Levodopa und Polyneuropathie: Ein komplexer Zusammenhang

Levodopa ist ein Medikament, das häufig zur Behandlung von Bewegungsstörungen bei Parkinson und dem Restless-Legs-Syndrom (RLS) eingesetzt wird. Es wirkt, indem es im Gehirn in Dopamin umgewandelt wird, um den Dopaminmangel auszugleichen, der für diese Erkrankungen charakteristisch ist. Epidemiologische Studien haben jedoch gezeigt, dass eine Langzeittherapie mit Levodopa mit einem erhöhten Risiko für Vitamin-B12-Mangel verbunden sein kann. Dieser Mangel kann sich in verschiedenen neurologischen Symptomen äußern, einschließlich Polyneuropathie.

Vitamin-B12-Mangel unter Levodopa-Therapie

Mehrere Studien deuten darauf hin, dass Levodopa die Aufnahme von Vitamin B12 im Darm beeinträchtigen kann. Insbesondere die direkte intestinale Zufuhr von L-Dopa erhöht bei den meisten Patienten aufgrund von Resorptionsstörungen das Risiko für einen persistierenden Mangel an Vitamin B12, der sich klinisch mit einer axonal sensomotorischen Polyneuropathie manifestieren kann. Weniger gut untersucht, aber ebenfalls dokumentiert ist der Status der Vitamin-B12-Blutwerte bei oraler L-Dopa-Medikation. Eine Studie, die die Auswirkungen von L-Dopa auf Stimmung, klinische Manifestationen und kognitive Dysfunktion bei Parkinson-Patienten untersuchte, zeigte signifikant niedrigere Vitamin-B12- und Folat-Serumspiegel im Vergleich zu Kontrollpatienten.

Aufnahme und Funktion von Vitamin B12

Um den Zusammenhang zwischen Levodopa und Vitamin-B12-Mangel besser zu verstehen, ist es wichtig, die Aufnahme und Funktion von Vitamin B12 im Körper zu betrachten:

  1. Aufnahme: Vitamin B12 wird zunächst im Magen durch Pepsin und Magensäure von Proteinen abgespalten. Anschließend bindet es an R-Proteine (Haptocorrine). Im Dünndarm werden die R-Proteine durch Pankreasenzyme abgespalten, und Vitamin B12 bindet an den Intrinsic Factor (IF), der von den Parietalzellen des Magens gebildet wird. Der IF-Vitamin-B12-Komplex wird dann im terminalen Ileum resorbiert. Eine geringe passive Resorption von Vitamin B12 (ca. 1%) findet im gesamten Duodenum statt.
  2. Funktion: Im Körper wird Vitamin B12 in verschiedenen Formen gebunden, darunter Holotranscobalamin (biologisch aktive Form), Haptocorrin und Transcobalamin. Es spielt eine wichtige Rolle als Katalysator bei der Umwandlung von Methylmalonyl-Coenzym A zu Succinyl-Coenzym A. Bei einem Mangel an Vitamin B12 kommt es zu einer Erhöhung der Methylmalonsäure. Zudem ist Vitamin B12 für die Synthese von Methionin aus Homocystein erforderlich, wobei auch Folsäure benötigt wird. Methionin ist wiederum wichtig für die Hämatopoese. Ein Mangel an Methionin führt zu einer Erhöhung des Homocysteinspiegels.

Der tägliche Bedarf an Vitamin B12 beträgt etwa 3-4 µg. Der Körper speichert Vitamin B12 hauptsächlich in der Leber, aber auch in geringeren Mengen in Nieren, Muskulatur, Gehirn und Milz. Diese Speicher reichen in der Regel für mehrere Jahre.

Neuropathien und Vitamin-B12-Mangel

Ein Mangel an Vitamin B12 kann zu verschiedenen neurologischen Symptomen führen, insbesondere zu Neuropathien. Eine Polyneuropathie, die durch Vitamin-B12-Mangel verursacht wird, kann sich sensibel oder sensomotorisch äußern. Typische Symptome sind:

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  • Handschuh- und/oder strumpfförmige Hypästhesien (verminderte Empfindlichkeit)
  • Gemindertes Lage- und Vibrationsempfinden
  • Gangunsicherheit
  • Parästhesien (Kribbeln, Taubheitsgefühl)

In schweren Fällen kann es auch zu einer Optikusatrophie (Schädigung des Sehnervs) oder einer funikulären Myelose kommen. Die funikuläre Myelose ist eine Degeneration der Seiten- und Hinterstränge im Myelon, die typischerweise im zervikothorakalen Übergang beginnt. Sie führt zu einer Schädigung der Myelinscheiden und im Verlauf auch der Axone. Die Manifestation ist oft subakut und äußert sich in Parästhesien der Hände und später der Füße, Störungen der Tiefensensibilität und im Verlauf spastischer Ataxie.

Restless-Legs-Syndrom (RLS)

Das Restless-Legs-Syndrom (RLS) ist eine weitere neurologische Erkrankung, die mit Levodopa in Verbindung gebracht wird. Es ist durch einen unkontrollierbaren Bewegungsdrang in den Beinen gekennzeichnet, der oft mit Missempfindungen wie Ziehen, Jucken, Brennen und Reißen einhergeht. Die Beschwerden treten typischerweise in Ruhe auf und bessern sich durch Bewegung. Sie verschlimmern sich gegen Abend und vor allem im Lauf der Nacht.

Die Diagnose des RLS basiert auf vier Minimalkriterien:

  1. Missempfindungen in den Beinen (gelegentlich auch in den Armen)
  2. Beschwerden treten in Ruhe auf
  3. Symptome bessern sich durch Bewegung
  4. Beschwerden verschlechtern sich gegen Abend und vor allem im Lauf der Nacht

Ein Zusatzkriterium ist das Ansprechen auf eine dopaminerge Therapie mit L-Dopa.

Diagnose und Behandlung des Vitamin-B12-Mangels

Die Diagnose eines Vitamin-B12-Mangels basiert auf verschiedenen Laboruntersuchungen:

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  • Vitamin-B12-Spiegel: Die Normwerte für Erwachsene liegen zwischen 191 und 738 pmol/l bzw. 200-1000 pg/ml. Ein manifester Mangel liegt bei Werten unter 200 pg/ml vor. Ein niedrig-normaler Spiegel liegt zwischen 200 und 400 pg/ml. Eine Behandlungsempfehlung wird bei Werten unter 450 pg/ml gegeben. Es ist wichtig zu beachten, dass neurologische Symptome bereits bei Werten innerhalb des Normbereichs auftreten können.
  • Methylmalonsäure (MMS): Ein erhöhter MMS-Spiegel im Serum (pathologisch bei >280 nmol/l) oder Urin (in Bezug auf Kreatinin pathologisch >4mg/g Kreatinin) deutet auf einen Vitamin-B12-Mangel hin.
  • Holotranscobalamin: Ein erniedrigter Holotranscobalamin-Spiegel (<40 pmol/l) ist ein weiterer Hinweis auf einen Vitamin-B12-Mangel. Werte zwischen 35 und 70 pmol/l gelten als grenzwertig.
  • Blutbild: Eine Anämie, ein erhöhtes MCV (mittleres korpuskuläres Volumen), ein erhöhtes MCH (mittlere korpuskuläre Hämoglobin-Konzentration), hypersegmentierte Granulozyten und eine Retikulopenie können ebenfalls auf einen Vitamin-B12-Mangel hindeuten. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Laborwerte trotz neurologischer Manifestationen normal sein können.

Ergänzende Untersuchungen, wie z.B. die Bestimmung von Parietalzell-Antikörpern und IF-Autoantikörpern, können bei der Diagnosefindung hilfreich sein.

Bildgebung und Neurographie

In einigen Fällen kann eine Bildgebung des zervikalen Myelons (MRT) durchgeführt werden, um eine funikuläre Myelose nachzuweisen. Dabei kann eine hyperintense Darstellung der Hinter- und/oder Seitenstränge sichtbar sein. Bei psychiatrischen oder dementiellen Symptomen kann auch eine MRT des Kopfes durchgeführt werden.

Eine Neurographie kann durchgeführt werden, um eine demyelinisierende sensible oder sensomotorische Polyneuropathie festzustellen. Dabei werden die motorischen und sensiblen Nervenleitungsgeschwindigkeiten gemessen. Eine Elektromyographie kann durchgeführt werden, um eine axonale Schädigung festzustellen.

Evozierte Potentiale (sensibel evozierte Potentiale, visuell evozierte Potentiale, magnetisch evozierte Potentiale) können ebenfalls zur Diagnose von neurologischen Komplikationen eines Vitamin-B12-Mangels eingesetzt werden.

Therapie des Vitamin-B12-Mangels

Die Therapie des Vitamin-B12-Mangels zielt darauf ab, die Speicher wieder aufzufüllen und die neurologischen Symptome zu lindern. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Vitamin-B12-Supplementierung:

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  • Orale Therapie: Die orale Therapie ist der parenteralen Therapie gleichwertig. Die empfohlene Dosierung beträgt initial 1000-2000 µg/Tag über eine Woche, abhängig vom Spiegel. Bei Spiegeln unter 200 pg/mg wird eine Therapiebeginn mit 2000 µg/Tag empfohlen. In der zweiten bis vierten Woche werden 1000 µg/Woche eingenommen, ab dem zweiten Monat 1000 µg/Monat.
  • Parenterale Therapie: Bei neurologischer Manifestation mit funikulärer Myelose oder Optikusatrophie ist eine parenterale Therapie empfehlenswert. Die initiale Dosis beträgt 1-2x /Woche 1000µg intramuskulär oder (abhängig von Schwere der Symptome) 5-7 Tage 1000µg Hydroxycobalamin intramuskulär oder intravenös/subkutan. Danach werden 2x1000µg in den Wochen 2-4 verabreicht. Die Erhaltungsdosis beträgt 1000µg/Monat.

Es ist wichtig zu beachten, dass es bei einer Überdosierung von Vitamin B12 keine Toxizität gibt. Bei Therapiebeginn wird eine Kombination mit Folsäure (1,5-5 mg/die) empfohlen. Der B12-Spiegel sollte nach etwa einer Woche kontrolliert werden, wobei auf eine Besserung des Blutbildes (Anstieg der Retikulozyten) geachtet wird. Anschließend werden monatliche Kontrollen empfohlen.

Die Besserung der neurologischen Symptomatik ist abhängig von Dauer und Schwere der Symptomatik und tritt meist innerhalb der ersten drei Monate ein.

Kann durch Vitamin-B12-Supplemente auch die L-Dopa-bedingte Neuropathie der PD-Patienten durch Ausgleich eines Vitamin-B12-Mangels behandelt werden?

Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es zwar Hinweise, aber noch zu wenig aussagekräftige Ergebnisse, und auch die Gesellschaft für Biofaktoren betont die Notwendigkeit gut designter Studien, um den potentiellen Nutzen einer Vitamin-B12-Therapie zu bestätigen. Dem Ausgleich eines Vitamin-B12-Mangels unter L-Dopa-Therapie kann jedoch uneingeschränkt zugestimmt werden.

Weitere Aspekte der Levodopa-Therapie

Neben dem Vitamin-B12-Mangel gibt es weitere Aspekte der Levodopa-Therapie, die berücksichtigt werden sollten:

  • Einnahme: Levodopa-Tabletten werden am besten 30 Minuten vor oder 90 Minuten nach den Mahlzeiten unzerkaut mit einem Glas Wasser geschluckt. Anschließend wird empfohlen, etwas Gebäck zu essen. Vor der Einnahme sind große eiweißreiche Mahlzeiten zu vermeiden.
  • Wechselwirkungen: Levodopa sollte nicht zusammen mit nicht-selektiven, irreversiblen MAO-Hemmern oder Arzneimitteln, die einen Monoamin-Speicherentleerenden Effekt haben, eingenommen werden.
  • Kontraindikationen: Levodopa ist kontraindiziert bei schweren endokrinen Funktionsstörungen, schweren Herzerkrankungen und in der Schwangerschaft.
  • Schwangerschaft und Stillzeit: Levodopa sollte in der Schwangerschaft nicht angewendet werden, da über mögliche Risiken in der Schwangerschaft unzureichende Daten vorliegen. In tierexperimentellen Untersuchungen wurden pathologische Veränderungen an inneren Organen und Skelett nachgewiesen. Levodopa hemmt die Prolaktinausschüttung und somit die Laktation und geht zudem in die Muttermilch über.
  • Verkehrstüchtigkeit und Bedienen von Maschinen: Levodopa kann auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch Müdigkeit und in sehr seltenen Fällen übermäßige Tagesmüdigkeit und plötzlich auftretende Schlafattacken (eventuell auch ohne vorherige Warnzeichen) verursachen. Patienten, bei denen übermäßige Tagesmüdigkeit und Schlafattacken aufgetreten sind, dürfen keine Aktivitäten ausführen (z. B. das Führen von Fahrzeugen und das Bedienen von Maschinen).
  • Nebenwirkungen: Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Levodopa gehören Herz-Kreislauf-Störungen, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen. Nach längerer Therapie (mehrere Jahre) verstärkt Levodopa offenbar auch die On-Off-Symptomatik bei Parkinson.

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