Die Diagnose von Demenz, insbesondere der Alzheimer-Krankheit, stellt eine große Herausforderung dar. Oftmals wird die Diagnose erst spät gestellt, was wertvolle Lebensjahre der Betroffenen kostet. Dies liegt unter anderem daran, dass die Erkrankung mit einem Stigma behaftet ist, Symptome bagatellisiert oder als normale Alterserscheinungen abgetan werden. Viele Menschen sind zudem der Meinung, dass es ohnehin keine wirksamen Behandlungsmöglichkeiten gibt. Eine frühe Diagnose ist jedoch von entscheidender Bedeutung, um den Verlauf der Erkrankung positiv zu beeinflussen und Betroffenen sowie ihren Angehörigen ein besseres Leben zu ermöglichen.
Die Bedeutung der Früherkennung von Alzheimer
In Deutschland sind schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen von Demenz betroffen, wobei die Tendenz steigend ist. Bis zum Jahr 2050 wird erwartet, dass diese Zahl auf 2,8 Millionen ansteigen wird. In etwa zwei Dritteln der Fälle ist die Alzheimer-Krankheit die Ursache für die Demenz.
Eine frühe Diagnose ermöglicht es, rechtzeitig mit einer geeigneten Behandlung und Betreuung zu beginnen. Patient Bernd Heise engagiert sich heute in der Münchner Alzheimer-Gesellschaft. Er betont die Wichtigkeit des Kontakts zu anderen Betroffenen und der Aktivierung des Gehirns durch gezielte Übungen und Ausdauersport.
Moderne Diagnosemethoden: Die Lumbalpunktion
Früher galt die Alzheimer-Krankheit als unheilbar und konnte erst nach dem Tod durch die Untersuchung des Gehirns diagnostiziert werden. Dank moderner Diagnosemethoden ist dies heute anders. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Lumbalpunktion, auch bekannt als Rückenmarkpunktion.
Was ist eine Lumbalpunktion?
Bei einer Lumbalpunktion wird Nervenwasser (Liquor cerebrospinalis) aus dem Wirbelsäulenkanal entnommen. Das Nervenwasser umfließt Gehirn und Rückenmark und dient als eine Art Spülflüssigkeit. Es wird laufend von bestimmten Zellen im Gehirn produziert und erneuert. Durch die Analyse des Nervenwassers können Veränderungen im Gehirn, wie beispielsweise die typischen Amyloid- und Tau-Ablagerungen bei Alzheimer, erkannt werden.
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Der Ablauf einer Lumbalpunktion
Die Lumbalpunktion wird in der Regel zwischen dem dritten und vierten Lendenwirbel durchgeführt. Der Patient sitzt dabei leicht nach vorne gekrümmt oder liegt in Seitenlage mit angezogenen Knien. In manchen Fällen kann die Punktion auch in Bauchlage unter Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen erfolgen.
Nach der Desinfektion der Punktionsstelle wird eine dünne Nadel in den Wirbelsäulenkanal eingeführt. Die Punktion ist in der Regel nicht sehr schmerzhaft, da oft eine lokale Betäubung angewendet wird. Sobald der Raum mit dem Nervenwasser erreicht ist, tropft dieses heraus und wird in einem Röhrchen gesammelt. Die Entnahme dauert nur wenige Minuten.
Die Liquoranalyse
Nach der Entnahme des Nervenwassers folgt die Liquoranalyse. Dabei wird das Nervenwasser auf verschiedene Bestandteile untersucht, darunter Zellen, Eiweiße, Zucker und Krankheitserreger.
Bei der Diagnose von Alzheimer spielen vor allem die sogenannten Neurodegenerationsmarker eine wichtige Rolle. Dazu gehören:
- Amyloid-beta: Erniedrigte Werte dieses Proteins im Nervenwasser können auf Amyloid-Ablagerungen im Gehirn hindeuten, einem zentralen Kennzeichen der Alzheimer-Erkrankung.
- Tau-Proteine: Erhöhte Werte von Tau-Proteinen, insbesondere der phosphorylierten Form (Phospho-Tau), weisen auf Nervenzellschädigungen und Alzheimer-typische Ablagerungen hin.
- Neurofilament light chain (NfL): Dieser Marker ist ein allgemeiner Indikator für Nervenzellschädigungen, aber nicht spezifisch für Alzheimer.
Vorteile der Lumbalpunktion
Die Lumbalpunktion bietet mehrere Vorteile bei der Diagnose von Alzheimer:
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- Frühe Erkennung: Veränderungen im Nervenwasser können bereits in frühen Stadien der Erkrankung nachgewiesen werden, oft bevor Veränderungen im Gehirn in bildgebenden Verfahren sichtbar sind.
- Sichere Diagnose: Die Liquordiagnostik ermöglicht eine sichere Unterscheidung zwischen Alzheimer und anderen Demenzformen.
- Grundlage für die Behandlung: Eine verlässliche Diagnose ist die Grundlage für die richtige Behandlung und Beratung der Betroffenen.
- Eignung für neue Medikamente: Insbesondere seit der Zulassung neuer Medikamente, die nur bei gesicherter Alzheimer-Demenz eingesetzt werden dürfen, ist die Lumbalpunktion wichtiger denn je.
Risiken und Nebenwirkungen der Lumbalpunktion
Die Lumbalpunktion ist ein risikoarmer Eingriff. Dennoch können in seltenen Fällen Komplikationen auftreten:
- Kopfschmerzen: Bei etwa 5 bis 10 Prozent der Patienten treten nach der Punktion Kopfschmerzen auf, die durch den Verlust von Nervenwasser verursacht werden können. Diese Kopfschmerzen verstärken sich typischerweise beim Aufrichten und klingen nach einigen Tagen wieder ab. Gegen die Schmerzen helfen viel Trinken, Koffein oder das Medikament Theophyllin.
- Blutungen oder Infektionen: In sehr seltenen Fällen (1 von 2.000 behandelten Personen) können Blutungen oder Infektionen an der Punktionsstelle oder an den Hirnhäuten auftreten.
Wann ist eine Lumbalpunktion sinnvoll?
Eine Arbeitsgruppe der Alzheimer's Association hat Kriterien definiert, wann eine Liquoruntersuchung sinnvoll ist:
- Bei Patienten mit subjektiven Gedächtniseinbußen, aber ohne signifikante Einbußen in objektiven Gedächtnistests und weiteren Indikatoren für ein erhöhtes Alzheimer-Risiko.
- Bei Patienten mit leichten kognitiven Einschränkungen, die anhalten, fortschreiten und nicht anders zu erklären sind.
- Bei Patienten mit Symptomen, die zu Alzheimer passen, aber auch Anzeichen für andere Demenzformen sein können.
- Bei Patienten mit leichten kognitiven Einschränkungen oder Demenz vor dem 65. Lebensjahr.
- Bei Patienten, die die klinischen Kernkriterien der Alzheimer-Demenz erfüllen und sich zu Symptombeginn im typischen Alter (≥ 65) befinden.
- Bei Patienten mit unerklärlichen Verhaltensänderungen wie Wahnvorstellungen, Depression oder Delir, wenn eine Alzheimer-Diagnose anzunehmen ist.
Wann wird von einer Lumbalpunktion abgeraten?
Von einer Lumbalpunktion wird abgeraten in folgenden Situationen:
- Bei Patienten ohne subjektive Gedächtniseinbußen und ohne erhöhtes Alzheimer-Risiko, die in objektiven Tests altersgemäß abschneiden.
- Wenn nur die Familienanamnese positiv ist, aber keine objektivierbaren Gedächtniseinbußen vorliegen.
- Wenn zwar subjektive Gedächtniseinbußen bestehen, aber keine Indikatoren für eine erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeit vorliegen.
- Bei Patienten mit einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung, die als starker Prädiktor für andere neurologische Erkrankungen gilt.
- Wenn bereits eine Alzheimer-Diagnose gestellt wurde und die Untersuchung lediglich zur Feststellung des Krankheitsstadiums dienen soll.
- Bei Patienten, die Träger des ApoE4-Gens sind, aber keine kognitiven Einschränkungen aufweisen.
- Wenn eine autosomal dominante Alzheimer-Demenz vermutet wird und die Liquoruntersuchung als Ersatz für die genetische Typisierung dienen soll.
Weitere Diagnosemethoden bei Demenz
Neben der Lumbalpunktion gibt es weitere wichtige Diagnosemethoden bei Demenz:
- Anamnese: Eine ausführliche Befragung des Betroffenen und seiner Angehörigen über körperliche und geistige Veränderungen, familiäre Vorbelastungen und Medikamenteneinnahme.
- Neuropsychologische Testung: Untersuchung von Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Sprache und anderen höheren Hirnfunktionen mithilfe von standardisierten Tests.
- Bildgebende Verfahren: Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) zur Feststellung von Erkrankungen des Nervensystems oder des Gehirns.
- Elektrokardiogramm (EKG) und Elektroenzephalographie (EEG): Zur Unterscheidung zwischen primären und sekundären Demenzformen.
- Blutuntersuchung: Zur Diagnose von sekundären Demenzen, die beispielsweise durch Schilddrüsenerkrankungen verursacht werden.
Die Rolle der Forschung und neue Therapieansätze
Die Alzheimer-Forschung hat in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht. Obwohl die Alzheimer-Krankheit bisher nicht heilbar ist, gibt es vielversprechende Therapieansätze, die den Verlauf der Erkrankung verlangsamen oder die Symptome lindern können.
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Der TREM2-Wert als Biomarker
Forscher haben im Nervenwasser von Alzheimer-Patienten einen erhöhten Wert des Proteins TREM2 festgestellt. Dieses Protein wird von Fresszellen des Gehirns (Mikroglia) abgesondert, die zum Immunsystem gehören und dazu beitragen, das Gehirn funktionsfähig zu halten. Der erhöhte TREM2-Pegel deutet darauf hin, dass bei der erblichen Alzheimer-Variante die Fresszellen des Gehirns aktiv werden, lange bevor die Erkrankung offensichtlich wird. Der TREM2-Wert könnte somit als Biomarker für die Diagnose und Therapie von Alzheimer dienen.
Bluttests zur Unterstützung der Alzheimer-Diagnostik
Mit dem Lumipulse G pTau217/β-Amyloid 1-42 Plasma Ratio wurde erstmals ein Bluttest zur Unterstützung der Alzheimer-Diagnostik zugelassen. Der Test bestimmt das Verhältnis zweier Proteine im Blutplasma: phosphoryliertes Tau-Protein (pTau217) und β-Amyloid 1-42. Ein verändertes Verhältnis weist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Amyloid-Ablagerungen im Gehirn hin. Der Bluttest bietet eine weniger belastende Alternative zu teuren Amyloid-PET-Scans oder der invasiven Lumbalpunktion.
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