berechnen das Verhältnis von links zu rechts, den Lateralitätsindex. Sie sehen also, welche Seite dominanter für eine Funktion ist.

Außerdem wurde gezeigt, dass einige Menschen bewusst beeinflussen können, ob sich die Ballerina für sie links- oder rechtsherum dreht. Die wahrgenommene Drehrichtung sagt also nichts darüber aus, ob jemand "mehr links oder rechts denkt". Die rechte Hirnhälfte aktiviert sich bei den meisten Menschen verstärkt, egal in welche Richtung sich die Tänzerin dreht.

Schlüsse über die Persönlichkeit lassen sich aus der Wahrnehmung der Tänzerin übrigens leider auch nicht ziehen.

Schädigung der rechten Gehirnhälfte: Der Neglect

Die rechte Gehirnhälfte ist hauptverantwortlich für einen Großteil der Wahrnehmung von linksseitigen Sinneseindrücken und Bewegung unserer linken Körperhälfte. Daher führt eine Schädigung in der rechten Hirnhälfte zu Beeinträchtigungen in der Aufmerksamkeit für die linke Hälfte der Umwelt, genannt linksseitiger Neglect.

Die linke Gehirnhälfte wiederum steuert (die meisten) Bewegungen und Wahrnehmungen der rechten Körperhälfte. Trotzdem folgt auf eine Schädigung der linken Gehirnhälfte nur selten ein rechtsseitiger Neglect. Forscher:innen schließen daraus, dass die rechte Gehirnhälfte eine Dominanz hat für die Ausrichtung unserer Aufmerksamkeit und zwar sowohl nach links als auch nach rechts.

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Die Zusammenarbeit der Gehirnhälften fördern

Um die Zusammenarbeit und Synchronisation beider Gehirnhälften zu stärken, gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Multisensorische Aktivitäten: Durchführen von Tätigkeiten, die mehrere Sinne ansprechen und somit beide Gehirnhälften gleichzeitig aktivieren.
  • Kinesiologische Übungen: Übungen, die die Koordination zwischen beiden Gehirnhälften verbessern sollen.
  • Lernen durch Visualisierung und Assoziation: Um eine bessere Vernetzung der gespeicherten Informationen zu erreichen.
  • Verbindung zwischen systematischem Denken und Intuition: Um das Gedächtnis zu verbessern, müssen Synapsen verstärkt werden. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist die Verbindung zwischen systematischem Denken und Intuition.
  • Mind Maps oder andere visuelle Techniken: Durch das Zusammenspiel beider Gehirnhälften können Informationen besser verarbeitet und abgerufen werden. Dies ist besonders wichtig für die kreative Problemlösung und das Lernen.
  • Mit der nicht-dominanten Hand die Zähne zu putzen: Die „andere“ Hand zu verwenden, kräftigt neurale Verbindung im Gehirn und kann sogar neue wachsen lassen. Man kann es sich vorstellen wie ein Sporttraining für den Körper, das die Körperfunktionen verbessert und Muskeln wachsen lässt. Und das kann man bei vielen, alltäglichen Aktivitäten umsetzen, wie z.B. beim Zähneputzen, beim Schreiben, beim Bedienen von Computermouse oder Fernbedienung. Denn wenn Sie die nicht-dominante Hand einsetzen, werden beide Gehirnhemisphären aktiviert, was die Denkmuster herausfordert und mehr Kreativität fördert.

Geschlechterunterschiede in der Gehirnstruktur

Eine Studie beleuchtet genauer, wie unterschiedlich die Gehirne von Männern und Frauen verdrahtet sind. Während es bei Frauen besonders viele Kontakte zwischen den beiden Hirnhälften gebe, bestünden bei Männern mehr Verknüpfungen innerhalb der Gehirnhälften.

Die Untersuchung haben ergeben, dass männliche Gehirne offenbar für eine Kommunikation innerhalb der Hirnhälften optimiert sind. So besäßen zum Beispiel einzelne Unterbereiche des Gehirns viele Verknüpfungen mit ihren direkten Nachbarbereichen. Es gebe also mehr lokale Verbindungen mit kurzer Reichweite. Bei Frauen hingegen fanden die Forscher eine größere Zahl längerer Nervenverbindungen vor allem zwischen den beiden Gehirnhälften. Nur im Kleinhirn sei es genau andersherum gewesen: Dort gebe es bei den Männern viele Verbindungen zwischen den, bei Frauen aber innerhalb der beiden Hemisphären. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern verstärkten sich im Laufe der Altersentwicklung, zeigte die Untersuchung weiter.

Hirnasymmetrie: Vererbung und Erfahrung

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften und des Forschungszentrums Jülich haben nun untersucht, wie sich Asymmetrien entlang von sogenannten funktionellen Gradienten entwickeln, d. h. entlang von Achsen in der Großhirnrinde an der sich die Hirnfunktionen anordnen. Das Ergebnis: Es gibt tatsächlich feine Unterschiede darin, wie Hirnregionen unterschiedlicher Funktionen auf der linken und rechten Seite des Gehirns aufreihen. Auf der linken Seite sind es die Regionen zur Sprachverarbeitung, die sich am weitesten entfernt von denen für Sehen und Wahrnehmung liegen. Auf der rechten Seite befindet sich hingegen das Netzwerk für Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis am weitesten entfernt von den sensorischen Regionen. Zudem zeigte sich: Die individuellen Unterschiede in dieser Anordnung sind vererbbar. Sie sind damit zum Teil genetisch bedingt.

Ein Großteil dieser Asymmetrie im menschlichen Gehirn lässt sich hingegen nicht durch genetische Faktoren erklärt werden. Das könnte wiederum darauf hindeuten, dass der durch die persönliche Erfahrung einer Person, also durch Einflüsse aus ihrer Umwelt, geprägt ist.

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