Die neurologische Untersuchung: Knie-Hacke-Versuch und weitere wichtige Bestandteile

Die neurologische Untersuchung ist ein grundlegendes diagnostisches Instrument in der Neurologie. Sie ermöglicht es, Krankheitsbilder einzugrenzen und betroffene neuroanatomische Regionen zu identifizieren. Die Untersuchung folgt dem Prinzip "von Kopf bis Fuß", um einen strukturierten Ablauf zu gewährleisten, wobei die Reihenfolge der Untersuchungen flexibel an die klinische Praxis und die Symptomatik des Patienten angepasst werden kann. In vielen Fällen reicht eine orientierende neurologische Untersuchung aus, die je nach Verdachtsdiagnose und Symptomen durch spezifischere Methoden ergänzt wird.

Bestandteile der neurologischen Untersuchung

Die neurologische Untersuchung umfasst verschiedene Aspekte, die im Folgenden detailliert beschrieben werden:

1. Bewusstsein und Orientierung

Die Beurteilung des Bewusstseins erfolgt quantitativ und qualitativ.

  • Quantitative Bewusstseinsstörung (Vigilanzstörung): Hierbei wird die Wachheit und Reaktionsfähigkeit des Patienten beurteilt. Es werden verschiedene Bewusstseinszustände unterschieden: wach, somnolent (abnorme Schläfrigkeit, aber gut erweckbar), soporös (tief schlafend, nur durch starke Reize erweckbar) und komatös (nicht erweckbar). Die Vigilanz wird überprüft, indem man die Patient:innen laut anspricht, einen Weckreiz setzt (z.B. akustische Töne, Lichtreiz oder leichter Druck auf die Schulter) und deren Reaktion beurteilt. Bei schläfrigen Patient:innen kann ein leichter Schmerzreiz gesetzt werden (z.B. mit etwas Druck über das Sternum streichen). Das quantitative Bewusstsein kann auch anhand von Scores wie der Glasgow Coma Scale (GCS) beurteilt werden.
  • Qualitative Bewusstseinsstörung: Hierbei werden die Bewusstseinsinhalte und -prozesse beurteilt. Es werden Bewusstseinstrübung (z.B. Delir, Intoxikation), Bewusstseinseinengung (z.B. akute Belastungsstörung, Meditation, posttraumatische Belastungsstörung) und Bewusstseinsverschiebung (z.B. Schizophrenie, Drogenkonsum) unterschieden.

2. Sprache

Die Sprache des Patienten wird grob während der Anamnese und der neurologischen Untersuchung beurteilt. Dabei werden verschiedene sprachliche Funktionen untersucht:

  • Spontane Sprachproduktion/Redefluss: Beurteilung von Sprachmelodie, Geschwindigkeit, Grammatik etc.
  • Sprachverständnis: Aufforderung zu bestimmten Aufgaben.
  • Nachsprechen: Aufforderung, einen bestimmten Satz nachzusprechen.
  • Benennen: Aufforderung, bestimmte alltägliche Gegenstände zu benennen.
  • Untersuchung der Aussprache: Ggf. Zungenbrecher nachsprechen lassen, „Die Katze tritt die Treppe krumm“ zur Aufdeckung einer Sprechstörung (Dysarthrie).

Es ist wichtig, zwischen einer Sprachstörung (Aphasie) und einer Sprechstörung (Dysarthrie) zu unterscheiden. Eine Aphasie beeinträchtigt die Sprachproduktion und/oder das Sprachverständnis durch Schädigung der entsprechenden Hirnareale, während eine Dysarthrie die motorischen Fähigkeiten zur Artikulation und Aussprache von Wörtern und Sätzen beeinträchtigt, wobei das Sprachverständnis intakt bleibt.

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3. Nervendehnungszeichen

Durch verschiedene Tests und Bewegungen wird eine Dehnung der Nervenbahnen und Hirnhäute ausgelöst. Pathologisch ist, wenn es als Reaktion auf die Bewegungen zu elektrisierenden Schmerzen oder einer reaktiven, muskulären Anspannung kommt. Positive Nervendehnungszeichen können auf eine Reizung der Hirnhäute bei Entzündungen oder eine Nervenwurzelreizung hinweisen. Ursachen können Meningitis, Meningismus bei Subarachnoidalblutung oder Nervenreizung durch Bandscheibenvorfall sein (insbesondere Lasègue-Zeichen).

4. Hirnnervenstatus

Die Untersuchung der Hirnnerven ist wichtig, um die Hirnstammfunktion zu prüfen. Ein Ausfall eines Hirnnerven kann auf eine zentrale Hirnstammläsion hinweisen. Die Untersuchung umfasst:

  • N. olfactorius (I): Untersuchung des Geruchssinns (z.B. mit einem Alkoholtupfer).
  • N. opticus (II): Untersuchung der Sehschärfe (Visus) mit einer Sehtafel und des Gesichtsfelds.
  • N. oculomotorius (III), N. trochlearis (IV) und N. abducens (VI): Untersuchung der äußeren Augenmuskeln (Blickfolgeversuch). Dabei wird der Patient gebeten, dem Finger des Untersuchers nur mit den Augen zu folgen, während der Kopf ruhig gehalten wird.
  • N. trigeminus (V): Untersuchung der Sensibilität des Gesichts (Stirn (V1), Oberkieferregion (V2), Unterkieferregion (V3)) bei leichter Berührung.
  • N. facialis (VII): Untersuchung der mimischen Muskulatur. Der Patient wird aufgefordert, seine Wangen aufzublasen, Augenbrauen hochzuziehen, Augen fest zusammenzukneifen und zu lächeln.
  • N. vestibulocochlearis (VIII): Untersuchung des Hörens (z.B. Weber-Test mit einer vibrierenden Stimmgabel auf der Stirn). Anwendung des Dix-Hallpike-Manövers zur Diagnose und Therapie des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels (BPLS).
  • N. glossopharyngeus (IX) und N. vagus (X): Untersuchung des weichen Gaumens und der Uvula auf Symmetrie.
  • N. accessorius (XI): Untersuchung der Funktion des M. sternocleidomastoideus durch Drehen des Kopfes gegen Widerstand.
  • N. hypoglossus (XII): Untersuchung der Zungenbewegung. Der Patient soll die Zunge herausstrecken und von einer Seite zur anderen bewegen. Bei Läsionen weicht die Zunge zur erkrankten Seite hin ab.

5. Motorik

Die Untersuchung der Motorik umfasst:

  • Inspektion: Muskelrelief, Muskeltrophik, Faszikulationen, spontane Myoklonien.
  • Muskeltonus: Prüfung durch passives Bewegen der Extremitäten.
  • Aktive Muskelkraft: Einzelkraftprüfung und Halteversuche.
  • Extrapyramidalmotorik: Untersuchung von Tremor, Bradykinese, Hypokinese und Hyperkinese.

5.1 Muskeltonus

Der Muskeltonus wird durch passives Durchbewegen der einzelnen Gelenke und Muskeln durch den Untersucher geprüft. Es ist wichtig, eine Spastik von einem Rigor zu unterscheiden. Rigor zeigt einen wächsernen Widerstand und ein Zahnradphänomen, während Spastik durch einen initialen Widerstand gefolgt von einem plötzlichen Nachlassen (Taschenmesserphänomen) gekennzeichnet ist.

5.2 Muskelkraft

Die Muskelkraft wird orientierend durch beidseitigen Händedruck und Halteversuche (Arm-Halte-Versuch, Bein-Halte-Versuch) beurteilt. Eine Einzelkraftprüfung einzelner Muskeln erfolgt bei Verdacht auf periphere Nervenläsionen oder neuromuskuläre Erkrankungen. Die Beurteilung erfolgt anhand der Kraftgrade 0 bis 5.

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5.3 Extrapyramidalmotorik

Die Extrapyramidalmotorik wird vor allem bei Verdacht auf Morbus Parkinson oder andere Bewegungsstörungen untersucht. Dabei werden Tremor, Bradykinese, Hypokinese und Hyperkinese beurteilt.

6. Reflexe

Die Reflexe werden durch Beklopfen der entsprechenden Sehne mit einem Reflexhammer ausgelöst. Es werden Muskeleigenreflexe und Fremdreflexe unterschieden. Muskeleigenreflexe sind monosynaptische Reflexe, bei denen Sensor und Effektor im selben Organ liegen. Fremdreflexe sind polysynaptische Reflexe, bei denen Sensor und Effektor in verschiedenen Organen liegen.

Pathologisch sind Reflexe, wenn sie einseitig vermindert sind oder fehlen oder einseitig gesteigert sind. Bei nicht auslösbaren Reflexen kann durch bestimmte Manöver (z.B. Jendrassik-Handgriff) eine Bahnung und damit eine Reflexsteigerung erfolgen.

Wichtigster pathologischer Reflex ist der Babinski-Reflex, bei dem es bei Bestreichen der Fußsohle zu einer Dorsalflexion der großen Zehe und Spreizung der anderen Zehen kommt.

7. Koordination

Die Koordination wird durch verschiedene Tests überprüft:

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  • Finger-Nase-Versuch: Der Patient führt im großen Bogen die ausgestreckte Hand erst mit offenen und dann mit geschlossenen Augen zur Nase.
  • Knie-Hacke-Versuch: Der Patient setzt die Ferse auf das andere Knie und streicht sie den Unterschenkel hinab und herauf.
  • Diadochokinese: Der Patient führt schnelle alternierende Bewegungen durch (z.B. "Glühbirnen einschrauben", "Händedrehen", "Fingertippen", "Fuß-Tippen").
  • Romberg-Test: Der Patient steht mit geschlossenen Augen und dicht nebeneinander stehenden Füßen.
  • Unterberger-Tretversuch: Der Patient geht mit geschlossenen Augen auf der Stelle.

7.1 Knie-Hacke-Versuch im Detail

Der Knie-Hacke-Versuch ist ein wichtiger Bestandteil der neurologischen Untersuchung zur Überprüfung der Koordination der unteren Extremitäten. Er dient dazu, eine Extremitätenataxie zu erkennen, die auf eine Schädigung des Kleinhirns oder der sensorischen Bahnen hindeuten kann.

Durchführung:

  1. Der Patient liegt auf dem Rücken. Die Beine werden im Liegen mit rechtwinklig angewinkelten Knien gehalten.
  2. Ein Bein wird abgelegt. Das andere Bein wird bei geschlossenen Augen mit der Ferse auf die Kniescheibe des anderen Beines geführt.
  3. Anschließend wird die Ferse am Schienbein entlang bis zum Knöchel geführt.
  4. Der Test wird mit beiden Beinen wiederholt.

Beurteilung:

Bei der Beurteilung des Knie-Hacke-Versuchs achtet der Untersucher auf folgende Aspekte:

  • Ataxie: Unkoordinierte Bewegungen, Zittern oder Schwanken beim Führen der Ferse zur Kniescheibe oder entlang des Schienbeins.
  • Tremor: Zittern der Extremität während der Bewegung.
  • Dysmetrie: Ungenauigkeit beim Erreichen des Ziels (Kniescheibe oder Knöchel). Der Patient kann das Ziel über- oder unterschießen.
  • Athetose: Langsame, wurmartige Bewegungen der Extremität.

Ein positiver Knie-Hacke-Versuch (Vorliegen von Ataxie, Tremor, Dysmetrie oder Athetose) deutet auf eine Störung der Koordination hin und kann auf verschiedene neurologische Erkrankungen hindeuten, wie z.B.:

  • Kleinhirnläsionen: Schädigungen des Kleinhirns, z.B. durch Schlaganfall, Tumor, Entzündung oder degenerative Erkrankungen.
  • Sensible Ataxie: Störung der Tiefensensibilität (Propriozeption), z.B. durch Polyneuropathie, Rückenmarkserkrankungen oder Läsionen der sensorischen Bahnen im Gehirn.
  • Multiple Sklerose: Chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des ZNS.
  • Alkoholintoxikation: Beeinträchtigung der Kleinhirnfunktion durch Alkohol.

8. Sensibilität

Die Sensibilität wird durch verschiedene Tests überprüft:

  • Berührungsempfinden: Überprüfung mit einem Monofilament, insbesondere an den Fußsohlen zum Screening der diabetischen Polyneuropathie.
  • Temperaturwahrnehmung: Verwendung von Objekten mit unterschiedlicher Temperatur.
  • Vibrationsempfinden: Überprüfung mit einer 120-Hz-Stimmgabel, insbesondere an der distalen unteren Extremität.
  • Tiefensensibilität (Propriozeption): Der Patient muss mit geschlossenen Augen Bewegungen der Finger oder Zehen erkennen.
  • Stereognosie: Taktile Identifikation eines bekannten Objekts (z.B. Schlüssel) mit geschlossenen Augen.
  • Graphästhesie: Fähigkeit, auf die Haut gezeichnete Symbole zu erkennen.
  • Taktile Auslöschung: Unfähigkeit, Reize gleichzeitig wahrzunehmen, wenn sie getrennt auf beiden Seiten erkannt werden können.

9. Stand- und Gangprüfungen

Die Stand- und Gangprüfungen geben Aufschluss über die Koordination und das Gleichgewicht des Patienten.

  • Romberg-Test: Der Patient steht mit geschlossenen Augen und dicht nebeneinander stehenden Füßen. Ein zunehmendes Schwanken deutet auf eine spinale Ataxie hin.
  • Gangbild: Beurteilung des Gangbildes beim Gehen durch den Raum. Eine Gangataxie kann auf eine zerebelläre Störung hindeuten.

Bedeutung der neurologischen Untersuchung

Die neurologische Untersuchung ist ein wesentlicher Bestandteil der Diagnosefindung bei neurologischen Erkrankungen. Sie ermöglicht es, die betroffene Region des Nervensystems zu lokalisieren und die Art der Störung zu identifizieren. Die Ergebnisse der neurologischen Untersuchung dienen als Grundlage für weitere diagnostische Maßnahmen, wie z.B. bildgebende Verfahren (CT, MRT) oder Laboruntersuchungen.

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