Die Verlagerung des Kleinhirns in den Wirbelkanal, oft als Chiari-Malformation bezeichnet, ist eine komplexe neurologische Erkrankung. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte dieser Erkrankung, von den Ursachen und Symptomen bis hin zu den diagnostischen Verfahren und therapeutischen Optionen. Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis für Betroffene und Interessierte zu schaffen.
Einführung in die Chiari-Malformation
Die Chiari-Malformation ist eine Fehlbildung der hinteren Schädelgrube, die den Hirnstamm und das Kleinhirn betrifft. Hans von Chiari beschrieb diese Veränderungen des Kleinhirns erstmals im Jahr 1891. Die klinisch relevanten Typen sind die Chiari-Malformation Typ I und Typ II. Diese Fehlbildung ist angeboren und kann eine Vielzahl von Symptomen verursachen, abhängig vom Grad der Verlagerung und der Kompression des umliegenden Gewebes.
Ursachen der Chiari-Malformation
Die genauen Ursachen der Chiari-Malformation sind noch nicht vollständig geklärt. Man geht davon aus, dass die Fehlbildung angeboren ist und sich während der embryonalen Entwicklung formt. Bei der Chiari-Malformation bilden sich der Schädelrand und die ersten Halswirbel fehlerhaft aus. Dies führt dazu, dass der hintere Kleinhirnanteil (Kleinhirntonsille) unter der Schädeldecke nicht ausreichend Platz findet und sich in den Übergang zwischen Schädel und Wirbelsäule ausbreitet.
Chiari-Malformation Typ I
Die Chiari I-Malformation ist durch eine Kaudalverlagerung der Kleinhirntonsillen bis zur Oberkante des 2. Halswirbelkörpers gekennzeichnet. Manchmal ist sie mit der Ausbildung einer Syringomyelie assoziiert. Es wird angenommen, dass die Fehlbildung angeboren ist.
Mögliche Ursachen
- Genetische Faktoren: Obwohl die Chiari-Malformation nicht direkt vererbt wird, könnten genetische Prädispositionen eine Rolle spielen.
- Umweltfaktoren: Während der Schwangerschaft könnten bestimmte Umweltfaktoren wie Mangelernährung oder Exposition gegenüber schädlichen Substanzen das Risiko erhöhen.
Chiari-Malformation Typ II
Die Chiari II-Malformation ist gekennzeichnet durch eine Kaudalverlagerung nicht nur der Kleinhirntonsillen, sondern auch des Hirnstammes, des 4. Ventrikels und der oberen Medulla oblongata. Die hintere Schädelgrube ist anatomisch klein angelegt und das Confluens sinuum ist weit nach kaudal verlagert. Fast immer ist die Chiari II-Malformation mit einer Spina bifida vergesellschaftet. Auch sie kann mit einer Syringomyelie assoziiert sein.
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Mögliche Ursachen
- Spina bifida: Die Chiari II-Malformation tritt häufig in Verbindung mit einer Spina bifida auf, einer angeborenen Fehlbildung der Wirbelsäule.
- Fehlentwicklung des Schädels: Eine zu kleine hintere Schädelgrube kann dazu führen, dass das Kleinhirn nach unten verlagert wird.
Symptome der Chiari-Malformation
Die Symptome der Chiari-Malformation können vielfältig sein und hängen vom Typ und der Schwere der Verlagerung ab. Einige Betroffene haben nur leichte oder gar keine Symptome, während andere unter erheblichen Beschwerden leiden. Klinische Symptome entstehen vorrangig im jungen Erwachsenenalter bis 30 Jahre.
Häufige Symptome
- Kopfschmerzen: Kopfschmerzen im Hinterhauptsbereich, die bewegungs- und belastungsabhängig zunehmen können, sind ein häufiges Symptom. Typisch sind kurzzeitig auftretende, starke Kopfschmerzen, welche meist im Nackenbereich oder am Hinterkopf lokalisiert sind und durch Husten, Niesen oder Pressen ausgelöst werden.
- Nackenschmerzen: Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule können ebenfalls auftreten.
- Missempfindungen: Missempfindungen an Armen und Beinen sind möglich.
- Neurologische Ausfälle: In schweren Fällen können Lähmungen, z. B. eine Halbseitenlähmung, auftreten.
- Gleichgewichtsstörungen: Gangataxie und Koordinationsprobleme können auftreten.
- Weitere Symptome: Unkontrollierte Zuckungen der Augen (Nystagmus) und Schluckbeschwerden sind ebenfalls möglich.
Symptome bei Kindern
Bei Kindern können die Symptome unspezifischer sein und sich in Form von Fütterungsschwierigkeiten, Entwicklungsverzögerungen oder wiederholten Atemwegsinfektionen äußern.
Diagnose der Chiari-Malformation
Die Diagnose der Chiari-Malformation erfordert eine sorgfältige neurologische Untersuchung und bildgebende Verfahren.
Anamnese und neurologische Untersuchung
Der Arzt wird zunächst eine ausführliche Anamnese erheben und eine neurologische Untersuchung durchführen, um die Symptome und neurologischen Funktionen zu beurteilen.
Bildgebende Verfahren
- Kernspintomografie (MRT): Die MRT ist das wichtigste diagnostische Werkzeug. Sie ermöglicht es, die anatomischen Strukturen des Gehirns und des Rückenmarks detailliert darzustellen und den Grad der Kompression zu beurteilen. Hier ist es vor allem in den T2-Wichtungen möglich, anatomische Varianten sowie den Grad der Kompression des Rückenmarks im Hinterhauptsloch zu beurteilen. Darüber hinaus können kernspintomografisch assoziierte Veränderungen (z. B. Konustiefstand, Syringomyelie, tethered cord, Hydrozephalus) erkannt werden.
- Computertomografie (CT): In einigen Fällen kann eine CT-Untersuchung ergänzend zur MRT durchgeführt werden, um knöcherne Strukturen besser zu beurteilen.
- Ultraschalluntersuchungen: Bei Ungeborenen (Föten) können Ultraschalluntersuchungen (pränataldiagnostische Sonografie) im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge Hinweise auf eine Chiari-Malformation liefern.
Elektrophysiologische Untersuchungen
Als elektrophysiologische Ergänzung zur Kernspintomografie dient die Ableitung von SSEPs (somatosensorisch evozierte Potentiale).
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Therapie der Chiari-Malformation
Die Therapie der Chiari-Malformation richtet sich nach dem Schweregrad der Symptome und dem Grad der Kompression des Rückenmarks.
Konservative Therapie
Bei leichten Symptomen kann eine konservative Therapie ausreichend sein. Diese umfasst:
- Schmerzmittel: Zur Linderung von Kopf- und Nackenschmerzen.
- Physiotherapie: Zur Verbesserung der Muskelkraft und Koordination.
- Regelmäßige Kontrollen: Um den Verlauf der Erkrankung zu überwachen.
Operative Therapie
Bei schweren Symptomen oder einer deutlichen Kompression des Rückenmarks ist eine Operation oft notwendig. Die Therapie der Wahl besteht darin, dass eine Dekompression vorgenommen wird in dem Bereich, in dem die Kleinhirntonsillen im Spinalkanal auf das obere Rückenmark und den unteren Hirnstamm drücken.
Dekompressionsoperation
- Suboccipitale Kraniektomie: Knochenentfernung im Bereich des Hinterhauptes, um den knöchernen Durchtritt vom Gehirn zum Rückenmark zu erweitern.
- Laminektomie: Entfernung des Wirbelbogens für den 1. Halswirbelkörper und bei Chiari II-Malformation evtl. auch für den 2. Halswirbelkörper, um die knöcherne Dekompression zu unterstützen.
- Duraerweiterungsplastik: Nach der Durchtrennung oder Lösung äußerer Membranen oder Narbenstränge wird die Dura eröffnet. Die Kleinhirntonsillen werden mobilisiert und von Verwachsungen befreit. Ziel ist es, einen freien Liquorfluss aus dem 4. Ventrikel in den Spinalkanal wiederherzustellen. Gegebenenfalls ist dafür mikrochirurgisch die Teilresektion oder Resektion einer der beiden Kleinhirntonsillen erforderlich. Nach ausreichender interner Dekompression wird abschließend eine Duraerweiterungsplastik auf die eröffnete harte Hirnhaut/Rückenmarkshaut aufgenäht. Die Duraplastik wird vorzugsweise aus körpereigenem Material angefertigt.
Fallbeispiele
Fallbeispiel 1
Eine 28-jährige Patientin präsentierte sich mit rechtsseitigen Körperschmerzen und einer Hemiparese. Nach Diagnosestellung einer Chiari I-Fehlbildung mit Tonsillentiefstand und Kompression des oberen Rückenmarks wurde eine Dekompressionsoperation durchgeführt. Diese umfasste eine knöcherne Erweiterung des Hinterhauptslochs sowie eine Laminektomie HW 1. Nach Duraeröffnung erfolgten die Mobilisierung der Kleinhirntonsillen und die Resektion einer Tonsille. Nach Etablierung eines freien Nervenwasserflusses wurde mit körpereigenem Material eine Duraplastik angefertigt und wasserdicht aufgenäht.
Fallbeispiel 2
Eine 32-jährige Patientin klagte seit etwa 8 Jahren über stärkere Kopfschmerzattacken insbesondere im Nackenbereich, sowie einer fortschreitende Gangataxie.
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Begleiterkrankungen
Die Chiari-Malformation kann mit anderen Erkrankungen assoziiert sein, die die Symptomatik und Therapie beeinflussen können.
Syringomyelie
Eine Syringomyelie, eine Flüssigkeitsansammlung im Rückenmark, tritt bei 50 bis 75 Prozent der Patienten mit einer CM 1 auf. Sie entsteht durch eine Störung des Nervenwasserflusses.
Hydrozephalus
Bei etwa drei bis zehn Prozent der Patienten entwickelt sich ein Hydrozephalus - eine Erweiterung der inneren Hirnwasserkammer infolge einer Abflussbehinderung des Nervenwassers.
Spina bifida
Die Chiari II-Malformation ist fast immer vergesellschaftet mit dem Vorliegen einer Spina bifida.
Differentialdiagnosen
Es ist wichtig, die Chiari-Malformation von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen abzugrenzen. Dazu gehören:
- Multiple Sklerose: Eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems.
- Tumoren des Gehirns oder Rückenmarks: Können ähnliche Symptome wie Kopfschmerzen, neurologische Ausfälle und Gleichgewichtsstörungen verursachen.
- Andere Fehlbildungen des Schädels oder der Wirbelsäule: Können ebenfalls zu einer Kompression des Rückenmarks führen.
Leben mit einer Chiari-Malformation
Das Leben mit einer Chiari-Malformation kann eine Herausforderung sein, aber mit der richtigen Behandlung und Unterstützung ist es möglich, ein erfülltes Leben zu führen.
Selbsthilfegruppen
Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann sehr hilfreich sein. Hier können Erfahrungen ausgetauscht und Unterstützung gefunden werden.
Anpassung des Lebensstils
Eine Anpassung des Lebensstils kann dazu beitragen, die Symptome zu lindern. Dazu gehören:
- Vermeidung von Belastungen: Aktivitäten, die die Symptome verschlimmern, sollten vermieden werden.
- Ergonomische Anpassungen: Am Arbeitsplatz und zu Hause sollten ergonomische Anpassungen vorgenommen werden, um den Nacken und Rücken zu entlasten.
- Regelmäßige Bewegung: Leichte Bewegung und Dehnübungen können helfen, die Muskeln zu stärken und die Flexibilität zu verbessern.
Forschung und zukünftige Entwicklungen
Die Forschung zur Chiari-Malformation istOngoing, um die Ursachen besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu entwickeln.
Aktuelle Studien
Aktuelle Studien konzentrieren sich auf die genetischen Grundlagen der Chiari-Malformation und die Entwicklung minimalinvasiver operativer Techniken.
Mögliche zukünftige Therapien
Zukünftige Therapien könntenGentherapien oder gezielte Medikamente umfassen, die dieEntwicklung der Fehlbildung verhindern oder die Symptome lindern können.
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