Die Altersepilepsie, eine oft übersehene neurologische Erkrankung im höheren Lebensalter, stellt nach Schlaganfall und Demenz die dritthäufigste Nervenerkrankung bei Senioren dar. Obwohl sie häufig verkannt wird, ist sie bei rechtzeitiger Diagnose gut behandelbar. Dr. Alexander Reinshagen, Chefarzt der Klinik für Neurologie der Sana Kliniken Leipziger Land in Borna, betont die Bedeutung der Erkennung dieser Erkrankung.
Erscheinungsbild der Altersepilepsie
Epileptische Anfälle entstehen durch vorübergehende Funktionsstörungen von Nervenzellen im Gehirn. Während das Bild der Epilepsie oft von großen Anfällen mit Bewusstseinsverlust, heftigen Krämpfen und unkontrollierbaren Zuckungen geprägt ist, manifestiert sich die Altersepilepsie häufig anders. Die Anfälle betreffen eher bestimmte Bereiche des Gehirns, wodurch die Beschwerden weniger spezifisch und das Anfallsgefühl subjektiv geringer ausgeprägt ist. Anstatt von Krämpfen und Zuckungen treten eher kurzzeitige Abwesenheitszustände, Verwirrtheit oder Sprachunfähigkeit auf.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Ursachen für Epilepsie im Alter sind vielfältig. Dazu gehören unter anderem:
- Kopfverletzungen
- Kleine Schlaganfälle
- Beginnende Demenz
- Alkoholmissbrauch
- Entzündungen
Warum wird Altersepilepsie oft verkannt?
Die unspezifischen Symptome und das weniger dramatische Erscheinungsbild führen dazu, dass die Altersepilepsie oft nicht erkannt oder als normale Alterserscheinung abgetan wird. Dies kann schwerwiegende Folgen haben, beispielsweise wenn Stürze durch unerkannte Epilepsie verursacht werden und somit zukünftige Unfälle nicht vermieden werden können. Das Vorhandensein anderer Erkrankungen wie Parkinson oder Demenz kann die Symptome der Altersepilepsie zusätzlich überdecken.
Reaktion von Angehörigen und Betroffenen
Wer zum ersten Mal einen Anfall erleidet, sollte unbedingt einen Arzt aufsuchen. Der Hausarzt überweist die Patienten in der Regel an einen Neurologen. Da sich Betroffene oft nicht an das Ereignis erinnern und der Anfall im Alter weniger dramatisch verläuft, sind die Angehörigen gefragt, eine möglichst genaue Schilderung des Geschehens zu liefern. Bei einem großen Anfall mit Bewusstseinsverlust, Krämpfen und Zuckungen sollten Betroffene vor Kopfverletzungen geschützt werden. Tritt ein solcher Anfall zum ersten Mal auf oder dauert er länger als zwei Minuten, muss der Notarzt gerufen werden.
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Therapieansätze bei Epilepsie
Es stehen über 20 verschiedene Medikamente zur Verfügung, die den Gehirnstoffwechsel beeinflussen und kaum Nebenwirkungen haben. Bei Bewusstseinsstörungen sollte man vorerst nicht selbst Auto fahren oder bei bestimmten Aktivitäten wie Baden vorsichtig sein, da eine epileptische Bewusstseinsstörung ohne Vorwarnung auftreten kann.
Medikamentöse Behandlung
Die langfristige Behandlung von Epilepsie-Patienten erfolgt meist durch einen niedergelassenen Neurologen oder Kinder- und Jugendneurologen. In unklaren Fällen, bei ausbleibender Anfallsfreiheit trotz Behandlung oder bei speziellen Problemen im Zusammenhang mit der Epilepsie kann die Behandlung in einer spezialisierten Einrichtung (Schwerpunktpraxis für Epilepsie, Epilepsieambulanz, Epilepsiezentrum) sinnvoll sein.
Eine medikamentöse Behandlung ist nicht immer erforderlich. Nach einem einzigen Anfall kann man oft abwarten und bekannte Auslöser (wie laute Musik, Flackerlicht, Computerspiele) meiden sowie einen gesunden Lebensstil mit regelmäßiger Lebensführung, ausreichend Schlaf und Verzicht auf Alkohol pflegen.
Besondere Vorsicht ist in Situationen geboten, in denen ein plötzlicher Anfall schlimme Folgen haben könnte (Extremsportarten, Gerüstarbeiten, Hantieren mit schweren Maschinen).
Bei einer strukturellen oder metabolischen Epilepsie wird zunächst die Grunderkrankung (Meningitis, Diabetes, Lebererkrankung etc.) behandelt. Auch hier empfiehlt es sich, alle anfallsbegünstigenden Faktoren zu meiden.
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Eine medikamentöse Therapie kann jedoch auch schon nach einem einzigen Anfall ratsam sein, insbesondere bei hohem Risiko für weitere Anfälle oder bei bestimmten Epilepsieformen (wie Lennox-Gastaut-Syndrom, Temporallappenepilepsie etc.).
Generell wird spätestens nach dem zweiten Anfall zu einer Epilepsie-Behandlung geraten. Die Behandlung hängt immer von der individuellen Situation des Patienten ab. Nutzen und Risiken einer Epilepsie-Behandlung werden sorgfältig abgewogen, insbesondere bei seltenen Anfällen oder geringer Belastung durch die Anfälle.
Die Therapietreue (Adhärenz) des Patienten ist entscheidend für den Erfolg der Behandlung. Antiepileptika helfen nur, wenn sie regelmäßig eingenommen werden.
Den meisten Epilepsie-Patienten ermöglicht eine medikamentöse Behandlung ein anfallsfreies Leben. Antiepileptika hemmen die übermäßige Aktivität von Nervenzellen im Gehirn und senken so das Risiko für Krampfanfälle. Sie wirken jedoch nur symptomatisch und heilen die Epilepsie nicht.
Verschiedene Wirkstoffe wie Levetiracetam oder Valproinsäure werden als Antiepileptika eingesetzt. Der Arzt wählt den Wirkstoff und dessen Dosierung unter Berücksichtigung der Anfallsart, der Epilepsieform und möglicher Nebenwirkungen aus. Ziel ist es, weitere Anfälle zu verhindern oder zu reduzieren und gleichzeitig die Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten.
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In der Regel wird nur ein Antiepileptikum verschrieben (Monotherapie). Bei unzureichender Wirkung oder starken Nebenwirkungen kann auf ein anderes Präparat umgestellt werden. Manchmal ist erst der dritte oder vierte Versuch erfolgreich.
Bei manchen Patienten ist eine Kombinationstherapie mit zwei oder mehr Antiepileptika erforderlich. Diese wird sorgfältig geplant und überwacht, um Wechselwirkungen und Nebenwirkungen zu vermeiden.
Antiepileptika werden meist als Tablette, Kapsel oder Saft eingenommen. Manche sind auch als Spritze, Infusion oder Zäpfchen erhältlich.
Die Einnahme von Antiepileptika erfolgt meist über mehrere Jahre. Nach langer Anfallsfreiheit kann in Absprache mit dem Arzt ein Absetzversuch unternommen werden, wobei die Dosierung schrittweise reduziert wird.
Bei manchen Betroffenen kehren die Anfälle nach dem Absetzen zurück, während andere dauerhaft anfallsfrei bleiben. Der Arzt schätzt anhand der individuellen Situation des Patienten das Anfallsrisiko ohne Medikamente ein. In manchen Fällen ist eine lebenslange Einnahme der Medikamente erforderlich, beispielsweise bei bleibenden Hirnschäden.
Das eigenmächtige Absetzen von Epilepsie-Medikamenten kann lebensgefährliche Folgen haben.
Operation (Epilepsiechirurgie)
Bei manchen Patienten ist die Epilepsie medikamentös nicht ausreichend behandelbar. Wenn die Anfälle immer von einer begrenzten Hirnregion ausgehen (fokale Anfälle), kann dieser Teil des Gehirns operativ entfernt werden (Resektion). Dies verhindert in vielen Fällen zukünftige epileptische Anfälle.
Eine resektive Operation kommt nur in Frage, wenn das Entfernen der betreffenden Hirnregion relativ gefahrlos möglich ist und keine inakzeptablen Nachteile für den Patienten mit sich bringt. Sie wird vor allem bei Anfällen im Schläfenlappen (Temporallappen) des Gehirns eingesetzt.
Andere chirurgische Eingriffe wie die Balkendurchtrennung (Kallosotomie) kommen bei Epilepsie eher selten zum Einsatz, beispielsweise bei häufigen Sturzanfällen. Dabei wird der Balken (Corpus callosum) im Gehirn, das Verbindungsstück zwischen der rechten und linken Gehirnhälfte, ganz oder teilweise durchtrennt. Dies kann die Zahl der Sturzanfälle deutlich verringern, birgt aber das Risiko kognitiver Beeinträchtigungen.
Stimulationsverfahren
Wenn Medikamente bei Epilepsie nicht ausreichend wirken, können Stimulationsverfahren in Betracht gezogen werden. Dabei werden bestimmte Strukturen im Gehirn oder solche, die dorthin führen (Vagusnerv), mit niedriger Stromstärke stimuliert, was epileptischen Anfällen entgegenwirken kann.
Das am weitesten verbreitete Verfahren ist die Vagusnerv-Stimulation (VNS). Dabei wird dem Patienten ein kleines, batteriebetriebenes Gerät unterhalb des linken Schlüsselbeins unter die Haut implantiert. Dieses Gerät ist über ein Kabel mit dem linken Vagusnerv am Hals verbunden und gibt in Intervallen leichte Stromstöße an den Nerv ab. Dies kann die Häufigkeit epileptischer Anfälle deutlich reduzieren.
Ein anderes Stimulationsverfahren ist die tiefe Hirnstimulation. Dabei werden dem Patienten kleine Elektroden an bestimmten Stellen im Gehirn implantiert, die das Nervengewebe mit elektrischen Impulsen stimulieren. Dies kann die Zahl der Anfälle bei vielen Betroffenen senken.
Behandlung bei Status epilepticus
Ein Status epilepticus ist ein lebensbedrohlicher Zustand, der sofort notärztlich behandelt werden muss. Der Patient erhält als erstes ein Beruhigungsmittel (Benzodiazepin), das im Notfall auch von medizinischen Laien verabreicht werden kann. Im Krankenhaus wird die Behandlung fortgesetzt.
Diagnose von Epilepsie
Bei einem ersten epileptischen Anfall sollte ein Arzt aufgesucht werden, um festzustellen, ob es sich tatsächlich um Epilepsie handelt oder ob der Anfall andere Ursachen hat.
Erstgespräch
Der erste Schritt zur Diagnose ist die Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese). Der Arzt befragt den Patienten (oder Begleitpersonen) ausführlich, um den epileptischen Anfall genau zu schildern. Fotos oder Videoaufzeichnungen des Anfalls können dabei sehr hilfreich sein. Der Arzt fragt auch nach möglichen Auslösern, Grunderkrankungen und bekannten Fällen von Epilepsie in der Verwandtschaft.
Untersuchungen
Nach dem Gespräch folgt eine körperliche und neurologische Untersuchung. Dazu gehört eine Messung der Hirnströme (Elektroenzephalografie, EEG). Manchmal lassen sich im EEG typische Kurvenveränderungen erkennen, die auf Epilepsie hindeuten. Allerdings kann das EEG bei Epilepsie auch unauffällig sein.
Sehr wichtig ist die Magnetresonanztomografie (MRT), bei der detaillierte Schnittbilder des Gehirns erstellt werden. Darauf kann der Arzt eventuelle Schäden oder Fehlbildungen des Gehirns als mögliche Ursache des Anfalls erkennen.
Ergänzend zum MRT wird manchmal ein Computertomogramm des Schädels (CCT) angefertigt, um beispielsweise Hirnblutungen als Auslöser des Anfalls zu entdecken.
Bei Verdacht auf eine Gehirnentzündung (Enzephalitis) oder eine andere Grunderkrankung können Laboruntersuchungen Klarheit bringen. Auch eine Untersuchung der Hirn-Rückenmarksflüssigkeit (Liquor- oder Lumbalpunktion) kann durchgeführt werden.
Schlaf und Epilepsie
Schlaf und epileptische Aktivität beeinflussen sich gegenseitig. Epilepsie kann Schlafstörungen verursachen und umgekehrt. Schlafstörungen können die Häufigkeit epileptischer Anfälle erhöhen.
Eine besondere Form der Epilepsie sind die nokturnalen Frontallappenanfälle, die sich schlafgebunden manifestieren können.
Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit können somit primär auf eine Epilepsie als Ursache hindeuten und sind nicht nur eine sekundäre Differenzialdiagnose von Bewegungsstörungen im Schlaf.
Fokale Anfälle und ihre Symptome
Bei Epilepsie denken viele Menschen an Anfälle mit Bewusstseinsverlust und Muskelkrämpfe. Aber bei weitem nicht alle Attacken verlaufen so - und die Symptome sind den wenigsten Betroffenen bekannt. Sie reichen von falschen Sinneswahrnehmungen bis hin zu Verwirrtheit.
Mögliche Symptome eines fokalen epileptischen Anfalls sind:
- Falsche Sinneswahrnehmungen (z.B. Geruch von Abfall)
- Kurze Episoden von Verwirrtheit
- Verminderte Reaktion auf Ansprache
- Sehstörungen
- Unkontrollierte Bewegungen oder Zuckungen
- Missempfindungen, Kribbeln oder Taubheitsgefühle
Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig, weil dahinter oft eine andere Erkrankung als Auslöser steckt (Entzündungen im Gehirn, unbemerkter Schlaganfall, Tumor).
Schlafgebundene Epilepsie
Epileptische Anfälle treten gehäuft nach Schlafmangel auf. Im NREM-Schlaf treten relativ zu der mit Schlaf verbrachten Zeit erheblich häufiger Anfälle auf als im Wachen. Anfälle im Schlaf, aber auch interiktuale epileptische Aktivität im Schlaf führen zu Schlaffragmentierung und stören physiologische schlafgebundene Prozesse.
Anhand des tages- und nachtzeitlichen Auftretens verschiedenartiger Anfallsereignisse lassen sich Rückschlüsse auf deren Ätiologie ziehen. So kommen z. B. bei fokalen kortikalen Dysplasien häufig Anfälle in der ersten Nachthälfte vor.
Die Durchführung von EEG nach Schlafentzug gehört zum Standardrepertoire zur Diagnosesicherung einer Epilepsie. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass ein vorheriger Schlafentzug die Ausbeute an epilepsietypischen Potenzialen (ETP) im EEG um 40 % erhöht.